Christoph Blumhardts Predigt über das Gleichnis von der bittenden Witwe (Lukas 18,1-8) von 1897: „Die Staaten haben nichts im Sinn als ihre Soldaten, ihre Polizei und ihre Gesetze, aber nach Gott fragt man nicht; der gilt nichts, und da sind dann Verhältnisse in der Menschheit, soziale und gesellschaftliche, in Handel und Wandel und Gewerbe und Erfindungen der heutigen Welt, die nützen alle nichts. Je gescheuter die Leute werden, um so weniger wollen sie Feuer werden fürs Reich Gottes.“

Die Witwe. Predigt über Lukas 18,1-8

Von Christoph Blumhardt

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis davon, daß man allezeit beten und nicht laß werden solle, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in dieser Stadt, die kam zu ihm und sprach: Rette mich von meinem Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Ob ich mich schon vor Gott nicht fürchte, noch vor keinem Menschen scheue, dieweil aber mir diese Witwe so viel Mühe macht, will ich sie retten, auf daß sie nicht zuletzt komme und betäube mich. Da sprach der Herr: Höret ihr, was der ungerechte Richter sagt! Sollte aber Gott nicht auch retten seine Auserwählten, die zu ihm -Lag und Nacht rufen, und sollte er’s mit ihnen verziehen? Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze. Doch wenn des Menschen Sohn kommen wird, meinst du, saß er auch werde Glauben finden auf Erden? (Luk. 18, 1-8)

Diese Rede des Heilands im Gleichnis stellt uns in den Kampf hinein, den er sieht in. der Folgezeit, in den Kampf, den seine Jünger haben werden. Er vergleicht sie mit einer Witwe, die von allem Beistand verlassen ist. So stehn ja die Menschen, die ihre Zuversicht ganz auf Gott setzen, die das wollen, was Jesus will zu Gottes Ehre; die sind von allem und jedem verlassen; es hilft ihnen zunächst auf Erden nichts und niemand. Ich habe auch heute schon denken müssen, darum hat Jesus gesagt: „Verlaßt Vater und Mutter, — auch Vater und Mutter helfen euch nicht.“ Das, worauf man sich am meisten verlassen zu können glaubt, läßt einen oft am allermeisten im Stich; nicht böswillig, als ob Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Weib und Kind uns schaden wollten, nein, — es sind die Verhältnisse, die inwendigen und auswendigen Gestaltungen, die es unmöglich machen, daß ein Mensch dem andern hilft, daß eine Stadt, ein Dorf einer Witwe hilft. Und wenn’s die intelligenteste, wohltätigste Stadt ist, sie kann den Elenden nicht helfen, und ist einmal ein Mensch in ein gewisses Elend hineingekommen, so ist alle Hilfe nichts. Das bißchen Almosen, das die Stadt, das Dorf, die Gesellschaft den Witwen und Waisen, den Hungrigen und Durstigen in den Schoß wirft, ist keine Hilfe. Und so steht die Gemeinde Jesu Christi oder die Menschen, die. dem Heiland nachfolgen. Ja, wir können noch mehr sagen, denn wir wollen uns die Augen in nichts zubinden; selbst unter denen, die dem Heiland nachfolgen, also sagen wir: unter Mitbrüdern und Mitschwestern, werden die Verhältnisse so, daß sie sich auch nicht helfen können, ein Gläubi­ger dem andern nicht; sie wollen oft beide und können nicht, so daß es nicht einmal zwischen denen eine eigentliche, wirkliche Gemeinschaft gibt, so daß wieder jeder einzelne Gläubige wie ganz vereinsamt in der Welt steht mit Rücksicht auf die Hilfe; da ist nichts zu finden. Auf Erden ist zunächst nichts zu hoffen für das, was Reich Gottes ist, was Leben, seliges Leben ist, wie, es uns Gott verheißen hat; denn die Erde ist wie eine Stadt und es ist hier die Ungerechtigkeit. Diejenigen, die da herrschen, die die Dinge in der Hand haben, sind Richter der Ungerechtigkeit, d. h. Leute, die von den Verhältnissen abhängig sind. So ein König kann nichts machen, er ist von den Verhältnissen abhängig; so auch die Richter, darum heißen sie Richter der Ungerechtigkeit; darum braucht der Heiland dieses Bild — es ist die Stadt der Ungerechtigkeit, in der wir leben, und da geht’s schrecklich zu.

