I
Dies ist das Ende, dies die Todesnacht,
In der mein Wort verhallt, mein Schritt verweht;
Der rote Stern, der blutig niedergeht,
Hat mich ans Ziel in tiefem Graun gebracht.
Und näher schon und näher rückt die Schlacht.
Verworfner Zeit unmächtiger Prophet
Möcht ich mein Wort verzehren im Gebet
Nur um den Engel, der am Grabe wacht.
Der reine Tag, der fernher wiederkehrt,
Ist mein nicht mehr. Zu viele schwanden hin,
Die mit mir glühend dieses Tags geharrt.
Ich beuge mich, von Schuld und Gram beschwert,
Der dunklen Zeit, der ich verfallen bin,
Und ihres Herrn verborgner Gegenwart.
II
Nun darfst du ruhn. Es wird das heilige Licht
Von dir sich nimmer scheiden und den Deinen,
Wenn einst des Richters Boten dir erscheinen,
Verzage nicht! Um deinen Glauben nicht!
Die Schuld ist aller. Unser das Gericht.
Wer all sein Leben opferte dem Reinen,
Sühnt noch im Dunkel, da durch haltlos Weinen
Des Abgrunds mächtige Todesstimme spricht.
Dir ward dein Wort genommen und der Ort,
Wo deines Herzens Treue durfte dauern,
So lang beschützt mit ritterlichen Armen.
Dem Gedächtnis eines Freundes
III
Dir ward des Volkes Schicksal auferlegt,
Das unterm Kreuz der König hat durchschritten.
Du hast des Volkes ganze Not erlitten,
Bis an den Abgrund, der Verzweiflung hegt.
Doch hat die Heimat mächtig dich bewegt,
Die ohne Gnade um das Reich gestritten:
So lebtest du in zweier Völker Mitten,
An einem Ort, der keinen Frieden trägt.
Gesendet waren beide. Heil und Macht
der Welt zu tragen, waren sie berufen,
und beide widersagten dem Gebot.
Da haßten sie sich glühend in der Nacht.
Sie kämpften stürzend auf des Abgrunds
Stufen und rissen dich hinunter in den Tod.
Reinhold Schneider
Quelle: Du hast mich heimgesucht bei Nacht. Abschiedsbriefe und Aufzeichnungen des Widerstandes 1933-1945, hrsg. v. Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn und Reinhold Schneider, München: Chr. Kaiser, 1954, S. 397f.