Paul-Henri Thiry d’Holbach, Gebet eines tugendhaften Atheisten: „Ich darf dich, also, nicht fürchten; ich darf des Schicksals wegen nicht unruhig seyn, das du mir zubereitest. Deine Gütigkeit konnte nicht zugeben, daß ich mir durch unvermeidliche Verirrungen Strafe zuzöge. Warum ließest du mich nicht lieber in dem Nichts, als daß du mich in die Klas­se vernünftiger Wesen riefest, damit ich die traurige Freyheit haben möchte, mich unglücklich zu machen?“

Gebet eines tugendhaften Atheisten

Von Paul-Henri Thiry d’Holbach

Wenn denn wirklich ein Gott seyn sollte; wenn dieser Gott ein verständiges, billiges und gütiges Wesen wäre, und kein grausamer, unverständiger und bösartiger Geist ist, wie ihn die Religion so oft vorstellt, was könnte ein tugendhafter Atheist zu fürchten haben, der sich, nachdem er im Augenblick seines Todes auf immer einzuschlafen glaubte, in der Gegenwart eines Gottes befindet, den er in seinem Leben verkannt, und vernachläßiget hatte?

O Gott! würde er sagen, Vater, der du dich deinem Kinde unsichtbar gemacht hast, unbegreiflicher und verborgener Herrscher, den ich nicht entdecken konnte, verzeihe, wenn dich mein eingeschränkter Verstand in einer Natur nicht zu erkennen vermochte, in welcher mir alles nothwendig schien. Verzeihe, wenn mein empfindliches Herz deine erhabenen Züge unter der Gestalt eines zornigen Tyrannen nicht unterscheiden konnte, den der Abergläubige zitternd anbetet. In dieser Vereinigung unverträglicher Eigenschaften, womit dich die Einbildung bekleidet hatte, konnte ich nichts als ein eitles Phantom erblicken. Wie hatten dich auch meine groben Augen in einer Natur erblicken können, wo meine Sinnen niemals etwas anders als materielle Wesen und bald verschwindende Gestalten sahen? Konnte ich mit Hülfe dieser Sinne dein geistiges Wesen entdecken, welches zu prüfen, diese Sinne durchaus unfähig waren? Konnte ich dauernde Beweise deiner Güte in deinen Werken finden, die ich den Wesen meiner Art eben so oft schädlich, als nützlich werden sahe? Konnte mein schwacher Verstand, der den Maasstab nur von sich selbst nehmen mußte, deinen Plan, deine Weisheit, deinen Verstand gehörig beurtheilen, wenn ich überall um mich her ein beständiges Gemisch von Ordnung und Unordnung, von Guten und Bösen, von Entstehen und Vernichten erblickte? Konnte ich deiner [333] Gerechtigkeit huldigen, wenn ich das Laster so oft triumphirend, und die Tugend so oft in Thränen sahe? Konnte ich in jenen zweydeutigen, widersprechenden, kindischen Orakelsprüchen, welche Betrüger in deinem Namen der Erde verkündigten, die ich verlassen habe, die Stimme eines höchst weisen Wesens finden? Wenn ich mich geweigert habe, dein Daseyn zu glauben; so geschah es, weil ich nicht wußte, weder wer du seyst, noch wo man dich suchen sollte, noch welche Eigenschaften dir zukamen. Meine Unwissenheit ist verzeihlich, weil sie unüberwindlich war; mein Verstand konnte sich nicht unter das Ansehen einiger Menschen demüthigen, welche über deine Natur eben so wenig erleuchtet waren, und immer mit sich selbst in Widerspruch, mir gleichwohl unaufhörlich zuriefen, ihnen die Vernunft aufzuopfern, die du mir gegeben hättest.

