Der Heilige Geist und das Gebet für die Einheit
Von Paul Evdokimov
Angesichts der „zerstreuten Ähren”, die heimbegehren, angesichts ihrer Erwartung, „durch die Mühlen der Demut zu gehen, um zum süßen Brot für den Herrn zu werden”, ist es wichtig, den Sinn des Gebets für die Einheit zu vertiefen im Lichte einiger Thesen, die der Theologie des Heiligen Geistes entnommen sind. Unser Gegenstand wird nicht so sehr die Gestalt und der Inhalt des Gebets sein wie das, was zum Beten dazugehört, die Haltung des Beters, das „wie man beten soll”, um die volle Wirkung des Gebets zu erfahren.
Denken wir an das Leben des heiligen Antonius, der erzählt, daß er drei Tage und drei Nächte betete. Am dritten Tage warfen sich die Dämonen Gott zu Füßen und flehten ihn an, den Heiligen aus seinem Gebet zu wecken; denn die Glut dieses Gebetes wurde unerträglich und zu einer Gefahr für die dämonischen Insassen dieser Welt. Der heilige Seraphim betete Tag und Nacht für einen Menschen, der von Gott verdammt war, und erklärte, daß er nicht weichen würde, bevor er die Gnade an sich gerissen hätte. Sein Gebet wurde erhört, aber um seiner Vermessenheit willen blieb er sein Lebtag lahm. Ein Mönch auf dem Athos pflegte das Vaterunser nur einmal zu beten, aber er begann damit abends und beendete es erst bei Sonnenaufgang. Offenbar war in diesen Fällen das, was jene geisterfüllten Männer zu sagen hatten, gar nicht so wichtig, ihr Gebet ging auf im Namen Gottes und wurde zum Ort seiner Erscheinung. Soll ich noch von dem blutigen Schweiß unseres Herrn reden? … Welch ein Abstand zu der erschreckenden Selbstgerechtigkeit und zu dem nachlässigen Automatismus der kurzen Gebete, die heute unter Christen praktiziert werden, dieser so beleidigenden Gehirnprodukte und platten Sentimentalitäten!
In ihren Überlegungen über die Art der Beziehungen zwischen dem Menschen und dem Heiligen Geist stellen die Kirchenväter vor allem fest, daß der Heilige Geist dem ersten Menschen zusammen mit dem Leben gegeben worden war (St. Kyrill von Jerusalem). Nach dem Sündenfall jedoch konnte er nur von außen her auf die menschliche Natur einwirken. Unter der Herrschaft des Alten Bundes kommt der Heilige Geist mit der Natur in Berührung, ohne in sie einzudringen und sich innig mit ihr zu verbinden. Er redet durch die Propheten, er inspiriert sie von Fall zu Fall und verläßt sie dann wieder. Erst bei der Taufweihe im Jordan läßt sich der Heilige Geist herab und ruht fortan als Salbung auf der Menschheit Christi, und am Pfingsttage wird er im Inneren der menschlichen Natur wirksam. Von da ab ist die Jungfrau gratia plena; der Diakon und Erzmärtyrer St. Stephanus ist „voll des Heiligen Geistes”. Für den heiligen Ignatius von Alexandria sind die Getauften Θεοφόροι (Gottesträger), vor allem aber Θεοῦγεμετε (gotterfüllt). Der Mensch ist nach dem heiligen Paulus Tempel des Geistes. Wenn das religiöse Leben vor der Fleischwerdung ethischer Art war: Gehorsam oder Übertretung der durch das Gesetz gezogenen Grenze, so ist es nach der Herablassung des Geistes charismatisch: Leere oder Erfülltsein vom Heiligen Geiste. In der dreifachen Würde des Sacerdos, Königs und Propheten erscheint der Getaufte als Priester, der sein luziferisches Wesen opfert und so, nach jüdischer Überlieferung, dem heiligen Michael die Möglichkeit gibt, auf dem himmlischen Altar „feurige Lämmer”, nämlich die Seelen der Gerechten darzubringen; als Gotterfüllter ist er König; und schließlich ist er, als neue Kreatur mitten in die Welt gestellt, seinem ganzen Sein nach Prophet und verkündigt den, der da kommt. „Schon hier auf Erden erleuchtet, wird der Mensch ganz und gar zum Wunder. Er wetteifert mit den Engeln in unaufhörlichem Gesang; indem er sich auf Erden wie ein Engel hält, führt er Gott die ganze Kreatur zu” (St. Gregor Palamas). Ekstase und Instase gehen ineinander über: die erleuchtete Seele tritt aus ihrem Inneren heraus vor Gott.
So wird der Heilige Geist uns vertrauter als wir selber, er wird zur „Seele unserer Seele” (St. Simeon), so sehr, daß für den heiligen Gregor von Nyssa der Mensch, der nicht von Heiligen Geist bewegt wird, kein menschliches Wesen ist.
Das Gebet, das den Vater um die Aussendung des Heiligen Geistes bittet, heißt Epiklese, Daß es in der Eucharistie Verwendung findet, schmälert keineswegs seine umfassende Bedeutung. In der Tat geht die heiligende Wirkung des Geistes jeder Handlung voraus, in welcher Geistliches leibhaftig, Fleisch, Christophanie wird: Offenbarung der Fleischwerdung Christi und, was daraus für die Menschheit folgt, „auf daß Christus in euch Gestalt annehme”.
