Extra nos — pro nobis — in nobis
Von Karl Barth
Ein Christ ist ein solcher Mensch, dem es nicht verborgen ist, daß in der Geschichte Jesu Christi seine eigene Geschichte mitgeschehen ist, indem sie sich ihm nämlich — als in der Macht des Heiligen Geistes lebendig zu ihm gesprochenes und von ihm vernommenes Wort — als das entscheidende, das seine Existenz als Christ begründende Ereignis erschloß, indem er sich selbst in der Mitte aller anderen Menschen als einen von denen erkennen durfte, für die, an deren Stelle Jesus Christus getan hat, was er tat. Der Christ ist ein Mensch, in dessen Leben Jesus Christus als das Subjekt jener seiner Geschichte hineingetreten, dessen anerkannter, erkannter und bekannter Herr Er geworden ist, dem er eben damit aktiven Anteil an jener seiner Geschichte gegeben hat. So wurde und so ist Jesus Christus, seine Geschichte, die Begründung der christlichen Existenz: sie und nur sie. Von ihm, von seiner Geschichte, von ihrer Erkenntnis kommt der Christ her, auf sie blickt er zurück. Sie ist der Boden, auf dem er steht und geht. Sie ist die Luft, in der er atmet. Sie ist das Wort, das er vor, über und nach allen anderen Worten in den Ohren hat. Sie ist das Licht — das eine, aber unvergleichlich helle Licht — das ihm leuchtet.
Was ist denn das neue Kleid, das der Christ angezogen hat — freilich auch immer wieder anzuziehen hat — und als dessen Träger er ein Christ ist? Der „neue Mensch“? Ja, aber aller vielleicht noch bleibende Schein als ob es sich bei diesem um ein selbstfabriziertes Kostüm — und dann eben doch nur um ein neues Kostüm handle, in welchem sein Träger der alte bliebe, fällt dahin, wenn Gal 3,27, Röm 13,14 ausdrücklich gesagt wird: indem einer Christus anzieht, zieht er den alten Menschen aus und den neuen an. Wer anders als er ist der, der 1 Kor 15,47 der zweite, der andere Adam vom Himmel genannt wird, durch den der erste, der irdische Adam abgelöst, überboten, überwunden wird? In seinem, des Lammes Blut sind doch — die Verbindung der Bilder ist kühn genug — die Kleider der Erwählten und Berufe-[16]nen (Apok 7,14; 19,13) weiß gemacht. Und es braucht kaum gesagt zu werden, daß ein Mensch nur im Blick auf Ihn (2 Tim 3,17) ernstlich als „Mensch Gottes“ angeredet werden kann. Wer aber auch da gemeint ist, wo dieser neue der „innere“ Mensch heißt, wird deutlich, wenn die Christen 2 Kor 13,5 aufgefordert werden, sich selbst — eben damit aber in ihnen selbst Christus zu erkennen- Und so wird man wohl auch bei dem neuen, ins Buch des Lebens eingetragenen Namen der Christen am einfachsten und sichersten eben an deren (ihnen nach Apg 11,26 zuerst in Antiochien beigelegten) Namen christianoí und also wieder an den Namen Jesu Christi selbst denken müssen.
Wieder nur als sein Gesetz (Gal 6,2) kann dessen Werk die Erfüllung des von Gott Geforderten in ihre Herzen geschrieben sein. Daß er den noũs kyríou hat, unterscheidet den pneumatischen vom bloß psychischen Menschen (1 Kor 2,16). Durch seine Beschneidung (Kol 2,11) — gemeint ist nach dem Zusammenhang klar: durch seinen Tod — indem Er im Glauben in ihren Herzen wohnt (Eph 3,17) werden und sind diese neuen Herzen Zentren eines neu zu lebenden Lebens.
