Helmut Gollwitzer über den rechten Osterzweifel (Jesu Tod und Auferstehung nach dem Bericht des Lukas, 1941): „Ein Osterzweifel muß in das Herz kommen, ein fröhlicher und respektloser Zweifel gegenüber der Herrschaft des To­des auf Erden, gegenüber der Hoffnungslosigkeit unseres Lebens, der Unabänderlichkeit des Weltlaufes, der Unbe­kanntheit und Ferne Gottes, den harten Gesetzen des Verge­hens, der Sinnlosigkeit des Leides, der Überlegenheit der Macht über das Recht, der Unterworfenheit der Wahrheit unter die Lüge.“

In seinem Buch „Jesu Tod und Auferstehung nach dem Bericht des Lukas“ (Theologische Existenz heute 77, München: Evangelischer Verlag Albert Lempp 1941) hat Helmut Gollwitzer den Osterzweifel wider die Endmacht des Todes eingefordert:

Über den rechten Osterzweifel

Von Helmut Gollwitzer

Wie das geschehen ist, bleibt völlig im Dunkel des Geheim­nisses. Der Auferstehung hat niemand zugesehen. Wer ihre Unmöglichkeit feststellt, sagt nichts Neues, sondern eben das, was die Bibel auch betont. Es ist für Petrus und Paulus nicht leichter gewesen als für einen modernen Naturwissenschaftler, sich das vorzustellen, daß der tote Jesus lebendig ist; keiner kann es sich vorstellen; denn das geschah in der Nacht des Geheimnisses Gottes, unzugänglich für alle Men­schenaugen. Was unsere Sinne vernehmen, das ist zuerst die Verkündigung Jesu und dann die Verkündigung der Aufer­stehung durch die Engel; was dazwischen liegt, ist die Nacht des göttlichen Wunders, die Nacht des Glaubens.

In dieser Nacht geschieht eine völlige Umkehrung. Es darf jetzt keiner hier herausgehen – wenn nicht ganz umsonst sein soll, daß diese Botschaft an sein Ohr klang –, ohne daß er etwas gemerkt hat von dieser Umkehrung. Sie besteht darin, daß das Gewisse sehr zweifelhaft wird und das Zwei­felhafte sehr gewiß. Ein tödlicher Zweifel kam an jenem Grabe in die Herzen der Jünger, es war kein Zweifel an der Wahrheit der Person Jesu Christi, – davon wird uns nichts berichtet. Wohl aber ein anderer und wahrhaft tödlicher Zweifel: der Zweifel, ob die Verheißung Gottes, die ihnen in diesem Mann lebendig geworden war, noch besteht, ob diese Welt, nachdem sie in diesem Jesus Gott ausgestoßen hat, noch eine Hoffnung habe, oder ob es jetzt endgültig so sei, daß Gott diese Welt sich selbst, d. h. dem Tod und der Hölle überlassen hat. Ob es also jetzt nicht doch so weit gekom­men sei, daß auf Erden schlechthin nichts anderes herrscht als das schreckliche Gesetz des Todes, das wir über uns allen sehen.

Was ist denn dieses unser Leben anderes als ein Weg zum Tode? Wer erbt denn das alles, unsere Leistungen und Tugenden und Erfolge, das Leben der einzelnen genauso wie das der Völker, wenn es nicht der Tod ist, der große Erbe aller Dinge? So sehr besitzt er uns, daß er uns nicht nur am Ende einemtet, sondern jetzt schon unser ganzes Denken regiert. Alles dreht sich darum, sich vor dem Tod zu schüt­zen, und gerade damit verwandeln wir alles, was wir anfas­sen, in Tod. Wer erschrickt denn nicht vor dieser Todeswütigkeit des Menschen: daß der Mensch alles, jede Gabe der Natur, jede Erfindung erst in zweiter Linie danach abfragt, was sie an Lebensförderung bringt, in erster Linie aber nur begierig den Tod zu entdecken sucht, den sie in sich trägt, und in Tod, zur Todeswaffe sie zu verwandeln trachtet. Ist das nicht schauerlich? Ein tödlicher Zweifel kommt in das Herz der Jünger, ob nun, nachdem Gottes Leben ausgesto­ßen ist, diese Welt nicht endgültig das Opfer des Todes sei, ob nun nicht doch Sünde und Satan das letzte Wort in ihr behalten und die Macht und die Gnade Gottes nur noch im Himmel gelten, aber nicht mehr bei uns. Sieht einer das Kreuz Christi an ohne die Auferstehung, dann ist es ein Siegel unter ein Todesurteil, das die Hoffnungslosigkeit der Welt ein für allemal bestätigt. Sieht einer das Kreuz Christi an von der Auferstehung her, dann ist schon der Karfreitag der große Siegestag Gottes und nicht des Todes.

