Von Claus Westermann
Das Wort hat im AT eine bewegte Geschichte gehabt. Will man sagen, was das Wort im AT bedeutet, muß man dieser Geschichte nachgehen. Es ist dann auch nicht möglich, die Beziehung des Wortes pneuma im NT zu dem hebräischen rûaḥ darauf zu beschränken, daß man die Gebrauchsgruppen findet, an die das NT anknüpft. Man kann nicht verstehen, was im NT pneuma heißt, wenn man nicht die Geschichte des Wortes rûaḥ im AT kennt.
Es genügt, dies an einem Punkt klar zu machen. Am Ende der Geschichte des Wortes rûaḥ im AT ist die Wendung „heiliger Geist“ geprägt worden. Diese Wendung pneuma hagion wurde im frühen Judentum sehr beliebt und fand so auch Eingang in das NT. Der Geist Gottes – das ist der heilige Geist. Diese Gleichsetzung wurde selbstverständlich, von niemandem bezweifelt. Wenn man aber die Geschichte des Wortes rûaḥ im AT kennt, muß man feststellen: „heiliger Geist“ ist ein Widerspruch in sich, wenn man den ursprünglichen Sinn der beiden Worte voraussetzt. Denn rûaḥ bezeichnet eine einmalige, auf einen Akt begrenzte Machtwirkung Gottes, qādōš aber ein stetiges Sein Gottes, den Status der Heiligkeit. In der Frühzeit wäre es unmöglich gewesen, beide Worte zu einer Wendung zu kombinieren; das war erst möglich, als rûaḥ seine spezifische Bedeutung verloren hatte. Wie ist es dazu gekommen? Das kann nur die Geschichte des Begriffes erklären.
Hauptlinien der Geschichte des Begriffes rûaḥ im AT
Man kann im AT zwei Schwerpunkte des theologischen Gebrauchs konstatieren: am Anfang im Zusammenhang mit dem charismatischen Führertum, in der Spätzeit beim König der Heilszeit in Heilsworten der exilisch-nachexilischen Zeit. Wie ist es vom einen zum anderen gekommen?
I. Der profane Gebrauch
rûaḥ ist der Wind und ebenso der Atem. Bei beidem ist nicht das Naturphänomen als solches gemeint, sondern die im Wind und im Atem begegnende Kraft; eine Kraft, deren Woher und Wohin rätselhaft bleibt (Joh 3,8). Wind ist eine Kraft, die anderes in Bewegung setzt; die Verben, mit denen das Wort in Verbindung gebracht wird, sind fast nur Verben der Bewegung und des In-Bewegung-Setzens. Der Atem ist der Wind im Menschen; es ist die im Atemstoß sich äußernde Kraft oder Vitalität, rûaḥ ist also nicht der normale, ruhige Atem, der heißt neshāmāh, sondern die hinter dem heftigen Atem stehende Kraft. So kann vom „Geist der Eifersucht“ gesprochen werden als einer unheimlichen, den Menschen mitreißenden Kraft, die zum Mord führen kann. Später wird die Bedeutung allmählich eingeebnet, so daß rûaḥ auch das normale Atmen bezeichnen kann. Daneben vollzog sich ein Angleich an näphäsh, Seele, Leben, so wurde rûaḥ später auch Bezeichnung des Willens- und Aktionszentrums im Menschen, konnte also auch das bedeuten, was wir unter dem Geist des Menschen verstehen.
Auch in diesen Abwandlungen aber ist rûaḥ immer auf die körperliche Realität bezogen. Niemals wird rûaḥ der Körperlichkeit entgegengesetzt. Den Gegensatz von Fleisch und Geist gibt es im AT nicht. Der Begriff Geist, wie wir ihn in „Geistesgeschichte“ oder „Geisteswissenschaften“ gebrauchen, hat einen anderen Ursprung. L. Klages: „Der Geist ist eine Erfindung der Griechen“.
