Hans Joachim Iwand, Tod und Auferstehung: „Es geht um die Kopula, die zwischen jenem Besonderen, der Auferstehung Jesu, und der Totenauferstehung schlechthin geschlun­gen ist. Wenn es die letztere nicht gibt, wenn die Kette, die uns bindet, nicht zugleich gerissen ist, dann ist sie überhaupt noch nicht gerissen, dann sind wir noch in unseren Sün­den.“

Fresko der Anastasis in der Parekklesion der Chora Kirche in Istanbul (Ausschnitt)
Fresko der Anastasis in der Parekklesion der Chora-Kirche in Istanbul (Ausschnitt)

Tod und Auferstehung (1959)

Von Hans Joachim Iwand

Wir haben bisher unser theologisches Interesse auf die Frage des Da­seins Jesu Christi mitten unter uns gerichtet, mitten in unserer Welt und Zeit, vor allem aber mitten in unserem Ge­schlecht. Wir haben uns be­schäftigt mit der Frage, die in der Theologie als Inkarnation be­zeichnet wird, d. h. als das Kommen ins Fleisch. Wir haben gesehen, daß mit diesem Begriff bereits deutlich gemacht wurde, daß die Existenz des Menschen Jesus Christus nicht einfach aus dem Fleisch stammt, aus ihm nicht ableitbar noch erklärbar ist. Wir haben vielleicht etwas ge­ahnt von der wirklichen Tiefe der biblischen Aussage, daß das Subjekt, das Bewegende und Bestimmende in dieser Existenz, der Geist ist – und zwar eben nicht ein allgemeiner Geist, ein geistiges Prinzip, sondern der Geist Gottes, das Pneuma. Das Kommen ins Fleisch ist infolge­dessen bereits ein Ereignis, es hat ein Woher: Jesus kommt nicht aus dem Fleisch ins Fleisch, sondern er kommt von seinem Vater zu uns.

Wie der Eingang dieses Lebens das Wunderbare schlechthin ist – das Wunderbare, welches mitten in der menschlichen Geschichte, innerhalb der Bestimmung des Menschengeschlechts als das Geheimnis steht, das bestimmt ist, den Menschen als ihre Bestimmung aufzugehen, als ihre Berufung zu leuchten –, genauso ist es der Ausgang dieses Lebens. Ich möchte fast sagen: Das Wunder des Eingangs ist nicht geringer, ist nicht einfacher zu lösen, nicht leichter zu be­wältigen als das Wunder des Ausgangs dieses Lebens. Alles, was in der Mitte liegt, sozusagen das Historische, Abstrakte, verliert seine Abstraktion erst, wenn es in Kon­takt zu diesem Ein­gang und zu diesem Ausgang, zu diesem Woher und Wohin gesetzt ist, es beginnt erst zu leuchten, wenn der Stromkreislauf hergestellt ist, der von dem Ursprung zu diesem Ziel läuft.