Und doch, in dieser Ungerechtigkeit leuchtet noch ein ganz kleines Lichtlein: die Not macht schließlich auch einen König weich. Wenn eine Witwe fort und fort schreit, wenn das Elend fort und fort schreist so wird schließlich auch der Richter der Ungerechtigkeit weich, allerdings bloß aus dem ärmlichen Grund, daß er denkt: „Ich will mir die Geschichte vom Halse schaffen.“ Da zeigt sich so ein klein bißchen eine Hilfe. Selbst in der Stadt der Ungerechtigkeit, unter den ungerechtesten Verhältnissen, muß oft ein Elend Hilfe finden auf menschlichem Wege. Ein kleines. Lichtlein brennt da und da setzt der Heiland ein und sagt: „Wenn selbst Richter der Ungerechtigkeit, die bloß nach den ungerechten Verhältnissen zu richten wissen, schließlich dem Elend entgegen­kommen, der Verlassenheit aufhelfen müssen, wie viel mehr wird euch der Richter helfen in der Stadt, in der ihr seid; denn ihr seid ja in die Gerechtigkeit gekommen, zu Gott gekommen und seid nun zu Gott gerechnet und zum himmlischen Reich, obwohl ihr noch auf Erden seid. Ihr seid schon ganz zu Gott gerechnet und euch geht der Richter in dieser Welt nichts mehr an; euch geht der Vater im Himmel etwas an. Wenn nun auf Erden schon in der Ungerechtigkeit diese und jene Gewalthaber helfen, wie viel mehr wird euer Herr, der über allen steht, euch zu helfen wissen und zwar gerade in diesen Verhältnissen der Ungerechtigkeit.“

Da könnte man sagen: „Ja, warum reißt uns denn der liebe Gott nicht schnell aus diesen Verhältnissen, überhaupt heraus? warum laßt er uns da stecken, wo’s ungerecht zugeht, wie die andern Leute? Da wäre ja schnell geholfen!“ Ja, das wäre freilich leicht, wenn der liebe Gott einen besondern Ort hätte, wo er die Leute, die dem Heiland nachfolgen, könnte hinbefördern, so daß es zwei Welten gäbe; da würde man die Unglücklichen, die an den Heiland glauben, aus der ungerechten Welt herausnehmen und in die Welt der Gerechtigkeit versetzen. Aber so ist es eben nicht. Gott hat seine Gemeinde und der Heiland hat seine Nach­folger gerade da, wo die Richter der Ungerechtigkeit sind, daß da das ungerechte Wesen ausgerottet werde, die falschen Gewalt­haber aufhören und der rechte Gewalthaber eingeführt werde. Darum kostet es so viel Kampf für die, die an den Heiland glau­ben; sie dürfen nicht hinaus aus der Welt; sie müssen drin bleiben, um darin Gott zu preisen, daß schließlich diese Welt der Ungerechtigkeit in eine Welt der Gerechtigkeit, diese Welt der Lieblosigkeit in eine Welt der Liebe, diese Welt des Todes, wo einer den andern niedertritt, in eine Welt des Lebens verwandelt werde. Und darum stellt uns der liebe Gott nicht leichter als andere, sondern ins tiefste Elend hinein. Und wenn man auch von Zeit zu Zeit Erquickungen hat, so muß man in alle Höllen hinein und die ganze Verlassenheit spüren, und spüren, daß das, was in der Welt ist, uns nicht nagelsgroß hilft, sondern nur das Eine, was uns Gott zugesagt hat, das, was mit Jesus ins Fleisch gekommen ist.

Das ist der Sieg über diese Welt, und um diesen Sieg sollen wir bitten; dieser Sieg soll werden. Eine Witwe in einer Stadt will gerettet sein von ihrem Widersacher; dann ist sie fertig und es bleibt alles nachher wie vorher. Wir aber, die wir wie eine Witwe Gottes dastehen mitten in der Welt, wir wollen gerettet werden in der Welt und für die Welt. Wir sollen beten und Geduld haben zu Gott, nicht daß wir solche Hilfe erleben, sondern daß die ganze Welt Gottes werde, daß der Heiland, der jetzt da ist, in einer Weise auftreten kann, daß es herauskommt: Er ist der Herrscher aller Welt und sonst keiner; er ist’s, der jetzt da ist, damit es nach Gottes Weise ausgerichtet werde auf Erden. Und so stehen wir hineingestellt in die Welt und müssen beten nicht nur für uns, daß wir gerettet werden und die Welt bleibe, wie sie ist, sondern daß mit uns in der Welt Licht werde.