So „brütet” der Heilige Geist über dem Abgrund – dem Tohuwabohu – ohne Gestalt und Inhalt, in der Stunde der Schöpfung, aus der die Welt, der Leib Christi, die Kirche in ihrer Vollmacht hervorgeht. Der Geist redet durch die Propheten, und in den Vor-Pfingsten des Alten Bundes wird die Menschheit auf die Geburt Christi vorbereitet und auf sie zugeführt. Der Geist läßt sich am Tage der Verkündigung Maria auf die Jungfrau herab, und das Kind Jesus-Immanuel wird geboren. Er läßt sich auf Jesus in den Wassern des Jordan herab, so wie er sich am Pfingsttage auf den Leib seiner Kirche herabläßt. Bei der Taufe macht die Epiklese aus dem Täufling ein Glied des Leibes Christi. Bei der Salbung mit dem Chrisma, am Tage unserer persönlichen Pfingsten, macht die Epiklese aus dem Menschenwesen einen Charismatiker, eine neue Kreatur; aus Brot und Wein macht der Heilige Geist Leib und Blut Christi. Die eucharistische Epiklese verleiht den vom Priester gesprochenen Einsetzungsworten die Wirkung des Wortes Christi, und so vollzieht sich das Wunder der eucharistischen Wandlung. Bei allen, besonders aber bei den gottesdienstlichen Lesungen macht die Epiklese aus dem von Menschen niedergeschriebenen Bibeltext Gottes Wort. Wenn wir uns bekreuzigen, so ist das ein Akt der Epiklese, der denjenigen, der sich mit dem lebendigen Kreuz Christi zeichnet, verwandelt und mit ihm eins werden läßt.
So wird im epikletischen, vorbereitenden, heiligmachenden Handeln des Heiligen Geistes eine Gestalt des Leibes Christi offenbar. Jeder Christophanie, jeder Geburt einer organischen Zelle in der Kirche (Gemeinde und Gemeinschaften, ecclesia domestica = Hausgemeinde usw.) geht eine Pneumatophanie als ihre pfingstliche Epiklese voraus. Jedes Sakrament, mithin auch jedes geistliche Handeln ist ein kleines Pfingsten, eine Salbung mit dem Geist.
Die Epiklese ist göttlichen Ursprungs, Christus selber hat sie in Worte gefaßt: „Ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben.” Der Herr gibt eine genaue Beschreibung seines Amtes: „Er wird nicht von sich selber reden, sondern, was er hören wird, das wird er reden, und, was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.” Man beachte: der Heilige Geist greift zurück auf ein Christus-Wort, um, der Eschatologie und den novissima, den letzten Dingen im Lichte der Endzeit zugewandt, voraus zu verkündigen. Er fügt der Offenbarung, die durch den Herrn abgeschlossen ist, nichts hinzu, er begnügt sich auch nicht mit ihrer bloßen Wiederholung, sondern verkündigt sie voraus und versieht sie mit seinem eschatologischen Akzent, der aus demselben Wort einen tiefer verborgenen Sinn herausholt. Die Worte gehen über in „Buchstaben von Feuer”, sie reichen weiter, indem sie „lebendig machen”.
Pfingsten enthüllt uns, daß Christus der große Vorläufer des Heiligen Geistes ist. Dieser kommt herab, sein Werk zu vollenden. Das Walten Christi ist sozusagen dem des Heiligen Geistes zugeordnet. Das Werk des Geistes besteht keineswegs in einem einfachen Dienst am Wort, in einer Mittlerschaft, sondern in der Verwirklichung eines Zwecks, dessen Ziel für den Menschen die theosis (Vergöttlichung), für die Menschheit das Himmelreich ist. Der König ist gekommen, damit das Reich komme. Die einfache Abhängigkeit (die Gefahr des Filioquismus) oder die sektiererische Unabhängigkeit (die Gefahr der Pfingstbewegungen) schließen den Kreis der Ausgießung des Heiligen Geistes auf sich selber. Nun aber gibt der Herr zu verstehen, daß die einzige Sünde die wider den Heiligen Geist ist, nämlich die Haltung, die sich den Kräften der Gnade in den Weg stellt; statt lebendig zu machen, verzehrt dann der Geist. Zwischen dem Walten beider herrscht eine gegenseitige Beziehung. Der Sohn ist gekommen, dem Heiligen Geist seinen Leib als Gefäß der heiligmachenden Gnade darzubringen.
