„Welcher Handwercksmann hat je begert zu arbeiten […] wenn in nicht […] der Geitz so ni zu ersettigen ist darzu gebracht hette.“ Der Ulmer Leonhard Fronsperger in seiner Schrift „Von dem Lob des Eigen Nutzen“ von 1564

Fronsperger - Von dem Lob deß Eigen Nutzen (Titelblatt)

Über Leonhard Fronspergers Schrift „Von dem Lob des Eigen Nutzen“ von 1564

Das ist fürwahr eine Provokation – die Schrift Von dem Lob des Eigen Nutzen“, die der Ulmer Bürger  Leonhard Fronsperger – in Anlehnung an Erasmus von Rotterdam als satirisches Lobgedicht (Enkomion) verkleidet – 1564 in Frankfurt hat publizieren lassen. Das Lob des Eigennutzes als egoistisches Einsacken wird auf dem Titelblatt holzschnitzartig ins Bild gesetzt, wo in freier Landschaft ein prassender Mann auf einem Hügel im Wind sitzend in der rechten Hand eine Ente und in der linken eine Schweinshaxe hält. Weinflasche und Brote liegen zu seinen Füßen, und auf seinem Bauch prangt die Aufschrift: Alls in Mein Sack.

In Reimform heißt es dazu passend:

Der Eigen Nutzen bin ich genannt/
hoch vnd nidren Stenden wol bekañt.
Doch nicht so böß als man mich macht/
Wo man die Sachen recht betracht.
Manchem vil guts durch mich beschicht/
Hergegn man mir kein lob vergicht.

Mit vil schönen Exemplen und Historien auß heyliger Göttlicher Schrifft zusammen gezogen / Durch Leonhard Fronsperger an Tag geben

Ökonomisch war es kein Erfolg, was die Auflage betraf. So gilt zwar Fronsperger als der bedeutendste deutsche Militärschriftsteller des 16. Jahrhunderts, ohne dass sein Name in der Geschichte des ökonomischen Denkens aufgeführt wird. Eine Ausnahme ist Bertram Schefolds Aufsatz Wirtschaft und Geld im Zeitalter der Reformation (in: Ders.: Beiträge zur ökonomischen Dogmengeschichte, Stuttgart 2003, S. 101-126).

Und doch kann Von dem Lob des Eigen Nutzen durchaus als programmatische Schrift des frühneuzeitlichen Wirtschaftsliberalismus gelten, die vieles vorweggenommen hat, was 212 Jahre später der schottische Moralphilosoph Adam Smith mit An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations als eigenökonomisches Wohlstandscredo populär gemacht hat. So schreibt eben schon Fronsperger:

„Deßgleichen helt es sich auch mit Kauffleuten unnd Handwerckern / Denn welcher Kauff­mann ist je ober Meer gefahren / hat sein Leib und Leben gewagt / daß er Specerey oder andere Kauffmannschafft so den Menschen nicht allein zu der Speiß / sondern auch zur gesundheit höchlich dienet / auß India herüber brechte / gemeinem nutz zu gut / wenn in nicht Eigner nutz oder geitz darzu reitzte.

Welcher Handwercksmann hat je begert zu arbeiten / gemeinem nutz zu gutem / oder auß liebe desselben / wenn in nicht entweders mangel oder gebrechen der Narung / oder aber der Geitz so ni zu ersettigen ist / darzu gebracht hette.“

Leonhard Fronsperger
Leonhard Fronsperger (* um 1520 in Bayern; † 23. Mai 1575 in Ulm)

Es ist den Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Rainer Klump und Lars Pilz zu verdanken, dass sie mit ihrem Aufsatz Durch Eigennutz zum Gemeinwohl: Individualisierung, Reformation und der „Geist des Kapitalismus“ Fronspergers Schrift neu erschlossen haben (vgl. auch ihren FAZ-Artikel Frankfurter Buchmesse 1564: Die Entdeckung des Egoismus).

Theologen tun sich mit einer Billigung eigenökonomischen Vorteilsstrebens schwer, weil es ja der Ethik des Evangeliums grundlegend widerspricht. Aber wenn man den Sündenfall ernst nimmt „dass nach Adams Fall alle natürlich geborenen Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, das heißt, daß sie alle von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können (Augsburger Bekenntnis, Artikel 2: Von der Erbsünde), dann kann man ja dieses eigennützige bzw. selbstbezogene Verhalten für Menschen außerhalb des rechtfertigenden Glauben an Christus providentiell im Hinblick auf die göttlich-direktive Lenkung des Weltgeschehens gelten lassen: „Die aus der Freiheit des Menschen hervorgehenden Handlungen, seien sie gut oder böse, weiß Er, nachdem sie geschehen oder von Ihm zugelassen sind, so zu lenken, daß sie Seinen Zwecken dienen und entsprechen müssen (directio). (Heinrich Schmidt, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche. Dargestellt und aus den Quellen belegt, Erlangen 1843, S. 134 mit Bezug auf Johann Andreas Quenstedt, Theologia didactico-polemica I, 534: „Directio est actus providentiae gubernatricis, quo Deus creaturarum actiones bonas ita moderatur, ut tendant et ferantur in objectum a Deo intentum (Act. IV, 28), actiones vero malas ad certum finem a se praestitutum, sed a peccantibus non spectatum et saepe ipsorum intentioni contrarium, dirigit. Sic 1 Sam. IX,17. X,21. Gen. XXXVII,7. Gen. L,20.)

Hier der Text als pdf.

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