Hirtenbrief des bayerischen Oberkonsistoriums „an seine Pfarrer, Hilfsgeistlichen und exponierten Vikare“ zur Fortsetzung der Kriegsanstrengungen im 1. Weltkrieg (1916): „Dieses Gefühl konnte geradezu gefährlich werden, wenn es sich mit religiösen Vorstellungen verband etwa derart, daß der christliche Sinn das Blutvergießen nicht länger gutheißen könne, daß die christliche Selbstlosigkeit es erlaube, wenn nicht fordere, auf eine volle Sühne des an uns verbrochenen Unrechts zu verzichten, und dergleichen.“

Hirtenbrief zur Passionszeit. Aus einem Aufruf des bayerischen Oberkonsistoriums 1916 „an seine Pfarrer, Hilfsgeistlichen und exponierten Vikare“

Wie Patriarch Kyrill mit Kriegspredigten den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu unterstützen sucht hat Parallelen in der Haltung der Evangelischen Kirchen im Deutschen Reich während des Ersten Weltkriegs. Dazu aus einem Hirtenbrief zur Passionszeit 1916, den das bayerischen Oberkonsistoriums „an seine Pfarrer, Hilfsgeistlichen und exponierten Vikare“ gerichtet hatte:

Daß manche unter uns – und vielleicht sind ihrer schon viele – nach zwanzigmonatlicher Kriegsdauer ein Ermüden beschleichen will, das ist ja leicht wahrzunehmen. So wie das deutsche Volk nach seiner Gemüts­anlage weit entfernt ist von der maßlosen Gewinnsucht wie von der rasenden Ehrsucht seiner Feinde und nur widerstrebend in diesen Krieg eingetreten ist, kann es ja gar nicht anders, als im tiefsten Grund ein Grauen empfinden vor dem furchtbaren Werk, das ihm aufgenötigt ist … Und dieses Gefühl konnte geradezu gefährlich werden, wenn es sich mit religiösen Vorstellungen verband etwa derart, daß der christliche Sinn das Blutvergießen nicht länger gutheißen könne, daß die christliche Selbstlosigkeit es erlaube, wenn nicht fordere, auf eine volle Sühne des an uns verbrochenen Unrechts zu verzichten, und dergleichen.

Aber das darf nicht sein! Und wir Geistlichen, die es mit unserem Volk gut meinen und von einer Warte aus, wie sie ihnen erreichbar ist, die Gegenwart beurteilen, dürfen solchen Gedanken nicht entgegen­kommen oder ihnen Vorschub leisten. Ist unser Volk mit gutem Gewis­sen in den Krieg eingetreten und hat es die Kriegslast als eine von Gott auferlegte auf sich genommen, dann muß es sie auch weiter tragen, bis sie ihm von Gott abgenommen wird. Denn es ist nicht entfernt an dem, daß unser Volk schon unter seiner Kriegslast zusammenbräche oder der Zusammenbruch in der nächsten Zeit bevorstünde. Nur schwer will die Last allmählich werden; sie beginnt zu drücken … Darum, weil sie drü­cken, sie abzuwerfen, als wären sie schon unerträglich geworden, wäre ein Ungehorsam gegen den, der die Last auferlegt hat, wäre ein Abfall von dem Glauben, mit welchem unser Volk in den Krieg gezogen ist. Wie wenig entspräche das dem großen Vorbild der aushaltenden Geduld, an welches die Heilige Schrift (Hebr 5,7.8; 12,1-12) erinnert! …

Unsere Geistlichen haben sich bis jetzt vielen Dank verdient. Sie verdienen sich noch größeren, wenn sie in Rücksicht auf den Einfluß, den sie besitzen, in Rücksicht auf die Tragweite ihres Wortes sich pein­lich hüten, den Stimmungen einer müden Verdrossenheit, einer wahr­haft leidigen Friedenssehnsucht, einer weichlichen Leidensscheu Raum zu geben; wenn sie mit aller Kraft das Beispiel der aushaltenden Geduld selbst geben und dazu ermuntern, daß unser Volk in seiner Passion tapfer aushalte, wie die Väter in ihren Nöten ausgehalten haben.“

Ursprünglich abgedruckt in Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung (AELKZ), 49. Jg. (1916), S. 261f.

Quelle: Karl Hammer, Deutsche Kriegstheologie 1870-1918, München: Kösel, 1971, Nr. 58, S. 243f.

Hier der Text als pdf.

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