In der Tat, „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden” – dieses Feuer, so erläutern die Väter, ist der Heilige Geist, und sie gehen so weit, es mit der Auferstehung und mit dem Himmelreich gleichzusetzen. In einer sehr alten Lesart des Vaterunsers wird an Stelle des „Dein Reich komme” gebetet „Dein Heiliger Geist komme”. Deshalb ist das Ziel des Christenlebens nach dem heiligen Seraphim von Sarow der Erwerb des Heiligen Geistes und seiner Gaben, der aus jedem Getauften einen, sogar ontologisch von jedem Nicht-Getauften unterschiedenen, Charismatiker macht. In seiner Erklärung des Gleichnisses von den törichten Jungfrauen sagt der heilige Seraphim, daß sie als Jungfrauen gewiß von den moralischen Tugenden erfüllt waren, aber töricht waren sie, weil sie der Gabe des Heiligen Geistes ermangelten. Der Geist eint sich auf mystische Weise mit den Menschen und tritt sozusagen an unsere Stelle, um in unserem Herzen Abba, lieber Vater, und Herr Jesus zu rufen. Nach dem Heiligen Basilius „ist es der Geist, der uns heiligt und mit Gott eint”. Die Väter unterstreichen, daß der Plan der Schöpfung zwar einer absteigenden Bewegung folgt: vom Vater, durch den Sohn, in dem Heiligen Geist, der Plan der Erlösung jedoch umgekehrt einer aufsteigenden: vom Heiligen Geist, durch den Sohn, zum Vater: von der geisttragenden Innerlichkeit durch den von Christus gestalteten Leib zur Unergründlichkeit des Vaters. Die Seele, die die Salbung empfangen hat und charismatisch geworden ist, ist verchristlicht (Christus ist in ihr Gestalt geworden), um sich zum Vater zu erheben und von ihm angenommen und vergöttlicht zu werden. Es ist sehr wichtig, daß die Väter sich so genau ausdrücken; denn in einer christozentrischen Geistigkeit, etwa in der Art von Tauler oder Eckehart, gibt es kein Bindeglied zwischen der Seele und Christus. Für die Väter jedoch kann Gott nur von Gott erkannt werden und kann nur der Heilige Geist uns mit Christus einen; er ist das a priori aller Gotteserkenntnis. Christus nimmt im Menschen Gestalt an (Gal. 4,19) und verchristlicht ihn, weil er heilig gemacht ist.
So ist die Epiklese der deutliche Ausdruck für das Walten des Heiligen Geistes. Sie läßt vor allem keinen entstellenden „Zentrismus” aufkommen (Christozentrismus oder Pneumatozentrismus) und stellt immer wieder die großartige Ausgeglichenheit der Dreifaltigkeit her: „Der Heilige Geist läßt die eine Natur der Dreifaltigkeit in den Seelen mystisch aufleuchten” (Sonntags-Offizium). „Ich werde nicht aufhören, es zu wiederholen: Licht ist der Vater, Licht ist der Sohn, Licht ist der Heilige Geist. Diese drei sind ein einziges unteilbares Licht” (St. Simeon). Im Geist und seinem offenbarenden Handeln transzendiert die Dreifaltigkeit ihre eigene Transzendenz, öffnet sich der Welt und erstrahlt in ihrer göttlichen Einheit. Aber im Geist entäußert sich die Dreifaltigkeit, und eben in seiner Person findet diese Entäußerung ihren Ausdruck. Er macht den Vater im Sohne sichtbar und begibt sich selbst – Mysterium fascinosum Trinitatis! – jeder Gestalt.
Es gibt keine persönliche Inkarnation des Geistes. Er hat sein Abbild nicht in einer anderen Hypostase. Deshalb kann er ikonographisch nur im Bilde der Taube und der pfingstlichen Flammenzungen dargestellt werden. „Der Sohn ist das Ebenbild des Vaters, und der Geist ist das Ebenbild des Sohnes”, sagt der heilige Johannes von Damaskus. „Aber wer ist das Ebenbild des Heiligen Geistes?” „Dein Name, der so begehrt ist und beständig bekannt wird – niemand kann sagen, was er ist”, ruft St. Simeon der neue Theologe voller Erstaunen aus. Höchstens könnte man sagen, daß das Ebenbild des Heiligen Geistes die Communio Sanctorum ist, die „goldene Kette” der Schar der Heiligen (St. Simeon), der Vorgang der Offenbarung selber oder der Anhauch, der von der Einheit ausgeht, eben der Geist des einen in Christus. In der Tat: wenn „Christus der Mittelpunkt ist, in dem alle Linien zusammenlaufen” (St. Maximus) und wenn er „aus den einen und den anderen einen einzigen Leib macht” (St. Johannes Chrysostomus), dann bezieht sich der Heilige Geist eben deshalb auf die Personen und läßt sie in der Fülle seiner Gaben aufblühen, weil sonst das Personenhafte in jener Einheit in Christo aufgehen würde: „Wir sind wie eingeschmolzen in einen einzigen Leib, aber personenhaft aufgegliedert” (St. Kyrill von Alexandria) und „getränkt vom Heiligen Geist trinken wir Christus” (St. Athanasius). Im Schoß der Einheit bewirkt der Geist Mannigfaltigkeit. Er vollendet einen jeden nach Maßgabe seiner eigenen Heiligkeit, so daß man sagen kann, daß der Heilige Geist sich in der Heiligkeit der einzelnen Personen und in der ihrer Kirchengemeinschaft abbildet. Deshalb wird der Heilige Geist auch in der Gestalt der allerreinsten und allerheiligsten Muttergottes dargestellt, insoweit sie ein Bild für die Heiligkeit der Kirche ist.
