Was ist der Heilige Geist? Eine bibeltheologische Hinführung
Von Eduard Schweizer
Wie kann man den Heiligen Geist von allen möglichen anderen Geistern unterscheiden? Dies war schon die Frage der Korinther. Die Antwort des Paulus, er sei dort, wo Christus als Herr bekannt werde und darum zum Nutzen aller, zum Aufbau der Gemeinde gehandelt werde (1 Kor 12,3.7; 14,4f), genügte bald nicht mehr. Schon Irenäus spricht dem richtig ordinierten Bischof die Garantie des Heiligen Geistes zu, und das Konzil von Trient hat das endgültig festgelegt. Die Reformation hat dagegen die absolute Irrtumslosigkeit der Schrift bis hin zu den hebräischen Punkten gestellt, und alle möglichen Gruppen haben im Protest gegen beide Kirchen die Garantie des Geistes in der Bewegtheit des eigenen Herzens gesucht. Wo also ist er?[1]
I. Das Alte Testament
Israel hat den Geist zuerst als unheimliche, manchmal sogar böse Macht erfahren und daher nur Ps 51,18 und Jes 63,10f vom «heiligen» Geist gesprochen. Unter seinem Drängen können Menschen Tage und Nächte hindurch weissagen, bis sie erschöpft nackt zu Boden sinken (1 Sam 19,19-24), oder auf Berge gejagt und in Schluchten gestürzt werden (2 Kön 2,16). Schon Micha grenzt sich davon ab (3,5-8), und vernünftige politische Entscheidungen (Gen 41,38; Ri 3,10; 6,34; 11,29; 1 Sam 11,6; 16,13; 2 Sam 23,2), ja Verstand und Kunstfertigkeit können Gabe des Geistes sein (Ex 31,3; 35,31; Dtn 34,9; Ijob 32,8; Mal 2,15). Im Gegensatz zum «Fleisch» steht er darum nur, wo der Mensch sich allein auf dieses verläßt statt auf Gott (Jer 17,5; 2 Chr 32,8), etwa auf die Ägypter, die doch «Menschen sind und nicht Gott und ihre Rosse Fleisch und nicht Geist» (Jes 31,3). Aber es ist gerade der (eifersüchtige, lügnerische, unzüchtige) Geist des Menschen, der dazu verführt (Num 5,14; Jes 19,14; Hos 4,12; 5,4).
Israel hat Gottes Wirken zuerst geschichtlich erfahren, im «Schnauben (= Geist!) seiner Nase», dem «Ostwind (= -geist!)», der das Meer trockenlegte (Ex 14,21; 15,8-10). Von da aus lernte es, daß Gott durch Wort und Geist die Welt geschaffen hat (Gen 1, 2; Ps 33, 6) und jedes Frühjahr neu belebt (Ps 147,18). Alles Leben seiner Geschöpfe ist nichts anderes als sein Geist, den er ausatmet und bei ihrem Tod wieder einatmet (Ps 104,29 f; Ijob 34,14 f). Freilich, ob wir das erkennen, ist die Frage; wohl wirkt Gottes Geist in seiner Schöpfung, aber «wie leise ist das Wort, das wir vernehmen!» (Ijob 26,13f). Oft stehen «Geist» und «Wort» zusammen (2 Sam 23,2; Ps 33,6; 147,18; Jes 59,21); betont das erste Gottes überwältigende, oft unbegreifliche Lebendigkeit, so das zweite, daß er erkannt und bekannt werden will.
Unter der niederschmetternden Erfahrung des Exils lernt Israel auf eine Neuschöpfung hoffen, in der Gottes Geist allein regieren wird – als Gerichtssturm, der alles vernichtet (Hos 13,15), und als kühlender Wind, der die Wüste zum Obstgarten wandelt (Jes 32,15-18); denn gerade der alles Böse wegfegende Sturmgeist Gottes schafft sich ein reines, heiliges Volk (Jes 4,4). Wer am «großen und schrecklichen Tag des Herrn» ihn anruft, der wird gerettet und mit seinem Geist begabt werden (Joel 3). Dann wird Gott seinen eigenen Geist dem Menschen ins Herz legen, damit alles Böse vernichten und ihm ein neues Herz schaffen (Ez 36,25-27; 39,28f).
