Fridolin Stier zum Übersetzen der Bibel (Postscriptum zu Das Buch Ijob. Hebräisch und Deutsch, 1954): „Der zu übersetzenden Sprache steht es zu, von der anderen das weiteste Entgegenkommen zu verlangen. Sie verpflichtet den Übersetzer, diesem Anspruch zu willen seine Muttersprache aufs heftigste um das Wort zu bedrängen, das er braucht, um das Wort gerade, das die sonst überreiche ihm karg zu weigern scheint.“

Zum Übersetzen der Bibel

Von Fridolin Stier

Wer um das biblische Wort ringt, hat seinen harten Kampf mit den Wörtern der zu übersetzenden wie der übersetzenden Sprache, letztlich mit dem Geist der wortmächtigen Menschen, der in den Sprachen auf seine Weise die Welt und ihre Wesen sieht, benamt, bewältigt. Es gibt eine stattliche Reihe hebräischer Worte, die sich weigern, sich mit den vom Deutschen angebotenen Über­setzungsworten zu identifizieren. Sie decken sich nicht, sie glei­chen Kreisen, die einander mit wechselndem Abstand ihrer Mittelpunkte schneiden. Darum widerstreben sie auch, wenn sie nicht doch einmal ihren Meister finden, dem an sich verbindlichen und idealen Gesetz: idem per idem, d. h. für je das gleiche hebrä­ische Wort auch im Deutschen je das gleiche zu setzen. Wer in die hebräischen Worte hineinhört, vernimmt ihren vielstimmigen Protest gegen die Unebenbürtigen, die ihnen aus der Übersetzung gegenübertreten. Es ist der ohnmächtige Protest gegen eine un­bewendbare Not. Der Übersetzende weiß, daß sein Tun an der Inkommensurabilität der Sprachen scheitert, dem Nicht­erfahrenen aber sei empfohlen, sich von Ortega y Gasset über „Elend und Glanz der Übersetzung“ (Essay) belehren zu lassen. Was zu tun bleibt, was getan werden muß, das ist der Versuch, zu vermitteln, einen leidlichen Kompromiß, eine annähernde Verständigung zu erwirken. Dabei ist die zu übersetzende Sprache in possessione, ihr steht es zu, von der anderen das weiteste Entgegenkommen zu verlangen. Sie verpflichtet den Übersetzer, diesem Anspruch zu willen seine Muttersprache aufs heftigste um das Wort zu bedrängen, das er braucht, um das Wort gerade, das die sonst überreiche ihm karg zu weigern scheint. Vielleicht hat sie das Gebrauchte in der Fülle ihres Gebräuchlichen nicht, oder fehlt es ihr ganz, daß sie es nicht einmal ihren Lieblingen zu geben wüßte, geschweige ihren Bettlern… Ver­sagen muß sie viel, so oft und so willig sie auch ihr Bestes gibt. Manchesmal, nur selten geschiehts, daß die Genötigte ein Wort gewährt, das sich nur schüchtern in den engeren Kreis ihrer all­üblichen Wortkinder traut und fürchtet, als Fremdling verpönt zu werden, ein „Neuwort“ — man verüble es nicht, es wünscht nicht, „interessant“ zu sein, und möchte nur schlicht seinen Dienst an Ort und Stelle tun. Wer wollte ihm wehren, wenn ein in den Lauten und Wurzeln noch lebendes Sprachgefühl doch sich bereitfände, es als echtes Kind seiner Mutter anzunehmen? Der Sprachalltag ist nicht der allein zuständige Richter in dieser Sache, das Konventionaldeutsch — von Kundigen ist es gesagt — ein weithin versteppter Sprachboden.

Quelle: Das Buch IJJob. Hebräisch und Deutsch, übertragen und ausgelegt von Fridolin Stier, München: Kösel, 1954, Postscriptum, S. 358f.

Hier der Text als pdf.

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