Erik Peterson, Zeuge der Wahrheit: „Indem aber der Märtyrer vor Gericht, im Bereiche der staatlichen Öffentlichkeit sich zu dem bekennt, der in der Glorie des Vaters öffentlich wiederkommen wird, um diese Welt, Juden und Heiden zu richten, sprengt er in seinem Bekenntnis den Öffentlichkeitsbegriff dieser Welt und macht in seinen Worten den Öffentlichkeitsanspruch einer anderen, einer kommenden, einer neuen Welt kund.“

In Sachen Martyrium als öffentliche Theologie ist Erik Petersons Aufsatz von 1937 immer noch lesenswert:

Zeuge der Wahrheit

Von Erik Peterson

Der Märtyrer und die Kirche

Wenn wir in eine Kirche eintreten und unser Blick sich zum Altar wendet, denken wir nur selten daran, daß der Altar, an dem das heilige Opfer dargebracht wird, Reliquien der Heiligen enthält, daß er meistens über den Gebeinen eines Märtyrers errichtet ist. Und doch ist es wert, einen Augenblick darüber nachzudenken, scheint doch in dem Brauche der Kirche, über dem Grabe des Mär­tyrers das Opfer Christi zu begehen, sich ein ganz bestimmtes Bild von dem Verhältnis des Märtyrers zur Kirche auszudrucken. Wenn man den kirchlichen Brauch vor Augen hat, ist man versucht, im er­sten Augenblick zu formulieren und zu sagen: Die Kirche ist auf dem Fundamente der Märtyrer erbaut. Aber wenn man diese For­mulierung einmal ausgesprochen hat, kommt einem sofort der Ein­wand: Wir sagen ja im Glaubensbekenntnis nicht: ich glaube an die heilige Märtyrerkirche, sondern: ich glaube an die heilige, apostoli­sche Kirche. Der Begriff des Apostels ist also dem des Märtyrers übergeordnet, und darum werden im Te Deum auch zuerst die Apo­stel und Propheten genannt, und erst danach heißt es:

Te martyrum candidatus laudat exercitus.

Wenn also der Begriff des Apostels dem des Märtyrers übergeord­net ist, besagt das vielleicht, daß die Apostel keine Märtyrer gewe­sen sind? Es ist noch gar nicht lange her, daß die liberale protestan­tische Geschichtsschreibung – in striktem Gegensatz zu dem, was die katholische Tradition erzählt hatte – die Behauptung aufstellte, die Apostel seien erst im 3. und 4. Jahr­hun­dert unter dem Einfluß des schon vorhandenen kirchlichen Märtyrerkultus ihrerseits zu Märtyrern geworden. Inzwischen hat die protestantische Theologie freilich auch in diesem Punkte ihre Meinung revidiert. Daß der hei­lige Paulus, speziell im Philipperbrief, eine Märty­rertheologie ent­wickelt habe, ist von seiten protestantischer Exegeten behauptet worden[1], und daß auf der anderen Seite der kirchliche Begriff des Märtyrers und das Wort dafür durch die Johanneischen Schriften geschaffen worden sei[2], ist erst neuerdings von einem protestanti­schen Theologen behauptet worden. Aber wie es nun auch im ein­zelnen mit den Aufstellun­gen der protestantischen Theologen be­stellt sein mag, eines scheint mir sicher, daß die Vor­zugsstellung des Märtyrers in den neutestamentlichen Schriften klar ausgesprochen und der martyrologische Gesichtspunkt in bezug auf die Apostel in der Heiligen Schrift deutlich zu erkennen ist[3]. Hier wäre also ein Punkt, an dem die moderne protestantische Theologie, im Unter­schied zu den dogmatischen Vorurteilen des 16. Jahrhunderts, wieder den Weg zum Verständnis des katholischen Märtyrerbegriffes, und damit des katholischen Heiligenkultus überhaupt, finden könnte[4], wenn – ja wenn man bereit wäre, aus seinen wissenschaft­lichen Einsichten theologische Konsequenzen zu ziehen, was je­doch leider nicht der Fall ist.

In der Rede, die Jesus an die Zwölfe richtete, als er sie aussandte, heißt es: »Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. So seid nun klug wie die Schlangen und ohne Arg wie die Tauben! Nehmt euch aber vor den Menschen in acht! Denn sie werden euch den Syne­drien überantworten, und in ihren Synagogen wird man euch auspeitschen. Und vor Statthalter und Könige wird man euch führen zu einem Zeugnis über sie und über die Heiden. Wenn sie euch aber ausgeliefert haben, so macht euch keine Sorge um das, was ihr zu reden habt. Denn in jener Stunde wird euch gegeben werden, was ihr sagen sollt. Nicht ihr nämlich seid es, die reden, sondern der Geist eures Vaters ist es, der in euch spricht.« »… von allen werdet ihr ge­haßt werden um meines Namens willen, wer aber bis zum Ende durchhält, der wird gerettet werden.« … »Der Schüler ist nicht mehr als der Lehrer und der Knecht nicht mehr als sein Herr. Genug, wenn der Schüler wie der Lehrer wird und der Knecht wie sein Herr. Hat man den Herrn des Hauses Beelzebul genannt, wieviel mehr wird man sein Gesinde so nennen!« … »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele jedoch nicht zu töten vermögen. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in der Hölle vernichten kann.« … »Jeder, der mich öffentlich vor Menschen bekennt, zu dem werde auch ich mich öffentlich vor mei­nem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel ver­leugnen.« … »Glaubt doch nicht, daß ich gekommen sei, Frie­den auf die Erde zu tragen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu brin­gen, sondern das Schwert.« … »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist meiner nicht wert. Und wer sein Kreuz nicht nimmt und mir nachfolgt, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben gefunden hat, wird es verlieren, wer es aber um meinetwillen verloren hat, der wird es finden.«

Das sind etwa die Hauptsätze aus der großen Aussendungsrede Jesu an die Zwölfe [Matth. 10]. Es ist zunächst bedeutsam, daß nach Jesu Wort die Apostel mit ihrer Botschaft nicht an eine neutral empfindende Menschheit geschickt werden, die etwa mit ihrem re­ligiösen Sehnen bereit wäre, die Verkündigung der Apostel vom Gottesreich mit offenen Armen aufzunehmen. Nein, wie Schafe werden sie unter Wölfe geschickt, wobei, wie der heilige Augustinus in einer seiner Predigten bemerkt hat, vorausgesetzt ist, daß die Wölfe in der Mehrzahl sind; werden doch die Schafe zu den Wöl­fen geschickt und nicht umgekehrt die Wölfe zu den Schafen. Die Wölfe haben wir zunächst unter den Juden zu suchen, führt man doch die Apo­stel in Synedrien und Synagogen der Juden. Aber dann bringt man sie auch zu den römischen Statthaltern und zu Kö­nigen, so daß das Verfahren, das dort vor Gericht gegen sie einge­leitet wird, nun auch zu einem Zeugnis über die Heiden wird. Wie Jesus vor das Tribunal von Juden und Heiden geführt wird, so auch die Apostel. In der Passionsgeschichte Jesu und im Prozeß­verfahren gegen Apostel und Märtyrer werden sowohl Juden wie Heiden in ihren letzten Ab­sichten offenbar und beide vor Gott schuldig, und so hat es denn einen Sinn, wenn die Apostel sich vor den Menschen, das heißt konkret: vor Juden und Heiden in acht nehmen sollen. Daß die Lehre der Apostel auf diesen feindseligen Widerstand stößt, ist dadurch bedingt, daß mit dem Erscheinen Christi die letzte, die kritische Zeit angebrochen ist, in der nicht Versöhnung, sondern Entscheidung, nicht Frieden, sondern das Schwert ge­bracht wird. In dieser kritischen Zeit, die mit dem Erscheinen Chri­sti angebrochen ist, in der alle natürlichen Ordnungen sich auflösen und selbst das Blut die Menschen nicht mehr zusammenzuhalten vermag, da viel­mehr nach den Worten Jesu der Bruder den Bruder und Kinder ihre Eltern dem Tode überant­worten, in dieser Zeit, in der sich das Ende des gegenwärtigen Äons ankündigt, kann Jesus fordern: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.« Es ist klar, daß der, der das Schwert bringt, seinen Jün­gern auch nichts anderes voraussagen kann, als daß sie um seines Namens willen von allen gehaßt werden. Er weiß, daß man sie be­schimpfen, auspeitschen und töten wird, daß man ihnen Verfolgun­gen bereiten wird und daß die Jünger von einer Stadt in die andere flüchten werden. Doch erhalten sie, wenn sie bis zum Ende, sei es ihres Lebens, sei es dieser Weltzeit, ausharren, die Verheißung ihrer Errettung und Selig­keit. Wer »Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker um meinet- und um des Evangeliums willen verlassen hat, wird es hundertfach wie­derneh­men« [Mk. 10, 29f.]. Ja wer auch nur einen der verfolgten Jünger mit einem Becher kalten Wassers tränkt, kann schon seines Lohnes gewiß sein (Matth. 10, 42], denn wer einen Apostel auf­nimmt, nimmt den auf, der ihn gesandt hat. So besteht denn zwi­schen dem Apostel und Jesus eine ganz enge Beziehung, man könnte sie einmal ganz allgemein die eschatologische Leidens- und Schicksalsgemeinschaft nennen. Dem Schüler wird dasselbe Los wie dem Leh­rer zuteil. Hat man Jesus, den Herrn des Hauses, einen Teufel genannt, wie sollte man für sei­ne Jünger mildere Worte fin­den? Hat man Jesus vor das Tribunal jüdischer und heidnischer Richter geschleppt, so wird den Aposteln dasselbe Geschick in Aus­sicht gestellt. Doch eine Situation wird in den Worten Jesu noch be­sonders hervorgehoben: es ist die Situation, aus der heraus es zur Entstehung des Wortes »Märtyrer« gekommen ist. Wenn nämlich die Jünger vor Gericht stehen, kann ihnen die Sorge kommen, was sie sagen werden, wie sie sich zu ver­ant­worten haben. Sie sollen sich keine Gedanken darüber machen. Der Heilige Geist, der Geist des Vaters, wird aus ihnen sprechen und ihr Wort über eine bloße Ver­teidigungsrede hinaus zu einem Zeugnis gegen Juden und Heiden machen, so daß sie, die vor Gericht Zeugnis able­gen, nun zu Zeu­gen, das heißt griechisch Märtyrern, werden. Das allein ist die letzte Forde­rung Jesu, daß die Jünger sich öffentlich zu ihm und zu seinem Namen bekennen. Wer sich zu Jesus öffentlich auf Erden bekennt, zu dem wird sich auch Jesus öffentlich im Himmel vor sei­nem Vater bekennen. Denn in der Zeit der Entscheidung, in der eschatologischen Zeit, gibt es nur zweierlei: entweder Bekenntnis oder Verleugnung Jesu. Ein Versteckspielen mit einem allgemeinen Frommsein, ein unklares Hin und Her ist ausgeschlossen, nicht als menschliche Möglichkeit, wohl aber durch den, der das Schwert ge­bracht hat und dessen Name – o süßer Name Jesu! – eine Scheidung herbeiführt, die selbst vor der privaten Sphäre des Familienle­bens keinen Halt macht, sondern den Sohn von dem Vater und die Tochter von der Mutter trennt (Matth. 10, 35).