Lassen Sie uns einen Augenblick den Eingang und den Ausgang die­ses Lebens miteinander konfrontieren. Der Ausgang bestätigt sozusa­gen diesen Eingang, er bestätigt den Begriff »Fleisch« (sarx) in dem Eingang. Dieser Jesus von Nazareth stirbt. Es ist seltsam, wie stark unter dem Einfluß der historischen Betrachtungsweise das Aufregende, das [489] Unbegreif­liche und Frag-Würdige dieses Sterbens verlorengegangen ist. Ganz ähnlich wie das Wunder dieser Geburt eingeebnet wurde zu einem Alltäglichen und in das Besondere der Leistung dieser geschichtlichen Persönlichkeit verlagert wurde – so auch dieser Tod: Auch er ist etwas Alltägliches geworden, die Leistung eines Überzeugten, eines Märtyrers seiner Lehre und seiner Idee. Er ist zur Erfüllung seiner Berufstreue geworden, wie das die Theologie des 19. Jahrhunderts meinte. Es muß hier alles, wenn es geschichtlich relevant sein soll, Leistung sein, es muß da eine Person auf dem Schauplatz der Geschichte auftreten, die sich über das normale Maß, über die Natur des Menschen insofern er­hebt, als sie diese einem geistigen Ide­al dienstbar macht, sei es dem der Gerechtigkeit oder dem der Liebe. Unter diesem Gesichts­punkt hat man dann den Tod Jesu zu verstehen gesucht, d. h. man hatte ihn schon verstanden. Man war vor dem Dunkel dieses Todes so wenig gestanden wie vor dem Licht dieser Geburt. Beides war modifiziert, war zu Geburt im allgemeinen, zum Tod im allgemeinen verblaßt – nur daß es kein Tod an einer Krankheit oder kein Tod im Bett war, sondern der Tod einer in Analogie zu anderen Leistungen heroischer Menschen sich vollziehenden Hingabe. – Aber das ist nicht der Tod Jesu, wie er uns verkündet ist, das ist nicht der Tod, wie die Bibel ihn sieht. Sie sieht ihn dunkler, todesähnlicher, todeswirklicher, als wir ihn sehen, wenn wir ihn durch die Leistung verklären. Sie sieht ihn wirklich als den Tod, als das Wirklichwerden des Todes an diesem einen einzigen Menschen. Einmal wur­de der Tod enthüllt nach dem, was er wirklich ist, einmal mußte er seine Wirklichkeit zeigen, seinen Schein, seine Erträglichkeit, seine Natür­lichkeit verlieren; einmal wurde er nach seiner ganzen Tiefe und Furcht­barkeit herausgezogen aus dem Versteck, in dem er steckt und in dem wir ihn so gern lassen, einmal wurde er offen zur Schau gestellt; einmal kam es zu einem echten Kampf mit dem Tode und – was dasselbe ist – zu einem Sieg über ihn: Das geschah in dem Sterben dieses einen Men­schen.

Wir müssen diese Aussage rechtfertigen, die wir soeben gemacht ha­ben, daß der Kampf mit dem Tod schon den Sieg über den Tod in sich schließt. (Die Schrift ist durchaus dieser Mei­nung.) Sie besagt ein Drei­faches. Erstens: Der Tod ist nicht ein Phänomen, welches von Hau­se aus hineingehört in unser menschliches und geschichtliches Dasein, mit ihm ist vielmehr etwas Fremdes, etwas Unheimliches in unser Dasein getre­ten, das uns vom ersten Tage unse­rer Geburt an bedroht. Der Tod quali­fiziert sozusagen das ganze menschliche Dasein; aber daß er es qualifi­ziert, daß er jeden Augenblick da ist und dasein kann, daß er die Minuten [490] so süß und die Dauer des Lebens, wenn er verzieht, so quälend machen kann, daß er hier gefürchtet und dort herbeigewünscht wird – denken wir an Hiob, an den Psalter –, das alles ist eine Entstellung, eine Ver­zeichnung des wahren Lebens. Diese Mischung von Tod und Leben, die wir unsere Zeit nennen, ist nicht das wahre Leben.

Zweitens: Der Mensch ist dem Tode nicht gewachsen, sondern der Tod ist eo ipso, also ohne daß erst ein Erfahrungsbeweis angetreten werden muß, dem Menschen überlegen. Das weiß der Mensch auch. Er weiß nicht nur, daß wir alle sterben müssen (jene »dira necessitas«, von der die Alten soviel zu sagen wußten), sondern er weiß von vornherein, daß, wenn der Tod ruft, er folgen muß, daß keine Kunst und keine Kraft, keine Weisheit und keine Schläue, kein Geld und keine Macht den sterb­lichen Menschen dem Tode gefeit machen. Es verhält sich damit ähnlich wie mit dem Bösen: Auch davor ist kein Mensch gefeit. Auch dieses findet sei­nen Eingang in unser Fleisch und Blut, ohne daß sich jemand dagegen wehren kann, auch das ist unvermeidbar, ist »Schicksal«. Dar­um kennt der Mensch den Tod auch nicht. Er ringt mit einem Gegner, der sein Visier nicht abnimmt und nicht abzunehmen braucht. Wenn er seinen Stab hebt, dann sinken die Sterblichen zu Boden und müssen mit Schrecken erkennen, daß hier der Gegner des Menschen auf dem Plan ist, der siegt, wo er seine Hand ausstreckt, der siegreich ist – wie Gott!