Nicht anders steht es aber mit der neutestamentlichen Rede von der neuen Geburt und Zeugung, von der her der Mensch allein, von der her er aber sicher ins Reich Gottes komme. Die exousía in der Menschen Kinder Gottes werden, fällt ihnen nicht vom Himmel herab zu, sie kann ihnen auch nicht durch andere Menschen vermittelt werden, geschweige denn, daß sie sie sich selber verschaffen könnten. Sondern der gibt sie ihnen, den auch Johannes der Täufer nur eben bezeugen konnte: der als das wahre Licht in die Welt, zu den Seinigen kam und von den Seinigen nicht aufgenommen wurde — er gibt sie diesen Menschen, und zwar als die Freiheit, an ihn, an seinen Namen zu glauben. So wurden diese Menschen „von Gott gezeugt“ (Joh 1,9-13). Dahin weist aber auch die ohnehin ganz unvorbereitete christologische Wendung des Nikodemus-Gespräches, in welchem in Interpretation des ánōthen (Joh 3,3) zunächst von einer Zeugung ek pneúmatos die Rede gewesen war, in welchem dann aber (v 12) plötzlich das Herabkommen des Menschensohnes vom Himmel und auf Erden seine (mit der Erhöhung der ehernen Schlange in der Wüste verglichene) Erhöhung ans Kreuz als das dem Nikodemus so unbegreifliche Geschehen bezeichnet wird, auf Grund dessen, wer an Ihn glaubt, in Ihm das ewige Leben haben soll. Der andere, der zweite, der letzte Adam selbst wurde eben (wie der erste zur psychḕ zõsa) zum pneũma zōopoioũn (1 Kor 15,45). Durch seine, Jesu Christi Auferstehung wurden die Christen wiedergeboren zu jener lebendigen Hoffnung (1 Petr 13). Daß es Gott gefiel, seinen Sohn in ihm (en emoí) zu offenbaren, besagt der entscheidende Satz in des Paulus eigenem Bericht über seine Bekehrung. Und umgekehrt, aber gleichbedeutend: Ist Einer in Christus, so ist er neue [17] Kreatur (2 Kor 5,17). Durch ihn hat Gott den Geist als das „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung“ über uns ausgegossen (Tit 3,5f). Anders ist es auch in den übrigen Stellen, in denen von der neuen Zeugung und Geburt des Menschen aus Gott die Rede ist, bestimmt nicht gemeint. Wir legen nicht ein, sondern aus, wenn wir formulieren: die nativitas Christi ist die nativitas hominis christiani; der Geburtstag eines jeden Christen ist der Weihnachtstag.
Die Sache wird evident, wenn wir schließlich an die Stellen denken, die den Tod als des Menschen Eingang ins Leben und so als die Begründung der christlichen Existenz beschreiben. Es gibt nach dem Neuen Testament keinen — im wörtlichen oder in einem übertragenen Sinn so zu nennenden — Tod eines Menschen, dem als solchem eine für ihn heilsame Kraft zukäme. Mit einer Mystik des physischen oder auch eines geistigen Sterbens haben diese Stellen, so oft viele von ihnen so verstanden worden sind, nichts zu tun. Wenn das Außerordentliche geschieht, daß Einer (Mk 8,35) sein Leben verliert, um es so (nur so, aber so wirklich) zu retten, bzw. zu gewinnen, dann geschieht das „um meinet- und des Evangeliums willen“ — und das heißt sicher nicht in erster Linie als Märtyrer oder in einem sonstigen bis zur Selbsthingabe gehenden Einsatz für Jesus und seine Sache. Die Aussage kann auch das in sich schließen, entscheidend lautet sie aber dahin: solcher ihm heilsame Verlust seines Lebens widerfährt ihm als einem von denen, die an dem heilsamen, dem Leben rettenden und Leben gewinnenden Lebensverlust des Einen Anteil haben, der der Ursprung, der Inhalt und der Verkündiger des Evangeliums ist — die in seinem an ihrer Stelle und für sie erlittenen Tod gestorben sind und die von da aus, wieder in Gemeinschaft mit ihm. der Auferstehung und dem Leben entgegensehen und entgegengehen dürfen. Von diesem seinem für Viele, für Alle heilsamen Sterben hat Jesus nach Mt 3,15 schon in der Begründung des an Johannes den Täufer gerichteten Befehls (áphes árti) gesprochen, ihn mit allem Volk zur Bußtaufe im Jordan zuzulassen: Denn so alle Gerechtigkeit zu erfüllen, „ziemt uns“ (prépon estin) will sagen: Jesus muß und will sich — und das soll der Täufer, indem er ihn zur Bußtaufe zuläßt, anerkennen — solidarisch mit Allen, ja sich selbst mit Allen identifizierend, dem in der Predigt des Täufers angekündigten göttlichen Gericht unterwerfen und so Alles von allen Menschen als gerecht Geforderte und damit den ganzen gerechten Willen Gottes erfüllen. Er tritt — das bezeugt er, indem er sich mit ihnen und wie sie taufen läßt — sein messianisches Amt an. Mehr noch: er beginnt hier schon, es auszuüben, um es dann am Kreuz von Golgatha zu vollenden — das Amt, in welchem es um die Rechtfertigung, Heiligung und Berufung dieses ganzen elenden Volkes gehen wird und jetzt schon geht. Stille Teilnehmer an seinem Sterben sind also [18] hier schon die mit ihm und wie er von Johannes Getauften: nicht auf Grund ihrer Taufe, wohl aber auf Grund dessen, daß Jesus sich mit ihnen und wie sie taufen läßt und damit sein für sie heilsames Amt antritt und schon auszuüben beginnt. Wie das Geschehen am Jordan und das auf Golgatha als Anfang und Ziel Zusammenhängen, zeigt das Logion Lk 12,50, in welchem das Ziel des Amtes Jesu in seinem Sterben seinerseits als eine Taufe bezeichnet wird: „Ich muß mir einer Taufe getauft werden und wie ist mir bange, bis sie vollendet ist.