Wie eine schiffbrüchige Weihnachtskrippe uns den Gottessohn vorstellt. Eine Krippenpredigt: „Wir blicken in die Weihnachtskrippe, die mehr als nur eine beschauliche Geburtsidylle sein will. Kein Hirtengedicht, sondern die Gottesgeschichte von Alpha und Omega zeigt sich uns. Im Neugeborenen sucht Gott uns Menschen auf und spricht sich zu uns zu: „Hier bin ich! Wo bist Du, Mensch?“ Jede Weihnachtskrippe lässt Gott mit seinem Anruf zu Wort kommen. Beim Gottessohn in der Krippe sollen wir uns wiederfinden, damit auch wir unser Hineni sprechen: „Hier bin ich!“

Foto: Gundolf Schattenmann

Wie eine schiffbrüchige Weihnachtskrippe uns den Gottessohn vorstellt. Eine Krippenpredigt

Die Flying Enterprise, ein amerikanischer Stückgutfrachter, befand sich auf der Fahrt von Hamburg nach New York, als sie am ersten Weihnachtstag 1951 westlich der Britischen Inseln in einen schweren Orkan geriet. Am frühen Morgen des 27. Dezembers beschädigt eine Monsterwelle das Wetterdeck und bricht den Ruderschaft. Die Ladung verrutscht, so dass das Schiff mit einer starken Schlagseite mit mehr als 50 Grad steuerungslos in der stürmischen See treibt. Nachdem ein Notruf abgesetzt worden ist, gelingt vier Tage später die Evakuierung der 48 Besatzungsmitglieder und der zehn Passagiere. Zurück auf der Flying Enterprise bleibt einzig Kapitän Hendrik Kurt Carlsen, der das havarierte Schiff nicht aufgeben will.

Und in der Tat gelingt es durch ein waghalsiges Manöver, die Flying Enterprise in Schlepptau mit dem britische Hochseeschlepper Turmoil zu nehmen. Nach fünf Tagen und nur etwa sechzig Meilen vor dem südenglischen Zielhafen Falmouth entfernt reißt jedoch die Schlepptrosse. Wegen des schlechten Wetters kann keine neue Schleppverbindung hergestellt werden. Nachdem Kapitän Carlsen das Schiff als letzter verlassen muss, sinkt die Flying Enterprise am 10. Januar 1952 vor der Küste Englands und mit ihr deren Ladung: Roheisen, Kaffee, Torfmoos, Lumpen, Naphthalin, zwölf VW-Käfer sowie zahlreiche Paketsendungen. Fortan ruht das Schiff in 85 Meter Tiefe.

Viereinhalb Jahre später, im Frühling 1956 entdeckt ein dänische Fischerjunge am Strand der Insel Rømø – nördlich von Sylt – eine 32 cm große, aus Lindenholz geschnitzte Blockkrippe, die das Geburtsgeschehen Jesu mit Maria und Josef darstellt. Lediglich der Stern von Bethlehem an der Spitze wie auch die rechte Hand des heiligen Josefs mit Stalllaterne sind abgebrochen. Der Fischerjunge tauscht die Krippe beim örtlichen Kunstmaler Andreas Petersen gegen ein Aquarell ein. Da auf dem Standblock der Schriftzug „F. B. Oberstaufen Germany“ eingraviert ist, wendet sich Petersen an den Bürgermeister von Oberstaufen im Westallgäu, Herrmann Wucherer. Dieser wiederum setzt den ortsansässigen Künstler Fidelis Bentele davon in Kenntnis. Bentele hatte 1951 auf Bestellung für katholischen Erzbischof von Chicago, Kardinal Samuel Stritch, drei Weihnachtskrippen geschnitzt, die sich als Paketsendung an Bord der Flying Enterprise befanden. Nachdem Bentele Kontakt mit Petersen aufgenommen hat, kommt es zu einem Tauschgeschäft: Gegen ein handgeschnitztes Kruzifix wird die Krippe an den ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben.

Im Februar 1958 erscheint dann in der Fernsehzeitschrift Gong ein Artikel, der auf einen zweiten Fund hinweist. Ein portugiesischer Fischer namens José Melena aus Vila Franca do Campo hatte vor der Azoreninsel São Miguel eine zweite Blockkrippe mit den Initialen Fidelis Benteles als Treibgut aus dem Meer gefischt. Glückselig hält Melena die Krippe vor die Kamera mit den Worten: „Seit ich sie habe, gelingt jeder Fischzug!“

Dass die beiden Fundorte São Miguel und Rømø annähernd 3200 km voneinander entfernt sind, hängt mit dem Golfstrom zusammen, der sich vor den Britischen Inseln nordwärts in den Nordatlantikstrom und südlich in den Kanarenstrom aufteilt. Offensichtlich wurden die Blockkrippen durch die beiden Ströme in entgegengesetzte Richtung weitergetragen. Fehlt also nur noch die dritte Blockkrippe. Zwar hieß es, sie sei irgendwo in Frankreich gelandet, aber dafür finden sich keine Belege.

