Albrecht Goes, Davids Traum: „Ich träume: ein Blachfeld im Dunkeln / Und ein Hirt und ein Licht und ein Lamm.“

Davids Traum

Wohin, die mich trug und erhellte,
Welle des Lebens, wohin?
Erblinden die Spiegelsteine ringsum
Oder schwindet mir selbst schon der Sinn?
Ob ich die Gesellin mir wecke,
Die Magd aus schlaftrunkenem Wahn?
Schlaf, Abisag – o, daß du wachtest,
Mein Bruder Jonathan!

Lang, lange. Wie, daß sie mich riefen,
Den Jüngsten, den Knaben vom Feld?
Und ein Königsschild hieß mir das Leben,
Eine Harfe – die Welt.
Dann freilich, dann war es ein Anderer,
Der mir zu Hilfe kam,
Und der vor dem Speerwurf des Königs Saul
Gelind mich zur Seite nahm.

Ich war der Gesalbte in Israel,
Der Heilige – war ich nicht.
Meine Jahre Leben, ich schaue sie an,
Und ich sehe ein dunkles Licht.
Ach, und das Feuer, das Feuer,
Das ich fachte, das mir geschah –
Name, weißgleißendes Holzscheit:
Uria und Bathseba.

Vorbei. Vorbei auch der Feldschlacht
Jubel und Ruhm und Pein.
Gedenk ich der Höhen Gilboas,
Gedenk ich, Jonathan, dein.
Die rote Blüte der Aloe,
Fühlt sie den Morgenwind schon?
Bald, durch den Vorhang der Frühe, bald
Tritt ein mein Erbe, mein Sohn.

Vorüber. Aber die Sterne
Am immerwährenden Ort.
Aus den Sternen kommt Sternengeraune,
Aus dem Geraune das Wort,
Verheißung, Isais Lenden,
Meinem, dem Königsstamm –
Ich träume: ein Blachfeld im Dunkeln
Und ein Hirt und ein Licht und ein Lamm.

Albrecht Goes

Quelle: Albrecht Goes, Gedichte, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2008, S. 171f.

Hier das Gedicht als pdf.

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