“ Und daß diese „Todestaufe“ die seiner Jünger und also ihr Sterben in sich schließen wird, kommt Mk 10,35-40 in Sicht: Auf die Bitte der Zebedaiden, in seinem künftigen Reich zu seiner Rechten und Linken sitzen zu dürfen, antwortet da Jesus (1) mit der Feststellung: „Ihr wißt nicht, um was ihr bittet!“ (2) mit der Frage: ob sie denn den Kelch, den er trinkt (er sieht sich also schon im Begriff, es zu tun!), trinken, oder mit der Taufe, mit der er (auch das im Praesens gesagt!) getauft wird, getauft werden könnten, endlich (3) — auf ihre kühne Versicherung, daß sie das wohl könnten — überraschend mit der positiven Zusage: „Ihr werdet den Kelch, den ich trinke, trinken und werdet mit der Taufe getauft werden, mit der ich getauft werde.“ Die Frage nach den Ehrenplätzen bleibt offen: sie werden denen zukommen, denen sie bestimmt und zubereitet sind. Dafür ist die von den Jüngern nicht gestellte, offenbar gar nicht in Erwägung gezogene Frage: wie denn ein Mensch überhaupt zum Eingang in jene Herrlichkeit kommen möchte? klar beantwortet: nicht etwa, indem er an der Todestaufe Jesu teilnehmen „kann“, wohl aber, indem seine Teilnahme an ihr tatsächlich Ereignis werden wird, kommt es dazu. Mag auch da beiläufig — aber wirklich nur beiläufig — der von den Jüngern zu erleidende Märtyrertod visiert sein, so blickt doch diese Vorhersage entscheidend auf das Sterben Jesu selbst, an dem teilzunehmen den Jüngern bestimmt ist. Er trinkt jenen Kelch nicht einsam für sich; er wird mit jener Taufe nicht einsam für sich getauft: an ihrer Stelle und für sie geschieht das. Und so werden in seinem Sterben auch sie sterben und damit wird ihnen der Eingang in die Herrlichkeit (welches auch dort ihre Plätze sein werden) eröffnet werden. So gibt es denn auch nach den übrigen Aussagen des Neuen Testamentes kein solches Gekreuzigtwerden, Sterben und dem Tod Verfallensein eines Menschen, das ihm an sich und als solches heilsam, Eingang in das Reich Gottes, Begründung seiner christlichen Existenz wäre, das die Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben in sich hätte — nochmals: ein Sterben im wörtlichen Sinn nicht und eines in irgendeinem übertragenen Sinne auch nicht. Wie es ja auch keine an sich und als solche heilsame Erzeugung und Geburt des Menschen gibt — selbst wenn man darunter so etwas wie seine geistige, moralische, religiöse Neu-[19]geburt verstehen wollte! Des Menschen Tod an sich und als solcher ist der Sold, der durch die Sünde ausgezahlt wird (Röm 6,23). Durch sic kam er in die Welt und so zu allen Menschen (Röm 5,12.17); sie sticht mit ihm wie mit einem Stachel (1 Kor 15,56); sie herrscht in ihm (Röm 5,21), solange sie es kann und darf. An ihr stirbt der Mensch (Röm 7,10). Die christliche Mystik aller Zeiten, die ja öfters (heidnisch genug!) in irgendeine Todesmystik ausmündete, hätte sich durch solche Stellen warnen lassen müssen: sie führt in eine Sackgasse. Des Menschen Tod an sich und als solcher ist in keinem Sinn sein Übergang ins Leben; thánatos ist die phthorá, der alles phrónēma des Fleisches wie einem Katarakt entgegenstürzt, die böse Frucht, die der Mensch, indem er auf das Fleisch sät, ernten muß (Gal 6,8, Röm 8,6). Nun starb aber Christus nach so vielen Aussagen des Neuen Testamentes eben „für unsere Sünden“ (1 Kor 15,3). Nun hat er unsere Sünden hinaufgetragen an das Holz (1 Petr 2,24), Nun war und ist er das Lamm Gottes, welches der ganzen Welt Sünde aufhebt, trägt, wegträgt (Joh 1,29). Nun trat er also in seinem Sterben an die Stelle aller Menschen: eben dorthin, wo sie als Sünder alle nur jenen heillosen Tod sterben konnten. Nun gab er sein Leben zum Lösegeld für die vielen Sklaven (Mk 10,45 Par.). Eben diesen heillosen Tod, den Fluchtod der Sünder am Kreuz (Gal 3,13) starb Er, der Sündlose, für uns zur Sünde gemacht (2 Kor 5,21)! — und starb ihn für uns (1 Thess 5,10). Eben diesen uns als den Sündern zukommenden Tod müssen und können wir also darum nicht mehr sterben, eben die Gottverlassenheit dieses Todes (Mk 15,34) müssen und können wir also darum nicht mehr erfahren, weil Er ihn für uns alle „geschmeckt“ hat (Hebr 2,9), weil wir ihn, indem Er ihn an unserer Stelle starb, schlechterdings hinter uns haben, weil in seinem Tod wir, die so zu sterben wie er starb, verdient hätten, schon getötet sind. Mit ihm ist Paulus (Gal 2,19), der einst Saulus hieß, mit