Darum drittens: Sollte es geschehen, daß es einen Augenblick in un­serer Geschichte gibt, da der Tod selbst in Frage gestellt wird, sollte also dieses Infragestellen des Todes einen Akt be­deuten, der real ist, wie alle anderen Vorgänge real sind, die sich auf dieser Bühne abspielen, sollte also der Tod selbst Partner, der Geforderte, der »Andere« sein, der hier mit-spielt, dann ist er selbst verloren. Dann ist offenbar geworden, daß die Gleichsetzung zwischen Tod und Gott falsch ist. Dann ist offenkun­dig geworden, daß mitten unter den Menschen und mitten in der Men­schenwelt einer lebt, der stärker ist als der Tod, und zwar darum, weil Gott mit ihm ist. Das Wunderbare am Tode Jesu ist eben dies: daß Gott und der Tod nicht eins sind. Wären Gott und der Tod hier eins – wäre dieses also eines jener Todesereignisse, bei denen wir diese Einheit mei­nen konstatieren zu müssen: Gott sendet den Tod, und der Tod tut, wozu er da ist, er begräbt die zeitlich bemessene, menschliche, die ver­fehlte und trotz aller hohen und bedeut­samen Leistungen sterbliche Existenz in die Erde, macht den Weg frei für die Kommenden, ist, was er ist, im Einverständnis mit Gott –, dann wäre auch der Tod Jesu ein innerweltliches, ein mit den Mitteln der Historie zu bewältigendes Er­eignis, dann hätten die Historiker im To­de Jesu wirklich den Nagel, an [491] dem sie alles aufhängen können. Er ist das aber nicht. Er ist der Nagel, an dem alles hängt, aber in einem Verstande, von dem sich unser histo­risieren­des Geschlecht nicht träumen läßt: Er ist der Tod des Todes. Wir können auch sagen: Er ist das In-Erscheinung-Treten der Widergött­lichkeit des Todes als solchen und damit die Bestä­tigung dessen, was bereits das Alte Testament vom Tode zu sagen wußte. Der Tod Jesu ist das Gegen­über von Gott und Tod, ist die Entzweiung dessen, was bei jedem anderen Todesfall eines ist: Hier Gott – dort der Tod. »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?« (Lk 24,5). Dieser Tod ist nicht ein Tod wie andere. Hier ist auseinandergetreten, was sonst hoffnungslos inein­andergefügt ist: Tod und Leben. Hier riecht es nur nach Leben. Hier ist die Grenze ge­setzt, das Non-plus-Ultra des Todes.

Tod und Auferstehung Jesu haben also insofern etwas miteinander zu tun, als der Tod dieses Menschen schon die Auferstehung von den Toten beinhaltet. Dieser Tod ist schon Sieg. Es tritt die Wendung vom Tod zur Auferstehung nicht mirakelhaft ein in der Form, daß ein Toter von den Toten aufersteht, sondern der Tod ist damit, daß er als der Tod dieses einen Men­schen eintritt, entrechtet, hat sein Daseinsrecht verloren. Er ist rechtlos geworden im Reiche Gottes.