II. Das Judentum zwischen Altem und Neuem Testament
Kann man die Fremdheit des Geistes, der Gotteserkenntnis schenkt, festhalten, wenn man nicht mehr alles Unerklärliche als Beweis des Wirkens Gottes auffassen kann? Die jüdischen Gelehrten wählten die «protestantische» Lösung, verknüpft mit der «katholischen»: Nur die biblischen Propheten sind garantiert Geistträger, und nur der in ununterbrochener Sukzession rite Ordinierte kann sie auslegen, weil ihm der Mose verliehene Geist so übermittelt wird. Damit war das radikale Gegenüber des Gottesgeistes festgehalten. Nur hielt er sich nicht an die Regel: je mehr er auf biblische «Konserven» beschränkt werden sollte, desto häufiger traten Propheten auf, die nicht anerkannt und darum nicht kontrolliert und an ihre Grenzen erinnert wurden, dafür um so mehr Leute faszinierten. Philo wählte die «charismatische» Lösung: nur wenn alles menschliche Denken erlischt, kann der Geist sprechen: «Ich glaubte, in göttlicher Begeisterung der Seele in höheren Regionen zu schweben …»
Aber biblische Propheten haben doch gerade unter dem Wirken des Geistes auch sehr vernünftige politische und soziale Lösungen vorgeschlagen, und Lügenpropheten haben unter «Geistzwang» und unter Ausschaltung der Vernunft geweissagt. Die Leute von Qumran suchten die Garantie im nachweisbaren Wunder der Erfüllung (Tempelrolle 61,2-5; Dtn 18,22; noch Ps.-Clem. hom. 2,6-11). Aber gerade beim echten Propheten erfüllt sich nicht alles sichtbar (Jona 3,10). Was also?
Ebenso fraglich blieb das Wirken des Geistes in der Schöpfung. Wer unter dem Eindruck der (damals) modernen Naturwissenschaft nicht mehr von Engeln redete, die die Regenbehälter öffneten und Blitz und Donner stets gleichzeitig ausließen, dachte sich Gottes Geist wie eine Art elektrischen Strom, der in verschiedener Intensität alles durchflutete. Aber wurde er damit nicht zu einer anonymen Naturkraft, in der Gottes Freiheit keinen Platz mehr hatte? Die Hoffnung auf ein ewiges Leben wurde damals modern. Die Skepsis des Predigers: «Wer weiß schon vom Geist des Menschen, ob er nach oben steigt, und vom Geist des Viehs, ob er nach unten zur Erde fährt?» (3,21), wird kaum wiederholt (vgl. 2 Makk 7,22f; Weish 1,13; 2,1.23; 4,7.10; 5,5.15!). Meist denkt man, ein dem Menschen eigener göttlicher Geist fahre beim Tod aus und werde in Kammern aufbewahrt bis zur Vereinigung mit einem neuen Leib in der Auferstehung. Aber geht damit nicht die biblische Einheit verloren zugunsten einer platonischen Trennung von Leib und Seele?
III. Das Neue Testament
1. Die Evangelien
Jesus selbst hat kaum vom Geist gesprochen. Er hat weder eine Christologie noch eine Pneumatologie verkündet. Er hat als Gottes Sohn im Geist gelebt.Noch Markus und Matthäus haben die «Fremdheit» des Geistes so empfunden, daß sie fast nur von dem in Jesus wieder lebendigen Geist reden. Nach Mt 1,18; Lk 1,35 ist der Schöpfergeist sogar schon in seiner Zeugung wirksam. Doch wird er (nach der Neuinterpretation des den in Feuer und Sturm kommenden Richter ankündigenden Täuferwortes) die Seinen «im Heiligen Geist taufen» (Mt 3,11 par.).
Schon Lukas betont, daß der Geist nicht nur in außergewöhnlichen Wundern wirkt, sondern allen gegeben ist. Num 11,29 («Gäbe Gott, daß alle im Volk des Herrn Propheten wären!») ist erfüllt; der Geist ist die Gabe Gottes (Lk 11,13) an den Glaubenden und Gehorsamen (Apg 2,38; 5,32). Noch wird die erste Erkenntnis des Glaubens nicht auf ihn zurückgeführt, wohl aber die Bewährung des Glaubens in der Verkündigung (neben Apg 8,29; 10,19; 11,28 usf. auch ihr «normaler» Fortgang: 9,31); denn Gemeinde ohne Mission wäre nicht mehr Gemeinde des Heiligen Geistes. Denkt Lukas auch an einen den Tod überlebenden «Geist» (8,55; 23,46)? Doch redet er Apg 20,10 nur vom zurückkehrenden «Leben», 9,40 vom Aufschlagen der Augen, und nach Lk24,37-39 ist der Auferstandene gerade nicht «ein Geist». Jedenfalls ist also der «Geist» nicht «er selbst», und man kann auf Lukas kein System einer unsterblichen Seele gründen.