Aus dem profanen Gebrauch ergibt sich: rûaḥ in der Bedeutung Wind, Atem, meint immer das Besondere, Außergewöhnliche, das besondere, zeitlich begrenzte Erregtsein des Windes oder des Atems.
II. Der theologische Gebrauch
1. a) Ein fester, klar umrissener und dicht bezeugter Gebrauch begegnet zuerst in der Richterzeit im Zusammenhang des charismatischen Führertums.
Als die Midianiter … sich versammelt hatten …
und sich in der Ebene Jesreel lagerten,
da überfiel der Geist Jahwes den Gideon
und er stieß in die Posaune
und die Abiesriten folgten ihm nach auf sein Aufgebot. (Ri 6,33f)
(Dazu Ri 3,10; 11,29; 13,25; 14,6.9; 15,14; 1Sam 11,6)
Der Begriff steht hier im Zusammenhang des Rettungshandelns Gottes. Es ist eine Situation höchster Not für das Gottesvolk vorausgesetzt. Hier greift Gott ein, indem er in einem jungen Mann eine Kraft erweckt, aus der heraus die Rettungstat möglich wird. Sie ist auf diese eine Rettungstat begrenzt; tritt wieder eine solche Lage ein, so ergreift der Geist Jahwes einen anderen, auch nur bis die Befreiung gelungen ist. Die Kontinuität dieser intermittierenden Akte macht nur das rettende Handeln Gottes aus. Die vom Geist Gottes ergriffenen Retter sind nach ihrer Befreiungstat wieder das, was sie vorher waren. Ein solches Ergriffenwerden vom Geist Gottes für eine Befreiungstat hat es nur in dieser einen Periode in der Frühzeit Israels gegeben, auf diese Periode ist der Gebrauch beschränkt. Er hörte damit auf, daß das Königtum an die Stelle des charismatischen Führertums trat. Die Merkmale dieses Geisteswirkens lassen sich so zusammenfassen:
- Der Geist Gottes wirkt, wo es notwendig ist und wo diese Notwendigkeit jeder erkennen kann.
- Der Geist Gottes wirkt in einem Menschen, der in dieser Situation das Notwendige, Besondere tut, ohne dazu von einer menschlichen Instanz beauftragt zu sein.
- Das Wirken dieses Mannes setzt mit dem Aufgebot ein; die Kraft des Geistes Gottes befähigt ihn, eine Gruppe zu freiwilligem Mitmachen zu bewegen („Begeisterung“).
- Dies ist eine an der Situation gemessen kleine Gruppe, niemals eine dem Gegner überlegene; die kleine Zahl gehört dazu.
- Das Wirken des Geistes Gottes bleibt auf die Situation begrenzt, in der es notwendig ist; niemals begründet sie stetige Macht.
b) Ein zweiter Gebrauch der Frühzeit bezieht sich ebenfalls auf eine bestimmte, begrenzte Erscheinung, die ekstatische Prophetie. Es ist bezeichnend, daß hier nicht von rûaḥ jhwh, sondern von rûaḥ elohim gesprochen wird zum Zeichen dafür, daß dies nicht eine spezifisch israelitische, sondern allgemein religiöse Erscheinung ist. Diese ekstatische Prophetie kommt in der Frühzeit Israels an mehreren Stellen und in verschiedenen Zusammenhängen vor; neben einzelnen Ekstatikern wird von der rûaḥ auch eine ganze Gruppe befallen, 1Sam 10; 19. Dabei spielen Musikinstrumente mit, 1Sam 10,5f; solche Ekstase kann herbeigeführt werden, sie kann wiederkehren, bleibt aber zeitlich begrenzt. Bei der Ekstase führt die rûaḥ weder eine Tat noch ein Wort herbei; die Ekstase als solche ist Geistwirkung. Eine Verbindung zum Gotteswort gibt es nicht, aber auch nicht zu den Geschichtstaten Gottes; in der Ekstase ist das Religiöse etwas von der Geschichte und vom Gotteswort Abgelöstes. Es kann darum in anderen Religionen auch auftreten.