Genau dasselbe gilt nun aber auch von der Auferstehung. So wie der Tod Jesu die Auferste­hung beinhaltet – kein Tod wurde je so erlitten wie dieser, indem Gott die Gegenseite aus­machte und der Tod sein Recht in Gott verlor –, so ist es auch mit der Auferstehung des in den Tod gege­benen Jesus Christus. Die Auferstehung ist ein Ereignis innerhalb der Todeswelt und der Todeswirklichkeit, in der wir alle, auch und gerade wir als die Glaubenden leben. »Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.«[1] Wir sind ihm nicht entnommen. – Die heidni­sche Philo­sophie denkt gern am Tode vorbei. Sie meint, daß der Tod die wahre Lebenssub­stanz im Menschen nicht treffen kann, daß wir sozusagen von Natur unsterblich sind. Die tief­ste und bis heute immer wieder erre­gendste These dieser Art ist diejenige Platos, die sich dann im ganzen Mittelalter fortsetzt und die auch im deutschen Idealismus Pate steht, daß heimlich in der Seele des Menschen sich ein Wissen, ein Erinnern, findet, das weit über alles Endliche und Vergängliche hinausreicht. Die Rückkehr des Menschen zu sich selbst in seine Seele ist sozusagen der Überschritt aus dem Bereich des Vergänglichen und Trügerischen in den des Bleibenden und des Wahren. Hier, so scheint es, hat der Tod keine [492] Macht: Er kann nur das Äußere unserer Existenz treffen, aber den Kern derselben trifft er nicht. Er schlitzt nur die Schale auf und legt so den Kern offen für das wahrhaft Lebendige und Bleibende. Darum kann man ihn sogar als ultima ratio wählen, wenn Ehre und Freiheit keinen andern Ausweg mehr lassen, um diesem Schauplatz der Gewalt und Tyrannei den Rücken zu kehren und dorthin zu gehen, woher der Geist stammt, der in uns wohnt. –

Die neutestamentliche Botschaft von der Auferstehung von den To­ten, die alles andere über­strahlt, empfängt ihr Licht von den Osterereignissen her. Sie geht nicht am Tode vorbei, sie setzt nicht eine un­sterbliche Substanz im Menschen voraus, auch und gerade nicht in dem dort Auferstandenen, vielmehr verkündet sie den Durchbruch durch die Todeslinie, die unser gan­zes menschliches Leben zu einem Leben »innerhalb« macht: zu einem furchtbaren Gefängnis, dessen Wände wir zwar ein wenig nach außen verrücken, das wir aber nicht durchbre­chen können, dessen Innenausstattung wir ein wenig verändern, das wir aber in seiner Furchtbarkeit und Sinnlosigkeit nicht verwandeln können. Die Auferstehung bedeutet eine totale Wandlung dieses gan­zen Todesaspekts. Sie ist der Sieg des Lebens, und zwar nicht so, daß ein Individu­um dem Todesschicksal entgangen ist, sondern so – fasse es, wer es fassen kann! –, daß die hier getroffene Entscheidung allen gilt, daß also von hierher all diejenigen Philosophen und Ethiker ge­rechtfertigt sind, die den Sinn des Lebens ehedem schon in ein Jenseits dieser To­deswelt verlegt haben. Sie mußten wohl ihren Traum mit einer gewissen Verharmlosung des Todes erkaufen. Sie haben vor allem nicht gesehen, was jetzt erst, da die Lösung da ist, offen­kundig wird: daß Tod und Sünde zusammengehören und daß mit der Vergebung der Sünde das Leben, das ewige Leben, in Erscheinung tritt. Denn das In-Erscheinung-Treten des Lebens als solches, das ist die Auferstehung.

Wie der Tod Jesu die Wirklichkeit des Todes enthüllte, wie er ihn gleichsam herauszog aus seiner Verborgenheit und eben damit besiegte; wie der Tod sein mußte, was er von Hause aus ist, nämlich der Feind Gottes, und an dieser seiner Wahrheit starb, so trat in demselben Mo­ment auch das Leben in Erscheinung, und zwar das Leben, das Gott schafft, das wir alle noch nicht kennen, das auf uns wartet und das erst voll und ganz den Namen Leben verdient. Das Leben, das wir kennen, ist eine Mischung von Leben und Tod, und zwar eine solche, die mehr und mehr auf den Tod hin gravitiert. Aber hier ist etwas Neues gewor­den: Hier ist ein Leben erschienen, das den Tod ausscheidet, das mehr und mehr auf den Sieg des Lebens hin ausge­richtet ist. [493]