Es ist deutlich, wenn man diese Worte Jesu hört, daß der Begriff des Apostels gegenüber dem des Märtyrers der übergeordnete Begriff ist, daß aber auf der andern Seite der Begriff des Märtyrers von dem des Apostels auch nicht einfach abzulösen ist. Die Verfolgungs­sprüche gelten in erster Linie den Zwölfen, aber dann tritt, beinahe unmerklich, eine Verbreiterung ein. »Wer nicht sein Kreuz nimmt und mir nachfolgt, der ist meiner nicht wert.« Das ist ein Wort, das durchaus nicht auf die Apostel eingeschränkt ist. Das Apostolat ist eine beschränkte Größe [sogar zahlenmäßig], der Märtyrerbegriff dagegen ist nicht auf den des Apostels einge­schränkt, und die große Zahl in weißen Gewändern mit Palmzweigen in den Händen, die der heilige Johannes in der Apokalypse schaut, ist nicht zu zählen. Was bedeutet das für unser Thema? Zunächst das Allgemeine, daß die apostolische Kirche, die sich auf die Apostel, die Märtyrer wer­den, gründet, auch immer die leidende Kirche, die Kirche der Mär­tyrer ist. Eine Kirche, die nicht leidet, ist nicht die apostolische Kir­che. Sodann aber, da der Begriff des Märtyrers nicht auf den des Apostels eingeschränkt ist, daß der Nachfolger des Apostels im juri­dischen Sinne damit noch nicht notwendig Nachfolger des Leidens der Apostel ist. Die apostolischen Leiden können sich sehr wohl in einem Märtyrer erneuern, der in einem juridi­schen Sinne kein Nachfolger der Apostel ist, wie ja auch die Wunder der Apostel von Men­schen vollbracht werden können, die, juridisch gesehen, nicht Nachfolger der Apostel sind. Das Martyrium ist also ein Charisma und nicht notwendig an ein Amt in der Kirche gebunden. Es ist eine besondere Gnade Gottes, die kein Mensch aus eigenem Wollen her­beiführen kann. In den Zwölfen sind nun freilich Amt und Cha­risma geeint, und darum sind die Apostel auch Märtyrer; in den Nachfolgern der Apostel jedoch sind Amt und Charisma getrennt. Und das kommt so: Der Nachfeiger der Apostel ist nicht ein neuer Apostel, sondern ein Nachfolger der einzigen, der zwölf Apostel, anderenfalls wir ja heute auch nicht Bischöfe, sondern Apostel als Nachfolger der Zwölfe in der Kirche haben würden. Damit ist dann aber auch zugleich das andere gegeben, daß in der Kirche der Be­griff des Märtyrers sich notwendig zu einer selbstän­digen Kategorie neben dem des Apostels entwickeln muß. An diesem Faktum der Trennung von Aposteln, genauer: Apostel-Nachfolgern, und Mär­tyrern in der Kirche, die doch in den Zwölfen noch vereint waren, wird immer wieder Anstoß genommen. Die einen verlangen, daß alle, die Nachfolger der Apostel im juridischen Sinne sind, auch notwendig Märtyrer seien, die andern dagegen wollen von einer selbständigen Kategorie des Märtyrers überhaupt nichts wissen. Beide Meinungen sind irrig, da sie beide auf der Verkennung der besonderen Situa­tion der zwölf Apostel in der Kirche beruhen. Es gilt, sich schlicht unter zwei Tatsachen zu beugen, nämlich: daß die Nachfolger der zwölf Apostel keine Apostel mehr sind und daß der Begriff des Märtyrers als einer selbständigen Kategorie in der Kir­che notwendig wird, wenn die Kirche nicht nur in ihrer Lehre, son­dern auch in ihrem Leben die Kontinuität mit den apostolischen Charismen – und dazu gehören auch das Leiden und das Marty­rium der Apostel – behaupten will. Wer fordert, daß alle, die juri­disch Nachfolger der Apostel sind, auch not­wendig Märtyrer wer­den müßten, wird sein Leben in einer Sekte beschließen; wer dage­gen die selbständige Kategorie des Märtyrers in der Kirche abweist unter Hinweis darauf, daß sie in der Zeit der Apostel noch gar nicht bestanden habe, wird nur scheinbar die apostolische Lehre bewahrt haben. In Wirklichkeit hat er in der Verwerfung des Begriffes des Märtyrers das Leiden, das mit der Verkündigung der Apostel not­wendig verknüpft ist, für die Kirche eliminiert und somit auch den Begriff der Verkündigung des Evangeliums um seinen ur­sprünglichen Sinn gebracht. Man muß, um das zu begreifen, nur einmal Kierkegaards »An­griff auf die Christenheit«, der in Wahrheit ein Angriff auf den Protestantismus ist, gelesen haben, um zu verste­hen, welche Konsequenzen die protestantische Verwerfung des Märtyrer- und Heiligenbegriffes für die Verkündigung des Evange­liums gebracht hat. Die Verbürger­lichung des Protestantismus, die Kierkegaard so leidenschaftlich bekämpft und der gegenüber er den Begriff des Wahrheitszeugen, das heißt aber den des Märtyrers, in den Mittelpunkt rückt, ist nur die notwendige Folge aus der prote­stantischen Verwerfung des Märtyrer- und Heiligenkultus. So hat sich uns denn als erste These ergeben, daß der Märtyrer in der Kir­che die Stelle eines Charismatikers einnimmt, da der Begriff des Märtyrers von dem des Apostels zu unterscheiden ist, wenngleich auch die Apostel selber Märtyrer gewesen sind.

Das zweite, was man den Worten Jesu entnehmen kann, ist, daß der Märtyrer notwendig zum Begriff der Kirche gehört. Es gibt gewisse menschenfreundliche Geister, die geneigt sind, alles, was in dieser Welt geschieht, auf bloße Mißverständnisse zurückzuführen. Wenn es nach ihnen ginge, wäre es ein bloßes Mißverständnis gewesen, weshalb Christus gekreuzigt und die Apostel getötet worden sind; diese selben Menschen sind geneigt, wenn die Stunde des Marty­riums für die Kirche wieder da ist, alles auf ein bloßes Mißver­ständnis zurückzu­führen. Ihnen gegenüber zeigen nun die Worte Jesu, daß nicht ein menschliches Mißverständ­nis, sondern eine gött­liche Notwendigkeit Märtyrer schafft. Das Wort Jesu: »Mußte nicht der Menschensohn solches leiden?« steht auch über allem Lei­den der Kirche. Solange das Evan­gelium in dieser Welt verkündet werden wird – also bis an das Ende der Zeiten –, solange wird die Kirche auch Märtyrer haben. Wenn die Botschaft Jesu freilich eine bloße Philosophie wäre, über die man zu diskutieren hätte, jahre­lang, jahrhundertelang, würde es keine Märtyrer geben, und wenn einzelne Menschen für eine solche Philosophie Christi m den Tod gingen – sie würden keine Märtyrer im christlichen Verständnis des Wortes sein. Denn, um es noch einmal nachdrücklich zu unterstrei­chen: nicht menschliche Überzeugungen und Meinungen, ja noch viel zugespitzter ausgedrückt: nicht einmal menschlicher Glaubens­eifer schafft ja Märtyrer[5], sondern Christus selber ist es, der zum Martyrium beruft und der damit das Marty­rium zu einer besonde­ren Gnade macht: dieser Christus, der im Evangelium von der Kir­che verkündigt, im Opfer des Altars dargebracht wird und zu des­sen Namen sich öffentlich zu bekennen alle im Namen Jesu Christi Getauften in ihrem Gewissen verpflichtet sind. Man vergißt so oft, daß das Evangelium in dieser Welt von Lämmern vor Wölfen ver­kündigt wird und daß die Botschaft vom Gottesreich sich nach Jesu eigenen Worten an ein ehebrecheri­sches und sündiges Geschlecht [Mark. 8, 38] – damals wie heute – wendet. Wie kann man eigent­lich erwarten, daß die Wölfe nicht über die Schafe herfallen? Eher wäre vielleicht noch zu erwarten, daß die Jünger Jesu sich seiner und seiner Worte vor diesem »ehebrecherischen und sündigen Ge­schlechte« nicht schämen würden. Indessen, auch mit dieser Mög­lichkeit rechnet der, der dem Petrus seinen Verrat vorausgesagt hat. Gewiß, es mag Zeiten geben, in denen es weniger, und andere Zei­ten, in denen es mehr Märtyrer gibt, jedoch behaupten, daß es zu gewissen Zeiten überhaupt keine Märtyrer gegeben habe, hieße leugnen, daß es zu jener Zeit eine Kirche gegeben hat.

Warum aber werden die Jünger um des Namens Jesu willen »von allen gehaßt«? [Matth. 10, 22] Wer sind diese »alle«? Es sind »die Menschen«, vor denen sich die Zwölfe in acht neh­men sollen: Ju­den und Heiden. Es sind nicht »die Menschen überhaupt« im Sinne eines bloßen Abstraktionsbegriffes, sondern die Menschen, die kon­kret, die in ihrer ganzen Existenz entweder als Juden oder als Hei­den in dieser Welt da sind. Und welche anderen Möglichkei­ten sind denn auch für den, der nicht die Gnade Christi empfangen hat, noch vorhanden? Die Juden werden als Verfolger der Kirche von Jesus zuerst genannt, und von ihnen wird am mei­sten gesprochen, denn der Jude ist in einem anderen und ursprünglicheren Sinne ein Feind Christi als der Heide. Es ist eine Tatsache, daß an allen Ver­folgungen der Kirche von den Zeiten der Apostel bis zum heutigen Tage die Juden Anteil gehabt haben. Aber wie an der Verurteilung Jesu Heiden mit den Juden zusammengewirkt haben, so ist das, was im Prozesse Jesu einmal exemplarisch geschehen ist, auch bis zum heutigen Tage noch in der Welt wirk­sam. Die Heiden, auch wenn sie noch so sehr sich von den Juden geschieden wissen – man denke nur an gewisse judenfeindliche Äußerungen des heidnischen Chri­stenfeindes Celsus –, arbeiten doch mit den Juden zusammen, wenn es gilt, gegen den Gesalbten Gottes zu kämp­fen. Und so sind denn nach Gottes Willen beide, Juden wie Heiden, zu Feinden des Evan­ge­liums geworden, damit Gott sich beider erbarme.

Das dritte, was man den Worten Jesu entnehmen kann, bezieht sich darauf, daß der Märtyrer den Öffentlichkeitsanspruch der Kirche Jesu Christi kundmacht. Wie zu dem Begriff des Mär­tyrers gehört, daß er von den öffentlichen staatlichen Gewalten zur Rechenschaft gezogen wird – in Synedrien und Synagogen, vor Statthaltern und Königen –, daß er einem öffentli­chen Gerichtsverfahren und den Strafen des öffentlichen Rechtes unterworfen wird, so gehört auch das öffentliche Bekenntnis zum Namen Jesu wesentlich zum Begriff des Märtyrers. Indem aber der Märtyrer vor Gericht, im Bereiche der staatlichen Öffentlichkeit sich zu dem bekennt, der in der Glo­rie des Vaters öffentlich wiederkommen wird, um diese Welt, Juden und Heiden zu richten, sprengt er in seinem Bekenntnis den Öffent­lichkeitsbegriff dieser Welt und macht in seinen Worten den Öf­fentlichkeitsanspruch einer anderen, einer kommenden, einer neuen Welt kund. Er, der sich auf Erden öffentlich zu Jesus be­kennt, wird in dem Augenblick seines Bekenntnisses von Jesus im Himmel öffentlich bekannt. Der Bedeutsam­keit des Bekenntnisak­tes auf Erden entspricht, daß Jesus feierlich den Namen seines Be­kenners vor Gott und den heiligen Engeln [vgl. Luk. 12, 8] beken­nen wird. Weil es ein Be­kenntnis und kein Geständnis ist, darum sind die Worte des Märtyrers, die er vor den Organen der staatli­chen Öffentlichkeit spricht, auch nicht menschliche Worte, sondern Worte, die der Heilige Geist des Vaters im Himmel in den Bekennern Jesu Christi spricht. Mag die Welt auch in den Worten des Be­kenners nur ein Geständnis und kein Bekenntnis sehen, die Kirche weiß, daß in dem schlichten Bekenntnis: ich bin ein Christ, das vor den Vertretern der staatli­chen Gewalt abgelegt wird, Gottes Heili­ger Geist spricht, indem sich der Öffentlichkeitsan­spruch der Herr­schaft Jesu Christi anmeldet, und die Kirche weiß, daß, wenn der Märtyrer für Christus als Zeuge auftritt, der Himmel sich öffnet, wie bei der Steinigung des Stephanus, und der Menschensohn sicht­bar wird, der sich im Himmel vor den Engeln nicht nur feierlich zu seinem Bekenner bekennt, sondern auch, wenn er zur Rechten Got­tes steht, das zukünftige Tribunal erkennen läßt, vor dem einst die Richter dieser Welt, seien es Juden oder Heiden, ihren Richter­spruch empfangen werden.

Das letzte, was wir den Worten Jesu entnehmen können, ist, daß der Märtyrer als ein Glied des mystischen Leibes Christi mit Chri­stus leidet[6].Wenn wir sagen, daß der Märtyrer mit Christus leidet, so heißt das, daß sich sein Leiden nicht in der bloßen Tatsache er­schöpft, daß er für Christus leidet. Für ihren König sind viele Solda­ten in den Tod gegangen, aber das unterscheidet den Tod des Mär­tyrers von dem Tod des Soldaten, daß der Märtyrer nicht nur für Jesus leidet, sondern daß er durch den Tod Christi in seinen eigenen Tod geführt wird. Das Todesleiden Christi ist, da es der »Men­schensohn«, der Menschgewordene ist, der leidet, über die ganze Kirche als seinen mystischen Leib gekommen. Darum wird der, der sich durch die Taufe zu Jesus bekennt, in den Tod Jesu getauft, und darum wird der, der in der Eucharistie Gott Dank dafür sagt, daß er uns seinen Sohn geschenkt hat, Jesu teilhaftig, indem er den ge­bro­chenen Leib des Herrn ißt und den Kelch mit dem Blute des Neuen Bundes trinkt. Weil wir in den Tod des Herrn getauft und mit dem Blute des Herrn gespeist werden, darum ist es unvermeidlich für je­den, der zur Kirche gehört, daß er am Leiden Christi teilhat. Frei­lich, es gibt verschiedene Weisen, in denen die einzelnen Glieder des Leibes Christi mit dem Haupte leiden. Das Leiden Christi, sagt der heilige Thomas, S. th. III 66, 12, wirkt in der Wassertauft: durch eine bildhafte Vergegenwärtigung [per quandam figuralem repraesentationem], in der Bluttaufe hingegen durch Nachahmung im Werk [per imitationem opens], und es ist für den heiligen Thomas kein Zweifel, daß die Bluttaufe die vorzüglichste aller Taufen ist[7]. Aber das gilt es festzuhalten, daß die Möglichkeit zum Martyrium, die für uns alle besteht, in derselben Realität der Todestaufe Jesu wurzelt, in die wir in der Wassertaufe hineingetauft worden sind. Wir sind alle, wie der Heilige Paulus [Röm. 6, 3] sagt: »in den Tod Christi getauft«. Und das gilt es zu begreifen, daß die Möglichkeit, wonach auch wir einmal Leib und Blut für Christus hinopfern müs­sen, in der Tatsache gründet, daß der Leib und das Blut des Herrn, an denen wir Anteil haben, uns in jenem Kelche gereicht werden, den der Herr in Gethsemane empfing. So kommen also Wasser­taufe und Bluttaufe von demselben Herrn, im Sinnbild vorgebildet, wie der heilige Cyrill von Jerusalem gesagt hat, in dem Blut und Wasser, die aus der Seite Jesu geflossen sind[8].