ihm ist aber (als der palaiòs ánthrōpos, der wir alle waren und noch sind Röm 6,6) jeder von uns gekreuzigt — mit ihm die beiden Schächer, der ungebärdige zur Linken nicht weniger als der bußfertige zur Rechten (Mk 15,27). Nicht irgendein Sterben, sondern das Sterben Jesu war es, das Paulus zeitlebens in seinem Leibe, als sein eigenes, herumgetragen hat (2 Kor 4,12). „Eingepflanzt in die Gleichheit mit seinem Tod“ (Röm 6,5) und also mit ihm gestorben und also als die Sünder, die wir waren und noch sind, in ihm erledigt, abgetan, nicht mehr vorhanden sind wir alle. „Einer starb für sie Alle — so sind sie Alle gestorben“ (2 Kor 5,14). Wie das? Indem sie im Gehorsam des Glaubens den Kreuzestod Christi „übernahmen“ (R. Bultmann)? Das gibt es freilich auch, das ist nämlich die notwendige Folge ihres Sterbens mit ihm: daß sie „ihr Fleisch kreuzigen mit seinen Leidenschaften und Begierden“ (Gal [20] 5,24 vgl. Kol 3,5). Ihr heilsames, weil neues Leben verheißendes Sterben aber, in weichem sic zu Christen, die solches tun, erst werden, geschah umgekehrt damit, daß Jesus Christus in seinem Kreuzestod, „da sie noch Feinde waren“ (Röm 5,10), da also von ihrem Glaubensgehorsam noch keine Rede sein konnte, sie „übernahm“, in sein Sterben hineinnahm! Ihr heilsames Sterben geschah nicht jetzt und hier, sondern in höchster Realität dort und damals — als in und mit der Todestaufe Jesu auch sie getauft wurden, als er „erhöht von der Erde“ — das sagte er aber andeutend, welches Todes er sterben werde“ — sie Alle zu sich zog“ (Joh 12,32f) — vielmehr: es geschah jetzt und hier, indem es dort und damals geschah.
Also: in der Geschichte Jesu Christi ist der Ursprung und Anfang des christlichen Lebens, ist die göttliche Wendung, in der das Unmögliche nicht nur möglich, sondern wirklich wird: daß es ek písteōs, aus der Tiefe und Macht der Treue Gottes eis pístin, zu der ihr entsprechenden Treue eines Menschen kommt (Röm 1,17). Das Zeugnis des Neuen Testamentes ist in dieser Sache zu bestimmt, als daß man diesem Satz ausweichen könnte, und zu eindeutig, als daß eine „Entmythologisierung“, bzw. Uminterpretation seiner Aussage durchführbar wäre. Viele menschliche Begebenheiten und Entwicklungen mögen andere Ursprünge und Anfänge haben: christliches Leben, Treue gegen Gott als freie Tat und Verhaltungsweise eines Menschen hebt an mit dem, was in den Tagen des Augustus und Tiberius auf dem Wege von der Krippe zu Bethlehem zum Kreuz auf Golgatha als das parà theṓ, nach dem Ermessen Gottes Mögliche (Mk 10,22 Par.) wirklich geworden ist. Und eben dies: daß die Wendung, in der ein Mensch ein Christ wird, in der Geschichte Jesu Christi begründet ist und anhebt, charakterisiert sie — im Unterschied zu allen sonstigen in ihrer Art auch beachtlichen natürlichen oder übernatürlichen Wendungen — als göttliches Geschehen. Jede Beschreibung des christlichen Lebens, die ihm einen anderen Grund als diesen zuschreiben wollte, könnte nur die Beschreibung eines über seiner Wurzel abgehauenen Baumes sein: was auch aus ihm werde, eigenes Leben wird ihm nie mehr zuzusprechen sein: eigenes Leben kann er gerade nur in der Einheit mit seiner Wurzel haben. Gerade eigenes Leben eines Menschen ist als christliches Leben nur möglich und wirklich in seiner Einheit mit seinem Ursprung in Jesus Christus. Wir reden von seinem Geheimnis, wenn wir sagen, daß es dort, in Ihm, seinen Ursprung hat, daß es von der dort, in Ihm geschehenen göttlichen Wendung herkommt. Was zur Erklärung dieses Satzes weiter zu sagen ist. kann dieses Geheimnis nicht auflösen, nicht kleiner, sondern nur immer noch größer machen. Die Erklärung dieses Satzes wird nur in seiner Bestätigung und Verschärfung bestehen können. [21]
Fassen wir sofort den Punkt ins Auge, in welchem uns dieser Satz nur eben vor ein Rätsel zu stellen scheint — der es nur zu begreiflich macht, daß man ihm immer wieder auszuweichen oder durch diese oder jene Umdeutung beizukommen in Versuchung kommt. Sicher kann man nicht genug Gewicht darauf legen, daß es sich, soll das möglich werden, daß ein Mensch aus einem Gott Untreuen zu einem ihm Treuen wird, um eine diesem Menschen selbst widerfahrende Wendung handeln müsse! nicht bloß um eine Erweckung seiner natürlichen, nicht bloß um seine Begabung mit übernatürlichen Kräften und nicht bloß um ein anderes Licht und Urteil, unter das Gott ihn stellen und in dem er nun vor Gort dastehen möchte, sondern um eine solche innere Veränderung, vermöge deren er selbst ein Anderer wird, um als dieser Andere in Freiheit, von sich aus, aus eigenen Stücken anders als zuvor, anders als sonst, zu denken, zu handeln, sich zu verhalten. Sollte der so unausweichliche und eindeutige Satz des Neuen Testamentes von der in der Geschichte Jesu Christi geschehenen göttlichen