Wir machen uns auch diesen Sieg des Lebens unter drei Gesichts­punkten klar. Erstens: Diese Erscheinung des Lebens ist unabdingbar gebunden an die Auferstehung Jesu Christi. Wir kön­nen auch sagen: Sie ist – de facto et sine conditione – gebunden an den Tod Jesu. So gewiß dieser Tod ist, so gewiß will sie sein. Sie will ihre Basis, ihre Realitätsgewißheit aus der ande­ren nehmen, daß dieser Jesus wirklich gestorben ist und ins Grab gelegt wurde – darum der harte Kampf gegen jede Art von Doketismus, darum auch bereits in der Urchristenheit der Kampf gegen eine Art von Pneumatikertum, das die Auferstehung vor­wegnehmen wollte und meinte, die Christen seien schon auferstanden. Wäre die Hoffnung auf Auferstehung nicht so innig und untrennbar verbunden mit dem Osterereignis, also mit dem Geschehen um Jesus, mit dem Geschehen auf Golgatha und im Garten des Joseph von Arimathia; handelte es sich um rein geistige Wirkungen, die von dieser gro­ßen Person ausgegangen sind und in den Jün­gern das Bewußtsein er­zeugt hätten, er könne nicht tot sein; wäre unser Christentum eine Art Ausstrahlung der großen geistigen Bewegung, die von diesem Jesus von Nazareth – angeblich – ausgegangen ist und schließlich eine halbe Welt christlich machte; wäre diese Auswirkung keine andere als die, die von dem Hain Akademos des Plato ausgegangen ist und von der her wir uns alle noch als Akademiker fühlen und es auch sind – wäre es so, dann könnte man in der Tat mit Schleiermacher die Auferstehung aus der Dogmatik herausnehmen, weil eben bereits in der christlichen Gemein­de die Wirkung – die geschichtliche Wirkung – des Jesus von Nazareth lebendig und kräftig und von dort her ablesbar ist. Genau das möchten wir nicht. Genau hier möchten wir die Umkehrung vollziehen: Wir sind die Sterbenden, er ist der Lebendige. Er ist das Leben. Sieht man sich die Tradition des 18. und 19. Jahrhunderts an, so ist noch gar nicht abzuse­hen, was diese Entdeckung der Auferstehung theologisch und syste­ma­tisch zu bedeuten hat und haben wird. Hier ist der Nexus einer in sich ruhenden, einer in sich geschlossenen Geschichte gesprengt. Hier ist das Ziel der Geschichte mitten in der Ge­schichte aufgebrochen und fest­gemacht. Das ist das Ziel der Geschichte. Das ist die Voraus­setzung von unser aller Glauben an den lebendigen Gott, daß er mitten unter uns ein Zeichen seines Sieges über den Tod aufgerichtet hat in Jesus von Naza­reth.