Schließlich wird es gut sein, bei der Tauf-Epiklese haltzumachen. Jede gottesdienstliche Feier vereint alle Heilsbegebenheiten in sich wie in einem ausstrahlenden Brennpunkt. So erläutern der Gottesdienst und die Ikone von der Geburt Christi die Lesungen der Karsamstagsmetten: „Du bist auf die Erde gekommen, um Adam zu erlösen, und, als du ihn hier nicht fandest, o Herr, hast du ihn sogar in der Hölle aufgesucht.” Ebenso zeigt die Ikone die tiefe Finsternis der Grotte, ein dunkles Dreieck, wo das Kind Jesus wie in der Nacht der Hölle gebettet ist. Um an den äußersten Ort des Sündenfalls zu gelangen und sich zum „Herzen der Schöpfung” zu machen, verlegt Christus seine Geburt auf mystische Weise in die Hölle, dorthin, wo das Böse in seiner ausweglosen Verzweiflung dahinwelkt. Bei seiner Geburt fährt der Himmel herab bis auf den Grund des Abgrundes. „Als Fackelträger des Lichts zerstreut das Fleisch Gottes unter der Erde die Schatten der Finsternis”. Was in der Geburt Christi prophezeit wird (die Windeln des Kindes sehen genau so aus wie die Leinen, die nach der Auferstehung im leeren Grabe zurückgeblieben sind), das verwirklicht sich in der Taufe des Herrn, in seinem Tode und in seiner Höllenfahrt, und seitdem „scheint das Licht in der Finsternis”. So sagt der heilige Gregor von Nyssa: „Die Sonne ist mit ihm schlafen gegangen, aber er zerstreut für immer die Schatten des Todes”, denn seine Sonne, das Licht, das vor aller Zeit da war, hat sie licht gemacht.
Der Gottesdienst des Epiphaniafestes gebraucht den Ausdruck „nasses Grab” und spielt dabei auf die Unergründlichkeit des Wassers an, in der sich die Mächte des Bösen verbergen. Am Tage seiner Taufweihe sagt der Herr: „Es drängt mich, den Feind, der in den Wassern verborgen ist, umzubringen”, und so taucht Christus in dieses „nasse Grab” ein, um die Menschheit der Stätte der Finsternis zu entreißen. Man sieht deutlich, daß die Taufe des Herrn schon vorweggenommene Höllenfahrt ist. „Ewiges Wort, du gibst dem Menschen seine Jugend wieder, die er verlor, als er vom Wege abwich; er begräbt sich mit Dir in den Fluten”. Nach dem großen Liturgiker Nikolaus Kabasilas verleiht die Tauf-Epiklese dem Wasser des „heilbringenden Bades” die Wirkung des Blutes Christi. Im Gottesdienst der Ostkirche werden die Brotstückchen in das eucharistische Blut eingetaucht, während der Name eines jeden Gläubigen aufgerufen wird; so wird auch jeder Täufling in das Leben spendende „Blutbad” eingetaucht. Die mystische immersio Christi in dem „nassen Grab” wird hier sinnbildlich wiederholt. So wie Christus drei Tage im Tode und in der Hölle zubrachte, wird jeder Täufling dreimal im Bade des Heils untergetaucht. Man begreift, welche symbolische Bedeutung das völlige Untertauchen hat. Darüber hinaus ist die Taufe ihrem Wesen nach ein Abstieg des Täuflings an den Ort der Toten.
Es ist bestürzend, daß diese Bedeutung, die im Gottesdienst und in der Lehre der Väter (zum Beispiel St. Kyrill von Jerusalem, P. G. 33, 1079 C; St. Gregor von Nazianz P. G. 46, 585) so stark unterstrichen wird, weithin in Vergessenheit geraten ist. Die Eingießung eines neuen Lebens, die Auferstehung zusammen mit dem Herrn ist nicht möglich, ohne daß die Grundfesten der Hölle ins Wanken gebracht und zerstört worden sind. Wir tauchen unter in der Nachfolge des göttlichen Tauchers. Wir kommen unserem Sterben zuvor und schreiten darüber hinaus, um schon jetzt siegreich aus dem Siege Christi hervorzugehen. Die Hölle ist furchtbarer als der Tod, und wer dort ist, mag sich den Tod als Befreier wünschen. Christus steigt hinab unter der Last der Sünde und trägt seine Wundmale davon. Sein Kreuz ist „das Gericht der Gerichte”, das heißt: Das letzte Wort hat die gekreuzigte Liebe. In der Nachfolge des Herrn steigt jeder Getaufte mit ihm hinab und nimmt Christi priesterliche Sorge für das Schicksal derer auf sich, die am Ort der Toten sind; und, wenn er mit Christus aufersteht, trägt auch er die Wundmale dieser apostolischen Sorge um das Schicksal der Sünder. Die Erneuerung aus der Quelle des Sakraments, die Einkehr in dem finsteren Reich des Bösen und dem Ort seines Ursprungs gräbt sich tief und unzerstörbar in die Seele ein, so wie auch der erschreckende Anblick dieser Welt, die sich bis zum äußersten widersetzt und in ihrem Trotz Gefahr läuft, sich samt und sonders in der Hölle wiederzufinden.
Diese realistische Auffassung von der Taufe, die im Sakrament selber gründet, bestimmt ganz und gar und weiht unser Dasein als neue Kreatur in seinem allgemeinen Priestertum und in seiner apostolischen Weite.