Num 11 handelt davon, daß der „Geist“ von Mose auf die 70 Ältesten übertragen wird, die daraufhin alle in Ekstase geraten (11,25-27), und daraus erwächst der Wunsch: „Wollte Gott, daß alle im Volk Jahwes Propheten wären!“ (11,29). Von anderen wiederum wird die Ekstase scharf bekämpft. Ekstatische Züge treten später wieder auf zB. beim Propheten Ezechiel. Eine Bedeutung auf die Dauer hat sie für Israel nicht gewonnen; deshalb bleibt auch der Gebrauch von „Geist“ im Zusammenhang ekstatischer Erweisungen auf wenige Stellen beschränkt. Es konnte nie eine eingreifende Bedeutung für Israel gewinnen, weil die Ekstase als eine allgemein religiöse Erscheinung in der Kontinuität der Geschichte und des Wortes Gottes keinen Platz erhielt.
2. Eine besondere Bedeutung hat das Fehlen des Geistbegriffes in der Schriftprophetie (mit einigen Ausnahmen wie Jes 30,1; 31,3). Es hätte vom Gebrauch bei den charismatischen Führern her nahe gelegen, daß man auch von den Propheten gesagt hätte: sie wurden vom Geist ergriffen. Aber das wird von keinem Propheten gesagt, keiner wird in den vorexilischen Prophetenbüchern inspiriert genannt. Der Grund für dieses Fehlen bei den Propheten ist nicht nur, daß sie sich dadurch von den Heilspropheten abgrenzen wollten, auch nicht, um sich dadurch von den charismatischen Führern als den Mittlern des Handelns Gottes zu unterscheiden; der Grund ist darin zu sehen, daß zum Wirken der Propheten, das als ein Wirken von Boten dargestellt wird, der Begriff rûaḥ nicht paßt. Denn rûaḥ ist in seiner Grundbedeutung Kraft, das Einwirken einer Kraft. Das Wirken der Propheten aber als der Boten Gottes war gekennzeichnet durch das Fehlen von Krafttaten und das Fehlen einer direkten Machtwirkung des Wortes, das sie zu sagen hatten; es war ohnmächtiges Wort, wie sich das bei jedem einzelnen Propheten zeigt, am eindrücklichsten bei Jeremia. In dieser Ohnmacht des Wortes war das Leiden der Propheten begründet. Die Richter haben eine Gruppe Freiwilliger um sich gesammelt und zur Tat bewegt; das haben die Propheten niemals getan.
Erst in der nachexilischen Zeit wurde das Wirken der Propheten als Wirken des Geistes gekennzeichnet:
Sie machten ihr Herz hart wie Diamant,
so daß sie die Weisungen und die Worte nicht hörten,
die Jahwe Zebaoth durch seinen Geist,
durch die früheren Propheten sandte. (Sach 7,12)
Auch im Chron wird gesagt, daß der Geist über einen Propheten kommt (2Chr 15,1; 24,20); dasselbe von Mose in Jes 63,11: „Wo ist, der in sein Inneres legte seinen heiligen Geist?“
In der Spätzeit hat sich ein allgemeiner Begriff des Geistes Gottes herausgebildet, der auch „heiliger Geist“ genannt wird, durch den alles geschieht, was von Gott her geschieht.
3. Die Wandlung des Begriffes rûaḥ beginnt mit dem Königtum. Er ist mitbedingt durch den Wandel einer Institution: vom charismatischen Führertum zum Königtum.