Das kann uns ein großer Trost werden. Es kann jeder in seinem Elend und in seiner Verlassenheit, in seinem Kampf denken: Wenn ich mich zu Gott halte, so ist es nicht vergebens für die Welt, es ist eine Arbeit, bei der mehr herauskommt als wenn andre lustig und vergnügt dahinleben. Ja, jeder Mensch, der in irgendeinem Druck, in irgendeiner Not, Anfechtung, Ver­zweiflung steht, der sage sich: Das ist alles nicht umsonst, wenn ich mich zu Gott halte; das muß alles zuletzt mithelfen, daß Gott zu seinem Recht kommt. Und wenn mich der liebe Gott in eine Hölle hineinschickt, und ich mich dennoch zu Gott halte, so weiß ich, daß ich mithelfe, daß Frucht geschafft werde für die Welt, daß die Ungerechtigkeit einmal aufhöre, die Hölle aufhöre, nicht nur für mich, sondern überhaupt. Das darf jeder denken und niemand darf meinen, er leide umsonst, er sei umsonst ver­lassen. Es soll kein einziger Mensch, der an Gott glaubt, auf der Welt sein, der denkt: Ich bin umsonst verlassen. Nein, bist du ver­lassen und bleibst dabei wie die Witwe: „Aber Gott ist doch Gott, mein Gott, mein Vater!“ — dann wird ein solcher Mensch ein Licht auf Erden und kann in den dunkelsten Gebieten des Lebens eine Errettung erfahren, zunächst einmal wenigstens wissen: Es ist nicht umsonst, wenn ich da drin in diesem Elend mich zu Gott halte und glaube, daß auch in dieses Elend hinein Jesus Christus Heiland werden will. Wie soll er denn Heiland werden, wenn kein Mensch drin ist, der an ihn glaubt? Also will ich in diesem Elend glaubend sein, damit Jesus Christus in dieses Elend­gebiet durch mich hineinkommt. Denn ohne mich kommt er ja gar nicht hinein, er muß Menschen haben, an die er sich anschließt. Der Heiland ging seinerzeit in die Unterwelt, aber das hat nicht viel gefruchtet; er muß auch dort Leute haben, die ihn hören; in allen Krankheiten, in allen Finsternissen muß er Leute haben, die ihn hören, dann gibt’s nichts Unheilbares mehr, nichts mehr, das nicht gelöst würde, nichts mehr, da wir müßten die Hoffnung aufgeben. Weil’s leider nicht Tausende sind, sondern nur sehr wenige, auf die man die Last verteilen kann, kommt allerdings oft auf einen eine große Last; der eine muß durch wer weiß wie viel Not durch, wenn er sich einmal hergibt zu glauben, und daher kommt’s sehr oft, daß Leute, die sich ganz fest an den Heiland machen, ihre Zuversicht ganz auf ihn setzen und nicht von ihm weichen wollen, daß die oft noch lange Zeit m allerlei „Trübsal und Not stecken, weil immer wieder etwas Neues kommt, gerade wie wenn der Heiland sagen wollte: „Jetzt, weil du an mich glaubst, bitte ich dich, halte aus, damit ich hineinkomme in all das Elend, das auf Erden ist.“ Man könnte freilich sagen: „Der Heiland ist ja schon drin.“ Aber da übertreibt man. Er war drin als einzelner; aber er braucht jetzt Leute, die es im Namen der Menschheit auf sich nehmen; denn wenn auch der Heiland heute der Sieger ist über alles, so muß es doch praktisch werden. Dann bist du viel­leicht der eine, an dem es praktisch werden soll. Laß du einmal in alle Trübsal, Angst und Not den Heiland ganz hinein, dann wird in dir die Erlösung praktisch. Und wirft Gott noch eine Finsternis auf dich, dann glaub noch einmal! So kann’s eine Gemeinde geben, auf die alles Wehe gehäuft wird, damit Jesus in die Welt hineinkommt. Das sage ich, damit jeder, der in einer Not ist, dem lieben Gott den Gefallen tut, nicht zu murren. Weinen, das darfst du, aber nicht murren. Glaub’s: es ist nicht umsonst. Werde ein Mitkämpfer, ein Mitträger und gib du in deiner Person dem Sieger Jesus Christus einen Helfer, dem Erlöser Jesus Christus, der Kraft seines Lebens. Gib du ihm einmal den Weg in deine Person, in deine Not hinein und freu dich, daß du ihm dienen darfst! So kommt der Heiland.