2. Paulus
Auch er weiß um «Zeichen und Wunder» des Geistes (Röm 15,19; 1 Kor 2,4; 1 Thess 1,5). Aber das entscheidende Wunder ist ein anderes: «Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz aufgestiegen ist…, das hat Gott uns durch den Geist enthüllt», den Gekreuzigten, «Anstoß und Unsinn» damals wie heute, ja «Gottesfluch» (Dtn 21,22 f, Tempelrolle 64,12; Gal 3,13), dem Glaubenden aber Gottes Weisheit (1 Kor 1,18-2,16).
Dieses seltsame Gesetz Gottes gilt auch für Jesu Jünger: gerade in der Schwachheit ist Gottes Kraft da (2 Kor 13,4; 12,10). Darum kann Paulus nicht mehr auf «Fleisch» vertrauen, obwohl dies Gottes gute Schöpfung ist und es auch einen «Christus nach dem Fleisch» gibt (Röm 9,5). Gegensatz dazu ist nicht ein (menschlicher) «Geist», sondern nur Gott selbst (1 Kor 1,26; 2 Kor 1,12; 10,4; 1 l,17f; vgl. Röm 9,8; Gal 4,23). Der Mensch soll «im Fleisch wandeln», aber sich nicht «nach dem Fleisch» ausrichten (2 Kor 10,3). Wenn er das nämlich tut, kann es Macht über ihn bekommen (wie der Alkohol, mit dem man Wunden reinigen kann, bei einem Menschen, der alle Hilfe bei ihm sucht). Darum ist nicht die Körperlichkeit des Menschen (Sexualität, Zorn, Geldgier) das gefährlichste «Fleisch», sondern gerade seine «geistigen» Fähigkeiten, seine Gesetzeswerke (Gal 3,2.5), seine moralische Vollkommenheit (Phil 3,3-7: «untadelig» nach Gottes Gesetz!). Der Mörder merkt wenigstens oft noch, daß nicht alles gut steht bei ihm, der auf andere herunterschauende Moralist nicht mehr.
Israels besonderes Los war es deshalb, der Welt zu demonstrieren, daß der Mensch gerade auch auf seinen religiösen Höhepunkten und nicht nur dort, wo er zum Tier wird, Gott ganz verfehlen kann; darum ist gerade dort auch Gottes Gnade in letzter Radikalität aufgebrochen (Röm 5, 20). An die Stelle des Lebens «nach dem Fleisch» tritt das «durch den Geist» geschaffene (Phil 3,3; Röm 8,13 f; auch Gal 4,23 ist der Wechsel der Präpositionen zu beachten!). Jenes ist geprägt durch «Werke» (Plural), die getan und aufgezählt werden können und «offensichtlich» sind, dieses durch die «Frucht» des Geistes, die wächst und das Leben mit all seinen Licht- und Schattenseiten einheitlich auf Gott ausrichtet (Gal 5,19.22), dessen Kraft im Schwachen ist.
So wird der Geist zum Geist der Heiligung (Röm 15,16) und der einzelne wie die Gemeinde zu seinem «Tempel» (1 Kor 6,19; 3,16). Das ist kein neues «Gesetz», denn «wo der Geist ist, da ist Freiheit» 2 Kor 3,17), gerade weil er die Weisheit zur richtigen Entscheidung schenkt, die dem andern doch «keine Schlinge um den Hals legt» (1 Kor 7,35.40). Das ist nur verständlich, weil die entscheidende Wirkung des Geistes eben die Öffnung für Gott und damit für den Mitmenschen ist. Er lehrt beten (Gal 4,6f; Röm 8,15-17); ja, er betet selbst in uns und übersetzt so unser Seufzen, für das wir nie die richtigen Worte finden, damit Gott es verstehen kann (Röm 8,26f).
