Karl Rahner, Seitdem ich euer Bruder wurde … Das Wunder der Weihnacht (1951): „Mensch, sag nur das eine, dann ist auch für dich Weihnachten, sag nur: Du bist da! Nein, sag nichts. Ich bin da und meine Liebe ist seitdem unbesieglich. Ich bin da. Es ist Weihnachten. Zündet die Kerzen an, sie haben mehr Recht als alle Finsternis. Es ist Weihnacht – sie bleibt in Ewigkeit.“

Seitdem ich euer Bruder wurde … Das Wunder der Weihnacht

Von Karl Rahner

Wir feiern Weihnachten. Ach Gott, das ist so ein frommer Brauch: ein Tannenbaum mit Lichtern und ein paar netten Geschenken, Spannung der Kinder und ein wenig Weihnachtsmusik ist immer schön und rührend. Und wenn das Religiöse zur Steigerung der Stimmung beigezogen wird, dann wird alles besonders schön und rührend. Wir haben ja alle, wer wird es uns verargen, so insgeheim immer ein wenig Mitleid mit uns selber und gönnen uns darum so gern ein wenig Stimmung, die friedlich und tröstlich ist. So wie man einem verweinten Kind über den Flachskopf streicht und sagt: es ist nicht so schlimm, es wird schon wieder alles gut. Ist das alles an Weihnachten? Ist das die Hauptsache? Oder ist das Schöne und Gemüthafte, das Stille und Trauliche nur das schöne, milde Echo eines Ereignisses, das eigentlich an diesem Tag gefeiert wird und irgendwo ganz anders, viel höher im Himmel, viel tiefer in den Abgründen und viel innerlicher in der Seele geschieht? Ist Weihnachtsfreude und -frieden nur eine Stimmung, in die man illusionistisch flüchtet, oder die Äußerung, die heilige Begehung eines wahrhaftigen Geschehens, zu dem man in der großen Tapferkeit des Herzens aufbricht, damit es auch an uns und durch uns geschehe, weil es auf jeden Fall Wahrheit und Wirklichkeit ist, selbst wenn wir es nicht wahrhaben wollten, selbst wenn wir von ihm nichts mehr begriffen als ein wenig kindliche Romantik und bürgerliche Behaglichkeit?

Die Weihnacht ist mehr als ein bisschen tröstliche Stimmung. Auf das Kind, auf das eine Kind kommt es an, an diesem Tage in dieser heiligen Nacht, auf den Sohn Gottes, der Mensch wurde, auf seine Geburt. Alles andere an diesem Fest lebt davon, oder es stirbt und wird zur Illusion. Weihnachten heißt: Er ist gekommen, Er hat die Nacht hell gemacht, Er hat die Nacht unserer Finsternisse, die Nacht unserer Ängste und Hoffnungslosigkeiten zur Weihnacht, zur heiligen Nacht gemacht. Das sagt Weihnachten. Der Augenblick, da dies geschah, wirklich und für alle Zeiten, soll durch dieses Fest auch in unserem Herzen und Geist Wirklichkeit bleiben. Wenn wir Menschen so dem durchschnittlichen Empfinden unseres blinden Alltags Glauben schenkten, so müssten wir eigentlich im Großen und Kleinen zur schrecklichen und verzweifelten Meinung kommen, dass nichts in der Welt geschieht, dass zwar ein ewiges Auf und Ab von Weltgeschehen, von Völkerschicksalen, von persönlichen Widerfahrnissen vorhanden ist, die jetzt gut und freudig und dann meist böse und traurig sind, dass aber alles letztlich ziel- und richtungslos in sich selber kreist, sich selber blind und auswegslos verzehrt, dass die Menschen die sinnlose Ziellosigkeit des Geschehens sich nur dadurch verbergen, dass die sie sich ängstlich hüten über den nächsten hinaus Tag zu denken.