a) Weil der Mittler des rettenden Handelns Gottes jetzt der König in einem stetigen Amt wurde, nahm auch das Wirken des Geistes diesen stetigen Charakter an: „auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn“. Der Geist Jahwes wird als der dem König verliehene Geist eine stetige Geistbegabung, wie es der Ritus der Salbung zum Ausdruck bringt:
Da nahm Samuel das Ölhorn und salbte ihn,
und der Geist Jahwes kam über David
und blieb auf ihm von jenem Tage an. (1Sam 16,13f)
Der König als der Gesalbte ist von mm an der Träger des Geistes. Damit tritt der Geist in die Nähe des Segens, der auch stetig wirkt. Der Segen weicht von Saul und geht auf David über (1Sam 18,12). Hierbei ist sorgfältig auf einen Unterschied im Gebrauch von rûaḥ im Unterschied zum charismatischen Führertum zu achten. Bei den Königen wird vom Geist, von der Begabung mit dem Geist, vom Ruhen des Geistes auf ihnen nur im Zusammenhang des Königwerdens oder allgemein des Königseins geredet, im Vorblick oder im Rückblick, dagegen niemals bei einer bestimmten Handlung oder einem bestimmten Wort des Königs. Wo von den Taten eines Königs geredet wird, begegnet niemals das Wort Geist; und wo ein besonderes Wort des Königs hervorgehoben werden soll, ist es nicht ein vom Geist eingegebenes, sondern ein Wort, in dem die Weisheit des Königs zum Ausdruck kommt, wie bei Salomo.
Das bedeutet: Geist Jahwes, wo es im Königtum begegnet, ist ein Wort nachträglicher Deutung, es bezeichnet aber nicht, was hier geschieht. „Geist Jahwes“ ist hier ein abstrakter Begriff geworden, der bei dem wirklichen Reden und Handeln des Königs nicht vorkommt. Niemals in allen vier Königsbüchem wird gesagt, daß ein König aus der Kraft des Geistes etwas tut oder etwas sagt.
b) Das ist auch wichtig für die Übertragung des Geistbegriffes auf den Heilskönig der Zukunft, den Messias:
Jes 42,1: Mein Knecht.. ., ich gebe meinen Geist auf ihn …
Jes 11,2: … ein Sproß aus dem königlichen Stamm,
es läßt sich auf ihn nieder der Geist Jahwes,
der Geist der Weisheit und des Verstandes
der Geist des Planes und der Krafttat,
der Geist der Erkenntnis und der Furcht Gottes.
Jes 61,1: Der Geist Jahwes ist auf mir, weil Jahwe mich gesalbt hat,
gute Botschaft den Armen zu verkünden hat er mich gesandt.
An diesen Stellen zeigt sich eine zweite Abwandlung des Wortes rûaḥ. In dem Gottesknechtslied Jes 42,1 wird mit dem Wort rûaḥ ein Kontrast zum Ausdruck gebracht: Nicht mehr der König ist Träger des Geistes, sondern der Knecht. Der Geist Jahwes wird damit dem politischen Amt, der politischen Institution des Königtums entzogen und dem stillen und machtlosen Wirken des Knechtes zuerkannt.
Dieser Gebrauch wird bei Tritojesaja (61,1) aufgenommen und fortgeführt in einem bewußt paradoxen Gebrauch. In ihm klingt deutlich die einstige Salbung des Königs 1Sam 16,13f an. Im Gegensatz dazu wird gesagt: Jetzt wirkt der Geist Jahwes nicht mehr in dem für einen König spezifischen Handeln, also der Ausübung königlicher Macht, sondern im Verkünden der guten Botschaft an die Armen. Nur aus diesem Gegensatz bekommt das Wort seinen Sinn.
Anders ist es in Jes 11, wo der König der Endzeit angekündigt wird als ein Sproß aus königlichem Stamm, auf den sich der Geist Jahwes niederläßt. Bis dahin ist das unverändert die Sprache des Königtums. Anders aber in der Fortsetzung, die das Wirken des Königs in der Heilszeit beschreibt. Hier wird sehr verschiedenartiges Wirken als Wirken des Geistes beschrieben; es ändert sich an dieser Aufzählung nichts, wenn man das Wort „Geist“ überhaupt wegläßt. Das Wort hat einen ganz abstrakten Sinn bekommen, es sagt nichts Spezifisches mehr aus.
4. In der Heilsprophetie der Spätzeit, etwa vom Exil an, tritt neben die Geistbegabung eines Einzelnen die des ganzen Gottesvolkes.