Solche Ausrichtung auf Gott befreit vom Zwang, sich selbst durchsetzen zu müssen und schenkt darum das offene Herz für den andern, die «Liebe des Geistes» (Röm 15,30). Sie ist seine erste Frucht (Gal 5,22), die Gabe, die alle andern zusammenfaßt und Gemeinde baut(l Kor 13 zwischen Kap. 12 und 14 wie Röm 12,9a zwischen V. 3-8 und 9b-13). Wo Gemeinde zerstört wird, weil der konservativere Petrus nicht mehr Platz hätte neben dem radikaleren Paulus und dem charismatischeren Apollos (1 Kor 3,4.17.22), da ist Gottes Geist nicht mehr.
Das Wirken des Geistes in der Schöpfung ist selbstverständlich vorausgesetzt, gerade darum aber neutestamentlich nie erwähnt. Die Neuschöpfung, die mit dem Einbruch des Geistes bei Jesus beginnt (Mk 1,9-11; Mt 1,18; Lk 1,35), ist so viel wichtiger: der Hymnus Kol 1,15-20 erkennt, daß man die erste Schöpfung (in der das Gesetz des Überlebens des Starken gilt!) erst von der Neuschöpfung in der Auferstehung Jesu her als Gottes Schöpfung erkennen kann. Diese «Neuschöpfung in Christus» (2 Kor 5,17; «des Geistes» Tit 3,5) ist aber der Leib Christi, in den hinein der Geist in der Taufe eingliedert (1 Kor 12,13). Hier sind die Weissagungen von der Neuschöpfung durch die rieselnden Bäche des Gottesgeistes (Jes 44,3; vgl. 43,20) erfüllt. Hier gilt das Gesetz des Überlebens der Schwachen (1 Kor 12,22f).
Das führt Paulus zu der für Jahrtausende wichtigen Einsicht, daß die Absonderlichkeit der Gabe kein Beweis für ihre Herkunft aus Gottes Geist darstellt; das gab es auch im Heidentum (1 Kor 12,2). Wesentlich ist nur, ob durch sie Christus (nicht etwa die eigene Begabung!) Herr ist und so die ganze Gemeinde gebaut wird (V. 3.7). Daher sind Fürsorge und Organisation (bei denen man nach Meinung der Korinther Besen oder Tischglocke braucht, aber nicht den Geist, V. 29f) genau so Geistesgaben (V. 28) wie die Glossolalie. Paulus schätzt diese zwar hoch (14,18), nicht aber als Dienst an andern. «Übernatürlich» sind also alle Gaben, wenn wirklich das Wunder aller Wunder geschieht, das durch Gottes Gnadenwort zum Menschen durchdringt und ihn ins Heil stellt. Darum kann kein «Ohr», mag es noch so sehr auf der Seite stehen, Minderwertigkeitsgefühle gegenüber dem «Auge» hegen, das freilich auch nicht, weil es alles von oben her überblickt, sich über die «Hände» (die etwa im schmutzigen Spülwasser arbeiten) erhaben fühlen darf (1 Kor 12,15-25).
Auch für Paulus wirkt der Geist in dieser, nicht in der kommenden Welt, ist aber «Kostprobe» und «Anzahlung» auf sie hin (Röm 8,23; 2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,13; Vgl. Hebr6,4f). Eben dieser Geist, der um die Vollendung weiß, wird hier solidarisch mit der ganzen Schöpfung, weil er unerträglich an ihren Nöten leidet (Röm 8,22f). Er befreit von aller Schwärmerei, die mit dem Geist schon im Himmel leben und die Erde mit ihren Leiden vergessen will. Schon nach vorpaulinischer Sicht wirkt er freilich in der Auferstehung Jesu (Röm 1,4; vgl. 1 Tim 3,16;
1 Petr 3,18), und für Paulus ist der Erhöhte «lebenschaffender Geist», der den menschlich unvorstellbaren, «geistlichen» Auferstehungsleib schenkt (1 Kor 15,44-49). Das geschieht einst «um des (jetzt schon) in uns wohnenden Geistes willen» (Röm 8,11). Insofern kann man, wenn man das betonen will, was von Gott her gilt, sogar sagen, der Glaubende sei schon zu solch neuem Leben erweckt (Kol 2,12).