Wendung als dem Ursprung und Anfang des christlichen Lebens uns nun doch nicht zu der wie jene Anderen so tief unbefriedigenden Auffassung zurückführen, nach der diese Wendung den Menschen selbst — der ja nicht Jesus Christus, dessen Geschichte ja nicht seine Geschichte ist! — gar nicht berührte, ihn wohl irgendwie angehen möchte, ihn aber nicht erreichen könnte, ihm vielmehr äußerlich und fremd bleiben müßte, seine eigene Wendung vom Ungehorsam zum Gehorsam gar nicht wäre noch werden könnte? Wenn irgendetwas extra nos geschah, so ist es doch das uns nicht nur räumlich und zeitlich so ferne, sondern allen unseren Möglichkeiten und Verwirklichungen gegenüber so ganz andersartige Ereignis des Gehorsams Jesu Christi, seiner Geburt, seiner Selbstverkündigung, seines Kreuzestodes, seines ganzen Seins und Wirkens als wahrer Gottes- und Menschensohn. Was hat dieser Andere damals und dort in Bethlehem Geborene und auf Golgatha Gestorbene mit mir — was hat die Freiheit seines Lebens als wahrer Gott und wahrer Mensch mit der mir nötigen Befreiung zum Kinde Gottes und also zur echten, weil dem Willen dieses Vaters entsprechenden Menschlichkeit zu tun? Und was habe ich mit ihm zu tun? Wie kann das sein, daß er (indem ich aus ihm als meiner Wurzel wachse) mit mir, ich mit ihm eins werde, daß ich in Einheit mit ihm mein eigenes als ein „christliches“, als Leben eines Gott treuen Menschen zu leben beginne? Wie kann, was er extra nos war und tat, in nobis Ereignis werden?
Und würde es das nicht, wie kann und soll ich dann kraft seiner Existenz und Geschichte Gott treu, aus seinem Feind sein Freund, aus einem dem Tode Verfallenen ein dem Leben Entgegengehender werden, ins Reich Gottes kommen und also ein Christ werden? Das ist [22] die Frage, die wir uns hier zweifellos stellen und der wir hier zweifellos standhalten müssen.
Muß man es sich nun verboten sein lassen, das Rätsel des uns beschäftigenden Sachverhaltes künstlich auflösen zu wollen, so scheint es geboten, darauf zu achten, daß und wie es sich (läßt man den Sachverhalt für sich selbst sprechen) natürlich auflöst.
Künstlich wäre hier, um das vorauszuschicken, jede solche Auflösung, in der der Kontrast in der Einheit zwischen Christus und dem zum Christen werdenden Menschen zum Verschwinden gebracht, in der verdunkelt oder verleugnet würde, daß es sich in der Begründung des christlichen Lebens um ein Ereignis im echten Verkehr zwischen Gott und dem Menschen als zwei verschiedenen Partnern handelt. Sie wäre eben damit eine Verfälschung des uns beschäftigenden Sachverhaltes.
Künstlich wäre hier also einmal eine nun wirklich in malam partem „christomonistisch“ zu nennende Lösung, laut derer das in nobis, die Befreiung des Menschen selbst als ein unselbständiger Annex, als bloße Spiegelung der von Jesus Christus in seiner Geschichte und also extra nos vollbrachten Befreiungstat verstanden würde — laut derer also Jesus Christus als das allein eigentlich handelnde und wirkende Subjekt im Grunde einsam auf dem Plane stünde. Eine Antwort auf das in seiner Geschichte gesprochene Wort der Treue Gottes könnte dann die Treue des von ihm verschiedenen Menschen nicht sein. Sie wäre dann nicht sein eigenes freies Tun, sondern ein Moment oder eine Erscheinung der in Jesus Christus vollbrachten Tat Gottes selber. Sie wäre dann kein Akt seines menschlichen, durch Gottes Gnade erweckten und ermächtigten, aber von ihm selbst geleisteten dankbaren Gehorsams, sondern ein passives Partizipieren des Menschen an dem, was in Jesus Christus Gott allein täte: selber ein göttliches, nicht ein von Gott hervorgerufenes und Gott verantwortliches menschliches Tun. Die Bitte, der Aufruf: „lasset euch versöhnen mit Gott!“ (2Kor 5,20) wäre dann durch das in Jesus Christus allmächtig Ereignis gewordene Geschehen der Versöhnung des Menschen mit Gott zum vornherein hinfällig und überflüssig gemacht, müßte als Aufruf zu einem völlig eitlen Tun geradezu bedenklich erscheinen. Die Frage nach dem Beginn eines dem Handeln Gottes entsprechenden menschlichen Handeln und also das ethische Problem der Entstehung christlichen Lebens wäre dann damit gelöst, daß es als gegenstandslos durchschaut wäre. Alle Anthropologie und Soteriologie wäre dann verschlungen in die Christologie. So haben nun die neutestamentlichen Zeugen auch in ihren am weitesten gehenden Aussagen, so har Paulus auch Gal 2,19 gerade nicht gedacht und geredet. Zu einem solchen „Subjektivismus von oben“ finden wir uns durch sie nicht eingeladen. Und so, oder [23] auch nur in dieser Richtung zu denken und zu reden, sollte man sich, will man ihrer Schule treu bleiben, durch keine noch so gute „christozentrische“ Absicht hinreißen, gerade von einer richtigen „Christozentrik“ her vielmehr strikte verboten sein lassen.