Das Zweite, was wir hier zu sagen haben, ist dies: Seit und mit der Auferstehung Jesu Christi ist uns das Werk Jesu Christi aus der Hand genommen. Das heißt, wir verwalten nicht sein Erbe, sondern wir sind es! Er verwaltet das, was in seiner Lebens- und Wirkzeit an Frucht her-[494]ausgekommen ist. Er verwaltet zunächst und zuerst die Frucht seines Todes; das drückte die alte Dogmatik aus mit dem »priesterlichen Amt« (munus sacerdotale): Er ist der Hoheprie­ster, der sein eigenes Fleisch und Blut durch den ewigen Geist vor Gott darbringt (vgl. Hebr 9,14). Sein Leben und Sterben ist also nicht etwas den Menschen Preisgegebe­nes oder der Kirche Vermachtes, die Kirche ist nicht ein Museum auf dem Grab eines Toten, vielmehr wal­tet er als der Lebendige mitten unter den Seinen. Es ist sehr wichtig, dies zu beachten. Denn damit ist die Grenze gezogen gegen alle Arten von Verdinglichung, wie sie auch aus­fallen mögen. So ist der Tod Jesu nicht einfach eine Sache, eine Lei­stung, mit der wir rechnen kön­nen oder über die die Kirche verfügt, von der aus sie uns den Gnadenerlaß zuteilt; immer ist er der redende und sich uns schenkende Herr, und immer muß der Lebendige das Subjekt sein. Daß der Lebendige das Subjekt ist, das wird in der Schrift damit ausgedrückt, daß es der Geist ist, der uns tröstet, reinigt, belebt, ja, der dasselbe mit uns tut, was Gott mit seinem Sohn getan hat: Er macht lebendig. Wie kommt es denn, daß wir uns so leicht seiner Sache, seines Lebens und seines Todes, bemächtigen: seines Lebens, indem wir es histo­risieren – das haben eben die Evangelisten nicht getan, o Wunder! –, seines Todes, indem wir ihn dogmatisieren: das haben die Apostel, die seinen Tod verkündigten, eben nicht getan. Sie wußten ganz genau zwischen sich und ihm zu unterscheiden: Er lebt, und sie sind nur die menschliche Stimme dieses ewig Lebendigen.

Das Dritte aber ist das Allgemeingültige, also das, was dahin führt, daß Paulus von Ostern aus den Tod als Tod wie eine überpersonale Grö­ße ansprechen und – ad acta legen kann: »Tod, wo ist dein Stachel?« (1Kor 15,55). Die Auferstehung Jesu ist das Besondere und bleibt das Besondere in Zeit und Ewigkeit. Aber zu diesem Besonderen gehört et­was Allgemeines: Der Tod, den wir alle in uns spüren, der in unserem Blute sitzt, als Gesetz unseres Fleisches, das vergehen muß – dieser ist betroffen. Um diese Frage entbrennt der große Streit in Korinth um die Auferstehung. Es geht hier ums Grundsätzliche: Es geht um die Kopula, die zwischen jenem Besonderen, der Auferstehung Jesu, und der Totenauferstehung schlechthin geschlun­gen ist. Wenn es die letztere nicht gibt, wenn die Kette, die uns bindet, nicht zugleich gerissen ist, dann ist sie überhaupt noch nicht gerissen, dann sind wir noch in unseren Sün­den; dann ist auch der Satz, daß Jesus auferstanden ist, ein nutzloser, ein gleichgültiger, ein leerer Satz, den man dann auch nicht ausbotschaften und verkündigen kann. Er klingt dann nicht, er sagt nichts mehr, er bedeutet nichts. Er bedeutet erst dann, was er wirklich von [495] Gott her be­deutet, wenn mit ihm zugleich auch die Schlösser springen, die unsere Gefangenschaft ausma­chen, und wir auf das andere Ufer, in die Neuheit des Lebens versetzt werden. Erst dann ha­ben wir begriffen, was mit uns geschehen ist, als ihm, Jesus, von Gott her dies geschah. Erst dann ist deutlich, daß alles, was Gott in Christus getan hat, nicht auf diese eine Person be­schränkt blieb und beschränkt sein kann, daß dies vielmehr eine Sache, einen Tatbestand angeht, der als solcher ins Wanken kommt.

Damit ist aber eine gewisse Gleichförmigkeit hergestellt zwischen die­sem sterbenden und auferstehenden Jesus Christus und – uns: Sofern nämlich auch wir in dieselbe Ordnung von Leben und Tod eintreten, daß das Leben das unsichtbar Kommende wird und bleibt und der Tod das nach hinten Gedrängte, das Überwundene, wenn auch noch Sicht­bare und Spürbare. Dieses Werden dessen, was in Kreuz und Auferste­hung mit Jesus selbst geschah, ist – unser Leben!

Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke, Neue Folge, Bd. 2: Christologie. Die Umkehrung des Menschen zur Menschlichkeit, Gütersloh 1999, 488-494.

[1] Martin Luther, EG 518, Vers 1.

Hier der Text als pdf.

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