Aber gegenüber aller Schwärmerei meidet Paulus doch in Röm 6,1-11 diese Aussage, weil wir zwar der Sünde ein für allemal abgestorben sind, das Auferstehungsleben aber auf Erden noch sehr angefochten bleibt. Gewiß wird Gottes Geist schon hier zu «unserem Geist» (den Paulus scharf vom menschlichen Verstand unterscheidet, 1 Kor 14,14); aber doch so, daß dieser des Zuspruchs des «Geistes selbst», des immer wieder neu zu ihm durchdringenden Geistes Gottes bedarf (Röm 8,15f). Der heilige Geist ist also der Rufende und der in uns Antwortende zugleich. Dieses Leben Gottes in unserem menschlichen Leben drin ist dann auch der «Geist», von dem Paulus einmal erwarten kann, daß er durch Tod und Gericht hindurch gerettet werde (1 Kor 5,5).
3. Johannes
Auch bei ihm endet das Nikodemusgespräch über die Geburt aus dem Geist im Hinweis auf den Gekreuzigten (3,14), und der Hohepriester, der weissagen muß, was er selbst nicht will, spricht ebenfalls davon (11,51f). Nur ist damit Jesu «Erhöhung», nicht seine Ohnmacht betont, allerdings eine seltsame Erhöhung, nämlich die ans Kreuz. Doch ist eben sie der Sieg Gottes (19,30). Wer das erkennt, ist «vom Geist geboren» (3,3.6), von Gott, von oben, vom Himmel her, und lebt nicht mehr «vom Fleisch», von unten, von der Erde, von dieser Welt, vom Teufel (3,6.31; 8,23.42-47; 15,19; 17,14.16). Jedoch ist dieser Geist in Jesu Worten zu finden, die «Geist und Leben» sind (6,63; vgl. 3,34).
Johannes meint also nicht eine obere Welt des Geistes, die man findet, wenn man die Welt des Fleisches verläßt und in den «Himmel» steigt, in geistlichen Erlebnissen (dagegen 3,13) oder nach dem Tod. Johannes spitzt das von Paulus Erkannte nochmals zu: «Fleisch» ist eigentlich alles außer Jesus. Darum künden die langen Bildreden Jesu immer nur das eine: alles, was der Mensch sucht, ist allein bei ihm zu finden, «dem wahren Licht, dem wahren Brot, dem wahren Weinstock, dem rechten Hirten» (1,9; 6,32; 15,1; 10,11). Wer sich auf anderes Licht und Brot, einen anderen Weinstock und Hirten verläßt, täuscht sich. Nur der Geist, der vom Gekreuzigten ausgeht (7,38 wohl so), führt in die ganze Wahrheit (16,13), zu dem, der die Wahrheit ist (14,6), indem er die Gemeinde zu ihm zurückruft (14,26; 15,26).
Die Neuschöpfung beginnt daher, wo der Geist den Menschen «von oben zeugt» (3,3), wie Johannes ein traditionelles Taufwort (3,5; Mt 18,3) neu interpretiert. Für ihn ist die Gabe des Geistes nur eine: eben die Erkenntnis Jesu. Kaum zufällig wählt er darum nicht das Bild vom Leib, in dem ein Glied das andere nötig hat, sondern die Bilder von der Herde, der Kornähre und vom Weinstock (10,1-18; 12,24; 15,1-6), wo Schaf neben Schaf, Korn neben Korn, Rebzweig neben Rebzweig alle von dem Einen leben, aber nicht einander nötig haben. Radikal zeichnet 1 Joh 2,20.27 eine Gemeinde, in der alle wissend sind und keines Lehrers bedürfen als des Geistes selbst. Alle «Jünger» (die Johannes nur 6,67 «die Zwölf» nennt) sind Empfänger wie des Gebots der Bruderliebe so der Vollmacht des Heiligen Geistes zur Sündenvergebung (20,22f). Sicher wird zur Liebe aufgerufen (15,12-17; 1 Joh 3,14-18; 4,11-13 in einer vielleicht späteren Schicht); aber es ist die Bruderliebe, die die Liebe zur Welt geradezu ausschließt (15,18-16,4; 1 Joh 2,15f). Zwar schenkt der Geist das Zeugnis und so auch Verantwortung für die Welt (15,26f; 17,20-23); aber nicht so wie bei Paulus (1 Kor 14,16.23-25), daß die Gemeinde in die Welt ausbricht und ihre Sprache lernt, sondern so, daß sie, ab geschirmt von der Welt, ihr vorlebt, was Leben unter der Führung des Geistes bedeutet.