Aber, so wird man sagen, wenn es wahr ist, daß die Todesleiden Christi über die ganze Kirche als seinen mystischen Leib kamen, sind dann wir, die wir jetzt alles andere als Märtyrer sind, nicht viel­leicht außerhalb des Leibes Christi? Die Antwort auf diese Frage hat schon der Herr gegeben, wenn er im Zusammenhang mit den Ver­folgungsansprüchen auch von der Nachfol­ge und dem Auf-sich-Nehmen des Kreuzes spricht. Nicht alle können Märtyrer werden, denn das Martyrium setzt eine besondere Berufung voraus, es ist, wie schon gesagt wurde, ein Cha­risma in der Kirche. Aber in ir­gendeinem Sinne können, nein, müssen wir alle dem Herrn in das Leid nachfolgen, und darum ist das Kreuz. nicht nur ein Sinnbild für die Märtyrer, son­dern für alles Christenleben überhaupt. Es ist also keine zufällige historische Entwicklung, wie die protestantische Ge­schichtsschreibung immer wieder meint, sondern vielmehr in der Sache selber gegründet, daß die »Heiligen«, die durch alle Abtötun­gen und Leiden hindurch­gegangen sind, eine Parallele zu den Mär­tyrern werden. Und wenn wir nicht Märtyrer und nicht Heilige werden, so müssen wir doch alle durch irgendwelche Formen der Aszese hin­durch. In der christlichen Aszese aber gibt es für uns, die wir, mit Paulus zu sprechen [II. Kor. 4, 10), die mortificatio Christi an unserem Leibe mit herumtragen, im Grunde nur ein einziges Prin­zip, und das ist das des Leidens mit Christus, der Abtötung mit dem, der für uns getötet worden ist[9]. Er, der gesprochen hat: Mein Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber [Matth. 26, 39), Er kennt unsere Zaghaftigkeit, unsere Angst vor dem Leiden und Sterben. Er weiß, daß wir vor seiner Nachfolge zurückbeben, daß wir schwach sind und das Kreuz nicht auf uns nehmen wollen, daß wir uns fürchten vor Armut, Verleumdung, Be­schimpfung, Schlägen und Tod. Aber Er, der das zagende Fleisch trug, nahm durch seine ver­meintliche Zaghaftigkeit, wie der heilige Athanasius[10] sich ausdrückt, unsere Zaghaftigkeit hinweg. Denn alles, was in der Kirche geschieht, geschieht doch unter der Voraussetzung, daß Chri­stus nicht nur gestorben, sondern daß Er auch auferstanden ist, und so ist denn nicht nur das Todesleiden, sondern auch die Kraft der Auferstehung Christi über die ganze Kirche als seinen mystischen Leib gekommen. Darum werden wir nicht nur in den Tod Christi ge­tauft, sondern empfangen in der Taufe zugleich auch den Heiligen Geist. Darum ist das aszetische und geistliche Leben der Christen nicht nur ein Abtöten, sondern zugleich auch ein Überwin­den und ein Leben und Wandeln im Heiligen Geist. Und darum sind nun endlich auch der physische Schmerz, das Leiden und der Tod des Märtyrers nicht das Letzte, sondern der Sieg, den er in der Glorie Christi[11] über diese Welt errungen hat und der ihn aus dieser Welt direkt in das Pa­radies führt. Er, der das Leiden Christi im Werke nachgeahmt hat und unter dem Altar im Himmel ruft: Wie lange noch, Herr, Heiliger und Wahrhaftiger, richtest du nicht und rächst unser Blut an den Be­wohnern der Erde? [Apok. 6, 10], er erhält von Gott das weiße Ge­wand, das ihm den Zutritt zum Paradiese gewährt. Die Paradiesesvollendung, die dem Märtyrer sofort zuteil wird und die ihn von dem gewöhnlichen Gläubigen unterscheidet, ist also die Auferstehungs­kraft, die in dem mystischen Leibe Chrsti denen zuteil wird, die mit Christus in einem realen Sinne gestorben sind. Wenn wir mit Christus leiden, werden wir auch an der Glorie Anteil haben, heißt es Röm. 8, 17. »Die Glorie der Märtyrer ist«, wie der heilige Augustinus sagt, »die Glorie Christi, der den Märtyrern vorausgegangen ist, der sie er­füllt hat und der sie krönt« [Augustini Sermones post Maurinos reperti ed. Morin p. 57,1]. Wie ver­hängnisvoll erscheint in diesem Lichte die protestantische Polemik gegen den Märtyrer- und Heiligenkultus der katholischen Kirche! In dem Bestreben, die Glorie Christi gegenüber den Märtyrern und Heiligen zu wahren, trifft die protestantische Polemik den mystischen Leib Christi. Wie kann man aber den Leib Christ angreifen, ohne zugleich das Haupt zu treffen, von dem die Gnade der Glieder ausgeht?

Wer einmal die Epigramme gelesen hat, die Papst Damasus in Rom zu Ehren der Märtyrer abgefaßt hat, dem ist vielleicht aufgefalle n, daß es in ihnen wiederholt heißt, wenn von den Verfolgungen der Kirche die Rede ist:

»Als aber das Schwert durch das Herz der Mutter ging.«

Weil der Leib Christi in den Märtyrern leidet, die, um mit dem heili­gen Paulus zu reden [Kol. 1,24], »an ihrem Leibe den Rest der Trübsale Christi für die Kirche erfüllen«, darum leidet auch »die Mutter« mit den Märtyrern, und darum wird Maria von der Kirche mit Recht die regina martyrum genannt.

Wir verstehen jetzt, wenn der heilige Petrus schreibt: »Laßt euch nicht befremden durch die Feuerprobe, die ihr erduldet, als ob euch damit etwas Ungewöhnliches geschähe« [I. Petr. 4, 12]. Nein, die Leiden der Kirche verlieren alles Befremdliche, wenn sie im Lichte der Leiden Christi gesehen werden. Sie sind kein Grund zu einer Be­unruhigung, die in die Tiefe geht, vielmehr Anlaß, Gott zu danken. »Freuet euch vielmehr, daß ihr an Christi Leiden teilnehmen könnt«, so heißt es im ersten Petrusbrief in der Fortsetzung der zu­erst genannten Stelle, »da­mit ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit euch freuen und frohlocken könnt.«

Über allem Leiden, das der Kirche Christi widerfährt, steht die Se­ligpreisung unseres Herrn:

»Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen, verstoßen und schmähen und euch um euren guten Namen bringen um des Men­schensohnes willen! Freuet euch an jenem Tage und frohlocket; denn siehe, euer Lohn ist groß im Himmel!«

Die Offenbarung und der Märtyrer

Die Geheime Offenbarung ist eine der wenigst bekannten Schriften des Neuen Testamentes. Es ist wahr, daß die Sektierer aller Zeiten sich gerne mit diesem Buch befaßt haben, und das mag denn ein Grund gewesen sein, warum man in der Kirche nicht selten mit einem gewissen Argwohn auf die Leser dieses Buches geblickt hat. Und dann ist es ja ohne Zweifel auch rich­tig, daß dieses Buch in sei­nen uns oft so phantastisch anmutenden Bildern nicht selten dunkel, ja zum Teil direkt unverständlich ist und wohl auch in einem gewis­sen Umfange immer un­verständlich bleiben wird. Aber noch ein Weiteres mag hinzukommen, warum man sich vor der Berührung mit diesem Buche scheut. Es sei mir gestattet, diesen Eindruck mit der Erzäh­lung eines Kindheitserlebnisses wiederzugeben. Als Knabe fand ich in einer Bücherkiste meines Großvaters einst eine Bibel. Als ich sie aufschlug, fiel mein Blick auf jenes Kapitel 6 der Geheimen Offenbarung, das den Auszug der vier apokalyptischen Reiter beschreibt. Als ich das Kapitel zu Ende gelesen hatte, floh ich voller Schrecken aus der Dachkammer; mir war, als hätte ich einen Blick in ein Geheimnis getan, das schreckenvoll und wirklich zu­gleich, doch schamhaft noch hätte verhüllt bleiben sollen. So mag es einen objektiven Sinn haben, ja vielleicht sogar gut sein, wenn die Scheu vor dem Geheimnis der letzten Dinge man­chen davon abhält, dieses Buch zu lesen. Denn, sagen wir es nur gleich, dieses Buch, das von dem Letzten handelt, ist ein gefährliches Buch. Es läßt uns einen Blick in einen Abgrund tun, der um uns ist und den wir uns doch bemühen, zuzudecken, in der Hoffnung, es möge alles nicht so schrecklich sein oder es möge doch nicht bis »zum Äußersten kommen«. Aber auch in einem anderen Sinne ist dieses Buch ein ge­fährliches Buch, denn es zeigt uns in einer erschre­ckenden Weise, wozu wir unter Umständen verpflichtet sind, was Gott und sein Christus von uns eventuell einmal verlangen können. Wer denkt nicht mit einem gewissen Unbehagen an jene Mahner, die uns an eine Verpflichtung erinnern, von der wir nicht wissen, ob wir sie ein­halten werden?

So kommt also manches zusammen, von Gott Gewolltes und von unserer Schwachheit Ge­wolltes, um uns von der Geheimen Offen­barung fernzuhalten. Die Berührung der Kirche mit dieser Schrift – wie mit jeweils anderen Büchern der Bibel – hat ihre von Gott ge­wollte Zeit und Stunde. Eine dieser von Gott gewollten Stunden war da, als der heidnische römische Staat von den Christen die Aus­übung des Kaiserkultus forderte. In der Zeit der Christenverfolgun­gen hat die Kirche der Märtyrer zu diesem Buch gegriffen.[12] Eine andere von Gott gewollte Stunde war es, als das Römische Reich unter den Angriffen der Randvölker zusammenbrach. Da hat der heilige Augustinus dieses Buch gelesen, um in der Civitas Dei den Sinn dieses Geschehens und der Geschichte überhaupt zu deuten.[13] Eine von Gott gewollte heilige Stunde aber war es auch, da dieses Buch geschrieben ward. Unter dem Eindruck der Lehre, daß alle Schriften des Alten und des Neuen Bundes von dem Heiligen Geiste inspiriert worden sind, sind wir oft geneigt, zu übersehen, daß der Heilige Geist seine »Zeiten und Stunden« oder, wenn man so sagen darf, seine »Gelegenheiten« hat. Der heilige Johannes dagegen hat nicht vergessen, daß die Geheime Offenbarung ihre »Zeit und Stunde« gehabt hat, als sie niederge­schrieben wurde. »Ich, Johan­nes, euer Bruder und Mitteilhaftiger in der Trübsal und im König­reich und im Ausharren in Jesus, ich war auf der Insel, die Patmos heißt, um des Logos Gottes und der Zeugnisablegung für Jesus willen. Ich ward im Geist an einem Herrentag« [1, 9 und 10]. Mit die­sen Worten wird uns die »Gelegenheit« des Heiligen Geistes kund­getan. Johannes ist nach Patmos verbannt worden, denn er hat für Jesus öffentliches Zeugnis abge­legt. Er teilt die »Trübsal« mit ande­ren Christen, aber er hält auch mit ihnen aus, ist er doch mit ihnen schon im Königreiche Christi. In dieser konkreten Situation des Konfessors und Märtyrers[14] kommt es zu der »Offenbarung Jesu Christi«, denn dieses ist der wahre Titel des Buches, nicht, wie wir so oft sagen, »Offenbarung des heiligen Johannes«. Nicht der hei­lige Johannes hat irgendwelche »Privatoffenbarungen« gehabt, son­dern Jesus Christus hat sich offenbart. Nun freilich nicht offenbart, wie er sich in seiner ersten Ankunft manifestiert hat – denn diese geht ja wesentlich im »Geheimnis« [im Mysterium] vor sich[15] –, son­dern so, wie er in seiner zweiten Ankunft »offenbar« werden wird. Wie Johannes – in Analogie zu Jesus, dem »treuen Zeugen« [1,5 und 3,14] – durch sein öffentliches Zeugnis »offenbar« geworden ist, so korrespondiert diesem Heraustreten aus der privaten in die öffentliche Sphäre nun auch ein Offenbarwerden Jesu Christi aus dem Mysterium der ersten Ankunft in die Publizität sei­nes zweiten Kommens. Nicht zufällig hebt der heilige Johannes die »Trübsal« hervor, die er mit den Empfängern seines Buches teilt, denn die »Trübsal« ist nach dem Urchristentum bei­des, Teilhaftigkeit am »Leiden« Christi«[16], an seiner Verborgenheit, und doch zugleich auch Wirkkraft in der Richtung auf seine »Glorie«, seine Macht, seine Kraft, seine Herrschaft und auch seine Offenbartheit. Die »Mitteilhaftigkeit« in der Trübsal, die der heilige Johannes mit an­dern Christen teilt – und die Trübsal, das Leid sind nach dem gan­zen Urchristentum nie­mals bloß individuelles Widerfahrnis, son­dern stets gemeinsam erlebte Trübsal[17] –, die Mit­teilhaftigkeit[18] in der Trübsal ist etwas, was durch den ganzen Kosmos geht[19]: die ge­samte Kreatur nimmt an dieser Trübsal teil [Röm. 8,19]. Wie aber der Mensch sich in der Hoff­nung[20] über die Trübsal erhebt, so streckt auch die Kreatur, um mich eines von dem heiligen Paulus in Röm. 8, 19 gewählten Bildes zu bedienen[21], den »Kopf heraus« und wartet ihrerseits auf die »Enthüllung«, auf die »Offenbar-Werdung« der Söhne Gottes. Das Leiden in diesem Kosmos ist univer­sal, weil es ein Leiden mit dem Leiden Christi ist, der in diesen Kos­mos eingegangen ist und doch diesen Kosmos gesprengt hat, als er von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist. Wo nun aber der Sinn des Leidens mit Christus öffentlich wird, nämlich in der staatlichen Publizität eines öffentlichen Gerichtsverfahrens[22] – und das ist eine wesentliche Voraussetzung für den Be­griff des Märtyrers –, da wird auch die Glorie Christi öffentlich und in einer der staatlichen Öffentlichkeit analogen Weise »offenbar«. So schaut der Märtyrer, der heilige Stephanus, nach Apostelgesch. 7, 56 nicht so sehr den aufer­standenen Christus, sondern die Glorie des im Himmel zur Rechten Gottes stehenden »Men­schensohnes«, und genau ebenso sieht auch der heilige Johannes in seinen Gesichten in der Geheimen Offenba­rung den »Menschensohn« in seiner ganzen Majestät im Himmel [1, 22 ff.]. Wie der Konfessor aber nach den Worten Jesu [Matth. 10, 19f.; vgl. Luk. 21, 14 f.] sich keine Sorge darüber zu machen braucht, was er vor Gericht zu antworten hat, da der Geist des Vaters in ihm spricht, so »übersetzt« auch der Heilige Geist, wenn man so sagen darf, in dem Märtyrer die sakra­mentale Verbindung und den Glauben an den gekreuzigten und aufer­standenen Christus in die Schau des in der Glorie thronenden „Menschensohnes«[23]. Es ist ohne weiteres deutlich, daß hier alles »Gnade« ist, sowohl das »öffentliche« Bekenntnis als auch das »öf­fentliche« Leiden und endlich die eventuell damit verknüpfte Schau der Herrlich­keit dessen, mit dem man leidet, für den man Zeugnis ablegt.

