Predigtmeditation zu 2.Korinther 5,19-21 (Karfreitag)
Von Hans Joachim Iwand
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Laßt euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. 2. Korinther 5,19-21
En Christo [in Christus] wird uns etwas verkündigt, eine Botschaft Gottes kundgemacht, die weit, weit über das kühnste Utopia der Philosophen hinausgeht. Was Gott an und in Jesus Christus getan, was sich dort ereignet hat, ist kein innerhalb des menschlichen Bewußtseins zu begrenzendes Geschehen, es gilt nicht nur »pro me« [für mich], sondern es gilt zunächst und wahrhaftig pro se [für sich], es gilt vor Gott und durch Gott und darum auch – das ist in unserem Text der zweite, durch den Indikativ der Versöhnungstat Gottes begründetet Schritt: »Laßt euch versöhnen mit Gott« – für uns!. Wer die Sünde wirklich begreifen will, die Sünde in ihrem Sein und Aufgehobensein zugleich, muß sie in Christus sehen, muß sie dort sehen, wohin Gott sie gelegt hat, darf nicht ausgehen von seinem eigenen Welt- und Selbstbewußtsein, sondern muß dem Fingerzeig des logos tes katallages [des Wortes der Versöhnung] nachgehen.
Der Sieg Gottes in Jesus Christus ist endgültig. In der Versöhnungstat Gottes in Jesus Christus haben Sünde, Tod und alle satanischen Mächte den Realgrund ihrer Existenz verloren. Niemand kann im Ernst an die Realität Gottes und an die jener entgöttlichten Mächte zugleich glauben. Entweder Gott bestimmt mit seiner Versöhnungstat in Christo die Welt, dann haben diese Mächte der Sünde und des Todes keinen Anspruch auf Realität, bzw. was sie an Realität noch haben, verdanken sie unserem Unglauben; oder sie sind real, sie machen den Realitätsgrund dieser Welt aus, dann ist Gott keine Realität, dann ist er weder unser Schöpfer noch unser Versöhner noch Erlöser, sondern nur noch eine Größe des frommen Bewußtseins. Das aber ist Unglaube (natürlich oftmals sich selbst unbewußt und darum in der Form des Glaubens).
Der Unglaube verleiht dem Bösen, der Sünde, dem Widergöttlichen seine gegen alles göttliche Recht behauptete Realität. Der Unglaube fürchtet sich. Der Unglaube treibt den Menschen an, dem Bösen aus eigener Anstrengung seine Macht zu nehmen. Ein solcher Mensch glaubt nicht und weiß nicht, was seine Lippen doch nur zu oft singen, »das macht, er ist gerichtʼt, ein Wörtlein kann ihn fällen«. Indem der Unglaube der Sünde innerweltliche Realität zuspricht und die Welt dem Argen überläßt, verlegt er die Versöhnungstat in das entweltlichte Subjekt und hebt sie damit in ihrer göttlichen Absicht als den für die Welt gültigen und endgültigen Sieg Christi auf. Der Unglaube sieht nicht, daß in der Versöhnungstat Jesu Christi, in seinem »Zur-Sünde-gemacht-Werden«, die Sünde ihren Realitätsgrund ein für allemal verloren hat. Er beansprucht die Versöhnung nur für sich, die doch dem Kosmos gilt. So restituiert er, in einer Art schöpferischer Kraft der Negation, das Sein der widergöttlichen Mächte im Kosmos. Sie leben in der Tat von ihm, er setzt die Entthronten wieder in ihre Rechte ein.
Dieses Weltbild, in dem die Sünde und der Tod regieren, ist gänzlich subjektiv, es verdeckt die Wirklichkeit und Wahrheit Gottes, wie sie in seiner Versöhnungstat und Versöhnungsbotschaft vor uns stehen. Der Unglaube kann nicht anders, er muß dort Wirklichkeit sehen, wo keine ist, und vermag dort keine zu sehen, wo sie – und zwar für alle Zeit – jetzt schon faßbar ist. Sonst wäre er ja nicht der Unglaube. Er subjektiviert das Welt-Bild, er lebt in »seiner« Welt, in der Welt des um sich selbst kreisenden Menschen, die Welt Gottes ist ihm verschlossen, darum muß er sich die Welt verzeichnen und entstellen, er kann nicht glauben, daß Gott mit ihr versöhnt ist. Wie ein Blinder sich eine selbstgemachte Vorstellung der Außenwelt machen muß, weil er sie nicht sehen kann, so auch er. Er muß sie anders sehen, als sie ist.
Es ist also nicht an dem, daß der Glaube die subjektive, auf das gläubige Subjekt und seine Erfahrung reduzierbare »Sicht der Dinge« hat, während der Nicht-Glaube, der rationale Verstand, der Skeptiker, der infidelis [der Ungläubige] behaupten könnte, daß er die Wirklichkeit sieht, wie sie ist. Nein: Die Wirklichkeit sehen, wie sie ist, das hieße die Welt vom Kreuze Christi sehen.
Mit der Versöhnungstat Gottes ist nicht ein »Faktum« gegeben, über das sich nun die Menschen Gedanken und infolgedessen auch Worte machen, sondern Gott hat mit Seinem Wort seine Versöhnungstat in Lauf gesetzt. Wäre es anders, woher nähme der Apostel die Vollmacht, die Welt zur Versöhnung mit Gott aufzurufen, woher nähme die Gemeinde die Gewißheit, sich versöhnt zu wissen? Was für eine Vermessenheit, was für ein durch nichts begründeter, rosaroter Optimismus stünde sonst hinter unserer Versöhnungsbotschaft und unserem Versöhnungsglauben!
Aber nun, da es so ist, da im Wort von der Versöhnung die Tat der Versöhnung von Gott her in Geltung gesetzt ist, wäre es umgekehrt ein böser, glaubensloser und ungehorsamer Pessimismus, dieses Wort nicht bis an die Enden der Welt auszubreiten und mit ihm die Welt durch die Gemeinde zur Versöhnung aufzurufen.
Quelle: Hans Joachim Iwand, Predigtmeditationen, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1963, S. 547-555 (in Auszügen).