Aber wenn du deine Geschöpfe liebest, o Gott, so habe ich sie wie du geliebet: ich habe in der Sphäre, in welche du mich gesetzet hattest, Glückseligkeit zu verbreiten gesucht. Wenn die Vernunft von dir ist, so habe ich sie immer gehört und befolgt; wenn Tugend dir angenehm ist, so habe ich sie immer verehret, und nie wissentlich beleidiget. So viel es meine Kräfte gestatteten, habe ich sie ausgeübt; ich bin ein zärtlicher Gatte und Vater gewesen, ein redlicher Freund, ein treuer und fleißiger Bürger. Ich habe Betrübte getröstet, und wenn die Schwachheiten meiner Natur mir nachtheilig, oder andern lästig gewesen sind, so habe ich doch wenigstens niemals den Unglücklichen unter meiner Ungerechtigkeit seufzen lassen, so habe ich dem Armen nicht das Seinige genommen, nicht ohne Mitleid die Thränen der Wittwen gesehen, nicht ohne Theilnehmung die Klagen der Waysen gehört. Wenn du den Menschen zum geselligen Leben schufest, wenn du wolltest, daß die Gesellschaft glücklich sey, so habe ich mich als den Feind aller [334] derer gezeigt, die sie unterdrückten oder sie hintergiengen, um aus ihrem Unglück Vortheil zu ziehen.

Wenn ich übel von dir gedacht habe, so lag die Ursache davon in der Schwäche meines Verstandes, der dich nicht begreifen konnte. Wenn ich übel von dir gesprochen habe, so geschah es, weil sich mein zu menschliches Herz wider das verhaßte Bild empörte, unter welchem man dich vorstellte. Meine Vergehungen waren die Wirkungen des Temperaments, das du mir gegeben, der Umstände, in welche du mich, ohne mich darum zu befragen, gesetzet, der Begriffe, die sich wider meinen Willen in meinem Gemüth Eingang verschaffet hatten. Wenn du gut und gerecht bist, wie man versichert, so kannst du mich nicht wegen den Verirrungen meiner Einbildung, wegen Fehlern bestrafen, die durch meine Leidenschaften verursachet wurden, den nothwendigen Folgen einer Organisation, die ich von dir empfangen habe. Ich darf dich, also, nicht fürchten; ich darf des Schicksals wegen nicht unruhig seyn, das du mir zubereitest. Deine Gütigkeit konnte nicht zugeben, daß ich mir durch unvermeidliche Verirrungen Strafe zuzöge. Warum ließest du mich nicht lieber in dem Nichts, als daß du mich in die Klas­se vernünftiger Wesen riefest, damit ich die traurige Freyheit haben möchte, mich unglücklich zu machen? Wenn du mich strenge und endlos strafen könntest, weil ich auf die Vernunft hörte, die du mir gegeben hast, wenn du mich meiner Verblendungen wegen strafen, und dich darüber erzürnen könntest, daß meine Schwachheit in die Netze gefallen ist, die ich mir von allen Seiten her gestellet fand, so würdest du der grausamste und ungerechteste Tyrann seyn, so würdest du nicht ein Gott seyn, sondern ein böser Dämon, dessen Willen ich mich als ein Opfer seiner Grausamkeit unterwerfen müßte; aber immer würde ich mir es Dank wissen, dieses unerträgliche Joch wenigstens auf einige Zeit abgeschüttelt zu haben.

Paul-Henri Thiry d’Holbach, System der Natur, oder von den Gesetzen der Physischen und Moralischen Welt, Zweyter Theil, Frankfurt-Leipzig 1783, 10. Kapitel, S. 332-334.

Das französische Original Système de la nature ou des loix du monde physique & du monde moral wurde 1770 unter dem Pseudonym Jean Baptiste de Mirabaud veröffentlicht. Von Fritz-Georg Voigt erschien 1960 eine neue Übersetzung: Paul Thiry d’Holbach, System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt, Berlin-Weimar: Aufbau-Verlag 1960 (bzw. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978).

Hier der Text als pdf.

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