Es mag uns als Wunder, wenn nicht gar als Fingerzeig Gottes erscheinen, dass die beiden Blockkrippen nach Jahren im Meer als Treib- bzw. Strandgut durch Menschenhand geborgen werden konnten. Die tiefere Bedeutung liegt freilich nicht im Schnitzwerk aus Menschenhand, sondern in der Gegenwart des Gottessohnes, wie dieser aus der Untiefe des Todes auftaucht und Menschen gegenübertritt. So wird in dem vertrauten Advents- bzw. Weihnachtslied die Ankunft des Gottessohnes besungen: „Es kommt ein Schiff, geladen / bis an sein’ höchsten Bord, / trägt Gottes Sohn voll Gnaden, / des Vaters ewigs Wort. // Der Anker haft’ auf Erden, / da ist das Schiff am Land. / Das Wort will Fleisch uns werden, / der Sohn ist uns gesandt.“

Wie eine volle Schiffslandung an Gnade kommt Gott durch die Geburt seines Sohnes bei uns zu Wort. Wir blicken in die Weihnachtskrippe, die mehr als nur eine beschauliche Geburtsidylle sein will. Kein Hirtengedicht, sondern die Gottesgeschichte von Alpha und Omega zeigt sich uns. Im Neugeborenen sucht Gott uns Menschen auf und spricht sich zu uns zu: „Hier bin ich“ (Jes 52,6; 58,9; 65,1); „wo bist Du, Mensch?“ (Gen 3,9) Jede Weihnachtskrippe lässt Gott mit seinem Anruf zu Wort kommen. Beim Gottessohn in der Krippe sollen wir uns wiederfinden, damit auch wir unser Hineni sprechen: „Hier bin ich!“

Wir sind bei ihm, wir sind bei ihm dabei, wenn es im Lied heißt: „Zu Bethlehem geboren / im Stall ein Kindelein, / gibt sich für uns verloren; / gelobet muss es sein.“ Der Gottessohn gibt für uns verloren (vgl. Lk 2,34), so wie dies im Geschick des Jona vorgezeichnet gewesen ist: In der lebensbedrohlichen Seenot lässt sich ja Jona in das wütende Meer werfen, worauf Sturm und Wellen zur Ruhe kommen (Jona 1,15). So betet Jesus mit Jona aus der unfassbaren Todesstiefe zu seinem Vater:

Aus dem Leib der Unterwelt schrie ich um Hilfe / und du hörtest meine Stimme.
Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere; / mich umschlossen die Fluten,
all deine Wellen und Wogen / schlugen über mir zusammen.
Ich sagte: Ich bin verstoßen / aus deiner Nähe.
Wie kann ich jemals wiedersehen / deinen heiligen Tempel?
Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, / die Urflut umschloss mich;
Schilfgras umschlang meinen Kopf. / Bis zu den Wurzeln der Berge
bin ich hinabgestiegen in das Land, / dessen Riegel hinter mir geschlossen waren auf ewig.
Doch du holtest mich lebendig aus dem Grab herauf, / HERR, mein Gott.

(Jona 2,3-7 Eü)

Jesus Christus, im Stall von Bethlehem als neugeborener Sohn Gottes verehrt und am Kreuz von Golgota als König verflucht, taucht aus der Todesverlorenheit auf und zeigt sich uns als lebendiger Herr: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ (Joh 14,19) In der Weihnachtskrippe bleibt die Zeit nicht stehen, sondern läuft mit dem Geschick Jesu weiter. Wir gehen mit Jesus mit; und unser Glauben wird erwachsen. So heißt es für uns im Lied: „Und wer dies Kind mit Freuden / umfangen, küssen will, / muss vorher mit ihm leiden / groß Pein und Marter viel, // danach mit ihm auch sterben / und geistlich auferstehn, / das ewig Leben erben, / wie an ihm ist geschehn.“

Wenn wir im Anschluss an den Gottesdienst die Weihnachtskrippen in der Ausstellung uns anschauen werden, wird Jesu Werdegang uns zu Herzen gehen: Der Neugeborene ist am Kreuz für uns verlorengegangen und doch aus dem Todesgrab auferstanden. So spricht er sich uns zu: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Und unsere Antwort lautet: „Hineni“, das heißt „hier bin ich, hier bin ich bei Dir!“ Amen.

Gehalten zur Eröffnung der Krippenausstellung des Krippenvereins Illerberg am 30. Dezember 2022 in der Martin-Luther-Kirche in Vöhringen.

Hier die Predigt als pdf.

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