Von uns her und für uns allein, sind wir ein Rätsel. Von uns her allein ein ewig grausames Rätsel, das tödlich ist. Wenn wir die Geburt dieses Kindes des heutigen Festes nur von uns her besehen würden, dann könnten wir über es und uns auch nur sprechen, düster und der Bitterkeit voll, was im 14. Kapitel bei Job steht: „Der Mensch, vom Weibe geboren, kurzen Lebens, an Sorgen satt, blüht auf wie die Blume, verwelkt, flieht hin wie ein Schatten und bleibet nicht“. Von uns aus wären wir nur wie ein kleiner Punkt Licht in einer grenzenlosen Finsternis, der nichts könnte als die Finsternis noch schrecklicher machen, wären wir eine Rechnung, die nicht aufgeht, verstoßen in die Zeit, die alles zerrinnen lässt, ins Dasein gezwungen ohne gefragt zu sein, beladen mit Mühsal und Enttäuschung, sich selbst zur Qual und Strafe durch die eigene Schuld, beginnend den Tod zu leiden im Augenblick, da man geboren wird, ungesichert und gejagt, sich kindisch über all das hinwegtäuschend mit dem, was man die guten Seiten des Lebens nennt, die aber so in Wahrheit nichts wären als das raffinierte Mittel, das dafür sorgt, dass das Martyrium und die Tortur des Lebens nicht zu schnell enden. Wenn wir aber im Glauben im entschlossenen nüchternen und über alles andere hinaus tapferen Glaubens sagen: es ist Weihnacht, dann sagen wir: es ist in die Welt und in mein Leben ein Ereignis eingebrochen, das dies alles, was wir Welt und unser Leben nennen, verwandelt hat, allein dem allem ein Ziel und ein Ende gegeben hat, das dem „Nichts Neues unter der Sonne“ des alten Predigers, dem Grauen der ewigen Wiederkunft des neuen Philosophen ein Ende bereitet hat, durch das unsere Nacht, die schreckliche, die kalte und öde Nacht, da Leib und Geist auf das Erfrieren warten, zur Weihnacht, zur heiligen Nacht geworden ist. Denn der Herr ist da, der Herr der Schöpfung und meines Lebens.

Er sieht nicht mehr aus dem ewigen Alles in einem und auf einmal seiner Ewigkeit bloß dem ewigen Wechsel meines verrinnenden Lebens tief unter sich zu. Der Ewige ist Zeit, der Sohn ist Mensch, die ewige Weltvernunft, die allumfassende Sinnhaftigkeit aller Wirklichkeit ist Fleisch geworden und dadurch ist die Zeit und das Menschenleben verwandelt worden, da­durch, dass Gott selbst Mensch geworden ist. Nicht insofern als er aufgehört hätte, er selbst, das ewige Wort Gottes selbst, mit all seiner Herrlichkeit und unausdenkbaren Seeligkeit zu sein. Aber er ist wahrhaft Mensch geworden und jetzt geht ihn diese Welt und ihr Schicksal selber an. Jetzt ist sie nicht nur sein Werk, sondern ein Stück von ihm selbst. Jetzt sieht er ihrem Lauf nicht mehr nur zu, jetzt ist er selber drinnen, jetzt ist ihm selbst zu Mute, wie uns zu Mute ist. Jetzt fällt auf ihn unser Los, unsere irdische Freude und unser eigener Jammer. Jetzt brauchen wir ihn nicht mehr zu suchen in den Unendlichkeiten des Himmels, in denen sich unser Geist und unser Herz weglos verlieren, jetzt ist er selbst auch auf unserer Erde, auf der es ihm nicht besser geht als uns, auf der ihm keine Sonderregelung zu Teil wurde, sondern unser aller Los: Hunger, Müdigkeit, Feindschaft, Todesangst und ein elendes Sterben.

Dass die Unendlichkeit Gottes die menschliche Enge, die Seligkeit, die tödliche Trauer der Erde, das Leben den Tod annahm, das ist die unwahrscheinlichste Wahrheit. Aber sie nur, diese finstere Nacht des Glaubens macht unsere Nächte hell, sie allein macht heilige Nächte. Was ist es denn, wenn es so ist: wir sagen das ewige Wort Gottes, in dem sich Gott selbst hat und aussagt, in dem die Unendlichkeit sich selber weiß, nimmt eine menschliche Wirklichkeit, ein menschliches Schicksal an und wird so, annehmend, Mensch.

