Albrecht Goes, Die Geschenke und das Geschenk: „Es ist eine Kunst, wert, in ihr zur Meisterschaft zu kommen, die Kunst zu schenken: mit kundiger Hand, mit leichter Hand, mit der ver­schwiegenen Hand, da die Linke nicht weiß, was die Rechte tut. Es ist keine geringere Kunst, sich beschen­ken zu lassen.“

Die Geschenke und das Geschenk

Von Albrecht Goes

Mir ist noch gar nicht weihnachtlich zumute, sagen wir, wenn es uns an Schnee fehlt, wenn der Christmarkt fern ist oder wenn kein Honiglebkuchen auf unseren Holzteller kommt. Aber derlei Rede gilt nicht. Ein Ka­lendermann zum Beispiel muß auch zu einer Stunde, da die gelben Ouitten noch auf dem Baum hängen und die strengen Zinnien sich so aufreckt halten wie adelige Fräulein bei ihrem Nachmittagstee, ein Weihnachts­wort wagen, und er kann es auch. Denn das, was wirk­lich wert ist, gesagt zu werden, das ist auch ohne Schnee und Christbaum, ohne Lametta und Lebenskuchen, ohne Niklasbart und Engelshaar wahr und wirklich, und also mag’s bedacht werden wann immer, auch mit­ten im Jahr.

Kinder, ja: die sollen ihr herrliches Recht behalten, ganz für den einen Heiligen Abend zu le­ben, ihre Freude darf sein wie ohne Zeit, wie außer der Zeit. Sie dürfen herein­wehen und es ist alles da: der Baum und der Tisch und das ganze goldene Zugleich und Zuviel; aber für uns, versteh ichʼs recht, ist die Adventszeit so wichtig wie die­ser eine Tag oder wichtiger noch, für uns ist Weih­nachten das, was es vorauswirft an Licht und Aufgabe und Verantwortung. Und das, was es dann weiterwirkt.

»Bereite dich, Zion –«: wenn man einmal an den No­tenschrank gegangen ist und die selige a-moll-Melodie sich wieder getastet und gesungen hat, wenn sie dann weitersummt in uns und unversehens uns glücklich macht mitten im Werktag – dann, ja dann ist Advent. Wir rücken die Schachtel mit dem Christbaumschmuck, wenn sie uns in der Bodenkammer begegnet, achtsam beiseite, damit sie bereitsteht für ihre Stunde; wir werfen einen Blick auf das Puppenhaus und notieren: mit dem Schreiner sprechen, der Puppenmöbel wegen. Wir sparen, wie wir nur können, am Wirtschaftsgeld: einen Taler für die Nüsse, und zwei für Puderzucker, Honig und gestoßenen Zimt, und dann also sinnen wir auf die Geschenke; und wir alle tun es, ohne Mühe und mit Mühe, und wir tun recht daran.

Es ist freilich schon gut, wenn auf dem Weg ins Kauf­haus dann, mitten im Dezembertag, einer die Hand uns auf den Arm legt, dämpfend und gelinde: gemach, gemach! – oder auch einmal herzhaft und streng: ge­nug, halt ein! Wenn er uns sagt, daß Weihnachten selbst zwar vom heiligen Christ, die Weihnachts­geschenkewut aber gewiß vom alt bösen Feind erfun­den worden ist; wenn er uns daran erinnert, daß wir nicht zu der Liebe verpflichtet sind, die unsre Frauen und Mütter am Abend vor dem hohen Fest müde und elend erscheinen läßt, ausgeraubt von der eiligen Sorge, leeren Nußschalen gleich … Aber wenn wir hier nun nichts als diese Klage anstimmen wollten, so wäre nicht genug geschehen. Nein, es soll geschenkt werden auf Christtag: mit Liebe, mit Heiterkeit, mit Spieler- und Erfinderlust, mit Nachdenklichkeit.

Ja, mit Nachdenklichkeit. Was istʼs, daß wir schenken mögen auf diesen Tag? Wir schenken, weil es uns treibt, einen Weg zu haben, der vom einen zum an­dern führt. Wir schenken, weil wir uns brauchen. Wir wissen wohl, was eigentlich wir schenken sollten: uns selbst nämlich. Und wir schenken etwas von uns, weil wir uns selbst nicht schenken können. Wir schenken – schöne Dinge schenken wir; Schimmerndes, Blitzen­des, Anmutiges – aber wer nur lange genug wacht und sucht und schaut, der schaut den Dingen auf den Grund, und was auf dem Grunde ruht, das ist unsre Armut.

Ist es recht, daß dies zum Vorschein kommt? Oder sollen wir derlei Einsicht beiseite schieben, wie man eine unfestliche Störung mit leisem Unmut beiseite schiebt? Nein, das sollen wir nicht. Wir sollen wissen, daß es recht ist, wenn dieser Grund der Wahrheit offenbar wird; es ist kein böser Grund.