Das »Offenbarwerden« Jesu Christi in der »Glorie« bedeutet, daß »dem Herrn« eine Öffent­lichkeit« nach Analogie der politischen Öffentlichkeit zukommt. Das zeigen deutlich die poli­tischen Herr­schaftssymbole, die in der Geheimen Offenbarung auf Christus übertragen wer­den. Die sieben Leuchter, die den Menschensohn im Himmel umgeben, entsprechen den Kan­delabern an den Höfen hel­lenistischer und römischer Herrscher, die mit ihrem Feuer die ewige Dauer ihrer politischen Herrschaft symbolisieren. Die sieben Sterne, die Christus in der Hand hält, begegnen uns auch auf den Münzbildern römischer Kaiser zur Bezeichnung der Allge­walt der Herrschaft. Die Proskynese, die vor dem Menschensohn geübt wird, und die Akkla­mationen, die ihm zugerufen werden, alles das weist auf die Analogie der politischen Welt, von der aus der »Men­schensohn« »offenbar« wird. Darum wird Christus auch in der Ge­heimen Offenbarung »der Herrscher der Könige der Erde« [1,5] und »König der Könige und Herr der Herren« prädiziert [19, 16 und 17, 14]. Es ist »der priesterliche König«, der, wie wir später aus­führen werden, in der letzten Zeit offenbar wird. Wichtig ist aber, daß mit dem Mär­tyrer nicht nur »der Menschensohn« im Himmel »offenbar« wird, sondern notwendigerweise mit »dem Menschen­sohn« zugleich auch »die Menschen, die auf der Erde wohnen«. In c. 7 wird erzählt, wie ein Engel vom Himmel kommt, um die Skla­ven Gottes, die 144000 Auser­wählten, an der Stirne zu siegeln [7, 2]. Bekanntlich hat die alte Kirche für die Taufe (und Firmung) den Ausdruck »Siegel« gebraucht. Wenn die Taufe in sich zunächst nun auch ein Mysterium ist, so wird doch durch den Begriff des Sie­gels die Verborgenheit, die jedem Mysterium gehört, durchbro­chen. Und das druckt des Begriff des Siegels aus, das an der Stirne angebracht wird.[24] Die Offenbarung zeigt uns aber, daß dieses »Of­fenbarwerden« durch Siegelung in Korrespondenz steht zu dem Offenbarwerden des Menschensohnes, erfolgt doch die Siegelung vor dem Offenbarwerden des Menschensohnes. In diesem »Offen­barwerden« des Mysteriums der Taufe als eines Siegels liegt dann natürlich zugleich auch die Möglichkeit einer Gefährdung der Ge­tauften. Die »Gesiegelten«, die an der Stirne »Gesiegelten« werden sichtbar und können verfolgt werden. Doch nicht nur »die Auser­wählten« sind gesiegelt, son­dern auch die Anhänger des Antichri­sten. Sie haben zwar kein Siegel, aber ein Mal, ein Brandmal auf Stirne und Hand [13, 16). Der Gedanke ist klar: angesichts des Of­fenbarwer­dens Jesu Christi gibt es keine Unkenntlichkeit des Men­schen mehr. Alle Menschen sind gezeichnet, entweder mit dem Sie­gel Christi oder mit dem Brandmal des Antichristen.

Doch nicht nur der Mensch wird angesichts der Offenbarung Jesu Christi »kenntlich«, nein, auch der Kosmos wird jetzt offenbar.[25] In c. 12 wird erzählt, wie ein großes Zeichen am Him­mel gesehen wird: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Fü­ßen und einen Sternenkranz über ihrem Haupt. Es ist die, die den gebären soll, der alle Völker mit eisernem Stabe weiden wird. Es ist die Mutter Gottes. Aber kaum ist sie am Himmel sichtbar gewor­den, noch hat sie den Sohn nicht geboren, da erscheint schon der Drache, um das Kind nach seiner Geburt zu verschlingen. Das »Of­fenbarwerden« Christi, das bildlich durch seine Geburt am Himmel ausgedrückt wird, hat unmittelbar das »Offenbarwerden« der dä­monischen Macht, die im Kosmos herrscht, zur Folge. Auch der Drache wird am Himmel sichtbar. Nun wird der Drache freilich bald danach aus dem Himmel auf die Erde geworfen; damit scheint er seine Offenbartheit eingebüßt zu haben, aber doch nur schein­bar, denn jetzt steigt aus dem Meere ein Tier auf, das seine Macht vom Drachen empfangen hat [13, 1]. Statt des Drachen, des Teu­fels, wird jetzt der Antichrist offenbar, der durch dieses Tier symbo­lisiert werden soll. Doch nicht genug damit. Ein anderes Tier steigt nach ihm aus der Erde auf [13, 11]; es ist der falsche Prophet, wenn man so sagen darf: der Theologe des Antichristen. Auch er ist, wie der Teufel und der Antichrist, also durch das Offenbarwerden Jesu Christi erst sichtbar geworden. Das wird durch das Bild des Aufstei­gens aus dem Meer oder aus der Erde anschaulich ausge­drückt. Es ist klar, daß es den Antichrist erst geben kann, wenn der Christus erschienen ist; aber das andere wird jetzt auch deutlich, daß der An­tichrist in dem Maße offenbar wird, als Christus offenbar wird. Da­mit ist gegeben, daß es den Antichrist nur in der Endzeit geben kann. »Kinder, es ist die letzte Stunde und wie ihr gehört habt: es kommt der Antichrist«, heißt es im 1. Johannesbrief 2,18. In 4, 1 desselben Briefes wird aber gesagt, daß viele falsche Propheten [die in 2, 18 Antichristen genannt werden] in die Welt ausgegangen seien. Hier sieht man deutlich: auch der falsche Prophet, der Häre­tiker, der Theologe des Antichristen, ist etwas, was durch das Of­fenbarwerden Christi erst für den Märtyrer sichtbar geworden ist. Streitende Philosophen hat es schon vor Christus gegeben, aber fal­sche Propheten als Theolo­gen des Antichristen, oder mit anderen Worten: Häretiker gibt es erst, seitdem Christus offen­bar geworden ist und damit auch den Antichristus und seinen Theologen hat sicht­bar werden lassen. Von hier aus wird das Pathos begreiflich, mit dem die Kirche in der Gestalt ihrer Heili­gen den Häretiker verfolgt. Es handelt sich nicht darum, daß unter der Voraussetzung eines ganz abstrakten, zeitlosen Wissenschaftsbegriffes der Vertreter ei­ner anderen Meinung, einer falschen Auffassung abgelehnt wird, sondern darum, daß der Irrlehrer als im Dienste einer dämonischen Macht stehend gesehen wird, wie sie durch das Offenbarwerden Jesu Christi sichtbar geworden ist. Darum wird nach dem Urchri­stentum der Irrlehrer [Kol. 1,8) verflucht oder dem Satan überge­ben [I. Kor. 5, 5; I. Ti. 1, 20) – was sachlich auf dasselbe hinausläuft -, ja nach 2, 23 der Geheimen Offenbarung sogar getötet, weil er durch seine Lehre zeigt, daß er des Satans ist, weil sein Erkennen nur ein Erkennen der Tiefen Satans [Apoc. 2, 24] und nicht ein Er­kennen der Tiefen Gaues ist [I. Kor. 2, 10). Wie nämlich mit dem Offenbarwerden Christi eine Unkenntlichkeit des Menschen nicht mehr möglich ist, sondern alle gezeichnet, alle Menschen offenbar geworden sind, so ist auch durch das Offenbarwerden Jesu Christi das Erkennen des Menschen nicht mehr verdeckt möglich, es wird immer entweder ein Erkennen aus dem Heiligen Geiste, aus dem Pneuma realisieren, das alles, selbst die »Tiefen Gottes«, erforscht [I. Kor. 2, 10), oder aber ein Erkennen »der Tiefen des Satans« sein. Ein sogenann­tes »reines Erkennen« würde, von hier aus gesehen, von dem Offenbarwerden Jesu Christi abstrahieren, durch das doch gerade alles Erkennen sich erst als christliches oder antichristli­ches Erkennen konstituiert. Es ist von hier aus begreiflich, daß der Mär­tyrer, der in Analogie zu Christus offenbar geworden ist, auch für die Erscheinung des Häretikers ein scharfes Auge hat. Man versteht aus dieser Situation die Warnungen des heiligen Johannes oder des heiligen Ignatius vor den Häretikern.

Es ist bedeutsam, daß der falsche Prophet im Gefolge des falschen Christus auftritt. Der Anti­christ selber treibt weder Philosophie noch Theologie, ist er doch eine Größe, die der politi­schen Welt an­gehört, dazu gesetzt, Krieg zu führen gegen das »Lamm« und ge­gen »die Heiligen«. Wohl aber baut sich das Denken der falschen Propheten auf der Voraussetzung einer von dem Antichristen ge­schaffenen pervertierten politischen Ordnung auf, ist doch das Denken der Menschen von dem hic et nunc einer politischen Ord­nung niemals unabhängig, sondern steht entweder unter der Macht des Antichristen oder unter der Macht Christi. Man erinnere sich nur an c. S der Geheimen Offenbarung, das die Öffnung des Schicksalbuches durch das Lamm erzählt. Niemand vermag die Buchrolle in der Hand Gottes zu öffnen, nie­mand die Siegel auf ihr zu lösen. Kein Engel, kein Mensch, kein Dämon, allein der »Löwe aus Juda«, der gesiegt hat, ist dazu fähig. Das setzt zweifellos die Anschauung voraus, daß durch einen Sieg in der politischen Ord­nung auch ein Erkennen fundiert wird. Das Denken wird durch die politische Ordnung bestimmt. Doch da nun der Sieg des »Löwen aus Juda« alle anderen »Siege« in der bloß politischen Ordnung transzendiert, darum transzendiert auch das an den Sieg des Lam­mes sich anlehnende Denken alles aus einer bloß politischen Ord­nung stammende Denken. Wichtig ist aber, daß man sich klar­macht, daß von dem »Offenbarwer­den« Christi her es zu einer Re­flexion kommt, die als ein wirkliches »Erkennen« »offen« ist und damit über eine »Weisheit«, die bloß für Eingeweihte da ist, hinaus­reicht.

Wenn die Geheime Offenbarung einen Zusammenhang zwischen der Häresie und der perver­tierten politischen Ordnung des Anti­christen feststellt, so nimmt sie die Erfahrung vieler christlicher Jahrhunderte vorweg. Alles, was an wirklichen Häresien – wir spre­chen hier nicht von bloßen Schulstreitigkeiten – im Verlaufe der Kirchengeschichte laut geworden ist oder laut wird, steht und stand immer mit einer politischen Ordnung antichristliehen Gepräges in einem inneren Zusammenhang[26].

Doch jetzt noch ein Wort zu der Gestalt des Antichristen. Der Kos­mos, in den Christus, seine Heiligen und Märtyrer hineingestellt sind, wird durch den Drachen, das Tier und das andere Tier sym­bolisiert, das heißt durch den Teufel, den Antichristus und den fal­schen Propheten. Alle drei werden angesichts der Offenbarung Jesu Christi für den Märtyrer sichtbar. Der Teu­fel in der metaphysi­schen Ordnung, der Antichrist in der politischen Ordnung und der falsche Prophet in der intellektuellen Ordnung. Wie es in der intellektuellen Ordnung kein »reines Erkennen« mehr gibt, sondern nur entweder ein Erkennen der Tiefen Satans oder aber ein Erforschen durch Heiligen Geist der Tiefen Gottes, so gibt es auch in der Zeit des Martyriums in der politischen Ordnung nicht mehr die Mög­lichkeit eines auf den Begriff der bloßen Neu­tralität aufgebauten politischen Handelns. Angesichts des Offenbarwerdens Jesu Christi muß auch die Sphäre des Politischen offenbar werden.[27] Das wird vor allem an der Frage nach der Macht deutlich. Denn Macht ist etwas sehr Geheimnisvolles – wer wird sie haben? Die kos­mische Kraft Satans, der sie dem Antichristen überläßt [13, 2], oder aber Gott, der die Macht seinem Sohn gegeben hat?

