
Nachdem Eberhard Jüngel nicht länger publizieren kann, ein Ostertext von ihm aus dem Zeitungsarchiv der Berliner Zeitung von 2001:
Von Eberhard Jüngel
Zum Lachen war das Osterfest von Anfang an: Grund zu befreitem Auflachen für die einen, die sich pointiert die Glaubenden nennen, weil Ostern ihren Glauben an ein ewiges Leben begründet – eine ganz und gar lächerliche Angelegenheit hingegen für diejenigen unter den anderen, die überhaupt davon Kenntnis nehmen, dass das Osterfest einen Sinn, dass es eine präzise Bedeutung hat. „Sie feiern die Auferstehung des Herrn“ – das kann man, auch wenn man die Bibel niemals aufgeschlagen hat, zumindest aus dem Osterspaziergang des Doktor Faustus wissen. Doch wenn man Genaueres über „die Auferstehung des Herrn“ in Erfahrung bringt, meint man ebenfalls lachen zu müssen, allerdings nicht befreit, sondern eher spitz oder klirrend, voller Ironie oder gar Hohn. Ostern als Grund für befreites Auflachen hier – einfach lächerlich dort! Wer lacht richtig?
Diejenigen, deren von den Toten auferstandener Herr ein zwar unschuldiger, aber unter Berufung auf das Gesetz dennoch hingerichteter Jude war? Also diejenigen, die in diesem am Kreuz exekutierten Menschen Jesus einen Gott am Werke sehen, der, sich dem Allmachtsanspruch des Todes aussetzend, dem Tod sozusagen auf Augenhöhe begegnet ist, um so zur Entscheidung zu bringen, wer in Wahrheit das letzte Wort hat: der Tod oder das Leben? Die Glaubenden mithin, deren Mund voll Lachens ist, weil sie in der Auferstehung ihres Herrn dessen Sieg über den Tod feiern? Dann wäre zumindest in diesem einen Fall der jeden Menschen irgendwann irgendwie ereilende Tod selber bereits tödlich blamiert: der Tod kann zwar immer noch töten, aber das letzte Wort behält nicht er. Das letzte Wort behält dann das den Tod überwindende göttliche Leben. Eine derart tödliche Blamage des Todes müsste sogar für den humorlosesten Menschen Anlass und Grund zum Lachen sein: Anlass und Grund, befreit auf- und den Tod auszulachen. So, wie das bereits die ersten Christen und ihr Apostel getan haben: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Kor 15,55) Oder ist das österliche Lachen der Glaubenden einfach nur lächerlich, so dass das spitze oder klirrende Lachen derer angemessen wäre, die das Ganze für eine ausgemachte Torheit halten? Ein Toter unter den Lebenden? Ein nach menschlichem Recht Hingerichteter als Inbegriff göttlichen Lebens? Selbst wenn die in der religiösen Umwelt des frühen Christentums bei vielen Juden lebendige Erwartung eines universalen Gerichtstages mit vorangehender Totenauferweckung konzediert würde, selbst wenn man also die Existenz eines Schöpfers für denkbar hielte, der zugleich höchster Richter und als solcher Herr über Leben und Tod ist, selbst dann mutet der Glaube, dass dieser Gott sich mit einem am Galgen Exekutierten solidarisiert, mehr noch: identifiziert haben soll, dem gesunden Menschenverstand ausgesprochen grotesk an. Wenn schon Gott, dann bitte so, dass er über unsere genuin menschliche Schwäche und über den Exponenten dieser Schwäche, den Tod, unendlich erhaben ist.
„Nur der Körper eignet jenen Mächten, die das dunkle Schicksal flechten, aber frei von jeder Zeitgewalt, die Gespielin seliger Naturen, wandelt oben in des Lichtes Fluren, göttlich unter Göttern, die Gestalt.“ Das wären die Gebildeten unter den Verächtern des Christentums, sofern sie „Idealisten“ genannt zu werden verdienen, mit Friedrich Schiller zu konzedieren gerade noch bereit. Aber ein sich in der Zeit, ja im Tode bewährendes ewiges Leben, ein Gott am Kreuz – das läuft, so scheint es, auf die Negation eines Gottes hinaus. Gott am Kreuz, das bedeutet, wie nicht erst Friedrich Nietzsche bemerkt hat, die Umwertung aller bekannten Werte. Einfach lächerlich.
Lachen setzt allerdings Verstehen voraus. Wenn jemand über einen Witz lacht, den er nicht verstanden hat, mutet das eher peinlich an. Versucht man, das österliche Lachen der Christen, das sich sogar in ihren Gottesdiensten am Ostermorgen elementare Geltung verschafft, genauer zu verstehen, so wird man zunächst einmal erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass der Osterglaube für die ihm entgegengesetzte Behauptung, die Rede von einem gekreuzigten und durch das Erleiden des Todes den Tod entmächtigenden Gott sei schlechthin lächerlich, sehr viel Verständnis hat. Dass den aufgeklärten Griechen das Wort vom Kreuz eine Torheit ist, hat schon das Neue Testament (vgl. 1. Kor 1,23) nüchtern konstatiert. Die älteste Urkunde der Christen weiß, welche Revolution aller Werte die österliche Botschaft bedeutet.