Das Zweifelhafte, ob Gottes Hoffnung für die Welt noch gilt, wird in der Auferstehung gewiß. Darin liegt die welt­umändernde Kraft der Gemeinde. Und das Gewisse wird zweifelhaft. Wer von uns ein Christ ist, der muß dazu hindurchdringen, daß jenes Zweifelhafte ihm gewiß wird. Wer von uns aber noch kein Christ zu sein meint, der möge sich zuerst das sagen lassen, daß jedenfalls das Gewisse, das ihm bisher ganz unerschütterlich feststand, von Ostern her ganz zweifelhaft wird. Es muß ihm auf einmal zweifelhaft werden, ob wirklich, wie doch heute alle Welt es im Grunde meint, mit dem Tod alles aus ist. Vor ein paar Tagen hörte ich in einem Vortrag über die geistige Situation der Zeit das Wort, auf dem Grunde aller heutigen Weltanschauungen liege die Überzeugung: lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Das ist das unanzweifelbare Dogma des heutigen Menschen, daß alles andere unsicher sei, der Tod aber gewiß. Dieses Dogma muß nun angezweifelt werden, ein Osterzweifel muß in das Herz kommen, ein fröhlicher und respektloser Zweifel gegenüber der Herrschaft des To­des auf Erden, gegenüber der Hoffnungslosigkeit unseres Lebens, der Unabänderlichkeit des Weltlaufes, der Unbe­kanntheit und Ferne Gottes, den harten Gesetzen des Verge­hens, der Sinnlosigkeit des Leides, der Überlegenheit der Macht über das Recht, der Unterworfenheit der Wahrheit unter die Lüge. Ein fröhlicher Zweifel, nicht aus einer optimistischen Weltanschauung heraus, die dann doch rasch erschüttert ist, sondern ein Zweifel von Gott, von der Oster­wirklichkeit her.

Wer ohne die Auferstehung mit Jesus zu tun haben will, der wird »ratlos« wie es im Urtext heißt, und wie es die Welt ja ist, da sie Jesus immer tot glaubt und ihn doch nicht in seinem Grabe findet, sondern immer wieder Zeichen seines Lebens zu spüren bekommt, die ihr rätselhaft sind. Und wo die Kirche sich von der Welt verführen läßt, den Lebendigen bei den Toten zu suchen, da wird sie, da werdet ihr alle bis in den Grund eures Herzens »bekümmert«, wie Luther es übersetzt. O du bekümmerte Kirche, o du bekümmerter Christ! Wenn du dir jetzt von ein paar ganz verwirrten Frauen, von ein paar unscheinbaren Zeugen Jesu Christi damals und heute die Botschaft der Auferstehung sagen läßt, dann geht für dich die Sonne auf! Als die Bolschewisten einen russischen Bischof erschossen, rief er, an der Wand stehend, während das Kommando zum Feuern ertönte: »Lebt wohl ihr Toten, ich gehe ins Leben!« In diesem Leben steht ihr schon jetzt. Jesus Christus, der Lebendige, ist ganz gegenwärtig, du bekümmerte und ratlose Gemeinde. Was suchst du den Lebendigen, was sucht ihr euer Leben noch bei den Toten? Amen.

Quelle: Helmut Gollwitzer, Jesu Tod und Auferstehung nach dem Bericht des Lukas, Theologische Existenz heute 77, München: Evangelischer Verlag Albert Lempp, 1941, S. 73-75.

Hier der Text als pdf.

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