Über die Philosophie und Metaphysik
Von Martin Luther
Zu Römer 8,19 (Nam Expectatio Creature)
Der Apostel philosophiert über die Dinge und ist anders weise als Philosophen und Metaphysiker. Weil die Philosophen ihre Augen so in die Gegenwart der Dinge versenken, dass nur ihre Wesenheiten und Eigenschaften reflektiert werden, ruft der Apostel unsere Augen zurück von der Sicht auf die gegenwärtigen Dinge, von ihrem Wesen und ihren Akzidenzien, und richtet sie auf sie, wie sie sind kommen. Denn er sagt nicht „Wesen“ oder „Wirkung“ des Geschöpfs oder „Aktion“ und „Leidenschaft“ und „Bewegung“, sondern er sagt in einem neuen und wunderbaren und theologischen Begriff „Erwartung des Geschöpfs“, das heißt: wenn der Verstand hört, dass er auf die Kreatur wartet, nicht mehr die Kreatur selbst. Aber was erwartet, zielt und beschwert sich die Kreatur? Aber leider, wie tief und schädlich stecken wir in Zwangslagen und Verwirrungen , in wie viele törichte Ideen sind wir in der Metaphysik verstrickt! Wann werden wir weise und erkennen, dass wir so viel kostbare Zeit mit sinnlosen Studien verschwenden und bessere vernachlässigen? Wir tun immer so, als ob es für uns wahr wäre, was Seneca sagt: „Wir wissen nicht, was notwendig ist, weil wir gelernt haben, was überflüssig ist.“
Ja, ich glaube, diesen Dienst dem Herrn zu verdanken, gegen die Philosophie zu bellen und sich auf die Heilige Schrift zu berufen. Denn wenn jemand anderes es tun würde, der sie nicht gesehen hat, hätte er entweder Angst oder man würde ihm nicht trauen.
Aber ich, der ich nun seit vielen Jahren mit ihnen leide und viele in ähnlicher Weise erlebt und gehört habe, sehe, dass es eine Studium über Eitelkeit und Zerstörung ist.
Deshalb rate ich euch allen, so gut ich kann, diese Studien schnell zu machen und sich nur darüber zu beschweren, nicht, dass ihr sie etablieren und verteidigen möget, sondern, wenn wir schlechte Fähigkeiten lernen, dass wir sie zerstören und Fehler, dass wir sie überwinden. Lasst uns dies und jenes – um es zu verwerfen – als die Art und Weise des Sprechens derjenigen, mit denen es notwendig ist, sich zu unterhalten, akzeptieren. Denn jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns mit anderen Studien beschäftigen und von Jesus Christus lernen, von ihm, der gekreuzigt wurde.
Deshalb seid ihr die besten Philosophen, die besten Beobachter der Dinge, wenn ihr vom Apostel gelernt habt, die Kreatur zu betrachten, die wartet, stöhnt, gebärt, das heißt, das verabscheut, was ist, und das Zukünftige begehrt, was noch nicht da ist. Dann nämlich wird das Wissen um die Realität der Dinge, der Zufälle und der Unterschiede bald verachtet.
Nam Expectatio Creature.
Aliter Apostolus de rebus philosophatur et sapit quam philosophi et metaphysici. Quia philosophi oculum ita in presentiam rerum immergunt, vt solum quidditates et qualitates earum speculentur, Apostolus autem oculos nostros reuocat ab intuitu rerum presentium, ab essentia et accidentibus earum, et dirigit in eas, secundum quod future sunt. Non enim dicit ,Essentia‘ Vel ,operatio‘ creature seu ,actio‘ et ,passio‘ et ,motus‘, Sed nouo et miro vocabulo et theologico dicit .Expectatio Creature‘, Vt eoipso, cum animus audit Creaturam expectare, non ipsam creaturam amplius, Sed quid creatura expectet, intendat et querat. Sed heu, quam profunde et noxie heremus in predicamentis et quidditatibus, quot stultis opinionibus in meta- physica Inuoluimur! Quando sapiemus et videbimus, quod tam preciosum tempus tarn vanis studiis perdimus et meliora negligimus? Semper agimus, vt sit verum in nobis, quod Seneca ait: ,Necessaria ignoramus, quia superflua didicimus, Immo Salutaria ignoramus, quia damnabilia didicimus.‘
Ego quidem Credo me debere Domnio hoc obsequium latrandi contra philosophiam et suadendi ad Sacram Scripturam. Nam alius forte si faceret, qui ea non vidisset, Vel timeret Vel non crederetur ei.
Ego autem in illis detritus multis iam annis et multos itidem expertus et audiens Video, quod sit studium vanitatis et perditionis.
Idcirco omnes vos moneo, quantum possum, Vt ea studia cito faciatis Et id solum queratis, non vt ea statuatis et defendatis, Sed potius sicut artes malas discimus, vt destruamus, et errores, vt reuincamus. Ita et hec, vt reprobemus, Aut saltem, vt modum loquendi ipsorum, cum quibus conuersari necesse est, accipiamus. Tempus so est enim, vt aliis studiis mancipemur et Ihesum Christum discamus, ,et hunc crucifixum‘.
Igitur optimi philosophi, optimi rerum speculatores fueritis, Si ex Apostolo didiceritis Creaturam intueri expectantem, gementem, parturientem id est fastidientem id, quod est, et cupientem id, quod futura nondum est. tunc enim cito vilescet Scientia quidditatis rerum et accidentium ac differentiarum.
WA 56, 371,1-31 (bzw. StA 1, 133, 7-36).