Eigentlich ist im Glauben schon alles erreicht. Freilich muß dies ins ewige Leben, ins volle Schauen der Herrlichkeit Gottes hinein bewahrt werden (6,27; 12,25; 14,2f; 17,24); aber nicht welche Vorstellungen der Mensch von der kommenden Welt hat, entscheidet, sondern ob er in seiner Begegnung mit Jesus schon «die Auferstehung und das Leben» findet (11,24f). Genau das ist die Neugeburt aus dem Geist (3,5f): durch Jesus dringt ein Leben aus einer ganz anderen Dimension ein; zwar wird der Glaubende sterben, was aber der Geist in ihm zu bauen angefangen hat, wird davon nicht zerstört, sondern einst von Gott vollendet. Insofern wird, wer an Jesus glaubt, nicht sterben, oder wenn er stirbt, dennoch leben (11,25f).
IV. Wo also ist der Heilige Geist am Werk?
Unmöglich ist die typisch «protestantische» Lösung: das Wirken des Geistes kann man nicht im geschriebenen Bibelwort einfrieren. Gewiß redet er durch die Schrift (Mk 12,36; Hebr 10,15); aber schon die Antithesen von Mt 5,21-48 zeigen, wie wenig sie verstanden ist, solange sie dem Buchstaben nach gelesen wird. Paulus kann sogar (trotz Röm 3,21 usw.) erklären, die Gemeinde «lebe im neuen Leben des Geistes, nicht mehr im veralteten der Schrift» (7,6). Will sie sich nämlich mit der Schrift sichern, wird diese zum Buchstaben und Gesetz und bleibt mitsamt ihren Lesern noch unter der «Decke»; erst der Geist öffnet das Herz und damit auch die Schrift (2 Kor 3,6.14-18). Nach Joh 3,1-10 kann auch der berühmteste Schriftausleger die (von Jesus zeugende, 5,39.46f) Schrift nichtverstehen ohne die Neuzeugung durch den Geist.
Unmöglich ist die typisch «katholische» Lösung: Freilich schafft der Geist Ordnung. Ethische Maximen mit Androhung des Gottesgerichts stammen vermutlich von geistbewegten Propheten und werden Offb 2,7 usw. auf den Geist zurückgeführt. Er macht auch Menschen zu «Aufsehern» (Apg 20,28) und gibt jedem seine Gabe und Aufgabe, damit alles in Ordnung vor sich gehe (l Kor 12,8-11; 14,32 f. 40). Frauen spielen dabei eine wichtige Rolle (Apg 18,26; Röm 16,1; 1 Kor 11,5; Phil 4,2f; vgl. Joh 4,39; 11,28; 20,18). Der Geist erinnert an das, was «von Anfang an» gelehrt wurde (Joh 14,26; 1 Joh 2,7.24). Aber er ruft zu besonderem Dienst; die Gemeinde kann nur hinterher erkennen, was er voran geschenkt hat (Apg 6,3; 20,28; 1 Kor 12; 16,15-18; 1 Tim 1,18; 4,14). Darum bezeichnen die vier griechischen Ausdrücke für «Amt» nur das Wirken jüdischer oder heidnischer Beamten, das Christi oder der Gesamtgemeinde, nie jedoch das eines einzelnen oder einer Gruppe. Was Petrus grundlegend zugesprochen ist (und seine apostolische Einmaligkeit ausmacht; Mt 16,18f), gilt der Gesamtgemeinde als seiner Nachfolgerin 18,18). Selbst die Sondergabe eines Gemeindeglieds kann vom Geist jederzeit einem andern geschenkt werden, so daß der erste sich hinsetzen und den andern reden lassen muß (1 Kor 14,30). Die Leitung des Geistes genügt (1 Joh 2,27). So steht am Ausgang des neutestamentlichen Zeitalters die Ordnung desr Pastoralbriefe mit der Ordination (freilich nur, wo der Geist durch Propheten den zu Ordinierenden bezeichnet hat) neben der der Johannesbriefe, in der der Geist durch jedes Gemeindeglied reden kann (freilich nur, wenn es innerhalb des «von Anfang an» Gelehrten geschieht). Beide Formen sind möglich, solange die genannte Korrektur wirksam bleibt.
