Unterschiedliche Aspekte und Weisen des Glaubens: „Der angefochtene Glaube sieht sich durch die eigene Welterfahrung in dem zu Ver­trauenden angefochten und ist deshalb sich selbst nicht sicher. In der Anfechtung wird man von der göttlichen Zusage contra experientiam immer wieder neu herausgefordert.“

Unterschiedliche Aspekte und Weisen des Glaubens

An Stelle eines entwicklungspsychologischen Stufenmodells des Glaubens (James H. Fowler, Stages of Faith, 1981), das sich an einem platonischen Aufstiegsmodell des Denkens zum Einen hin orientiert, tut man besser daran, von verschiedenen Glaubensweisen zu sprechen.

Vernünftiger Glaube: Was ich glau­be, muss sich mir rational erschließen. Gegenüber vorgegebenen Glaubensinhalten bin ich kritisch. Unvernünftiges empfinde ich als unerträgliche Zumutung. Das „Glaubliche“ hat sich letztlich in eine naturalistische Weltanschauung ohne „Übernatürliches“ einzufügen.

Propositionalistischer Glaube: Der Glaube gilt einem System zusam­menhängender Glau­benssätzen (propositions). Diese haben eine weltanschauliche Geltung, die auf einer autoritativen Überlieferung, z.B. die Bibel, beruht. Der „Gläubige“ sucht sich diese Glaubensartikel rational zu erschließen und verteidigt deren Geltung kompromisslos (Fundamentalismus). Da­hinter steht die Logik, dass die Preisgabe eines Glaubensartikels die anderen Artikel ebenfalls in Misskredit bringt.

Mystischer Glaube: Er gilt dem letztgültig Einen, das begriffliches Denken übersteigt und die eigene Seele kontemplativ für sich einnimmt. Das solchermaßen Geglaubte kann geheimnisvoll auf sich beruhen, geht es doch über das sprachlich Sagbare hinaus (apophatisch, via negativa). Konkrete Aussagen werden auf die eine höhere (oder innere) Wahrheit hin symbolisch bzw. metaphorisch verstanden. Widersprüchlichkeiten können damit aufgehoben werden.

Moralischer Glaube: Dieser Glaube ist weniger auf eine Weltanschauung als vielmehr auf eine individuelle bzw. gemeinschaftliche Lebensanweisung hin orientiert. Dazu heißt es, reli­giös autorisierten Geboten und Regeln gehorsam zu sein. Es zählt, was dem zwischen­mensch­lichen Zusammenleben und der eigenen sittlichen Vervollkommnung dient. Das Gött­liche soll das moralische Sterben der Menschen als zweckhaft garantieren.

Kompensatorischer Glaube: In der Welterfahrung treten Ereignisse und Geschehen auf, die Menschen seelisch zu schaffen machen. Der Glaube richtet sich angesichts wahrgenommener Lebensdefizite und persönlicher Verluste auf einen höheren Sinn aus, der solche Defizite und Verluste zu kompensieren weiß. Das Sinnlose soll also im Glauben doch noch seinen Sinn finden. Somit dient dieser Glaube zur religiösen Kontingenzbewältigung.

Konfirmativer Glaube: Für die eigene Lebensführung mit deren Bestrebungen sucht der Glauben göttliches Wohlwollen und eigene Bestärkung.

Prophetisch-apokalyptischer Glaube: Der Glaube macht sich an göttlichen Ansagen bzw. göttlichen Zusagen im Hinblick auf die Zukunft fest. Gegenwärtige Wirklichkeitserfahrung werden in dem Vertrauen auf ein radikal Neues „hintergangen“ (vgl. Hebr 11,1; 1Joh 3,2; Offb 21,5; 2.Petr 3,13). Der Grund zu dieser Hoffnung wird im gottmenschlichem Christus-Geschehen festgemacht.

Naiver Glaube: Dieser Glaube gilt als einfältig, nimmt für „bare Münze“, was ausgesprochen worden ist, hinterfragt nicht, sucht keinen höheren Sinn, sondern findet sich kindlich in einem göttlichen Vertrauensverhältnis wieder und bittet ihn „wie die lieben Kinder ihren lieben Vater“ (Luther – Kleiner Katechismus).

Angefochtener Glaube: Der Glaube sieht sich durch die eigene Welterfahrung in dem zu Ver­trauenden angefochten und ist deshalb sich selbst nicht sicher. In der Anfechtung wird man von der göttlichen Zusage contra experientiam immer wieder neu herausgefordert.

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