Am 10. Februar 1948, also heute vor 75 Jahre verstarb Wilhelm Freiherr von Pechmann:
Wilhelm Freiherr von Pechmann wurde 1859 in Memmingen geboren und evangelisch getauft, in der Konfession seiner Mutter, während sein Vater, Erster Staatsanwalt in Memmingen, einer alten katholischen, im 18. Jahrhundert in den Reichsfreiherrenstand erhobenen Familie entstammte. Nach seinem Jurastudium arbeitete Pechmann ab 1886 als juristische Hilfskraft in der Bayerischen Handelsbank in München und heiratete Emma von Feilitzsch, mit der er drei Kinder hatte. 1898 wurde er zum Direktor der Bayerischen Handelsbank ernannt. Um die Jahrhundertwende begann auch Pechmanns kirchliche Karriere, als er 1901 zum Mitglied der Bayerischen Generalsynode berufen wurde. Er wurde mit einem theologischen Ehrendoktortitel der Universität Erlangen ausgezeichnet. Der nationalistisch gesinnte Pechmann war von 1919 bis 1922 der erste gewählte Synodalpräsident der Bayerischen Landeskirche. Er wurde auch Mitglied des Ständigen Ausschusses des Lutherischen Weltkonvents (seit 1947: Lutherischer Weltbund) und des 1903 gebildeten Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses, des ständigen Dachverbandes der evangelischen Landeskirchen Deutschlands.
Pechmann betrauerte wie die meisten seiner Zeitgenossen die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg, stand der Weimarer Republik misstrauisch gegenüber und war als Lutheraner Anhänger der Zwei-Reiche-Lehre. Der bereits über Siebzigjährige erkannte in der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine akute Bedrohung der Christen durch einen totalitären Staat. Durch seine Tätigkeit als Bankdirektor stand er in ständigem Kontakt zu jüdischen Kollegen unterschiedlicher politischer Ausrichtung und nahm deren Ausgrenzung und beginnende Verfolgung früh wahr.
1933 bezog Pechmann entschieden Stellung. Auf einer außerordentlichen Sitzung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses am 26. April in Berlin sollten die Unabhängigkeit der Kirche im «Dritten Reich» und die Haltung zur sogenannten Judenfrage diskutiert werden. Schon zwei Wochen zuvor, am 12. April, hatte Pechmann ein Schreiben an den Präsidenten des Kirchenausschusses, den Juristen Hermann Paul Kapier, gerichtet und seine Beunruhigung über die zunehmende Entrechtung und Verfolgung von Juden zum Ausdruck gebracht:
„Ich denke […] an die in wechselnden Formen immer noch fortgehende Bewegung gegen die Juden. Im weitesten Maße richtet sich diese Bewegung gegen Angehörige unserer eigenen Kirche, […] und sie hat über ungezählte Familien, die sich mit vollem Recht christlich nennen, namenloses Leid gebracht. Angstvoll warten diese unsere Kirchenmitglieder von einem Tag zum anderen auf ein Wort ihrer Kirche, welche ihnen, wie sie mit vollem Recht annehmen, schuldig ist, sie zu schützen. Aber darüber hinaus kann und darf die Kirche auch zu dem nicht schweigen, was unter Verletzung christlicher Gerechtigkeit und Liebe gegen jüdische Volksgenossen geschehen ist und geschieht. Auch hier hat die Kirche eine Mission zu erfüllen, der sie sich nicht entziehen kann, ohne sich selbst untreu zu werden: gar nicht zu reden von den ebenso verhängnisvollen wie unausbleiblichen Rückwirkungen, welche ein längeres Schweigen unserer Kirche auf ihre Stellung im Ganzen der ökumenischen Christenheit nach sich ziehen muß.“
Pechmann hatte schon zuvor auf ein gemeinsames Vorgehen mit der römisch-katholischen Kirche gedrängt und mahnte nun mit Blick auf das Ansehen von Kirche und Christen in der Ökumene, gegen die Judenverfolgung entschieden aufzutreten. Am 26. April bemühte er sich zäh darum, seine kurze und klare Erklärung zur «Judenfrage» durchzusetzen:
„1. Wir bekennen uns zu allen Gliedern unserer Kirche ohne Unterschied der Abstammung, auch und gerade zu denen, die ganz oder teilweise jüdischer Abstammung sind. Wir fühlen mit ihnen und wir werden für sie eintreten bis zu den Grenzen des Möglichen.
2. An die Träger der öffentlichen Gewalt aber richten wir die ernste Mahnung, bei allem, was zur Abstellung von Mißständen geschehen soll, die Grenzen nicht zu überschreiten, die durch die Gebote der Gerechtigkeit und der christlichen Liebe gezogen werden.“
Doch Wilhelm von Pechmann hatte keinen Erfolg. Verbittert erklärte er wenig später seinen Rücktritt als Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses und als Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages. In den folgenden Jahren machte er in unzähligen Briefen an Kirchenvertreter im europäischen Ausland auf die Situation der Christen und Juden unter der NS-Herrschaft aufmerksam und protestierte bei Repräsentanten der Kirche und des Staates gegen das Unrecht. Weil alle seine Versuche scheiterten, erklärte der knapp fünfundsiebzigjährige Pechmann am 2. April 1934 mit einem Schreiben an Reichsbischof Ludwig Müller, das im selben Jahr veröffentlicht wurde, seinen Austritt aus der Deutschen Evangelischen Kirche. Er begründete seine Entscheidung folgendermaßen:
„Nun habe ich zwar, Sie wissen es ja, seit April vorigen Jahres oft und oft protestiert: gegen die Vergewaltigung der Kirche, gegen ihren Mangel an Widerstandskraft, auch gegen ihr Schweigen zu viel Unrecht und zu all dem Jammer und Herzeleid, das man, aus einem Extrem ins andere fallend, in ungezählte «nichtarische» Herzen und Häuser, christliche und jüdische, getragen hat. Aber ich habe bisher nur in Wort und in Schrift protestiert, und immer ganz vergeblich. Es ist Zeit, einen Schritt weiterzugehen, d.h. durch den Austritt aus einer Kirche zu protestieren, die aufhört, Kirche zu sein, wenn sie nicht abläßt, die auch von Ihnen wieder proklamierte «Einheit zwischen Nationalsozialismus und Kirche» zu einem integrierenden Bestandteil ihres Wesens, zur Richtschnur ihrer Verwaltung zu machen; wenn sie nicht abläßt, sich einem Totalitätsanspruch zu unterwerfen, in dem ich schon an sich, vollends aber in seiner Anwendung auf Glauben und Kirche, nichts anderes zu erkennen vermag als einen Rückfall in vor- und widerchristlichen Absolutismus.“ (Junge Kirche 2, 1934, Heft 8, S. 337)
Der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die zu den «intakten» Landeskirchen gehörte, in denen die Deutschen Christen bei den aufgezwungenen Wahlen keine Mehrheit bekommen hatten, fühlte sich Pechmann jedoch weiter verbunden. Gut zwei Jahre später wurde er Mitglied der Bekennenden Kirche.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konvertierte Pechmann, enttäuscht über die mangelnde Bußfertigkeit in der Bayerischen Landeskirche unter ihrem Bischof Hans Meiser, zum Katholizismus und wurde am 12. Juni 1946 von Kardinal Michael Faulhaber gefirmt. Wilhelm Freiherr von Pechmann starb am 10. Februar 1948 in München.
Quelle: Margot Käßmann/Anke Silomon (Hrsg.), Gott will Taten sehen. Christlicher Widerstand gegen Hitler, München: C.H. Beck, 2013, S. 49-52.