Wir kommen aber dem Geheimnis von Weihnachten vielleicht noch näher, wenn wir umgekehrt blickend sagen: das Wort Gottes sagt sich selbst hinaus in jene stumme leere Wüste des Nichtigen und Nichtgöttlichen und indem es sich selbst so von sich selbst wegsagt und sich, sich entäußernd, selbst aussagt, wird das Menschliche. Dieses ist im Letzten nicht das fremde Angenommene, das dem Annehmenden äußerlich bleibt. Das Menschliche wird nicht geschaffen und dann so eben als das Fremde angenommen, denn dann würde es den Annehmenden nur verhüllen, wäre nur seine Vermummung oder das ihm selbst fremde Instrument der Verlautbarung, die dann selber wieder nur in Worten bestehen könnte, während das Instrument der Verlautbarung vom Worte Gottes selbst nichts aussagen würde. Es, das von Gott gewiss Unterschiedene, das Menschliche, ist aber doch gerade das, worin, nicht bloß wodurch, Gott selbst erscheint und sich selbst aussagt. Das Angenommene ist im Letzten das Ausgesagte. Es kommt selbst von ihm als seine Erscheinung her und wird nicht als seine Livré an ihn herangebracht. Das Menschliche ist genau das, was wird, wenn sich Gott selbst in die Leere des Nichtgöttlichen hineininterpretiert. Gott hat sich frei ausgesagt, weil die Liebe, die sich weggibt, das Freie ist. Aber wenn Gott sich frei aussagt, dann muss er eben wirklich sich sagen und wenn er dies tut, sagt er genau den Menschen, weil gerade darin er sich selbst sagt. Er ist im Menschen selber gesagt, weil der Mensch nicht irgendetwas, sondern die reine Verwiesenheit auf Gott ist, gar nicht verstanden werden kann, ohne über ihn hinwegzugreifen auf jenes Geheimnis, das Gott ist. Die Antwort schafft sich die Frage nach sich selbst und gibt sich ihr selbst zu eigen. Die Frage heißt Mensch, die Antwort heißt Gott: Und beide sind eins geworden im Gott-Menschen. So ist er die Verheißung dafür, dass Gott allen seine eigene Herrlichkeit als die Erfüllung ihrer eigenen Fraglichkeit schenken will. Dass wir darum von uns und dieser Verheißung so wenig begreifen, dass wir Weihnachten so wenig verstehen, ist nicht verwunderlich: Es geht hier um die unendliche Frage, die nach allem und so nach dem ergreifend Unbegreiflichen fragt, es geht dort um die unendliche Antwort, die das Geheimnis der Unbegreiflichkeit Gottes ist. Es geht um das Geheimnis, das wir Gott nennen und das sich selbst gibt mit seiner erfüllten Unendlichkeit hinein in die bedürftige Unendlichkeit, die der Mensch ist. Wir begreifen davon, wenn man genau redet nichts, weil es sich um den Unbegreiflichen handelt. Aber wir begreifen, dass wir das Begreifliche nie für das Erlösende und Befreiende, sondern nur für das Enge und Vorläufige halten können. Und wir glauben, dass das Unbegreifliche nach dem wir fragen, weil wir die unendliche Frage sind, in Gnade nicht bloß die Ferne des Gerichtes über uns, sondern die selige Nähe sein wollte, die die Frage, ohne sie aufzuheben, selig macht, indem sie selber sie als ihre eigene stellt.

Wer sich weigert, das Unbegreifliche als das Lichte anzunehmen, dem ist mit diesem Wort nicht geholfen. Doch der Christ glaubt und hofft, dass viele Menschen mit dem rettenden Herzen die Unbegreiflichkeit Gottes eingesenkt in ihr Dasein und so den Gottmenschen annehmen, deren räsonierender Kopf meint, solche Worte der lösenden Deutung des Daseins nur als unverständliche Worte hören zu können oder deren in der Qual des Daseins rebellierende Nerven noch nicht die Möglichkeit haben, gelassen und gelöst die Botschaft von Weihnachten zu hören. Wir Christen sind auch da zuversichtlich: Für viele wird die lösende Nacht des Todes oder sonst ein unberufener Augenblick der Sammlung des Daseins zu einer Weihnacht werden, in der die Gereiztheit unserer Leiblichkeit gelöst ist, der räsonierende Kopf die größere Weisheit des Herzens annimmt und der so geeinte Mensch willig sich in seine Unbegreiflichkeit und Unverfügbarkeit hineingibt und darin den namenlos annimmt, den wir Christen Jesus nennen. Denn viele haben schon den, der Gott und Mensch ist, als den schweigenden Gott in den armen Stall ihres Daseins eingelassen, ohne es zu wissen und der Glanz, der einzog, hat ihre Augen eben erst hell gemacht, als sie sich im Tode schlossen.