Natürlich, wir könnten so nicht ewig fortmachen; so könnten wir es nicht; aber so soll’s zur großen Rettung kommen, — auf diese Weise kommt er. Er platzt nicht auf einmal vom Himmel herunter und macht die Welt zauberhaft zu einer neuen, sondern er kommt auf dem Wege, den wir ihm machen dürfen durch unsern Glauben, durch unser Festhalten, und so will er schließlich seine Gemeinde errettet sehen, wenn er kommt und es sich heraus­stellt: jetzt ist er der einige Herr auf Erden. Das wird dann freilich den größten, Trost geben, auf den wir zittern und beben. Denn das soll endlich einmal werden und darauf hin dürfen wir haupt­sächlich beten und glauben; darauf hin dürfen wir unsre Not und Verlassenheit auf uns nehmen, daß Jesus Herr wird auf Erden, daß er sich geltend machen kann gegen die Gewalten, die noch auf Erden bestehen in den Verhältnissen der Ungerechtigkeit. Es muß ja einmal anders werden, daß nicht alles und jedes, was in der Welt ist, gegen den Heiland streitet und eben dadurch gegen den allmächtigen Gott. Es ist ja bis jetzt immer so gewesen, daß auch gar nichts einem menschlich helfen will und kann in der Welt. Die Staaten haben nichts im Sinn als ihre Soldaten, ihre Polizei und ihre Gesetze, aber nach Gott fragt man nicht; der gilt nichts, und da sind dann Verhältnisse in der Menschheit, soziale und gesellschaftliche, in Handel und Wandel und Gewerbe und Erfindungen der heutigen Welt, die nützen alle nichts. Je gescheuter die Leute werden, um so weniger wollen sie Feuer werden fürs Reich Gottes. Und das geht bis ins kleinste hinein; bei allem, was man auf Erden von uns fordert, ist so leicht ein Geist drin, der einen bloß hindert. Sobald etwas gefordert wird, muß man den lieben Gott auf die Seite schieben. Aber so kann’s doch nicht ewig bleiben. Wir müssen eben auch in diese Welt hinein als eine Witwe, die schreit, als Menschen, die glauben, und wir dürfen uns nicht verbittern lassen. Wir müssen in unsern politischen Verhältnissen, in unsern gesellschaftlichen Verhält­nissen, in unserm Berufsleben doch aushalten und sagen: Gut, ich trage es, denn ich weiß, in diese Sachen hinein muß der liebe Gott, und wenn die ganze Welt lacht, da muß er hinein in alles, was irdisch heißt, sei’s geistige Torheit, sei’s leibliche Krankheit. Und wenn’s bis jetzt aussieht, als ob alles steinharte Felsen wären, durch die man nicht durchkommt und in die man nicht hinein kann — in Gottes Namen! auseinander müssen sie! zersprengt müssen sie werden und hinein muß der lebendige Gott!

So stehen wir, damit es endlich anders werde. Aber natürlich, man muß ganz drin stehen. Wenn wir darin folgen wollen, dann müssen wir ganze Leute sein; wenn wir glauben, dann aber auch ganz; wenn wir sagen: „Gott ist meine Hilfe!“ dann aber auch ganz; dann muß nicht mehr diese und jene Sache helfen. Es gibt in keinem Elend, in keiner Not eine Hilfe, nichts von wirklicher Erlösung, nichts von Rettung, außer was Gott ist. Und wo’s eine andre Hilfe gibt, die will ich nicht; wo sich etwas anderes dem Menschen als Hilfe darbietet, so ist’s Satan, wenn’s nicht ein Mittel ist, das Gott uns zeigt; aber das Mittel ist’s nicht, Gott ist’s. Das sieht sehr übertrieben aus, aber so stehe ich und so will ich aufs Reich Gottes arbeiten, daß schließlich jede Pflanze eine Gottespflanze ist, jedes Wasser ein Gotteswasser, jedes Licht ein Gotteslicht ist. Nicht das Licht hilft mir — Gott im Licht! nicht das Wasser — Gott im Wasser! nicht die Pflanze, die ich esse — Gott in der Pflanze! Es muß alles heraus, damit die Wahrheit Gottes ans Licht komme. Vielleicht hat man es an dem ein wenig fehlen lassen; man hat immer andre Dinge wertgeschätzt. Man will in allen Fällen zuerst Mittel ergreifen, es fällt keinem ein, zuerst an den lieben Gott zu denken. Man lauft nach den hergekommenen Geschichten und läßt sich’s wer weiß was kosten, ehe man sich zu Gott flüchtet. Und dieses Halbe, das in der Offenbarung Johannis lau heißt, verewigt unser Elend; es hört nichts auf. Man kann einmal jemandem helfen, es kann einmal ein glücklicher Zufall helfen, aber es wird nicht im ganzen geholfen. Man ist weder kalt noch warm, man ist lau. Man sagt immer: „Gott, Gott, Gott!“ und „Heiland, Heiland, Heiland!“ — aber, wenn’s drauf ankommt, braucht man ihn nicht; er hat den Wert nicht in unsern Herzen, der ihm gebührt, auch nicht bei denen, die das Reich Gottes suchen, — von den andern rede ich gar nicht. Wenn wir aber nach dem Reich Gottes trachten wollen und das Ziel ins Auge fassen, wenn wir den Heiland haben wollen, dann wollen wir ganz sein und alles Halbe hinaus­werfen. Und was noch in uns ist von Nebengott, Nebenhilfe, Nebenhoffnung, Nebenfreude — fort damit! Eine Hoffnung, eine Freude, ein Glaube, eine Liebe — das ist unser Vater im Himmel, bei dem wollen wir bleiben!