Unmöglich ist die rein »charismatische» Lösung: Auch ein von Jesus berufener Empfänger des ersten Pfingstgeistes kann irren (Gal 2,12). Herrlichste geistliche Erlebnisse können von Götzen herkommen (1 Kor 12,2f). Nicht jeder Geist kommt von Gott und schenkt die Wahrheit (1 Joh 4,1-6). Erst die Stellung zum «Herrn», der «ins Fleisch gekommen ist», entscheidet darüber. Aber selbst eindeutig vom Geist stammende Weisungen entbinden nicht von selbständiger Entscheidung. Der Geist gebietet Paulus, nicht nach Jerusalem zu ziehen (Apg 21,4), und doch muß er «gebunden im Geist» gerade das tun (20,22). Noch weniger können unbestreitbare Wunder Gottes Geist garantieren. So einfach ist es ja nicht, daß «der böse Geist» immer das Wunder verweigert (Apg 19,15f): Mk 13,22; Apg 16,16; 2 Thess 2,9; Off 13,13).
Widerspricht also der Geist sich selbst? Er setzt Bischöfe ein und gibt Charisma durch Ordination und lehrt zugleich die Gemeinde, sie habe keinen Lehrer nötig außer ihm selbst. Er ruft Paulus zum Märtyrergang und warnt ihn gleichzeitig davor. Er schenkt die überschäumende Fülle einer Geistessprache und hält doch das Gemeindeglied davor zurück, dieser im Gottesdienst freien Lauf zu lassen. Nun, Jesus hat in Gleichnissen geredet, weil man Gottes nie habhaft werden kann, auch nicht mit der korrektesten Formel; Gott muß sein Wort stets neu sagen und zu neuen Ufern führen können. Die Gemeinde hat aus dem gleichen Grund vom Geist gesprochen. Wohl gibt es Wegweiser: die Frage, ob Jesus als Mensch und als himmlischer Herr bekannt wird und ob dadurch die Gemeinde als ganze gebaut wird. Wohl gibt Gott auch seiner Gemeinde immer wieder Menschen, die besonders begabt sind, diese Fragen zu klären, und Bekenntnisse, die das festzuhalten versuchen. Dafür soll man sehr dankbar sein. Beide dürfen aber nie dem Geist Gottes im Weg stehen, wenn er in einer neuen Situation neu reden will. Er kann der Gefahr der alles auflösenden Gnosis (1 Tim 6,20) entgegen den geordneten Dienst der Verkündigung schenken und zugleich der Gefahr der werdenden Amtskirche (3 Joh 9f) entgegen die Gemeinde an die absolute Freiheit des Geistes erinnern. Er kann den Menschen in eine Aufgabe rufen und ihm zugleich die Schwere seines Weges aufzeigen. Er kann die überbordende Freude schenken und zugleich die Nüchternheit der Liebe, die die andern nicht vergißt. Er kann «protestantisch» und «katholisch» und «charismatisch» reden.
EDUARD SCHWEIZER
1913 in Basel geboren, Schulen in Basel, Universitätsstudium Basel, Marburg, Zürich, unter K. Barth, R. Bultmann, E. Brunner. Abschluß 1936, Dr. theol. Basel 1938. Pfarrer in der Schweiz 1936-1946. Privatdozent Zürich 1940, ordentlicher Professor für Neues Testament Mainz 1946, Bonn Sommer 1949, Zürich seit Herbst 1949. Gastprofessor Rochester/New York 1959/60 und 1962, San Francisco 1964 und 1967, Kyoto und Tokio 1966, Melbourne 1968, 1971, 1975. Dr. h.c. Mainz 1950, Wien 1972, D.D.h.c. St. Andrews (Schottland) 1963, Melbourne 1975. Bücher: EGO EIMI 19392, 1965; Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern 1955/-1962; Gemeinde und Gemeindeordnung im NT 1959/21962; Neotestamentica 1963; The Church as the Body of Christ 1964; Das Evangelium nach Markus 1967/41975; Jesus Christus im vielfältigen Zeugnis des NT 1968/41976; Beiträge zur Theologie des NT 1970; Das Evangelium nach Matthäus 1973/21976; Der Brief an die Kolosser 1976; Heiliger Geist 1978; Gott will zu Worte kommen 1978 u.a.m.; Zahlreiche Übersetzungen ins Englische, Japanische, Italienische, Französische; über 200 wissenschaftliche Aufsätze in Deutsch und Englisch. – Im ThWNT die Artikel pneuma; sarx; sōma; hyiós (theoū); psyché. Anschrift: Pilgerweg 8, CH-8044 Zürich.
Quelle:; Concilium 15, 1979, S. 494-498.
[1] Alles Nähere in E. Schweizer, Heiliger Geist (Stuttgart 1978).