Und weiter. Die Macht als ein Geheimnis fordert letzthin Anbe­tung. Es fragt sich nur, ob wir die legitime Macht des Allmächtigen oder die usurpierte Macht dessen, der sich Gott gleich macht, an­beten. Nach der Geheimen Offenbarung veranlaßt der falsche Pro­phet die Men­schen, ein Kultbild des Antichristen aufzustellen [13, 14]. Das politische Symbol wird zum kultischen Objekt und wirkt als solches sogar Wunder [13, 15]. Aber an dem politischen Sym­bol als kultischem Objekt scheiden sich nun die Menschen. Die sich vor dem Bilde des Tieres nicht beugen, werden entweder getö­tet [13, 15] oder wirtschaftlich boykottiert [13, 17].

In c. 17 haben wir ein anderes Symbol für die offenbar gewordene Welt des Politischen. Babylon erscheint in Gestalt einer Kurtisane, in Purpur und Scharlach gekleidet, auf einem scharlachroten Tiere sitzend. Als der heilige Johannes die Kurtisane in ihrem ganzen Glanz gesehen hat, kommt ihn ein Staunen an. Ein Weib symboli­siert hier, wie stets, die Polis, die Tyche, die Fortuna des politischen Daseins. Aber dieses Weib ist jetzt als eine Kurtisane offenbar ge­worden, die sich an niemanden gebunden weiß, die sich allen hin­gibt. Denn das Offenbarwerden Christi macht für den Märtyrer auch die in der falschen politischen Ordnung ruhende metaphysi­sche Orientierungslosigkeit sichtbar, steht doch das Politische, das in der Welt des Pluralismus sein Wirkungsfeld hat, immer in der Versuchung, die letzte metaphysi­sche Orientierung zu verlieren und in der Welt des Pluralistischen seine Götter zu suchen. Daß die falsche politische Ordnung in der Welt des Pluralistischen ihre letzte Bindung sucht, drückt die Geheime Offenbarung damit aus, daß sie sagt, die Könige der Welt seien gekom­men, um mit der Kurtisane Babylon Unzucht zu treiben. Die letzte metaphysische Orientie­rungslosigkeit einer politischen Ordnung, die nicht von Gott ihre Macht empfängt, wird darin bildhaft zum Ausdruck ge­bracht, daß Babylon den Becher mit dem Wein in der Hand hält. Der Pluralismus der politischen Welt, der sich in der Zeit des Offenbarwerdens bis zum metaphysischen Pluralismus steigern kann, ist zu einem Rausch geworden, der alle Völker der Erde trun­ken macht [18, 3].

Doch noch ein anderer Zug des Politischen wird durch das Offen­barwerden Jesu Christi für seine »Zeugen« deutlich. Als Babylon, als die große Kurtisane gefallen ist, stimmen die Wirt­schafter, Händler und Schiffsreeder einen großen Klagegesang an [18, 11-19]. Es ist auffal­lend, mit welcher Ausführlichkeit diese Klagen in der Geheimen Offenbarung wiedergegeben werden. Der Glanz des Politischen enthüllt sich nach dem Falle Babels als der wirtschaftliche Vorteil der internationalen Händler.

Der Kurtisane Babel steht die Jungfrau Jerusalem gegenüber, bereit für die Hochzeit mit dem Einen Mann, wie der heilige Paulus sagt [II. Kor. 11, 2], oder für die Hochzeit mit Christus dem Lamm, wie der heilige Johannes sich ausdrückt [c. 21]. In ihr ist eine Herrschaft symbo­lisiert, welche die im politischen Pluralismus liegende Versu­chung überwunden hat. Es ist klar, daß »die Jungfrau« nicht den Becher mit Wein in der Hand hält. Wo Jerusalem, wo die Kir­che der Märtyrer ist, da ist Nüchternheit, da ist Logos. Denn die Jung­frau, die für die Hochzeit mit dem Lamm gerüstet ist, weiß um den Weg, den sie gehen wird. Wo Jerusalem ist, da ist Einfachheit, ja so­gar Armut möglich, ist doch der Glanz der Jungfrau im Himmel, bei Gott und bei dem Lamm, sie bedarf also nicht eines von der Erde erborgten Glanzes, der letzthin doch nur dazu dient, die internatio­nalen Händler zu bereichern.

Beide sind demnach für den Märtyrer sichtbar geworden, die Kurti­sane und die Jungfrau. Beide sind sichtbar geworden, weil das Of­fenbarwerden des »Menschensohnes« in dem Märtyrer sowohl den Menschen wie den Kosmos in das helle Licht rückt.

Doch nicht nur der dämonische Abgrund der Welt, der sich ange­sichts des Offenbarwerdens des »Menschensohns« vor uns auftut, wird in der »Offenbarung Jesu Christi« für den Märty­rer sichtbar, sondern auch Schicksal und Verpflichtung der Gläubigen in der großen Stunde der »Trübsal«. Ist es doch nicht so, daß das Leiden und die scheinbare Niederlage den Gläubi­gen erspart werden, weil das Lamm einmal »gesiegt« hat. Nein, »die zwei Zeugen«, die nach der Geheimen Offenbarung in Jerusalem auftreten, werden von dem Tiere, das aus dem Ab­grund steigt, überwunden und getötet. »Und ihre Leichen liegen auf der Gasse in der großen Stadt, die symbolisch »Sodom« und »Ägypten« genannt wird, wo auch ihr Herr gekreuzigt ward« [11, 7 f.]. Nach 13, 7 ward dem Tier, das heißt dem Antichristen, gegeben, »mit den Heiligen zu streiten und sie zu überwinden«. Nach 16, 5 f. findet es ein Engel berechtigt, daß Gott die Welt straft[28], hat sie doch das Blut der Heiligen und der Propheten vergossen. Das Offenbarwerden der »Gesiegelten« geht also durch das Leiden hindurch. Es gibt – das ist die aktuelle Er­kenntnis des Märtyrers – keinen anderen Weg, um in seinem Glau­ben »offenbar« zu werden, als das Leiden. Das Leiden ist Gleichge­staltung [Phil. 3,10] mit dem Leiden Chri­sti, und alle Niederlage durch die dämonischen Mächte nichts als Ähnlichkeit mit der Nie­der­lage Jesu, »des treuen Zeugen«.[29] Wichtig ist nun, daß nach dem heiligen Johannes in der Offenbarung Jesu Christi niemand von die­sem Leiden verschont bleibt. In 6,9 ff. wird eine erschütternde Szene beschrieben. Johannes sieht unter dem Altar im Himmel die Seelen derer, die »um des Wortes Gottes und um ihrer Zeugnisable­gung willen abgeschlachtet« worden sind. Die Märtyrer, die unter dem Altar liegen, rufen mit lauter Stimme: »Wie lange noch, Herr, Du Heiliger und Wahrhaftiger, richtest Du nicht und rächst Du nicht unser Blut an den Erdenbewohnern?« Und es ward ihnen, so heißt es danach in vs. 11, ein weißes Kleid gegeben und ward ihnen gesagt, sie sollten nur noch eine kleine Zeit sich ausruhen, bis auch vollendet würden ihre Mitknechte und Brüder, die ebenfalls getötet werden sollen.

»Wer Ohren hat, der höre! Wem Kerker beschieden ist, der geht in den Kerker ein. Wer mit dem Schwert umkommen soll, der wird mit dem Schwert getötet werden« [13, 9 und 10]. Das hat man unter dem Ausharren und dem Glauben der Heiligen zu verstehen. In c. 7 sieht der heilige Johannes eine große Schar von Weißgekleideten im Himmel. Einer der Ältesten sagt ihm, wer sie seien. »Diese sind ge­kommen aus der großen Trübsal und haben in dem Blut des Lam­mes ihre Kleider weiß gewaschen« [7, 14]. Mit Blut haben sie das Kleid, das sie tragen, weiß gewaschen, mit dem Blut, das sie vergos­sen haben, und das doch nicht ihr Blut, sondern das Blut des Lam­mes war. Der heilige Paulus sagt in Kol. l, 24: er fülle in seinen Lei­den den Rest der Trübsale Christi aus. Immer haben wir denselben Gedanken, daß alles Leid eschato­logisches Leid, in Gleichförmig­keit mit dem Leiden Christi erlittenes Leid ist und daß daher auch die Herrlichkeit Christi dem gewiß ist, der mit Christus gelitten hat.

Gegen diese heroische Verkündigung lehnt sich nun aber der Mensch, der, ach, so feige ist, auf. Aus dem Sendschreiben des heili­gen Johannes an Laodicea in der Geheimen Offenbarung verneh­men wir das Urteil Jesu über die Feigen. »Ich kenne deine Werke, daß du nicht kalt und heiß bist, o wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, und nicht kalt oder heiß, will ich dich aus mei­nem Munde ausspeien!« [3, 15. 16] Und ebenso heißt es in 21, 8: »Den Fei­gen aber wird zusammen mit Mördern und Ehebrechern und anderen ihr Teil im Pfuhl, der von Feuer und Schwefel brennt, sein.« Denn auf Eines kommt es nach dem Urteil des Märty­rers im Leben an: zu siegen, mit Christus zu siegen. »Wer siegt, so spricht der, der die sieben Ster­ne in seiner Rechten hält, dem werde ich von dem Baum des Lebens im Paradiese Gottes zu essen geben« [2, 7]. »Wer siegt, der wird über Völker herrschen« (2, 26 f.]. »Wer siegt, der wird zu einem Pfeiler im Tempel des himmlischen Jerusalem werden« [3, 12]. »Wer siegt, wie Christus gesiegt hat, der wird mit Christus und dem Vater auf dem Thron sitzen« [3, 21). »Wer siegt, der wird alles erben« [21,7].

Es ist also nicht so, daß die Märtyrer ein völlig in sich abgeschlosse­ner Stand sind und daß sich die übrigen Gläubigen bei dem Gedan­ken beruhigen können: Gott sei Dank, daß es überhaupt Märtyrer gibt! Nein, die Seelen der Märtyrer, die unter dem Altar im Himmel liegen, kommen nach dem heiligen Johannes nicht eher zur Ruhe, bis daß auch ihre Brüder ihnen im Martyrium nachgefolgt sind. Po­tentiell sind also alle Gläubigen zum Martyrium verpflichtet, denn alle sind ja gezeichnet mit dem Siegel Gottes, das ihre Zugehörig­keit zu dem »geschlachteten Lamm« offenbar macht. Sie müssen »siegen«, weil ih nen ein Kampf aufgedrängt wird, weil der Drache dem »Samen des Weibes«, zu dem nicht nur Jesus, sondern wir alle gehören – wir alle sind Kinder Mariens –, nachstellt [Apoc. 12, 17]. Sie müssen sie­gen, weil der Antichrist gegen die Heiligen Krieg führt, weil er durch das politische Symbol als kultisches Objekt eine Entscheidung gegen sie herbeiführt. Sie müssen »siegen«, indem sie »offenbar« werden, im »Zeugnis« für Jesus offenbar werden. Denn in dieser letzten Zeit der Enthüllung des »Mysteriums der Gesetzlosigkeit«[30] wird alles zur Zeugenschaft für Gott aufgerufen: der Engel, der bestätigt, daß Gott recht hat, wenn er den Kosmos plagt [16, 5],der Altar im Himmel, an dem die Gebete der Kirche darge­bracht werden [16, 7], und so endlich auch der Mensch; alles wird aufgefordert für Gott und gegen diesen Kosmos, in dem der Dra­che herrscht und der Antichrist und der falsche Prophet aufgetaucht sind, Zeugnis abzulegen. »Denn keiner von uns lebt ja ein privates Leben, und keiner von uns stirbt einen privaten Tod«, sagt der hei­lige Paulus in Röm. 14, 7 f., »sondern, wenn wir leben, dann leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, dann sterben wir auch für den Herrn. Wenn wir also leben oder sterben, immer sind wir des Herrn.« Immer sind wir der Öffentlichkeit des Herrn, dem Offen­barwerden des Herrn verpflichtet.