Die christliche Einheit ist schnell auseinandergegangen, die Wiedervereinigung ist eine langwierige Sache, und alle Anstrengungen enden in dem non possumus des an sein Glaubensbekenntnis gebundenen Gewissens. Nun aber kommt uns eine, freilich nicht in Worte zu fassende, heimliche Einsicht und bewahrt uns vor jeder integrierenden oder progressiven Vereinfachung. Angesichts des Mysteriums der Einheit tritt nämlich das Mysterium der Veruneinigung in Erscheinung. Der Trennung, die das Wesen der Kirche ernsthaft bedrohte, ist dadurch Einhalt getan, daß in den getrennten Teilen der Christenheit Gottes Gegenwart offenkundig geworden ist. Wir wissen, wo Kirche ist; wer kann sagen, wo sie nicht ist? Die Grenzen der Lehre und der Zucht in der sichtbaren Kirche fallen nicht zusammen mit ihren charismatischen Grenzen (wenigstens gibt man mit der gegenseitigen Anerkennung des Taufsakraments und, in gewissen Fällen, des Priesteramtes stillschweigend zu, daß der Heilige Geist außerhalb des kirchlichen Sakramentsrechtes handeln kann). Mit dem Wortwechsel von Tauben, die einander den Rücken kehren, ist es endgültig vorbei, er ist überholt. Aber damit einer sich zum anderen zurückfinde, muß man erst einmal miteinander stille und in schweigender Reue eins werden, im Hinblick auf das mystische Gespräch, zu dem die ganze christliche Vergangenheit emporführt. Hier muß jedes Wort wesentlich werden und wie lauteres Quellwasser der schweigenden Anbetung und dem Warten auf das große Schweigen entspringen, in dem der Geist empfangen wird.
Die Kirchenväter kommen immer wieder auf die Grenzen unserer Erkenntnisse zu sprechen. „Wir wissen, daß Gott existiert, daß er ist; wir wissen nicht, was er ist.” Gott unterscheidet sich gewaltig von dem, was wir denken. Er ist sicherlich nicht das, was die Schultheologen uns von ihm sagen. „Gott hüllt sich in Dunkel”, und es ist angemessen, ihn in seiner unsagbaren Unergründlichkeit schweigend zu verehren. Der heilige Johannes Chrysostomus bemerkt nicht ohne Spitze, daß die Engel die Unbegreiflichkeit Gottes besser begreifen als wir, weil sie Gott ganz nahe sind.
Die Theologie des Verneinens (die sich darauf beschränkt auszusagen, was Gott nicht ist. Anm. der Schriftleitung) spielt eine reinigende Rolle und bewahrt den Osten vor aller Versuchung, Gott auf Begriffe, auf jene letzten und gefährlichsten Götzenbilder zurückzuführen. „Niemand kann Gott sehen und am Leben bleiben” heißt für die Väter: Niemand kann Gott in Begriffe fassen. Gott ist in seiner Gottheit frei, das bedeutet, seinem Wesen nach mystisch. Wer kann ermessen, wie das Wort gleich einem Blitz aus den Höhen des ewigen Schweigens herabfährt bis auf den Grund des Höllenschlundes und wieder aufsteigt zur Rechten des Vaters? Ein ebensolches Mysterium ist es, wenn es durch die trennende Mauer hindurchgeht und sich im Inneren der getrennten Teile der Christenheit offenbart.
Das Mysterium der Veruneinigung, die Anerkennung der Tatsache, daß Christus in unserem Gegenüber wirklich und also auch heilbringend gegenwärtig ist, ist die Vorbedingung für jede echte ökumenische Begegnung und stellt klar, daß unsere Beziehungen zu den Andersgläubigen dem Heilsplan unseres Herrn nicht entgegenstehen. Der Metropolit Platon sagte, daß die trennenden Mauern nicht bis in den Himmel reichen. Ein strenger Asket und Einsiedler wie Bischof Tichon hielt dafür, daß alle nach Maßgabe ihres Glaubens Gnade empfangen. Sobald man die Haltung aufgibt, die auf eine formale Eingliederung aus ist, wird deutlich, daß es nicht um das Heil der Andersgläubigen geht und daß die Frage unendlich viel verwickelter ist. Deshalb ist im ökumenischen Gespräch jede Haltung, die Proselyten machen will, fehl am Platz und verursacht einen Mißklang. Sie macht eine positive Würdigung des anderen unmöglich. Die Beziehungen zwischen der Rechtgläubigkeit und der Andersgläubigkeit beruhen auf dem Ratschluß, daß die Fleischwerdung sich vollende, daß wir zur Gestalt Christi heranwachsen und daß die volle Wahrheit erkannt werde. So heißt es auch im Gebet der Kirche: „Auf daß alle zur vollen Erkenntnis der Wahrheit gelangen!”
Die gegenwärtige Lage der Welt zwingt uns, unsere internen Probleme um der Heilslehre willen zurückzustellen. Das Hohepriesterliche Gebet des Herrn enthüllt einen Sinn, der jede Kirche erschrecken sollte. Christus betet als Hoherpriester für die letzte, höchste Einheit, in der sich die Einheit zwischen dem Vater und dem Sohne abbildet, die aber keineswegs für die Kirche selber ist, sondern dafür, „daß sie eins seien, auf daß die Welt glaube”. Hier haben wir das Beispiel für ein „wesentliches” Wort. Dieses Wort richtet jede Kirche, die sich zu Tisch gesetzt hat, um ein mystisches Mahl zu genießen und darüber zu vergessen, daß, nach der Bibel, jedes wahrhafte Mahl nur messianisch sein kann. Das „eins in Christus” wird in einem Liebesausbruch dem apostolischen Ziel der Welterlösung, der Sendung der Kirche in die Welt untergeordnet. So bewahrheitet sich die ökumenische Bewegung nicht in dem Gebot eins zu sein, sondern in dem, was unmittelbar daraus folgt: „auf daß die Welt glaube.” Um dieses apostolischen Zieles, um eines möglichst wirksamen Zeugnisses willen muß man eins sein. Der dringendste Ruf zur Einheit kommt also nicht aus dem Inneren der Christenheit, sondern aus der gefallenen Welt. Je mehr man im göttlichen Leben verwurzelt und dem Leben der Welt abgestorben ist, um so anfälliger ist man für das Seufzen der Kreatur. Auffälligerweise sind es immer die Heiligen, die sich für die Verhärtung der in sich abgekapselten Welt schuldig fühlen. Als Gekreuzigte vernehmen sie jenes andere wesentliche Wort: „Halte deinen Geist in der Hölle und verzweifle nicht” (Staretz Siluan)! Sie nehmen die Finsternis auf sich, um ihr Herz auszuweiten für die Größe der göttlichen Liebe, um es der „Menschenliebe des Vaters” anzupassen. Deshalb sind die Heiligen im Zeitalter des neuen Prometheus so überempfindlich für die nicht zu beschwichtigende Unruhe, die sie quält.