Meinst du, daß der Heiland, wenn’s Zeit ist und er kommt, solchen Glauben finden werde? Wenn ihr’s so nehmt, dann ver­steht ihr’s: solchen Glauben? Er wird ihn finden, allerdings nicht bei Tausenden. — Gott wird’s dem Heiland zuliebe tun; das größte Wunder wird er tun und dem Heiland solche Menschen schicken. Und wenn’s nur eine kleine Schar ist, so kann er kommen und die Sache Gottes wird ausgerichtet werden in einer Kürze. Aber nicht kurz geht’s, wenn’s ewiglich halb bleibt, wenn immer noch e bisle was andres daneben Wert hat. Mir ist dieses Wort so wichtig geworden, als wenn der Heiland sagen wollte: „Hört’s, Gott wird sie erretten in einer Kürze, wenn ihr, meine Jünger, nur ganze Leute seid und euch so ganz auf Gott werfet, wie diese Witwe auf den Richter, wenn euch nur Hören und Sehen vergeht für alles andere, was nicht der Vater im Himmel ist!“ Wenn ihr’s nur ganz so treibt, nicht so wie man es früher gemacht hat, daß man in Klöster ging — o nein, geht in alle Welt, aber im Herzen bleibt draußen! — und wenn’s scheint, die Welt habe alle Macht, haltet es fest in euren Herzen: das ist nichts, der Heiland will’s ganz haben, — dann kommt das Reich Gottes. Ich habe bei Kranken und Angefochtenen oft den Eindruck, sie glauben viel Hilfe, aber ganz, ganz — das fehlt bei manchen. Da geht’s oft wie an der Grenze, daß auch etwas geschehen könnte und doch hebt’s noch e bisle. Ich will’s nicht als Schuld hinstellen, aber es ist so in der Welt geworden. Ich möchte diesen Geist totschlagen, der selbst die redlichsten Menschen zu einer gewissen Halbheit bringt. Da bindet man aus ein bißchen Glau­ben und ein bißchen Verzweiflung, aus ein bißchen Freude und ein bißchen Traurigkeit ein hübsches Sträußchen zusammen, daß nicht was Ganzes ins Herz kommt, ein ganzes Hosianna, eine ganze Liebe, ein ganzes Hoffen, ein ganzes: „Vater im Him­mel!“ ein ganzes „Hallelujah!“— an dem, was Gott will, muß man immer ein bißchen zweifeln. Spricht man von der Liebe Gottes: ja — aber doch immer ein bißchen verdammen! Spricht man von her Gerechtigkeit Gottes: ja — aber Gott ist doch nicht gerecht! Spricht man von der Wahrheit: ja — aber es ist doch alles unwahr in der Welt! Und diesen Zweifel müssen wir ganz ausrotten. Wir wollen ganze Leute sein und mit Leib und Seele dafür eintreten: Jesus ist der Herr; er ist die Hilfe zur Ehre Gottes des Vaters! Ich weiß, es kostet Kämpf bis wir ganze Leute sind. Wir wollen uns aber die Hand reichen und zusammenstehn und uns gegenseitig helfen, daß wir einmal ganze Leute werden, ganz für des Vaters Ehre und Reich. Dann wird’s heißen: „In einer Kürze!“ Schnell ist dann der da, der in allem Wandel schaffen wird, der Herr, der Mensch ist, und darum auf Erden sein Reich hat für die Macht und Ehre und Gewalt Gottes.“

Abendstunde am 10. Juni 1897 in Bad Boll.

Quelle: Christoph Blumhardt, Ihr Menschen seid Gottes! Predigten und Andachten aus den Jahren 1896 bis 1900, hrsg. v. R. Lejeune, Zürich-Leipzig, Rotapfel-Verlag, 1928, S. 40-49.

Hier die Predigt als pdf.

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