Künstlich wäre aber natürlich auch eine „anthropomonistische“ Lösung, laut derer umgekehrt Jesus Christus und was in seiner Geschichte extra nos geschehen ist, als bloßes Prädikat und Vehikel, wohl gar nur als Chiffre und Symbol dessen aufzufassen wäre, was sich eigentlich und in Wahrheit nur in nobis, als eine Geschichte ereignete, deren Subjekt kein anderer als der Mensch selber wäre. Er wäre es jetzt, der sich in seiner Wandlung zum Christen einsam auf weiter Flur bewegte. Seine menschliche Wendung, sein Erwachen, seine innere Nötigung, sein Entschluß zum Glauben, zur Liebe, zur Hoffnung wäre jetzt als solche die wahrhaft göttliche Wendung. Zu ihrem Vollzug möchte ihm zwar die Geschichte Jesu Christi zur Anregung, Belehrung und Hilfe dienlich, vielleicht (aber doch nur vielleicht) sogar unentbehrlich sein. Der erste bewegende Grund, das Geheimnis seiner Heilsgeschichte wäre doch er selber: sein eigenes Hinübertreten aus der Untreue in die Treue, seine freie Gehorsamsentscheidung. Gehorsamsentscheidung? Wäre sie ernstlich so zu nennen? Ein konkretes, überlegen an ihm handelndes, im Wort seiner Verheißung zu ihm sprechendes Gegenüber als Ursprung und Anfang seiner Veränderung würde ja in diesem Bilde fehlen und so könnte seine Veränderung doch wohl nicht den Charakter einer Entsprechung zum Handeln eines anderen, einer Antwort auf dessen Wort und so eines Aktes seiner Dankbarkeit haben. Und so wäre das ethische Problem der Entstehung des christlichen Lebens auch hier — nun von der anderen Seite her, indem der Mensch im Verhältnis zu Gott sein eigener Versöhner, Lehrer und Meister wäre — damit gelöst, daß es gegenstandslos geworden wäre. Die Christologie wäre jetzt verschlungen von einer sich selbst genügenden Anthropologie und Soteriologie. Es braucht kaum gesagt zu werden: so haben die neutestamentlichen Zeugen, auch wo sie am stärksten an den Menschen seihst appellierten, auch in ihren dringlichsten Aufrufen zur Buße, zur Entscheidung, zum Glauben, zur Geduld, zur Liebe nicht gedacht und geredet. Und wieder sollte man sich, will man ihrer Schule treu bleiben, auch zu diesem Monismus — den man im Gegensatz zu jenem ersten den eines „Subjektivismus von unten“ nennen könnte — nicht hinreißen lassen.
Diesen beiden hier naheliegenden aber verkehrten Lösungen ist das gemeinsam, daß sie an den Sachverhalt (und dann sind sie beide künstlich) von außen, unter Anwendung eines ihm fremden Einheitsdenkens herantreten, statt ihm zu erlauben, sich selbst zu interpretieren: was dann in beiden Fällen zur Eskamotierung des uns in ihm begeg-[24]nenden Geheimnisses führt. Eskamotiert man aber, um ihn in eine der beiden monistischen Formeln (vielleicht auch abwechselnd in die eine oder in die andere) einzufangen, sein Geheimnis, dann hat man eben damit ihn selbst verfälscht und aus den Augen verloren. Man redet dann, und wenn jenes Einfangen (von oben oder von unten!) noch so gut gelänge, von einer anderen Sache. Und das ist es, was hier nicht geschehen darf. Man muß seinem Rätsel zunächst standhalten, um zu vernehmen, daß und wie der Sachverhalt sich selbst interpretiert: daß und wie sich dann auch sein Rätsel von innen auflöst.