Eine übertrieben christozentrische Einstellung führt zu einer Verhärtung der Theologie und engt das Gespräch ein. Eine größere Geschmeidigkeit kann nur von der Ausgeglichenheit der Dreifaltigkeit herkommen. Im 14. Jahrhundert hat der heilige Sergius von Radonesch, der als Lehrer der Dreifaltigkeit gilt, in Wirklichkeit nur eine Kirche gebaut und sie der Heiligen Dreifaltigkeit gewidmet. Das war für ihn lebendige Theologie. Das Heiligtum, ein Bild der Dreifaltigkeit, war schon in der Kraft seiner Offenbarung ein Notschrei, eine Mahnung zu Einheit. Von der wunderbaren Ikone der Dreifaltigkeit von Rublew geht dieselbe unwiderstehliche Kraft aus „des Einen, der sich verdreifacht und der Drei, die sich in dem Einen zusammenfinden” (Dionysius von Alexandria). Wenn man zur unergründlichen Quelle der dreipersönlichen Einheit herabsteigt, überschreitet man die Grenzen der theologischen Systeme, die daran kranken, daß sie um einen exzentrischen Mittelpunkt kreisen. Mit dem Heiligen Geist beten, heißt ein- und denselben, altbekannten Worten seinen eschatologischen vorwärts tragenden Anhauch verleihen; heißt Heiligung des Namens, wie sie nur in der Haltung der bekennenden Märtyrer möglich ist; heißt auf das Himmelreich warten – auf den Heiligen Geist (die eschatologische Epiklese, die aus dieser Welt „eine neue Erde” macht); heißt letzte Übereinstimmung zwischen dem Willen des Vaters und dem der Menschen (wie im Himmel also auch auf Erden); heißt das so bohrende Verlangen nach dem wahrhaft nährenden, weil eucharistischen Brot, das in der Dürre der letzten Zeiten allein am Leben erhält; heißt die Vorahnung der letzten Versuchung, die selbst die Heiligen zu fürchten haben, und endlich der Lobpreis, der die Himmel erfüllt und das Reich schon vorwegnimmt . . .
In dieser Enderwartung werden wir zur ökumenischen Epiklese geführt, die das Herzstück des Gebetes für die Einheit bildet und vor allem die Haltung des Beters bestimmt.
Wir alle sind einig vor der geschlossenen Bibel. Sobald wir sie öffnen, lesen wir sie anders. Einig in der Unsagbarkeit Gottes, in dem grundlegenden Mysterium seines Seins, in der Tatsache, daß er „geredet hat”, sind wir doch uneinig in unseren menschlichen Versuchen, dem Mysterium näherzukommen, in der Tatsache, daß „wir geredet haben”, in der Unzulänglichkeit unseres Zeugnisses, in dem die Wahrheit, die allen Streitgesprächen ein Ende machen würde, nicht zum klaren Durchbruch kommt. Durch diese der menschlichen Kurzsichtigkeit anhaftende Schwäche wird das Gebet für die Einheit entstellt: Der Katholik wird für die allgemeine Zustimmung zur Unfehlbarkeit des Papstes und zu seiner ökumenischen Jurisdiktion beten, der Orthodoxe für die konziliare Gestalt der einen Kirche, der Protestant dafür, daß alle Glaubensbekenntnisse allein an Hand der Bibel einer kritischen Prüfung unterzogen werden und daß die Dynamik den Vorrang vor der Institution haben möge. Derartige Gebete haben zwar ihr historisches Recht, würden aber doch nur die gegenwärtige Lage verewigen, ohne zu irgendeinem Ausweg zu verhelfen; denn sie legen den Status quo im vorhinein gerade dort fest, wo die herrschenden Lehren von der Kirche sich nicht auf einen Nenner bringen lassen.
Es fällt uns ein, daß die Vergangenheit uns in der Vorgeschichte des 4. Ökumenischen Konzils zu Chalzedon eine sehr genaue Analogie liefert. In dieser Zeit legt die Schule von Alexandria eine Glaubensthese vor, die Schule von Antiochia eine Gegenthese. Nach menschlichem Ermessen erscheint in diesem Streit eine Synthese unmöglich. In genau derselben Lage befinden sich heute unsere Konfessionen. Da aber wird der Anrufung des Heiligen Geistes durch die Konzilsväter eine erleuchtende Antwort zuteil: Eine Eingebung aus dem Munde des heiligen Papstes Leo wird von den Konzilsvätern aufgenommen, eine Lösung, von der niemand weiß, woher sie kommt, die einfach von Gott ist. Ein jeder findet seine Schau der Wahrheit wieder, aber gereinigt von seinem Partikularismus und einbezogen in eine völlig neue, wahrhaft katholische Synthese. Diese Lehre aus der Geschichte lädt dringend dazu ein, sich dem Heiligen Geist anzuvertrauen, damit er im nachhinein eine Glaubenswahrheit an den Tag bringt, ohne etwas preiszugeben.
