Die dramatische Wahrheit der christlichen Lehre
Das sind ja der allzu offensichtliche Widerspruch zwischen göttlicher Allmacht und (All-)Güte im Angesicht menschlicher Leiderfahrung, der die menschliche Theodizeefrage provoziert: „Ist der Gott dann nicht ungerecht?“ (Römer 3,5). Es ist freilich nicht das Evangelium vom Pascha-Mysterium Jesu Christi, sondern eine prinzipielle (bzw. konstruktive) Theologie, die die Theodizeefrage hervorruft und jeden Antwortversuch vermessen sein lässt.
Werden Gottesprädikate vom biblisch bezeugten Handlungsgeschehen abstrahiert und als Prinzipien bzw. zeitlosen Gotteseigenschaften festgemacht, vermag die menschliche Vernunft von solchen „göttlichen“ Prinzipien logische Schlussfolgerungen bezüglich irdischen Geschehens zu ziehen. Was da geschehen ist, muss folgerichtig einer prinzipiellen Göttlichkeit Gottes widersprechen. Ingenieurstheologisch lassen sich göttliche Handlungsalternativen anzeigen, die seiner Gottheit nach menschlicher Vernunft (besser) entsprechen können.
Handlungen, wie sie in der Bibel bezeugt sind und in der Verkündigung neu zur Sprache gebracht werden, sind jedoch immer lokal, personal und temporal gefügt. In einem kontexturalen Handlungszusammenhang sind gegensätzliche Aussagen in Bezug auf den dreieinigen Gott eben dann nicht widersprüchlich, wenn sie von unterschiedlichen Personen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Handlungsverläufen gesagt werden. Das heißt nicht, dass in einem Handlungsdialog nicht auch Widersprüche im Hinblick auf den Gott zur Sprache gebracht werden. Aber diese Widersprüche selbst sind an den jeweiligen Handlungsverlauf gebunden und können nicht vom biblischen Erzählgeschehen abstrahiert und damit autogen konserviert werden.
Für die christliche Lehre ist wesentlich, dass wir von einer dramatischen Wahrheit des Evangeliums zu sprechen haben – also eine Wahrheit, die sich im konkreten Handlungsgeschehen als göttlich erweist. Wo dem Wahrheitsanspruch des Evangeliums Handlungsraum, Zeit und Personen entzogen werden, um Wahrheit prinzipiell zu erfassen, entsteht in dieser begrifflichen „Verdichtung“ ein statisches Lehrgefüge mit unerträglichen kognitiven Widersprüchlichkeiten und Extrapolationen, das in Ermangelung vertrauensfähigen Handlungsgeschehens keinen Glauben finden kann.
In der christlichen Lehre dürfen Gottesprädikationen wie Allmacht, Allgegenwart oder Allgüte nicht als Prinzipien entstellt werden. Sie gehören vielmehr in einen Handlungszusammenhang, wo sie menschlicherseits doxologisch, also als Lobpreis, oder aber precatorisch, also der eigenen Fürbitte dienend, ausgesprochen werden.