Gott ist gekommen, er ist da und darum ist alles anders als wir meinen. Die Zeit ist aus dem ewigen Weiterfließen verwandelt in ein Geschehen, das mit lautloser, eindeutiger Zielstrebigkeit auf ein ganz bestimmtes Ende hinführt, darin wir und die Welt vor dem entschleierten Antlitz Gottes stehen werden. Wenn wir sagen: es ist Weihnacht, dann sagen wir: Gott hat sein letztes, sein tiefstes, sein schönstes Wort im fleischgewordenen Wort in die Welt hineingesagt, ein Wort, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil es Gottes endgültige Tat, weil es Gott selbst in der Welt ist. Und dieses Wort heißt: Ich liebe dich, du Welt und du Mensch! Das ist ein ganz unerwartetes Wort, ein ganz unwahrscheinliches Wort, denn wie kann man dieses Wort sagen, wenn man den Menschen und die Welt und beider grauenvolle und leere Abgründe kennt. Gott aber kennt sie besser als wir und er hat dieses Wort doch gesagt, indem er selbst als Kreatur geboren wurde. Dieses fleischgewordene Wort der Liebe sagt, dass es eine Gemeinschaft Aug in Aug, Herz zu Herz, zwischen dem ewigen Gott und uns geben soll, ja dass sie schon da ist. Wir können uns höchstens noch wehren gegen den Kuss der Liebe, der schon auf unserem Munde brennt. Dieses Wort hat Gott in der Geburt seines Sohnes gesagt. Und jetzt ist nur mehr eine kleine Weile, eine lautlose Stille in der Welt und aller Lärm, den man stolz die Weltgeschichte oder das eigene Leben nennt, ist nur die List der ewigen Liebe, die eine freie Antwort des Menschen ermöglichen will auf ihr letztes Wort. Und in diesem langen kurzen Augenblick des Schweigens Gottes, der die Geschichte Post christum natum heißt soll der Mensch in dieser Welt noch einmal zu Wort kommen und er soll im Beben seines von der Liebe Gottes zitternden Herzens Gott, der als Mensch im schweigenden Warten neben ihm steht, sagen: Ich – nein er soll ihm nichts sagen, sondern schweigend sich der Liebe Gottes ergeben, die da ist, weil der Sohn geboren ist. Weihnacht sagt: Gott ist zu uns gekommen, so gekommen, dass er nur mehr mit der Welt und uns zusammen heimkann in seinen eigenen schrecklich herrlichen Glanz. Alles hat sich durch die Geburt des Kindes schon gewandelt. Alles drängt von der Herzmitte der Wirklichkeit, die das fleischgewordene Wort ist, schon mit der Unerbittlichkeit der Liebe hin vor das Antlitz Gottes, ohne dass dort vor seinem brennenden Feuer aus Heiligkeit und Gerechtigkeit die Welt zu Nichts verbrennen müsste. Alle Zeit ist schon umfasst von der Ewigkeit, die selbst Zeit wurde. Alle Tränen sind im Innersten schon versiegt, weil Gott selbst sie mitgeweint hat und schon aus seinen eigenen Augen wischte. Alle Hoffnung ist eigentlich schon Besitz, weil Gott schon von der Welt besessen ist. Die Nacht der Welt ist schon hell geworden. Unser eigensinniger Trotz und die Schwachheit unseres Herzens, die Gott nicht grösser sein lassen wollen als unser Herz und darum ihn nicht so klein haben wollen, wie ein kleines Kind, das geboren wird und in einer Krippe liegt. Unser Herz will nicht zugeben, dass die Mitternacht schon vorüber ist und der Tag ohne Abend schon die Nacht durchdringt. Alle Bitterkeit ist nur die Mahnung, dass noch nicht offenbar geworden ist, dass schon die eine Weltweihnacht angebrochen ist und alles Glück dieser Erde ist nur die geheime Bestätigung, die sich selbst weiß, nicht begreift, dass schon Weihnachten ist. Das Weihnachtsfest ist daher nicht Poesie und Kinderromantik, sondern das Bekenntnis und der Glaube, der den Menschen allein rechtfertigt, dass Gott aufgestanden ist und sein letztes Wort im Drama der Geschichte schon gesprochen hat, mag die Welt noch so viel reden und schreien. Weihnachtsfeier kann nur das Echo jenes Wortes in der tiefe unseres Wesens sein, indem wir ein glaubendes Amen zum Wort Gottes sprechen, das von der weiten Ewigkeit Gottes in die Enge dieser Welt gekommen ist und doch nicht aufgehört hat, das Wort der Wahrheit Gottes, das Wort seiner seligen Liebe zu sein. Wenn nicht bloß Kerzenschimmer, Kinderfreude und Tannenduft, sondern das Herz selbst das Jawort zum kindlichen Liebeswort Gottes spricht, dann geschieht wirklich Weihnachten, nicht nur in der Stimmung, sondern in der lautersten Wahrheit. Denn dieses Jawort ist dann wahrhaftig