Wenn Gott selber „Geduld übt und will, daß niemand verloren geht, sondern daß alle zur Fülle gelangen”, so verlangt die ökumenische Epiklese ganz besonders Durchsichtigkeit und Reinheit des Herzens, einen höchsten Grad asketischer Katharsis (Läuterung). Größter Ernst, Mannhaftigkeit und Überlegtheit muß von allen aufgebracht werden, die sich im Ringen um die Ökumene einsetzen. Dann hört dieses sofort auf, ein einfaches Bekehrungsunternehmen oder eine Gelegenheit zu sentimentaler Rührung zu sein.
Im orthodoxen Gottesdienst wird vor dem gemeinsamen Glaubensbekenntnis jeder aufgefordert, die rechte gottesdienstliche Haltung einzunehmen: „Laßt uns untereinander lieben, auf daß wir einmütig die unteilbare Dreifaltigkeit bekennen.” Liebevolle Aufgeschlossenheit ist der Ausgangspunkt für die Epiklese. Origenes (Hom. 7 in Lev.) sagt, daß „jeder Mensch in sich selber eine gewisse Nahrung hat; der Mensch holt sie aus seinem Herzen und bietet sie seinem Nächsten als reine Nahrung an”. Hier wird das menschliche Herz eucharistisch verstanden. Die konfessionelle Praxis, die unter dem starken Eindruck des „Feuer Verzehrens” steht, behält die Eucharistie vorsorglich „den ihren” vor, und das ist recht und billig. Aber der Mensch, der so „ernährt” wird, wird, nach Origenes, selber zu einem offenen Kelch, nun aber für die ganze Welt, für alle gegeben, um „das Feuer zum Feuer hinzuzutun”. Unter den außergewöhnlichen Verhältnissen, die im sowjetischen Leben herrschen und den Gläubigen dort verhindern, ein regelmäßiges gottesdienstliches Leben zu führen, lehrt die Kirche, daß der Mensch selber ein Tempel, daß sein Leben ein ins Innere verlegter Gottesdienst ist und daß der Gläubige, inmitten der dämonischen Leere, jedem Gesicht, in das er blickt, ein „liturgisches Lächeln” schuldig ist, als ein in seinem Schweigen beredtes Zeichen verhaltener Freude.
Christus kündigt nicht die Einsetzung der Kirche an, sondern das Himmelreich, und, wenn er die Kirche einsetzt, so ist sie eben das Himmelreich, das sich der Welt und dem gottfernsten Wesen aufschließt. Die Kirche, die dem Geist gehorcht, tritt aus sich selber heraus, damit die Welt in ihr den eigenen brennenden Herd erkennen kann. Das Himmelreich ist mitten unter uns, das bedeutet freilich auch, daß die Hölle mitten unter uns ist. Es geht nicht um die Hölle von Dante oder Hieronymus Bosch – ihrem Wesen nach, aller überflüssigen, weil überholten Vorstellungen entkleidet, ist sie nicht weniger furchtbar: Ausschluß von dem Ort, wo Gott gegenwärtig ist … Man braucht nicht von Hiroshima oder von „den letzten Gerechten” von Auschwitz zu reden, es genügt, mit offenen Augen in dieser Welt zu stehen, um unter den tödlichen Anschlägen der Hölle bei Kafka oder Sartre, in der Verlassenheit des „Buß-Richters” bei Camus, oder im Delirium Iwan Karamasows zu erzittern, vor der Hölle der Menschen, deren Leben Gotteslästerung ist und die die Tiefen Satans erforschen, weil sie sonst nicht wissen wohin oder weil ein so erschreckender Mangel an echten Glaubenszeugen herrscht. Die Säure des Pessimismus nagt an den Wurzeln des Lebens: Die Hölle im Herzen, in einem Herzen, das mit einem nicht existierenden Gott prozessiert, für das Gott nur noch eine eingebildete Projektionswand ist, vor welcher der Mensch seine Klagen ausstößt, gegen welche er seine verzweifelten Lästerungen schleudert. Alles versinkt in einem Abgrund von Gleichgültigkeit und in einem unheimlichen Ekel. Der Existentialist und der Marxist finden sich zusammen, um die Nabelschnur abzuschneiden, die vormals das Kind mit seinem Vater verband. Die neue Solidarität der proletarischen Hölle breitet sich über den ganzen Planeten aus, um den Menschen in seinem Geworfensein auf sich selbst zu vereinnahmen, einem Geworfensein, das ständig zunimmt und das astronomische Ausmaß der von seiner Leere entleerten Welt erreicht, wo die Raketen an die Stelle der Engel treten und wo Gottes Zorn sich in einem dumpfen Grollen ankündigt.
