Die Verwüstung der Wohnung Hans Ehrenbergs in der Reichspogromnacht 1938: „Wir waren kurz danach wieder in der Wohnung Ehrenberg. Pfarrer Albert Schmidt stellte in der demolierten Küche auf einen heil gebliebenen Tisch die Abendmahlsgeräte.“

Die Verwüstung der Wohnung Hans Ehrenbergs in der Reichspogromnacht 1938

Von Hans Köker

Während der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938, bei der auch die jüdische Synagoge in Bochum zerstört wurde, drang ein SA-Trupp um Mitternacht in die Wohnung des jüdischstämmigen Pfarrers Hans Ehrenberg, um diesen zu verhaften. Da Ehrenberg selbst verreist war, trafen sie nur auf dessen deutsche Frau Else (1890-1970) und die beiden Kin­der Juliane und Andreas, damals 15 und 13 Jahre alt. Die Kin­der sperrte man in einen kleinen Raum am Flurende ein, Frau Ehrenberg mußte mitansehen und mitanhören, wie SA-Männer die Wohnung verwüsteten. Der damalige Vikar Hans Köker hat darüber später folgenden Bericht geschrieben:

„Im Jahre 1938 war ich Vikar in Bochum. Mein Chef war damals Pfarrer Albert Schmidt, Wortführer der Bekennen­den Kirche in Bochum und Umgegend. Albert Schmidt war eng befreundet mit Hans Ehrenberg. Dieser war von Geburt Jude. Er trat als junger Mann zum evangelischen Glauben über, studierte Theologie und wurde Pfarrer in Bochum. Im Hause Schmidt lernte auch ich Hans Ehrenberg kennen.

9. November 1938! Für die Nazis war es der Erinnerungstag an den Marsch zur Feldherrnhalle in München im Jahre 1923. Er wurde von ihnen auch besonders begangen.

Als ich am Morgen danach aus meinem Zimmer in die Woh­nung der Familie Schmidt kam, hörte ich furchtbare Dinge: wissen Sie es schon, die Synagoge brennt, jüdische Ge­schäfte sind demoliert, in der Hauptstraße sieht es furchtbar aus. Auch in jüdischen Wohnungen hat man wüste Zerstö­rungen angerichtet. Dann kam sofort die besorgte Frage: wie mag es Familie Ehrenberg ergangen sein. Wir müssen uns darum kümmern. Da läutete auch schon das Telefon. Am Apparat war Frau Ehrenberg: ‚Kommen Sie doch bitte, wir haben eine grausige Nacht hinter uns. Es sieht bei uns furchtbar aus. Mein Mann ist noch verreist. Er kommt erst heute Abend zurück. Ich bin jetzt mit meinen beiden Kindern allein.‘ Sofort ging Frau Schmidt mit mir und den älteren Kindern zum Hause Ehrenberg (Pfarrer Schmidt war schon dienstlich in der Gemeinde.) Vor dem Hause Ehrenberg eine widerliche Szene: Verhetzte Jugendliche lösten Pflasterstei­ne aus dem Bürgersteig und warfen sie unter Schreihen, Gröhlen und Johlen gegen die heruntergelassenen Rolläden. (Ich kann mir nicht helfen: Immer wieder, wenn ich von De­monstrationen höre oder lese, wo Gewalt im Spiel ist, werde ich an diese Szene mit den verhetzten Jugendlichen erin­nert.)

Bei unserem Läuten öffnete sich die Tür. Frau Ehrenberg und ihre Kinder empfingen uns mit verstörten angstvollen Augen. ,Es war furchtbar heute Nacht, grausig, nicht zu beschreiben, wie die Nazi-Gruppe bei uns getobt und sich be­nommen hat‘. Dann sahen wir es selber: Die Wohnung war in ein grausiges Chaos verwandelt, eingeschlagene Fenster­scheiben, zerschlagene Lampen, auseinander gerissene Bet­ten, aufgeschlitzte Matratzen, bei einem Spiegelschrank der Spiegel total zertrümmert. Das Arbeitszimmer von Hans Eh­renberg war in ein undurchdringliches Chaos verwandelt. In der ersten Etage, – von einer jüdischen Familie bewohnt -, war es genau so. Da stand in der Wohnstube ein wertvoller Bechstein-Flügel, auf dem man sinnlos herumgehauen hatte, und den man total zerstört hatte. Keiner der Hausbewohner war fähig, irgend etwas zu tun. Der Schock saß ihnen noch in allen Gliedern.

Wir, die wir auf den Anruf hin gekommen waren, fingen nun an aufzuräumen, wenigstens das Notwendigste wieder herzu­richten, und zwar in beiden Wohnungen. Die Schlafzimmer wurden einigermaßen wieder in Ordnung gebracht. Die ein­geschlagenen und zerstörten Fenster mit Pappe und Furnier vernagelt. Die Küche von Familie Ehrenberg – hier hatte die Horde besonders grausig und wild gewütet – wurde wieder einigermaßen ,betriebsfähig‘ gemacht. Die unzähligen Scherben wurden entfernt, das noch brauchbare Geschirr hervorgeholt und die zerschlagenen Fensterscheiben wieder abgedichtet.

Am späten Nachmittag gingen wir dann zunächst wieder nach Hause. Am Abend erfolgte wieder ein Anruf. Albert Schmidt ging an den Apparat. Es meldete sich Hans Ehren­berg und bat: ,Ich bin zurück von der Reise. Ich rechne mit meiner baldigen Verhaftung. Kannst Du mir und den Mei­nen das Heilige Abendmahl reichen?‘

Wir waren kurz danach wieder in der Wohnung Ehrenberg. Pfarrer Albert Schmidt stellte in der demolierten Küche auf einen heil gebliebenen Tisch die Abendmahlsgeräte. Einige heil gebliebene Stühle fanden sich auch noch. Wir begannen die Feier mit dem Lied: Herr unser Gott, laß nicht zu Schanden werden (EKG Nr. 209). Dann folgte die Feier Es war ei­ne kleine angstvolle erschütterte Gemeinde, die hier Abend­mahlsfeier hielt. Ich habe diese Feier nie vergessen. Man konnte hier die Wahrheit des Wortes spüren: ,Der Herr ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.‘ (Ps. 34, 19) … Albert Schmidt erzählte am Sonntag danach im Gottesdienst seiner Gemeinde von dem Geschehen im Hause Ehrenberg und ließ dann das Lied singen, das wir bei der Abendmahlsfeier gesungen hatten: ,Herr, unser Gott, laß nicht zuschanden wer­den …‘ Sofort nach dem Gottesdienst wurde er von der Gestapo verhaftet. Nach längeren Wochen Haft in primitiver Gefängniszelle wurde er aus Bochum ausgewiesen. Nach langjähriger Ungewißheit fand er schließlich in Werther ei­ne Pfarrstelle und Bleibe. Dort ist er nicht lange nach dem Kriege gestorben.“

Nach der Feier des Abendmahls und dem Abschied von den Freunden und der Familie geht Hans Ehrenberg selbst zum nahegelegenen Polizeipräsidium und lässt sich in Schutzhaft nehmen. Schon am nächsten Tag wird er mit anderen Bochumer Juden zu­sammen ins Konzentrationslager Sachsenhausen verfrachtet, wo er vom 11. November 1938 bis zum 20. März 1939 eingesperrt bleibt.

Quelle: Günter Brakelmann, Hans Ehrenberg. Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland, Bd. 2, Waltrop: Hartmut Spenner, 1999, S. 416-419.

Hier der Text als pdf.

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