O ja, es soll zutage treten dürfen, daß wir bedürftig sind. »Sei dir selbst genug!« spricht die Stimme des Trolls; es ist keine menschliche Stimme. Du brauchst den anderen – das ist die Menschenerfahrung, die Menschennot auch. Und die Menschenwürde. Denn in solchen Grund versenkt ist jenes zweite: du wirst ge­braucht. Und indes du dir’s bewußt wirst, das eine und das andere, fühlst du dein Leben befreit von all dem Termitenhaften, das ihm wieder und wieder an­hängt. Zeichen gehen aus in die Nacht, Leuchtfeuer, und die Stimmen der Unsichtbaren dringen an dein Ohr. Der Kreis der Nächsten und Vertrauten, schon ist er überschritten, ein zweiter hat sich aufgetan, ein dritter erscheint am Horizont, und du bist gemeint : du bistʼs, der Rede und Antwort zu stehen hat, und das, was ein Wohltäter unsrer Tage, was Albert Schweit­zer einmal die »zweite Aufgabe eines Menschenlebens« genannt hat, das ruft nach dir. Die zweite Aufgabe eines Menschenlebens: über jenen Ring der nächsten Pflichten und Rechte hinaus etwas zu kennen, was außerhalb liegt, Fremdes, Fernes; und gerade dieses Fremde und Ferne zu lieben mit der Kraft eines Her­zens, das nicht rechnet. Erst dann hast du das Men­schenantlitz, wie es dieses Fest dir zeigen will, in Wahr­heit gesehen, wenn dich, in Geben und Nehmen, das Netz der Grüße, der Sorge und der Verantwor­tung umschlossen hält, dessen Grenze du nicht mehr kennst.

In Geben und Nehmen. Es ist eine Kunst, wert, in ihr zur Meisterschaft zu kommen, die Kunst zu schenken: mit kundiger Hand, mit leichter Hand, mit der ver­schwiegenen Hand, da die Linke nicht weiß, was die Rechte tut. Es ist keine geringere Kunst, sich beschen­ken zu lassen. Und die Gesetze des Lebens wären schlimm verletzt, wenn einer nicht beides in einem wollte, schenken und sich beschenken lassen; wenn er so reich sein wollte, daß er nicht auch arm sein könnte und bedürftig dessen, daß man ihn beschenkt. Laß es gelten, daß alles Geschenk, das von dir ausgeht, nur ein Hinweis sein kann, eine Andeutung, nicht ein Ersatz, aber ein Versuch, dich selber zu schenken; daß darum die Geschenke unsrer Frauen und Kinder, das Werk ihrer Stricknadeln und ihrer Farbstifte, so viel reiner Geschenk sind als alles, was so ein Mann hin­ter dem Ladentisch sucht und findet, und laß es gelten, daß das, was du empfängst, nicht wettgemacht wer­den kann. Es soll auch nicht wettgemacht werden. Der Heilige Abend ist nicht dazu da, daß eine Art freundlicher Tauschhandel gedeihe. In jedem Geschenk, das diesen Namen wert ist, ist eines einbeschlossen wie die Mücke im Bernstein, und es ist das Schönste im Geschenk: das Unverdiente in ihm.

Was wir geben, und wärʼ es das pure Gold, reicht nicht zu, und was wir empfangen, haben wir nicht verdient: beides bedeutet, daß wir arme Leute sind. So sollen wir’s denn sein. So sollen wir’s denn sein wollen. Armen Leuten zuerst ist die Heilige Nacht ge­schehen. Christtag ist das Bündnis der Höhe mit dem Unscheinbaren, das Gloria über der Flüchtlingsnot, von der es heißt: »denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge«, der siebenfarbene Regenbogen über der tödlichen Flut, der Stern über der Finsternis vom Blachfeld Bethlehem, vom ganzen Blachfeld Welt.

Und obgleich die Welt dieses Bündnis verachtet, so verachtet doch dieses Bündnis mitnichten die Welt. Hier ist die Liebe, die nun eben dies vermag, was wir so gerne vermöchten: sich selbst darzureichen. Du darfst vertrauen: Weihnachten hat ohne dich angefangen. Deine goldenen Nüsse haben’s nicht geschaffen, und deine eifernen Wagen bringenʼs nicht zu Fall. Es ist von diesem ersten Christtag an etwas Neues in der Welt, mehr als nur eine neue Zeitrechnung oder eine neue Art von Glauben. Es kann von jener Klarheit her nicht mehr ganz dunkel, von jenem Gottesgruß her nicht mehr ganz bös werden.

»Und Er ist Fleisch geworden.« Das Geheimnis der Weihnacht, es singen die schönen Stimmen dieses Geheimnis. Was singen sie dir? Was ereignet sich für dich?

Vielleicht dies: daß du auf den Heiligen Abend ein Bündel zurechtmachst für jenen fernen Fremden, den du nicht kennst und der dich nicht kennt und der nun doch in dieser deiner Gabe empfängt, was er braucht wie Brot: die Zuversicht und das Herdfeuer unter den Menschen.

Oder dies: daß unter all den erwünschten, erbetenen und erhofften Gaben die eine liegt, die du weder er­bitten noch erhoffen konntest: der Gruß deines Wider­sachers, die Handschrift seiner Versöhnlichkeit.

Oder dies: daß am dritten oder vierten Tag nach dem Fest, in einer frühen Abendstunde vielleicht, du plötz­lich ins Zimmer trittst, und der Christbaum steht im Licht. Nicht im Licht der Kerzen, in jenem Licht viel­mehr, das stark und golden durchs Fenster dringt.

Es leuchtet jeder Zweig, jeder silberne Faden, jeder Apfel, jede Nuß. Das ist unser Reichtum, denkst du, unser armer Reichtum, unsre reiche Armut: diese Nüsse, diese Äpfel, dieser Schmuck und dieser Tisch. Aber das, was nun ins Zimmer getreten ist, das ist der andere Glanz, der ganz andere. Er steht uns gut für das Recht zum Vertrauen. Zum Vertrauen auf eine Kraft, die nicht arm wird, wie reich sie auch strömt.

Quelle: Albrecht Goes, Christtag. Sieben Betrachtungen, Hamburg: Furche, 1958, S. 10-16.

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