Stellvertretend für alle Menschen hat Christus bis zur äußersten Erniedrigung gelebt, bis zu jenem „Warum hast du mich verlassen”. Dieser Schrei aus der Tiefe der Hölle hat ihre Grundmauern erschüttert und das Herz des Vaters erzittern lassen. Christus ist gekommen, nicht nur, um die Erde, sondern auch und vor allem, um die Hölle zur Kirche zu machen. Das Osterlicht ist dort aufgestellt worden, das mystische Leuchtzeichen scheint in der Finsternis. Selbst die Verzweiflung im Innersten der Hölle trägt seit jeher eine Wunde, die ihr die Hoffnung geschlagen hat, und es steht dem Christen nicht an zu verzweifeln.
Die Unmöglichkeit, die Hölle zu denken, hat Péguy dahin gebracht, daß er aus der Kirche austrat, die christliche Aufgabe, sich ihrer anzunehmen, bringt ihn dahin, daß er wieder eintritt und das Lied der Hoffnung anstimmt, das Lied der zweiten Tugend; denn Gott selber findet sich nicht mit dem Unerträglichen und für immer Verlorenen ab …
„Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf” – niemals ist ein Wort an die Kirche ergangen, das mehr Gewicht gehabt hätte. Das Schicksal der Welt steht auf dem Spiel. Wir müssen es fertig bringen, wir müssen so sein, daß die Welt uns als Zeugen und Boten des Lebens aufnimmt. Gott hat seine Kirche ausersehen, um die völlig neuen Fragen zu beantworten, welche die Menschheit heute stellt, welche sie in ihrer Hölle stellt, und er gibt den Christen auf, ein wesentliches Wort zu finden und zu formen, um darauf zu antworten. Durch dieses Wort muß die Welt, die sich dem verschließt, der nicht liebt, aufbrechen. Der wahre Nächste, der Allernächste, das bin ich selber in meiner Beziehung zu dem, der Christus am fernsten steht; denn gerade in ihm will Christus seit jeher erkannt und aufgenommen sein.
In der Tradition der großen Geistträger tritt das Apostolat der Gläubigen eindrucksvoll hervor. Der „apostolische Mensch”, die „apostolische Seele” bezeichnen den geistlichen Zustand, von dem am Ende des Markus-Evangeliums die Rede ist. Gemeint ist der Charismatiker, der über Schlangen schreitet und Tote auferweckt, wenn der Herr ihm sagt, daß er das tun soll. Die gegenwärtige Stunde ist so furchterregend, daß sie nach den Zeichen des Glaubens schreit; deshalb verheißt auch der Prophet Joel, den der heilige Petrus am Pfingsttage zitiert, für die letzten Tage einen Überfluß an Gaben des Heiligen Geistes.
Der heilige Antonius, der heilige Pachomius und noch viele andere lassen uns an die Furcht erregende Wüste der Thebais denken, an diese Wiege so vieler geistlicher Riesen, an diese dürre Einöde – ausgebrannt, aber ganz erfüllt von ihrem Licht. Jene wunderbaren Lehrer, alles große Charismatiker aus dem Laienstand, lehrten die geläuterte hohe Kunst, dem Absolutheitsanspruch des Evangeliums entsprechend zu leben, und ihr Glaube hat das Antlitz der Welt verändert. Heute verwalten die Mönche das Erbe der Märtyrer; und jeder Mönch, der in einen-Orden eintritt, muß durch die Taufe der Askese hindurch – er muß ein für allemal der Lauheit und dem Geist der Selbstgerechtigkeit absagen. Es besteht eine enge Verwandtschaft zwischen den Taten des Geistes und der ihnen vorangehenden Wirksamkeit der Sakramente. In diesem Sinne kann man von einer ökumenischen Taufe sprechen. Sie bedeutet, daß man allem Machtstreben abstirbt, aller Versuchung, um jeden Preis anderen aufzunötigen, was man selber denkt, glaubt und lebt, daß man abstirbt, aber auch in der Nachfolge des Herrn in das Tal des Schattens und des Todes hinabsteigt und der Wundmale inne wird, welche die wahren Leidensgenossen des Bräutigams tragen.
Das Untertauchen in der Nachfolge des göttlichen Tauchers ist der Ausgangspunkt für die ökumenische Epiklese. Am Ende dieses Gebets steht die Erwartung der ökumenischen Pfingsten. Die Wiederkunft des Herrn bringt zugleich das Gericht und die Erlösung. Damit aber das Wort erfüllt werde: „Ich bin nicht gekommen, daß ich die Welt richte, sondern, daß ich die Welt selig mache”, hat die Wiederkunft die vorangehenden Pfingsten der christlichen Einheit zur Voraussetzung. Noch einmal: Diese Einheit ist nicht in erster Linie für die Christen; wenn sie zustande kommt, dann geschieht das, damit der Herr eine große Mehrzahl von Brüdern hinzutun kann – die in der Hölle der Verzweiflung herumtasteten und nun an das Licht ohne Untergang zurückkehren, zu dem einmaligen Mahl des Herrn. Man kann die Worte des Evangeliums umschreiben und sagen: Sucht das Heil der Welt, und die Einheit wird euch gegeben werden, darüber hinaus, umsonst, als eine letzte Gnadenwirkung der Erlösungstat.
Gekürzter Vortrag, gehalten im Februar 1960 im Ökumenischen Institut in Bossey. Aus dem Französischen übersetzt H. C. v. Haebler.
Quelle: Quatember. Evangelische Jahresbriefe. 24. Jahrgang 1959/60, Heft 3, Johannis, S. 120-124 und Heft 4, Michaelis S. 166-171.