„Nichts ist so groß, Gott ist noch größer“, behauptet die nicht nur mit der antiken Aufklärung Hand in Hand gehende, mit dem Christentum jedoch keineswegs identische so genannte natürliche Religion. Gott galt selbst noch dem angeblichen Religionskritiker Ludwig Feuerbach als das, worüber hinaus Größeres nicht gedacht werden kann. „Nur wo du Gott denkst, denkst du, rigoros gesprochen“, hatte Feuerbach behauptet. Der Osterglaube setzt indessen dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit aufgeklärter Religion nicht etwa den Kampf gegen die Aufklärung, wohl aber eine andere, eine potenzierte Aufklärung entgegen: Aufklärung im Lichte des Evangeliums, die dem Satz „nichts ist so groß, Gott ist noch größer“ mit Martin Luther den Gegen-Satz dialektisch zur Seite stellt: „nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner“. Zumindest konsequente Marxisten müssten dafür und erst recht für die gesellschaftskritischen Konsequenzen dieses Glaubens – man schlage nach im 1. Korintherbrief, Kapitel 1, Verse 26-28! – einiges Verständnis haben. Die Umwertung aller Werte durch den Osterglauben ging sogar so weit, dass die Christen selber in den ersten Jahrhunderten für Atheisten gehalten wurden. Und so hallt denn in ihrem den Tod verspottenden Lachen immer auch etwas von dem anderen Gelächter nach, dem „die Auferstehung des Herrn“ nur eben lächerlich ist.
Zum Verstehen des Osterglaubens gehört es allerdings auch, sich klar zu machen, dass Auferstehung nicht etwa – wie bornierte christliche Fundamentalisten behaupten – die Reanimation oder Reinkarnation eines Toten bedeutet. Die Rückkehr eines Gestorbenen in die irdische Lebenswelt gliche ja dem Erscheinen eines Gespenstes. Der christliche Glaube ist jedoch ausgesprochen [12] gespensterfeindlich und auch sonst der erklärte Feind jedweden Aberglaubens.
Das zeigt sich schon am biblischen Verständnis dessen, was eigentlich Leben ist. Leben heißt sowohl im Alten wie im Neuen Testament zuerst und vor allem Zusammenleben, bedeutet also ein Leben voll von Beziehungen. Im Tod hingegen endet das beziehungsreiche Leben, da endet die Beziehung des Ich zu seiner sozialen und natürlichen Umwelt, da endet aber auch die Beziehung des menschlichen Ich zu sich selbst. Nur die Beziehung des lebendigen Gottes zu dem sterbenden Ich endet auch im Tode nicht. Denn das ist der Sinn der Rede von der „Auferstehung des Herrn“, dass Gott uns in unserem Tode von allen Seiten bergend umgibt und so sein eigenes Leben gegen den Tod aufbietet. Warum? Weil er sein Geschöpf liebt, so sehr liebt, dass er sogar dessen Tod teilt, damit der Mensch Gottes Leben mit ihm teilen kann. Gezwungen werden kann zu dieser Lebensgemeinschaft niemand. Eingeladen ist jeder. Und die christlichen Kirchen sind, wenn sie sich selber recht verstehen, nichts Anderes als die Institution gewordene Einladung zu einem Leben mit Gott.
Die österliche Verheißung ewigen Lebens besagt also, dass das menschliche Ich nicht an der isolierenden Kraft des Todes zu Grunde gehen muss, sondern Gott als die Macht der Liebe erfahren kann, die selbst da, wo alle irdischen Beziehungen abbrechen und mit ihnen auch das gelebte Leben endet, neue Verhältnisse, ewige Lebensbeziehungen schafft. Nur die Liebe vermag das. Nur der Gott, der die Liebe ist, ist so stark, dass er mitten im Tod neue Lebensbeziehungen etablieren kann.
Diese Gewissheit entführt den Glaubenden jedoch nicht in irgendwelche Hinterwelten. Mit dieser Gewissheit wendet sich der die Auferstehung des Herrn feiernde Glaubende vielmehr erneut den bedrohten und zerbrechlichen Verhältnissen hier und jetzt, mit dieser Gewissheit wendet er sich auch den komplizierten irdischen Beziehungskisten zu, um den Beziehungsreichtum schon des irdische Lebens zu schützen und, so gut es geht, noch zu steigern. Und wenn jemand sagt, dass das unvernünftig sei und dass es sich nicht rechnet, dann erinnert sich der Glaubende der österlichen Freiheit, über so viel vermeintliche Klugheit schallend zu lachen.
Diese Freiheit zum Lachen verbindet das irdische mit dem ewigen Leben. Mitunter kann man sie sogar in den sonst eher etwas steifen Gottesdiensten erleben. Zumindest am Ostermorgen war und ist die Unterbrechung der Liturgie oder der Predigt durch ein befreiendes Lachen durchaus am Platz. Wohl dem Liturgen, wohl dem Prediger, der es auszulösen vermag! Er wäre ein echter Agent seines Gottes.
Eberhard Jüngel ist Direktor des Instituts für Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
Berliner Zeitung, 14./15./16.04.2001, Seite 11f.