Christoph Friedrich Blumhardt (1842-1919)
Von Gerhard Sauter
Christoph Friedrich Blumhardt, auch der Jüngere genannt, war seit 1869 Mitarbeiter, dann Nachfolger seines Vaters Joh. Chr. Blumhardt in Bad Boll, ging von dessen Verkündigung und Erfahrungen aus. In ihrer Auswirkung sah er jedoch die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß die Gaben des Reiches Gottes zur Stütze eines religiösen Heilsverlangens mißbraucht werden könnten. Deshalb stellte er der „Religion“ als Inbegriff frommer Selbstbehauptung und als Ausdruck des Wunsches, vor den Gefährdungen des Daseins geschützt zu werden, die „Offenbarung“ der Gottesherrschaft entgegen, die die Welt verwandelt und erst dadurch Raum zum Leben mit Gott gibt. Gottes Kommen ist an keine menschlichen Bedingungen gebunden, sondern begegnet der Menschheit als die jeden Widerstand überwindende und alle Gegensätze versöhnende Liebe. Gott ist ein Gott für die Welt, und deshalb ist die Erlösung zum wahrhaften Leben im Diesseits zu erhoffen, statt bloß „selig sterben“ zu wollen. „Ihr Menschen seid Gottes!“ wird darum zum Kernsatz der Botschaft Blumhardts. Sie begründet seine Kritik an der Weltflucht und falschen Selbstgenügsamkeit des Christentums,, aber auch an einer Kirche, die sich nur als Bestandteil der Kultur versteht und sich in ihrem Bündnis mit dem Staat von den Armen und Bedrängten abgewandt hat. Doch in der Welt, gerade auch in den vom europäischen Imperialismus beherrschten Völkern, sei das Seufzen der Unerlösten zu vernehmen. Ihnen gelte es zu verkündigen, daß „Jesus der Trotz gegen Sünde, Armut und Elend“ sei. Dies richtet sich auch gegen die zu Blumhardts Zeit vorherrschende Missionsidee, die sich weitgehend auf eine Bekehrung zu abendländisch-christl. Lebensformen beschränkte, statt zum Zusammenleben in einer neuen Menschheit beizutragen.
Blumhardt konnte mit dieser Ausrichtung auch vom Fortschritt der Sache Gottes und vom „Glauben an die Menschheit“ sprechen, der Gottes Rettung ohne jeden Vorbehalt gilt, auch durch die göttl. Gerichte hindurch. Gottes Heilsziel sei ein „irdisches, bei dem es sich darum handelt, daß auf Erden die Zustände gerecht und gut werden“. Aus dieser Einsicht schloß Blumhardt sich 1899 der Sozialdemokratie an. Äußerer Anlaß war die „Zuchthausvorlage“, die schon die bloße Aufforderung zur Arbeitseinstellung mit Zuchthausstrafe bedrohte. Im gleichen Jahre wurde Blumhardt mit vier anderen Vertretern der SPD in den Stuttgarter Landtag gewählt. Das württ. Konsistorium beantwortete diesen Schritt mit der Aufforderung, auf Amt und Titel eines Pfarrers zu verzichten. Blumhardt nahm diese Entscheidung an, nicht ohne den Mangel an Freiheit innerhalb der Kirche zu bedauern. Seinen Entschluß wollte er als Zeichen der Solidarität für die „Elenden und Verlorenen“ und als Hinweis auf den tatsächlichen Zustand der Gesellschaft verstanden wissen. Für sein Mandat setzte er sich ein, beteiligte sich an allen Fraktionssitzungen wie an der Justizgesetzgebungskommission, wo er für die Landwirte und ihre Selbsthilfe durch Genossenschaften eintrat, den simultanen Charakter der Volksschule befürwortete und das Recht auf geistl. Ortsschulaufsicht bestritt. 1906 verweigerte er sich angesichts der zunehmenden ideologischen Verhärtung der SPD seit dem Dresdener Parteitag (1903) seiner Wiederwahl und zog sich aus der Politik zurück, ohne zu polit. Ereignissen zu schweigen. Er protestierte gegen den „Industrie- und Militärgeist“, gegen die Kolonialpolitik und sah die Entwicklung zum Kriege voraus. Bestimmend für seine Sicht der Gesellschaft, deren Nöte er auf die Selbstsucht des Einzelnen zurückführte, blieb jedoch die Zuversicht, daß Gottes Herrschaft auch alle weltgeschichtl. Erschütterungen sich unterwirft. Seine Gedanken wurden u.a. vom Schweizer Religiösen Sozialismus (H. Kutter, L. Ragaz) und durch die Vermittlung E. Thurneysens von K. Barth aufgenommen.
Lit.: R. Lejeune (ed.), Predigten und AndachtenI-IV, Erlenbach/Zürich und Leipzig 1925-1937 – A. Rich (ed.), Christus in der Welt, Briefe, Zürich 1958 – J. Harder (ed.), Ansprachen – Predigten – Reden – Briefe 1865-1917I-III, 1978 – L. Ragaz, Der Kampf um das Reich Gottes in Blumhardt, Vater und Sohn – und weiter! Zürich, München und Leipzig 1922 – E. Thurneysen, Chr. Blumhardt, 1926 (1962) – P. Schütz, Säkulare Religion, 1932 – P. Scherding, Christophe Blumhardt et son père, Straßburg 1937 – R. Lejeune (ed.), Chr. Blumhardt und seine Botschaft, Zürich, München und Leipzig 1938 – E. Jäckh, Chr. Blumhardt, 1950 – G. Sauter, Die Theologie des Reiches Gottes beim älteren und jüngeren Blumhardt, Zürich und Stuttgart 1962 – W. Jäckh, Blumhardt Vater und Sohn und ihre Welt, 1977 – K.-J. Meier, Chr. Blumhardt. Christ, Sozialist, Theologe, Bern/Frankfurt a.M./Las Vegas 1979.
Quelle: Theodor Schober/Martin Honecker/Horst Dahlhaus (Hrsg.), Evangelisches Soziallexikon, 7. A., Stuttgart: Kreuz Verlag 1980, Sp. 188f.
Lieber Jochen,
Ganz vielen Dank für diese Erinnerung. Das ist doch auch eine super Stimme gegen den „Missbrauch des ‚pro me‘“ und die Gnosis in der Philosophie (Heidegger u.co).
Herzlichen Gruß
Hans