getragen von Gottes heiliger Gnade, Gottes Wort wird dann auch in unserem Herzen geboren, wie die alten Meister sagten. Gott selbst zieht dann in unseren Herzen ein, so wie er in Bethlehem in die Welt einzog, so wahr und so wirklich, noch mehr als bisher, noch inniger als bisher. Dann machen wir wirklich die Türen unseres Herzens auf und hoch und weit und es kommt in sein Eigentum Gott, so wie er in der ersten Weihnacht in das Eigentum seiner Allmacht kam, das die Welt ist. Dann aber sagt er uns, was er schon durch seine gnadenvolle Geburt der Welt im Ganzen gesagt hat: Ich bin da. Ich bin bei dir. Ich bin dein Leben. Ich bin deine Zeit. Ich bin die Düsterkeit deines Alltages, warum willst du sie nicht tragen? Ich weine deine Tränen, weine deine mir, mein Kind. Ich bin deine Freude, fürchte nicht froh zu sein, denn seit ich geweint habe, ist die Freude die wirklichkeitsgemäßere, die realistischere Lebenshaltung als die Angst und die Trauer derer, die meinen, keine Hoffnung zu haben. Ich bin die Auswegslosigkeit deiner Wege, denn wo du nicht mehr weiter weißt, da bist du, törichtes Kind, schon bei mir angelangt und merkst es nicht. Ich bin in deiner Angst, denn ich habe sie mitgelitten und ich war auch nicht nach weltlicher Weise heroisch dabei. Ich bin in dem Kerker deiner Endlichkeit, denn meine Liebe hat mich zu deinem Gefangenen gemacht. Wenn die Rechnung deiner Gedanken und deiner Lebenserfahrungen nicht aufgeht – siehe ich bin der ungelöste Rest und ich weiß, dass dieser Rest, der dich zur Verzweiflung bringen will, in Wahrheit meine Liebe ist, die du noch nicht begreifst. Ich bin in deiner Not, denn ich habe sie erlitten und sie ist jetzt verwandelt aber nicht ausgetilgt aus meinem menschlichen Herzen. Ich bin in deinen tiefsten Abstürzen, denn ich habe heute angefangen, abzusteigen zu der Hölle. Ich bin in deinem Tod, denn heute begann ich mit dir zu sterben, da ich geboren wurde und ich habe mir von diesem Tod wahrhaftig nichts schenken lassen. Bemitleide nicht die, die geboren werden, wie es Job tat, denn alle, die mein Heil annehmen, sind in der heiligen Nacht geboren, weil meine Weihnacht alle eure Tage und Nächte umschliesst. Ich habe mich selbst, wirklich ganz selbst und ganz persönlich auf das fürchterliche Abenteuer eingelassen, das mit eurer Geburt beginnt. Ich sage euch, meines war nicht leichter und gefahrloser als eures. Ich versichere euch, es hat einen seligen Ausgang. Seit ich euer Bruder wurde, seid ihr mir so nahe, wie ich mir selber bin. Wenn also ich als Geschöpf in mir und in euch, meinen Brüdern und Schwestern, beweisen will, dass ich als Schöpfer mit den Menschen keinen hoffnungslosen Versuch gemacht habe, wer wird euch dann meiner Hand entreißen. Ich habe euch angenommen, als ich mein Menschenleben auf mich nahm. Als Euresgleichen als neuer Anfang habe ich in meinen Untergängen gesiegt. Wenn ihr die Zukunft nach euch allein beurteilt, könnt ihr nicht pessimistisch genug sein. Aber vergesst nicht: eure wahre Zukunft ist meine Gegenwart, die heute begonnen hat und nie mehr Vergangenheit wird, darum ist es doch realistischer gedacht, wenn ihr euch an meinen Optimismus haltet, der nicht Utopie, sondern die Wirklichkeit Gottes ist, die ganze Wirklichkeit Gottes, die ich das unbegreifliche Wunder meiner allmächtigen Liebe, unversehrt und ganz in dem kalten Stall eurer Welt untergebracht habe. Ich bin da. Ich gehe nicht mehr von dieser Welt weg, wenn ihr mich jetzt auch nicht seht. Wenn du, armer Mensch, Weihnachten feierst, dann sag zu allem, was da ist und was du bist, nur das eine, sag es mir: Du bist da, du bist gekommen, du bist in alles gekommen, selbst in meine Seele, selbst hinter den Trotz meiner Bosheit, die sich nicht verzeihen lassen will. Mensch, sag nur das eine, dann ist auch für dich Weihnachten, sag nur: Du bist da! Nein, sag nichts. Ich bin da und meine Liebe ist seitdem unbesieglich. Ich bin da. Es ist Weihnachten. Zündet die Kerzen an, sie haben mehr Recht als alle Finsternis. Es ist Weihnacht – sie bleibt in Ewigkeit.

Hochland 44 (1951), S. 98-102.

Hier der Text als pdf.

Und hier von Karl Rahner selbst eingesprochen:

Wir feiern Weihnachten Teil 1

Wir feiern Weihnachten Teil 2

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