Das Leben in der Offenbarung Jesu Christi ist ein Leben in der gro­ßen Trübsal. »Aber selig ist, wer jetzt weint, denn er wird lachen«, so heißt es in der Bergpredigt Jesu [Luk. 6, 21]. Denn »trocknen wird er jede Träne ihrer Augen«, sagt der heilige Johannes in der Geheimen Offenbarung 21, 4. »Selig sind, die jetzt die Trauerklage anstimmen«, heißt es in der Berg­predigt Matth. 5, 4, »denn sie wer­den getröstet werden.« Und wiederum stimmt der Märtyrer damit überein: »Der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauerklage, noch Geschrei, noch Müh­sal« [21, 4]. »Selig seid ihr«, so heißt es endlich in der Bergpredigt bei Lukas 6, 22 f., »wenn euch die Menschen has­sen, wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen um des Menschensohnes willen ächten. Freut euch an jenem Tage und frohlocket. Denn siehe, euer Lohn im Himmel ist groß. In gleicher Weise verfuhren ihre Väter auch mit den Propheten.« Was ist denn die dem Märtyrer zuteil gewordene Enthüllung der Offenbarung Jesu Christi anderes als die Illustrierung dieser Seligpreisung Jesu? Wenn man die Seligpreisungen der Bergpredigt hört oder die Ver­heißungen der Geheimen Offenbarung liest, dann spürt man, daß das Christentum keine leichte Sache ist. Wenn etwas dem Geist bequemer Bürgerlichkeit ent­gegengesetzt ist, dann ist es das Urchri­stentum, das uns aus der Geheimen Offenbarung im Munde des Märtyrers als wie ein feuriger Hauch entgegenschlägt. Und doch klingt nun alles nicht bloß in der Tröstung des widerfahrenen Lei­des, nicht bloß in dem Verhallen des letzten Schluchzens in der Ewigkeit aus, sondern das Letzte ist der Gesang derer, die am kri­stallenen Meer des Himmelozeanes stehen und wie einst die Juden am Schilfmeer als »Sieger« über das »Tier« den Gesang des Gottes­knechtes Moses und die Ode des Lammes also singen: »Groß sind und wunderbar Deine Werke, Herr Gott, Du Allmächtiger. Ge­recht und wahrhaft sind Deine Wege, Du König der Völker. Wer fürchtet Dich nicht, Herr, und wer wird Deinen Na­men nicht ver­herrlichen? Denn Du allein bist heilig! Und alle Völker werden kommen und vor Dir beten, denn offenbar geworden sind Deine gerechten Taten.«

Im Gesang klingt alles aus, denn die große Trübsal dieser Welt ist kein dumpfer Schmerz, sondern eine für den Märtyrer durch das Leiden Christi erhellte, eine durchgeistigte Trübsal, die in der Gei­stigkeit der neuen Ode ausklingt. Und wenn auch Satan im Kos­mos entfesselt war, kein Wort wird gegen Gottes Schöpfung im Märtyrer laut[31]: »Groß sind und wunderbar Deine Werke, Herr Gott, Du Allmächtiger.« Und wenn auch der Weg des Leidens – des Lei­dens mit Christus – bitter war, »gerecht und wahrhaft sind Deine Wege, Du König der Völ­ker«. Und wenn auch furchtbar ist der Ab­grund, der sich in der Offenbarung Jesu Christi vor uns auftut, »wer fürchtet Dich nicht, Herr, und wer wird Deinen Namen nicht ver­herrlichen?« »Denn Du allein bist heilig … und deine gerechten Ta­ten sind offenbar geworden.« Sind offenbar geworden in dem Lei­den Christi und in dem Leiden der Kirche, die mit Christus leidet. Haben wir den Mut, mit dem heiligen Johannes zu sagen: »Ja, komme bald. Amen, komm, Herr Jesus«? Wir wissen jetzt, was das heißt: Kommen Jesu, Offenbarwerden Jesu. Oh, daß Gott uns allen den Heiligen Geist schenkte, aus dem heraus wir in Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit sagen könnten: »Ja, komm – komme, Herr Je­sus.« Komme zu uns in Dei­nem Leiden, auf daß Du zu uns kom­mest in Deinem Reiche!

Die Märtyrer und das priesterliche Königtum Christi

»Als Jesus in Judäa geboren war, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da erschienen Weise aus dem Morgenlande in Jerusalem. Sie fragten: Wo ist der neugeborene Judenkönig? Wir sahen seinen Stern aufleuchten und sind jetzt da, um ihm zu huldigen. Der Kö­nig Hero­des geriet in Erregung, als er dieses hörte, und mit ihm ganz Jerusalem.« Das sind die Verse, in denen der heilige Mat­thäus die Geburt des priesterlichen Königs beschrieben hat [2, 1-3]. Die Fortsetzung ist auch bekannt. Während es von den Weisen heißt: »Sie traten in das Haus und sahen das Kind mit Maria seiner Mutter, fielen nieder und huldigten ihm. Dann öffneten sie ihre Truhen und brachten ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe« [2, 11], wird von Herodes erzählt, daß er in großen Zorn geriet und in Bethlehem und dessen ganzer Umge­bung alle Knäblein töten ließ, die zwei Jahre alt waren und jünger [2, 16]. Als der als Mensch geboren wird, der in der angenommenen Natur des Menschen Priester und König werden will, wird diese seine Würde sofort in den Handlungen derer, die ein Typus des Glaubens und ein Typus des Unglaubens sind, erkennbar. Die Weisen bringen Gold, Weihrauch und Myrrhe dar. »Gold«, so heißt es im Offizium von Epiphanie, »damit seine königliche Gewalt ange­zeigt werde«, beim Weihrauch denke man an den Hohepriester und bei der Myrrhe an das Begräbnis des Herrn. So wird denn schon in den Ga­ben der Weisen aus dem Morgenlande, die ein Typus der gläubigen Heidenkirche sind, die vom Orient bis zum Okzident reicht, das priesterliche Königtum Christi in seiner völkerumspannenden Uni­versalität erkennbar[32]. Aber auch in dem Verhalten des Herodes, der ein Typus für den Ungläubigen ist, wird das priester­liche Kö­nigtum Jesu sichtbar. Der irdische König greift aus Furcht vor dem ewigen König zu dem Mittel des Kindermordes, aber die gemordeten Kinder werden ungewollt zu Märtyrern Christi, den sie noch nicht mit ihrem Munde zu bekennen vermögen[33], und damit zu Zeugen für das priesterliche Königtum des »gelschlachteten Lam­mes«, dem sie gefolgt sind, wohin es auch immer gehen mochte (Apoc. 14, 4. Lektion des Festes der unschuldigen Kinder). Der irdi­sche König fürchtet, der himmlische König könne ihm sein Reich nehmen, aber der Hymnus des Epiphaniefestes sagt[34]:

Crudelis Herrodes, Deum
Regem venire quid times?
Non eripit mortalia,
Qui regna dat coelestia.

»Grausamer Herodes, was fürchtest du das Kommen Gottes, des Königs?
Der raubt nicht irdische Königreiche, der das Himmelreich gibt.«

Doch immer wieder entsteht das Mißverständnis des Königtums Christi. Im Johannesevange­lium [c. 6] wird erzählt, daß, als Jesus die Fünftausend wunderbar gesättigt hatte, die Menge ihn mit Ge­walt fortführen wollte, um ihn zum König zu machen. Als Jesus das merkte, zog er sich ganz allein auf den Berg zurück [6, 15]. Weder Herodes noch das jüdische Volk, weder der Repräsentant der Mon­archie noch das Volk, das sich einen Führer und König sucht, damit es satt werde, versteht das Königtum Christi. Vor Herodes flüchten Maria und Josef mit dem Kinde nach Ägypten, vor dem Volke zieht sich der Herr in die Einsamkeit auf einem Berge zurück.

Zum letztenmal wird die Frage nach dem Königtum Christi in sei­nem Leben laut, als Jesus vor Pilatus steht[35]. Pilatus läßt den Herrn kommen und fragt ihn: »Bist du der Juden König?« [Joh 18, 33]. Und Jesus sprach: »Mein Reich ist nicht aus diesem Kosmos. Wenn mein Reich aus diesem Kosmos wäre, würden meine Diener kämp­fen, auf daß ich nicht den Juden aus­geliefert würde. So aber ist mein Königreich nicht von hier. Da sagte Pilatus zu ihm: Ein König bist du also? Und es antwortete Jesus: Du sagst, daß ich ein König bin. Deshalb bin ich geboren und darum in die Welt gekommen, auf daß ich für die Wahrheit als Zeuge [als Märty­rer] auftrete. Jeder, der aus der Wahrheit ist, vernimmt meine Stimme. Es spricht zu ihm Pi­latus: Was ist Wahrheit? Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und sprach zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. Doch besteht der Brauch bei euch, daß ich euch zum Passah­fest einen freigebe. Soll ich euch den König der Juden freigeben? Da schrien sie wiederum und sagten: Nicht den, sondern den Barrabas. Barrabas aber war ein Räuber« [Joh. 18, 36-40]. Nach der Gei­ßelung Christi versucht Pilatus ein anderes Mal Christus frei­zuge­ben. »Die Juden aber schrien: Wenn du diesen freigibst, bist du nicht kaiserlicher Freund. Wer sich zum König macht, lehnt sich gegen den Kaiser auf« [19, 12). Pilatus fragt ein letztes Mal: »Euren König soll ich kreuzigen?« Die Hohenpriester aber schrien: »Wir haben keinen König, außer dem Kaiser. Da lieferte er ihnen Jesus aus, auf daß er gekreuzigt würde« [19, 15]. Lukas erzählt noch, daß in den Verhandlungen gegen Jesus Pilatus den Herrn zu Herodes geschickt habe, der sich in jenen Tagen gleichfalls in Jerusalem be­fand, und daß Herodes und Pilatus über diesen Fall zu Freunden geworden seien.

Nicht nur der Vertreter der Monarchie, nicht nur die Demokratie, auch der Vertreter des Impe­riums kann das Königtum Jesu nicht verstehen. Unter einem nationalen Königtum der Juden kann er sich noch etwas vorstellen, aber was ist ein Königreich, das nicht aus diesem Kosmos kommt? Was ist ein König, der in die Welt ge­kommen ist, um für die Wahrheit als Zeuge, ja, konkreter über­setzt, als Märtyrer aufzutreten? Was ist Wahrheit? Die zweifelnde Frage: Was ist Wahrheit?, die laut geworden ist auf den Anspruch Jesu hin, in die Welt gekommen zu sein, um für die Wahrheit als Zeuge aufzutreten, liegt allem politischen Handeln, das sich nicht von dem Königtum Christi bestimmen läßt, als letzte bewußte oder unbewußte metaphy­sische Voraussetzung zugrunde. Aber es ist tief symbolisch, daß, als der Repräsentant des heidnischen Imperiums gesagt hatte: Was ist Wahrheit?, er, statt zu Jesus, wieder zu den Ju­den geht, um mit ihnen über das Schicksal dessen, der sich eben vor ihm als König bekannt hatte, zu verhandeln. Seine zweifelnde Frage: Was ist Wahrheit? setzt sich gleichsam fort, als er die Juden zwischen Jesus und Barrabas wählen heißt. Der Räuber Barrabas ist der politi­sche Aufrührer, an dem, wie er weiß, die Juden weit mehr interessiert sind als an dem König, der in die Welt gekommen ist, um für die Wahrheit als Zeuge aufzutreten. Die Juden entschei­den sich für den politischen Rebellen, der aus dieser Welt kommt, und gegen das Königtum Christi, das nicht von dieser Welt ist, aber es ist nun charakteristisch, daß auch der Vertreter des heidnischen Imperialismus, in dessen Geiste die letzte Frage nach dem, was Wahrheit ist, geweckt worden war, nachdem er vor dem, der Wahrheit ist, gestanden hatte, jetzt zuläßt, daß man sich für den po­litischen Rebellen und gegen den König, der für die Wahrheit als Zeuge auftritt, entscheidet. Freilich, er läßt erkennen, daß er vor der Wahrheit gestanden hat und daß er sich ihr zu entziehen sucht, denn indem er die theoretische Frage, was Wahrheit überhaupt sei, formuliert, entzieht er sich der praktischen Entscheidung für den König, der in die Welt gekommen war, um für die Wahrheit als Zeuge aufzutreten. So wird denn der Glaubensent­scheidung, die mit dem Königtum Christi unauflöslich verbunden ist, ausgewichen unter dem theoretischen Vorwand, daß man nicht wissen könne, was Wahrheit überhaupt sei, aber der theoretische Vorwand kann doch die Tatsache nicht verhüllen, daß man vor ihm gestanden hat, der als König in die Welt gekommen ist, um für die Wahrheit als Zeuge aufzutreten. Das unwahrhaftige Verhalten des Pilatus, der wider sein Gewissen und sein besseres Wissen Jesus den Juden aus­liefert und die vom römischen Standpunkt aus doch unmöglich zu billigende Entscheidung der Juden für den politischen Rebellen ge­gen das Königtum Christi zuläßt, aus der kläglichen Befürchtung, er könne seine Stellung als kaiserlicher Freund verlieren, beweist, daß er vor der Wahrheit, die Jesus Christus ist, gestanden hat und ihr ausgewichen ist.

Die Situation der Juden und die der Heiden vor dem Königtum Christi, wie sie sich in der Pilatusszene enthüllt, ist eine verschie­dene. Die Juden, die in ihrem blinden Haß gegen das Königtum Christi, das nicht aus dieser Welt ist, den Kaiser gegen den »König der Juden« ausspielen, vergessen, daß ihr Messias ein König in Is­rael sein soll, und verlieren mit dem Rufe: »Wir haben keinen Kö­nig, außer dem Kaiser« nicht nur jeden Anspruch auf eine Erwar­tung des königlichen Messias in ihrem Volke, sondern zugleich auch jeden metaphysischen und moralischen Anspruch, als souve­räne Nation ein Dasein zu führen. Sie haben nur noch die Möglich­keit, entweder als unterdrückte Nation zu leben oder aber für Bar­rabas, als Typus des politischen Aufrührers, sich zu entscheiden. Verschieden von der Situation der Juden ist die der Heiden. In der Person des Pilatus vor den König gestellt, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, liefern ste Jesus den Juden zur Kreuzigung aus und lassen den politischen Empörer frei, aber indem sie wider ihr besse­res Wissen und Gewissen gegenüber dem Könige, der in die Welt gekommen ist, um für die Wahrheit zu zeugen, handeln, büßen sie ihre eigene politi­sche Autorität ein. Indem sie in der politischen Sphäre den König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, den Ju­den zur Kreuzigung ausliefern und den politischen Aufrührer frei­lassen, handeln sie nicht nur gegen den Sinn ihrer politischen Auf­gabe, sondern verfälschen sie auch ihr persönliches Verhalten zum Cäsar, indem sie es privatisieren und je nach dem Nutzen, den sie daraus ziehen – Pilatus will seine politische Stellung als »Freund des Kaisers« nicht verlie­ren –, ihre Entschlüsse treffen.