Folgen wir dem nun einmal singulären Zug des neutestamentlichen Denkens, dann werden wir auf der einen Seite feststellen müssen, daß uns das Rätsel jenes Sachverhaltes im Grunde sehr schlicht durch das Geheimnis der in dem Einen alle, jeden Menschen bejahenden, zurecht bringenden, heilenden, erfreuenden und damit zur Treue aufrufenden Treue Gottes gestellt ist. Sie ist nun einmal die Treue, in der Gott sich als Gott des Menschen darin bewährte, daß er sich selbst dazu hergab und einsetzte, um des Menschen Sache vor ihm zu führen, sie aus seiner bösen zu seiner guten Sache zu machen. Wer dem in und mit diesem treuen Tun Gottes ergehenden Aufruf vernehmen und ihm Folge leisten darf, der kann hier — ferne davon, sich ärgern und entsetzen zu müssen — nur anbeten und lobpreisen. Und es geht alles mit rechten Dingen zu.
Die Geschichte Jesu Christi ist nun einmal anders als alle anderen Geschichten — in ihrer Besonderheit. Einmaligkeit und Einzigartigkeit mit keiner anderen zu vergleichen und zu verwechseln. Sie ist darin anders als alle anderen Geschichten, sie erforderte damit das singuläre Denken der neutestamentlichen Zeugen (dem wir, wollen wir sie verstehen, uns anschließen müssen): daß sie als die Geschichte des von Gott in seiner freien Gnade allen Menschen zugedachten, zugewendeten und geschenkten Heils von Haus aus partikulare Geschichte mit universaler Absicht und Tendenz ist, in ihrer Begrenztheit auch über sich selbst hinausgreift, ihre Umwelt, d. h. aber die ganze Menschenwelt umgreift, mehr noch revolutionär in das Leben aller, eines jeden Menschen hineingreift. Sie ist als diese einzelne in ihrem Ursprung und Ziel auch kosmische und als solche nicht sterile sondern fruchtbare, jedes Menschen Leben neu bestimmende — sie ist als extra nos geschehende zugleich in nobis wirksame, nämlich ein neues Sein jedes Menschen auf den Plan führende Geschichte. Gewiß ganz extra nos ist sie doch nicht um ihrer selbst willen, sondern ganz pro nobis geschehen: qui propter nos homines et salutem nostram descendit de coelis! Man nehme dieses pro nobis oder propter nos wörtlich und streng: Jesus Christus war als der wahre Sohn Gottes und so als der wahre Menschensohn nicht nur dem treuen Gott, sondern gerade in-[25]dem er ihm als seinem Vater treu war, nach dessen gerechtem Willen auch uns als seinen Brüdern treu! Und er war uns damit treu, daß er sich dazu hergeben ließ und selbst hergab. den Bund zwischen Gott und uns Menschen in seiner Person zu erfüllen, d. h. aber Gott an unserer Stelle, an Stelle der ihm zuvor Ungetreuen getreu zu sein. An unserer Stelle — und also, indem er es dort und damals und so wie nur er es vermochte, war — auch in unserem Jetzt und Hier, inmitten der Schwachheit, Gottlosigkeit und Feindschaft „im Herzen“, im personalen Zentrum der Existenz eines jeden Menschen! Handelt er aber extra nos pro nobis und insofern auch in nobis, dann muß das heißen: er schafft in eines jeden Menschen Geschichte, dessen Untreue zum Trotz, den Anfang seiner neuen Geschichte: seiner Geschichte als die eines Gott treu gewordenen Menschen — alles, weil es ja Gott selbst ist, der in seiner Person die Sache eines jeden Menschen in die Hand genommen hat. Nicht dieser Mensch selbst machte diesen Anfang. Nicht aus sich selbst heraus wurde er ein anderer: aus einem Gott untreuer ein ihm treuer Mensch. Auf dem Weg von Bethlehem nach Golgatha aber, den Jesus Christus als der wahre Gottessohn und so als der wahre Menschensohn auch für ihn gegangen ist, wurde der neue Anfang auch seines Lebens als das eines Gott treuen Menschen gesetzt und gemacht. Und eben von diesem seinem Anfang in der Geschichte Jesu Christi her darf und kann er selbst heute und hier ein der damals und dort geschehenen göttlichen Wendung seines Herzens seiner Person entsprechenden neues, sein christliches Leben leben. Das ist die Selbstexplikation des Sachverhaltes, wie sie die neutestamentlichen Zeugen zunächst im Blick auf Jesus Christus in ihrem gewiß singulären Denken nach vollzogen haben. Es dürfte klar sein, daß, wenn wir ihr unsererseits folgen, zunächst der hier als „Subjektivismus von unten“ bezeichneten Anthropomonismus nicht in Frage kommen kann. Nicht indem der Mensch als sein eigener Befreier an die Stelle Jesu Christi, sondern indem Jesus Christus an die Stelle des Menschen tritt um ihn daselbst zu befreien, kommt es zur Begründung des christlichen Lebens.
Wir müssen aber der Selbstexplikation jenes Sachverhaltes, in welcher sich sein Rätsel von innen löst, um seinem Geheimnis umsomehr Raum zu geben, nun auch nach der anderen Seite folgen. Er expliziert sich ja wie von oben nach unten, so auch von unten nach oben. Und so haben die neutestamentlichen Zeugen seiner Selbstexplikation diese gerade im Blick auf den christlichen Menschen nachvollzogen. Indem Jesus Christus an die Stelle des Menschen tritt, an seiner Stelle das tut, was er unterläßt: an seiner, des Ungetreuen, Stelle Gott treu ist, macht er, macht durch ihn Gott den Menschen frei, ihm seinerseits treu zu werden. Was bedeutet denn das für uns Andere, die wir nicht Jesus [26] Christus sind, wenn extra nos geschehene Geschichte pro nobis geschah, und wenn eben dieses pro nobis wirksam ist und also auch das in sich schließt, daß sie, indem sie sich damals und dort, als die Geschichte jenes Einen ereignete, auch heute und hier, in nobis, im Leben der Vielen Ereignis wird? Das bedeutet doch offenbar — in Verwirklichung der Fülle der göttlichen Möglichkeit — daß der in jener Geschichte handelnde Gon eine unmittelbare Beziehung zwischen sich und uns — nicht etwa schon vorfindet und bestätigt, wohl aber schafft und aufnimmt, die wir nicht schaffen und aufnehmen könnten, der wir uns aber, indem er das tut, auch nicht entziehen können. Er selbst ist uns jetzt, indem er in Jesus Christus für uns eintritt — nicht von ferne, sondern in größter Nähe gegenwärtig, konfrontiert sich uns jetzt in unserem eigenen Dasein, Denken und Sinnen. Und was damit geschieht, ist, indem er der in der Geschichte Jesu Christi handelnde, gerechte, barmherzige und als solcher allmächtige Gott ist, schlicht dies: daß in nobis, in unserem Herzen, mitten im Zentrum unserer Existenz Widerspruch gegen unsere Untreue, und zwar ein solcher Widerspruch eingelegt wird, dem wir nicht ausweichen können, den wir gelten lassen müssen, dem gegenüber wir an unserer Untreue nicht festhalten können, durch den sie uns also nicht nur verboten, sondern verwehrt, unmöglich gemacht wird- Untreue gegen Gott wird, indem Jesus Christus pro nobis und also in nobis auf den Plan tritt, eine uns aberkannte und also nicht weiter zu realisierende Möglichkeit erkannt als die von Haus aus unmögliche Möglichkeit, mit der wir nicht mehr rechnen können, die wir durch Gottes in uns selbst sich erhebenden allmächtigen Widerspruch eliminiert, die wir uns genommen sehen. Was nun? Als möglich, und zwar als allein möglich bleibt uns nur eines — das, was uns in dem Tun des pro nobis in nobis handelnden wahren Gottes- und Menschensohnes positiv vorgezeichnet ist — zu wollen und zu tun: Gott treu zu werden. Das ist unsere Befreiung durch die in der Geschichte Jesu Christi geschehene göttliche Wendung. Diese von Gott vollzogene Wendung ist wirklich des Menschen Befreiung. Ganz von außen, ganz von Gott her, widerfährt sie ihm — aber als seine Befreiung. Daß man doch Gottes Allwirksamkeit wie überhaupt, so gerade hier ja nicht umdeute in eine Alleinwirksamkeit Gottes! Die göttliche Wendung, in deren Vollzug einer ein Christ wird, ist ein Ereignis echten Verkehrs zwischen Gott und Mensch. Und so gewiß dieser in Gottes Initiative seinen Ursprung hat, so gewiß wird der Mensch in ihm nicht übergangen, sondern als eigenstendiges Geschöpf Gottes ernst genommen — nicht überrannt und überwältigt, sondern auf seine Füße gestellt — nicht entmündigt, sondern mündig gesprochen und auch als mündig behandelt. Es löscht also die Geschichte Jesu Christi des Menschen Lebensgeschichte nicht aus, [27] sondern von jener her wird diese seine neue — aber seine eigene neue Lebensgeschichte. Es wird also die Treue gegen Gott, zu der er aufgerufen wird, nicht nur so etwas wie eine Emanation der Treue Gottes, sondern wirklich seine eigene Treue, seine Entscheidung und Tat sein. Er täte sie nicht, wenn er nicht dazu befreit würde. Indem er aber dazu befreit wird, tut er sie als seine eigene Tat: als seine Antwort auf das in der Geschichte Jesu Christi zu ihm gesprochene Wort Gottes. Wie es in dieser Sache keinen „Subjektivismus von unten“ geben darf, so auch keinen „Subjektivismus von oben“ — wie keinen Anthropomonismus, so tatsächlich auch keinen Christomonismus.
Hören und Handeln. Festschrift für Ernst Wolf zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Helmut Gollwitzer u. Hellmut Traub, München: Chr. Kaiser Verlag, 1962, S. 15-27.