Beide, Juden und Heiden, vereinen sich also, den König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, zu kreuzigen[36], aber indem nun Jesus am Kreuze für Juden und Heiden als ewiger Hoher­priester sein Blut vergießt, wird sein Königtum als ein priesterliches Königtum in sei­ner Überlegenheit über alle »Herrschaften und Gewalten« dieser Welt nur um so deutlicher er­kennbar. Es ist bedeutsam, daß vor Pon­tius Pilatus und nicht vor einem jüdischen Tribunal die Frage nach dem Königtum Christi zu einer Entscheidung kommt. Vor Herodes fliehen Maria und Josef nach Ägypten, und vor der jüdischen Volks­menge, die ihn zum König machen will, zieht sich Jesus in die Ein­samkeit zurück. Die Frage nach dem Königtum Christi konnte nicht vor den Juden verhandelt werden, erklärten sie doch, daß sie keinen König hätten; nur vor den Römern, die den Cäsar hatten, kann von dem Königtum Christi gesprochen werden, nur vor denen, die ein Reich aus dieser Welt haben, kann von dem Reiche Zeugnis abgelegt werden, das nicht von dieser Welt ist. Das Zeugnis, das der König, der in diese Welt gekommen ist, ablegt, ist ein öffentliches Zeugnis [I. Timoth. 6, 13]. Als solches setzt es die politische Öf­fentlichkeit des Imperium Romanum voraus; aber als ein Zeugnis für die Wahrheit, die nur von denen gehört werden kann, die aus der Wahrheit sind, transzendiert es zugleich die poli­tische Öffentlichkeit und wird ange­sichts der Auslieferung des Zeugen durch die Heiden an die Juden zu einem Zeugnis gegen alle »Herrschaften und Gewalten« dieser Welt. Nicht zu­fällig ist also der Name des Pontius Pilatus in das Credo der Kirche gekommen.[37] Es ist nicht geschehen, um eine historische Erin­nerung festzuhalten, sondern um für alle Zeit einen geschichtssym­bolischen Vorgang für die zu fixieren, die sich durch ihre Taufe öf­fentlich zu Christus bekennen, diesen Vorgang nämlich, daß das Zeugnis von dem Königtum, das nicht aus dieser Welt ist, von den politischen Gewalten dieses Äons verworfen worden ist, also daß »der Herr der Herrlichkeit« [I. Kor. 2, 8], der König, der für die Wahrheit zeugt, unter Pontius Pilatus »gekreuzigt, gestorben und begraben ist«, aber unter ihm nun auch in Glorie auferstan­den und zum Himmel gefahren ist.[38] Wenn der heilige Paulus im ersten Ko­rintherbrief von der im Mysterium verborgenen Weisheit Gottes spricht, die keiner der Herrscher dieses Äons erkannt habe, denn hät­ten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Glorie nicht gekreu­zigt, so spielt er auf die Situation Christi vor Pilatus an, in der Jesus von dem Königreiche, das nicht aus dieser Welt ist, als Zeuge auftritt, die göttliche Weisheit aber von denen, die in die­sem Äon die politi­sche Gewalt innehaben, nicht erkannt wird, und so der König des kommen­den Äons, der »Kyrios der Glorie« von ihnen dem Tode am Kreuze ausgeliefert wird [I. Kor. 2, 8].

Die Worte des heiligen Paulus, auf die wir uns eben bezogen haben, geben einen Hinweis dar­auf, wie die Wendung Jesu, daß sein Reich nicht aus dieser Welt, nicht aus diesem Kosmos sei, genauer zu ver­stehen ist. Jesu Reich ist nicht aus diesem Kosmos, weil es nicht an den gegenwärtigen, sondern an den zukünftigen Äon gebunden ist. Man kann das Königtum Chri­sti nicht von dem eschatologischen Charakter des Evangeliums ablösen. Was das heißt, ma­chen wir uns am besten klar, wenn wir einige Äußerungen des heiligen Johannes in der Gehei­men Offenbarung über das Königtum Christi anfuh­ren.

In c. 1 wünscht der heilige Johannes der Kirche in Asien »Friede und Gnade von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor dem Thron Gottes stehen, und von Jesus Christus, dem getreuen Zeugen, Erstgeborenen unter den Gestorbenen und Herrscher über die Könige der Erde. Ihm, der uns liebt und gelöst hat von unseren Sünden mit seinem Blut und uns ge­macht hat zu einem Königreich, zu Priestern für seinen Gott und Vater, ihm sei Herrlichkeit und Macht in die Äonen der Äonen. Amen« [1, 4-6]. Im Zusam­menhange unserer Erörterung interessie­ren in erster Linie die über Christus gemachten Aussa­gen. Jesus be­findet sich im Himmel, wo der ewige Gott weilt und sieben Geister, die vor dem Throne Gottes stehen. Dieser Jesus, der von den Toten auferstanden ist, wird sowohl »der getreue Zeuge« als auch der »Herrscher über die Könige der Erde« genannt. Die auffallende Zusammenstellung dieser beiden Begriffe wird eigentlich erst vom Johannesevangelium aus verständlich, wenn man sich erinnert, daß Jesus im Evangelium des heiligen Johannes vor Pilatus erklärt, er sei ein König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, und er sei in die Welt gekommen, um für die Wahrheit als Zeuge aufzutreten.[39] Die Situation Jesu vor Pilatus wird also in der Geheimen Offenbarung in die Erinnerung zurückgerufen. Zugleich wird nun aber auch deutlich, daß die mit dem Zeugnis vor Pilatus verknüpfte Kreuzi­gung ein Opfer darstellt, dessen Blut uns von unseren Sünden gelöst hat, oder, wie es in 5, 9 heißt: uns »für Gott aus allen Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen losgekauft hat«, so daß wir nun­mehr zu Königen und Priestern gemacht worden sind [1, 6 und 5, 10]. Was sich schon allein aus der Analyse der Pilatusszene im Johannesevanlgelium ergeben hatte, wird durch die Geheime Offen­barung mit ausdrücklichen Worten bestätigt. In dem Zeugnis Jesu von seinem König­tum, das nicht aus dieser Welt ist, das der Herr vor Pilatus ablegt, und in den mit dem Zeugnis verknüpften Vor­gängen der Kreuzigung und Auferstehung setzt sich das Königtum Christi aktuell in diesem Kosmos durch, so daß sein Tod ein Opfer darstellt, mit dem die Menschen aus ihrer sündigen Gebundenheit unter den »Herrschern und Gewalten« des gegenwärtigen Äon ge­löst sind und zur Teilnahme am Priestertum und Königtum Christi des kommenden Äons berufen werden. In dieses sich gegenwärtige Aktualisieren des Königtums Christi wird der Ruf »ihm sei Herr­lichkeit und Macht in die Äonen der Äonen« hineingerufen. Viel­leicht wird nichts im Gottesdienst der Kirche gedankenloser ge­sprochen als die Doxologien, und doch verdienen gerade sie, daß man ihren ursprünglichen Sinn wieder erweckt. Die Doxologie der Geheimen Offenbarung, die dem »Herrscher über die Könige der Erde« Glorie und Macht in die Äonen zuruft, ist der lebendige Aus­druck, gleichsam das lebendige Begleiten der Thronbesteigung Christi, der sich als der König, dessen Reich nicht zu diesem Äon gehört, allen Königen, die aus dieser Welt kommen, als überlegen erwiesen hat, und nun wird ihm in der Akklamation die Glorie und Macht, die bisher den Königen der Erde zu eigen war, von denen übereignet, die sich zu Priestern und Königen in einem neuen Äon berufen wissen. Die Universalität des Königtums Christi[40], die die Kirchenväter schon in der Tatsache angedeutet fanden, daß die Weisen, die dem zukünftigen priesterlichen Könige ihre Geschenke darbrin­gen, aus dem Morgenlande in das Römische Imperium kommen, wird in der Geheimen Offen­barung nachdrücklich dahin formuliert, daß das neue priesterliche und königliche Geschlecht »aus allen Stämmen, Sprachen, Völkern und Nationen losgekauft sei« [5, 9]. Aber zum Kö­nigtum Christi gehört nun noch ein weite­res Faktum, das der folgende Vers [1, 7] der Ge­heimen Offenba­rung deutlich macht. »Siehe, er kommt auf den Wolken, und sehen wird ihn jedes Auge und die ihn gestochen haben, und wehklagen werden um ihn alle Stämme der Erde. Ja, wahrlich so ist es.« Zum Königtum Christi gehört nicht nur, daß er für das König­tum, das nicht aus dieser Welt ist, als Zeuge aufgetreten und um seines Zeug­nisses willen gestorben ist, auch nicht nur, daß dieser sein Tod ein Opfer geworden ist und daß seine Auf­erstehung, Himmelfahrt und sein Thronen zur Rechten Gottes dem Menschensohn, dem Menschgewordenen den königlichen Triumph verschafft haben, sondern es gehört auch das dazu, daß der Menschensohn in könig­licher Glorie auf den Wolken des Himmels zum Gericht wieder­kommen wird. Insofern gehört die Antwort Jesu, die er den Hohenpriestern auf ihre Frage gab, ob er der Messias sei: »Von jetzt an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten des allmächtigen Gottes und auf den Wolken des Himmels kommen sehen« [Matth. 26,64 und Par.], auch mit zum Thema des Königtums Christi. Der Men­schensohn, der zur Rechten Got­tes steht und von dem Jesus vor den jüdischen Hohepriestern gesprochen hatte, wird bekannt­lich von dem sterbenden Stephanus in einer Vision geschaut [Apg. 7, 56]: Es ist der mit Gott thronende Christus, der König, der zum Gericht wiederkommen wird, und den nicht nur der Märtyrer Stephanus, sondern auch der Märtyrer Johannes, der »um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses für Jesus willen auf der Insel Patmos war« [Apoc. 1,9], gesehen hat. Es ist sehr aufschlußreich für den hier vorliegenden inneren Gedankenzusammenhang, wenn man sich daran erinnert, wie der heilige Johannes den im Himmel zwischen sieben goldenen Leuchtern wandelnden Menschensohn beschreibt. »Er war, so heißt es in 1, 12 der Geheimen Offenbarung, in ein prie­sterliches Kleid gehüllt, das über der Brust mit einem goldenen Gür­tel gegürtet war.« Das priesterliche Kleid soll auf die priesterliche, der goldene Gürtel auf seine königliche Würde hinweisen. Der uns »zu einem Königtum und zu Priestern für seinen Gott und Vater er­schuf« [1, 6], wird als ein königlicher Hoherpriester sinngemäß für den Märtyrer offenbar, der sich mit Christus priesterlich opfert, um mit Christus königlich zu herrschen. Opfer und Herrschaft, Prie­stertum und Königtum sind also in dem Menschensohn, der in die Welt gekommen ist, um für die Wahrheit als Märtyrer aufzutreten, zusammengehörige Begrif­fe, an denen in der Kirche dann alle die teilhaben, die mit Christus priesterlich opfern, um mit ihm königlich zu herrschen. In erster Linie also die Märtyrer und dann die übrigen Heiligen. Aber es ist nun sehr bezeichnend, daß der priesterliche König im Himmel, dessen Aussehen der heilige Johannes in der Ge­heimen Offenbarung beschreibt, in der Schilderung der Ein­zelhei­ten der Vision ein Gegenbild zum Römischen Imperator wird. In der Antwort, die Jesus den Juden gab, war nicht von dem König, sondern von dem Menschensohn die Rede, der zur l Rechten des allmächtigen Gottes steht und auf den Wolken des Himmels wie­derkommen wird. In der Antwort, die Jesus dem Pilatus gab, spricht er dagegen von seinem Königtum. Das Wort vom Menschensohn ist für die Juden angepaßt, die nach ihren eigenen Worten kei­nen König haben; das Wort vom König ist für die Heiden angepaßt, die nun nicht einen Kö­nig, sondern einen Cäsar haben. Es ist zu beach­ten, daß der Heide, der den Kaiser hat, den König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, den Juden zur Kreuzigung ausliefert. Er, der unter einer Herrschaft steht, die als Cäsarismus der Legitima­tion ermangelt, läßt den kreuzi­gen, der als ein König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, allen Königen auf der Erde die Legitima­tion verleiht. Christus wird für den heiligen Johannes gegenüber dem Cäsar zum Imperator, weil er die Heiden, die keinen König, sondern nur noch einen Cäsar haben, zu dem Königtum des neuen Äons zurückführen will.[41] Aber nun will noch die Verknüpfung von Kö­nigtum und Priestertum bedacht sein. Der Menschensohn wird König, indem er sich selbst in priesterlicher Gesinnung dem Vater als ein Opfer darbringt. Die Juden haben, indem sie in den Ver­handlungen Ober das Königtum Jesu vor Pilatus ausrufen, wir ha­ben keinen König, in der Kreuzigung Jesu nicht nur das Königtum, sondern auch Priestertum und Opfertum einge­büßt. Und die Hei­den haben, indem der Repräsentant des Kaisers »den König, der für die Wahrheit Zeugnis gibt«, den Juden zur Kreuzigung ausliefert, nicht nur die Fragwürdigkeit ihres Cäsarismus offenbar gemacht, sondern auch die Verbindung von Prinzipat und Oberpon­tifikat, wie sie seit Augustus [12 v. Chr.] vorhanden war, metaphysisch ge­sehen, unmöglich gemacht.

Es ist seit dem Tode Christi und seit seiner Himmelfahrt, also seit­dem der Menschgewordene Priester und König in seiner menschli­chen Natur geworden ist, immer wieder der Versuch gemacht wor­den, Königtum und Priestertum, die höchste staatliche und die höchste religiöse Gewalt, miteinander zu vereinen, und es wäre auch unverständlich, wenn dieser Versuch nicht gemacht worden wäre. Es ist bekannt, daß die deutschen Kaiser des Mittelalters den Anspruch erhoben haben – unter Berufung auf das Sakramentale der Königsweihe –, Regnum und Sacerdotium in ihrer Person zu ver­einen, aber schon im achten und neunten Jahrhundert wird dieser abgelehnt, und die Konzilien des neunten Jahrhunderts haben mit Recht betont, daß nur Christus rex und sacerdos in einem sei.[42] Daß immer wieder der Versuch gemacht worden ist, Königtum und Priestertum, höchste staatliche und höchste religiöse Gewalt, zu vereinen, er­klärt sich daraus, daß die Transzendierung des irdi­schen Königtums durch das priesterliche Königtum Christi an die politische Gewalt nicht nur die Forderung stellt, auf die Vollzie­hung der priesterlichen Gewalt zu verzichten, sondern auch die po­litische Macht nicht unabhängig von der Macht auszuüben, die der Vater dem Sohne gegeben hat. Das sieht wie eine metaphy­sische Ermächtigung menschlicher Macht aus und ist es in einem gewis­sen Sinne auch. Wenn der heilige Paulus [Kol. 2, 15] sagt, Christus habe die »Mächte und Gewalten« ausgezogen, sie öffentlich ausge­stellt und einen Triumphzug mit ihnen in seiner Person dargestellt, so ist, wenn wir einmal davon absehen, welche Bedeutung dieser Satz im Zusammenhang der Aus­führungen des Kolosserbriefes hat, deutlich, daß das Königtum Christi alle »Mächte und Ge­walten« dieses Äons ihres dämonischen Charakters entkleidet hat. Er hat sie zur Schau ge­stellt, insofern die Herrscher in diesem Äon sich dazu hinreißen ließen, »den Herrn der Glo­rie« [I. Kor. 2, 8] zu kreuzigen, womit sie sich doch nur selbst entlarvten. Und er hat einen Triumphzug mit ihnen aufgeführt, insofern seine Himmelfahrt, sein Thronen zur Rechten des Vaters und seine Wiederkunft zum Ge­richt den Triumph des Reiches, das nicht aus dieser Welt ist, über alle »Herrschaften und Gewalten« dieses Äons darstellen.

Seitdem Christus Priester und König ist, ist also die irdische Macht ihres dämonischen Cha­rakters entkleidet und kann nicht mehr, wie es das Heidentum will, den Anspruch darauf erhe­ben, Trägerin sa­kraler Funktionen zu sein. Seitdem Christus Priester und König ist, kann es priesterliches Königtum nur noch in dem Volke Gottes ge­ben, das in der Ekklesia die Myste­rien des priesterlichen Königs be­geht. In der Kirche werden – der heilige Augustinus hat diesen Ge­danken oft betont[43] – alle mit dem heiligen Chrisma der Taufe Ge­salbten zu einem priesterlichen Königtum gesalbt. »Ale, die wir un­ter den Fahnen Christus des Königs als Soldaten zu dienen uns rüh­men, mögen zugleich mit ihm am himmlischen Sitze herrschen«, bittet die Postcommunio des Christ-König-Festes. Doch anders ist die Teilhabe am Leiden und am Priestertum Christi »in der figürli­chen Repräsentation« des Sakramentes und anders in »der Nachah­mung im Werk« [S. Themas, S. theol. III 66, 12], und darum ist auch die Teilnah­me an der Glorie und am Königtum Christi in der Kirche verschieden. Die heiligen Märtyrer, die »in der Nachah­mung im Werk« am Opfer des ewigen Hohenpriesters teilhaben, sind in einem besonderen Sinne an dem Königtum Christi beteiligt. Sie, die den Kelch mit Jesus ge­trunken haben, sitzen schon jetzt mit ihm auf dem Thron, um nicht nur die zwölf Stämme Israels [Matth. 19, 28], sondern auch Kosmos und Engel [I. Kor. 6, 2 f.] zu richten. Die Mär­tyrer, die dem Lamme gefolgt sind, wohin es geht [Apoc. 14,4], haben durch ihren Tod ge­zeigt, daß es kein Königtum Chri­sti ohne sein Priestertum gibt, sind doch Tod und Glorie der Märty­rer nichts anderes als die adäquateste Form der Realisierung des priesterlichen König­tums Christi in den Gliedern seines mystischen Leibes.

Ursprünglich erschienen als Zeuge der Wahrheit, Leipzig: Hegner, 1937.

Quelle: Erik Peterson, Theologische Traktate, Ausgewählte Schriften 1, hrsg. v. Barbara Nichtweiß, Würzburg: Echter, 1994, S. 93-129.


[1] E. Lohmeyer in seinem Kommentar zum Philipperbrief.
[2] Vgl. H. v. Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche. Göttingen 1936. Das sorgfältig gear­beitete Buch bringt sich aus konfessionellen Vorurteilen heraus um ein zusammenhängendes Verständnis des altchristlichen Märtyrerbegriffs.
[3] Der Begriff des Märtyrers gehört der eschatologischen Verkündigung des Urchristentums an. Die neuere Dis­kussion hat die Herkunft aus diesem Gedankenzusammenhang nicht immer klar herausgestellt.
[4] Es scheint mir ein Fehler in der konfessionellen Auseinandersetzung zu sein, daß man immer von dem Begriff des Heiligen, statt von dem des Märtyrers ausgeht. Der Märtyrer ist die paradigmatische Kategorie für das, was ein »Heiliger« im katholischen Sinne ist.
[5] Da es Martyrium nur für den mystischen Leib Christi gibt, können Häretiker, die von diesem Leibe getrennt sind, nach kirchlicher Lehre keine Märtyrer werden, auch wenn es ihnen an Glaubenseifer nicht fehlen sollte.
[6] Es ist merkwürdig, daß in den in den letzten Jahren zahlreich erschienenen Werken über den Leib Christi [Mersch, Jürgensmeier u. a.] die Stellung der Märtyrer nicht ausführlich behandelt worden ist.
[7] Dadurch, daß die Bluttaufe den Vorrang nicht als Sakrament hat [ad 1], darf man sich nicht zu dem Mißver­ständnis verleiten lassen, die Bluttaufe als ein blo¬ßes »Ersatzmittele der Wassertaufe [vgl. z. B. Atzherger in Bd. IV der Dogmatik Scheebens S. 535 und den Kommentator der deutschen Thomas-Ausgabe Bd. 29, S. 515] aufzufassen.
[8] Cyrill. Hier. Catech. XIII 21.
[9] Vgl. die diesbezügliche Lehre des heiligen Ambrosius. Siehe Niederhuber, Die Lehre des Ambrosius vom Reiche Gottes auf Erden. Mainz 1904, S. 148.
[10] Contra Arianos III 57.
[11] So drückt der heilige Damasus den Tatbestand aus.
[12] Man erinnere sich nur an Hippolyts Gebrauch der Apokalypse oder an Cyprians paränetische Ausmünzung derselben [z. B. Ep. 12, I; 58, 7; 65, 1 oder De bono patentiae c. 21. Besonders häufig in: Ad Fonunatum, usw.].
[13] Die Orientierung an diesem Buch in der Zeit der Martyrien und in der Zeit des politischen Zusammenbruches des Imperiums hat jedesmal eine sachliche, im Charakter der Geheimen Offenbarung gegebene Grundlage.
[14] Über die Abgrenzung der Begriffe Märtyrer und Konfessor siehe Delehaye, Sanctus [Bruxelles 1927], S. 74ff.
[15] Das Neue Testament gebraucht das Wort Apokalypse = Offenbarung nicht für die erste Ankunft Jesu.
[16] II. Kor. 1,5-7; 4,17; Röm. 5,3-5; 8, 17f.
[17] Die Leidensgemeinschaft, in der sich der Gemeinschaftsbegriff der Kirche konstituiert, ist kein soziologischer, in der Sphäre des Historischen auftretender Begriff, sondern ein eschatologisches Phänomen, das alle natürlichen Gemeinschaftsbegriffe transzendiert.
[18] Ich habe [im Gegensatz zu meiner früheren Übersetzung (im »Hochland«)] von »Mitteilhaftigkeit« und nicht von Kameradschaft gesprochen, da der Begriff der »Kameradschaft« nicht den eschatologischen und transzen­dierenden Sinn auszudrücken vermag, der an dieser Stelle gemeint ist.
[19] Die »kosmischen« Begriffe des Urchristentums hängen eng mit der Eschatologie zusammen.
[20] Röm. 8,24; Phil. 1,20.
[21] Vgl. Phil. 1,20.
[22] Nur unter dieser Voraussetzung begreift man, daß die Berichte über die Leiden der Märtyrer als Gerichtsproto­kolle ausgegeben worden sind.
[23] Es ist sinnlos, wenn Protestanten die »Theologie des Kreuzes« einer »Theologie der Glorie« entgegensetzen. Die »Theologie der Glorie«, die das Evangelium des heiligen Johannes verkündet, hat ihre Wurzel in der »Theo­lo­gie des Kreuzes«, die der heilige Johannes in der Apokalypse predigt.
[24] Non ergo nobis erubescenda est ignominia crucis Christi, quam contra omnia humana opprobria, in eminen­tiori corporis parte, id est in fronte gestamus. Amulo, Liber contra Judaeos. Migne P. L. 116 Sp. 158 D.
[25] Wie das Leiden nicht nur menschliche Trübsal, sondern auch kosmisches Leid ist, so wird nicht nur der Mensch, sondern auch der Kosmos offenbar.
[26] Man braucht nur einmal an den Arianismus im Altertum oder an den mittelalterlichen Averroismus zu denken.
[27] Damit ist gegeben, daß die »Neutralität« des Liberalismus Christus gegenüber immer nur ein Übergangssta­dium sein kann.
[28] Daß der Kosmos in allen seinen Teilen und nicht der Mensch allein »gestraft« wird, entspricht der schon öfter erwähnten Korrespondenz von Kosmos und Mensch.
[29] Darum wird ausdrücklich hinzugefügt, daß die beiden Zeugen in der großen Stadt leiden, »wo auch ihr Herr gekreuzigt ward«.
[30] Vgl. II. Thess. 2, 7. Es ist bedeutsam, daß in II. Thess. 2, 3ff. von der »Enthüllung« [apokalýptein] des »Soh­nes des Verderbens« [= Antichrist] gesprochen wird.
[31] Nur der Gnostiker, der dem Martyrium sich entzieht, kann von Gottes Schöpfung schlecht sprechen.
[32] Siehe die Homilie Leos des Großen in der 4. Lektion des Offiziums von Epiphanie.
[33] Martyres non loquendo, sed moriendo confessi sunt, heißt es in der Oration des Festes Ss. Innocentum marty­rum vom 28. Dezember.
[34] In der Enzyklika von Pius XI. zur Einführung des Christ-Königs-Festes [Quas primas vom 28. Dezember 1925] wird dieser Hymnus als »perbelle« zitiert. Siehe Acta Apostolicae Sedis XVII, 1925, p. 600.
[35] Der Text Joh. 18, 33-37 ist bekanntlich Lektion des Christ-Königs-Festes.
[36] Vgl. Apg. 4,27: »Wahrhaftig, es haben sich in dieser Stadtvereinigt Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels gegen Jesus, Deinen heiligen Knecht, den Du gesalbt hast.«
[37] Der Versuch von Kattenbusch, Das apostolische Symbol Bd. II, S. 631, die Nennung des Namens des Pilatus aus der Übernahme einer exorzistischen Formel zu erklären, bedeutet im Grunde den Verzicht auf eine Erklä­rung. Die Ausführungen von H. von Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche [Göttin­gen 1936, S. 50 f.], sind mir nicht verständlich. Es scheint mir sicher, daß die martyría Jesu in I. Timoth. 6,13 (genauer: martýrōn homologían) das eschatologische martýrion ist, das Jesus in der Aussendungsrede [Mk 6, 11) auch den Jüngern zu üben aufträgt.
[38] Ignatius, Magn. 11 hat betont, daß die Auferstehung zur Zeit der Statthalterschaft des Pontius Pilatus erfolgt sei.
[39] Die auffallenden gedanklichen Übereinstimmungen zwischen Evangelium und Apokalypse lassen es für mich gänzlich ausgeschlossen erscheinen, daß die beiden Schriften verschiedene Verfasser haben.
[40] Die Universalität des Königreiches Christi ist auch in den Texten des Christ-Königs-Festes und in der Enzyk­lika von Pius XI. aus Anlaß der Einführung dieses Festes [Quas primas vom II. Dezember 1925] nachdrücklich hervorgehoben worden.
[41] Vgl. Christus als Imperator [S. 149 ff.].
[42] Vgl. z. B. F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Leipzig 1915, S. 113. Ähnliches kommt auch in Byzanz. vor, vgl. z. B. H. Gelzer in Historische Zeitschrift 1901, S. 202 f. Vgl. auch Tellenbach, Libertas, S. 42, 45. [Schon im Tomus von Papst Gelasius findet sich eine verwandte Argumenta­tion.]
[43] Vgl. Fr. Hofmann, Der Kirchenbegriff des heiligen Augustinus. München 1933, S. 158f. und 275, ferner Damasus Zähringer, Das kirchliche Priestertum nach dem heiligen Augustinus (Forschungen zur christl. Litera­tur und Dogmengeschichte XVII 1,2], Paderborn 1931, S. 201 ff. Die Frage, ob Taufe oder Firmung die Anteil­nahme am Priestertum Christ‘ verleiht, braucht hier nicht erörtert zu werden.

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