Ich werde euch ein neues Herz geben
und einen neuen Geist in euer Inneres legen …
Meinen Geist werde ich in euer Inneres geben … (Ez 36,26f)
Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch
und eure Söhne und Töchter werden weissagen
eure Greise werden Träume träumen
eure Jünglinge werden Gesichte sehen …
Auch über die Knechte und Mägde
will ich in jenen Tagen meinen Geist ausgießen … (Joel 3,1f)
Die Vorstellungen sind dabei sehr verschieden; in jedem Fall aber geht es dabei um die Erneuerung des Gottesvolkes von innen her in der Endzeit: wie der König ein anderer wird, so wird das Volk ein anderes. Der Begriff „Geist“ dient dazu, diese Wandlung zum Ausdruck zu bringen; diese Wandlung soll eine endgültige sein und einen neuen Zustand herbeiführen, wie das auch das Bild des Ausgießens zeigt. Bei dieser Wandlung kommt es auf die Begriffe wenig an; Geist kann mit Herz parallel gebraucht werden und dieselbe Wandlung kann in Jer 31,31-34 geschildert werden ohne daß dabei das Wort „Geist“ vorkommt.
5. In der Spätzeit wird rûaḥ zu einem sehr allgemeinen Begriff. Er bezeichnet jetzt nicht mehr ein besonderes Tun Gottes, sondern das Gottsein als solches. „Geist Gottes“ wird jetzt fast gleichbedeutend mit „Gott“, so daß sich an vielen Sätzen gar nichts ändert, ob mm das Subjekt „Geist Gottes“ oder „Gott“ ist.
Ps 139,7: Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, wohin soll ich fliehen vor deinem Antlitz?
Neh 9,30: So hattest du viele Jahre Geduld mit ihm und ermahntest sie durch deinen Geist
In dieser Verallgemeinerung wird er dann oft „heiliger Geist“ genannt:
Jes 63,10: Sie aber empörten sich
und betrübten seinen heiligen Geist.
11: Wo ist der, der seinen heiligen Geist in sein (Moses) Inneres legte?
Ps 51,13: … und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir!
Hier ist „Geist“ oder „heiliger Geist“ zu einem allgemeinen Gottesprädikat geworden, einem Wort, das Gottes Gottsein unterstreichen oder betonen soll. Eine notwendige theologische Bedeutung in einem bestimmten Zusammenhang hat es hier nicht mehr.
Dieser stark verallgemeinernde Gebrauch von „Geist Gottes“ oder „heiliger Geist“ war weit verbreitet im rabbinischen Schrifttum im Frühjudentum, insbesondere in den Targumim.
So zu Gen 27,5: Rebekka hört im heiligen Geist, daß Isaak von Esau ein Wildbret verlangt. Zu 27,42: Rebekka erfährt durch den heiligen Geist, daß Esau beabsichtigt, Jakob zu töten. Gen 6,3 umschreibt TJ: Habe ich meinen heiligen Geist nicht in sie gegeben, damit sie gute Werke tun? Zu Gen 35,22: Da antwortete der heilige Geist und sagte zu ihm: Fürchte dich nicht, denn alle deine Söhne sind gerecht. Die Stellen zeigen, daß im Frühjudentum der Begriff „heiliger Geist“ der Transzendierung Gottes und des heiligen Geschehens dient. Was zwischen Gott und Menschen geschieht, wird auf eine höhere Ebene gehoben, durch den „heiligen Geist“ wird es zu heiliger Geschichte, die bewußt über die profane Realität erhöht wird. Dieses verallgemeinernde und transzendierende Reden vom Geist Gottes und vom heiligen Geist entsteht erst am äußersten Rande des AT und erhält seine volle Ausbildung außerhalb des Kanons im Frühjudentum. Wo dieser Gebrauch im Neuen Testament begegnet, ist er von hier übernommen.
6. Umso erstaunlicher ist es, daß im NT an einigen Stellen der spezifische Gebrauch des Wortes „Geist“ aus der Frühzeit des Gebrauchs im AT wieder begegnet.
Dazu gehört die Unverfügbarkeit des Wirkens des Gottesgeistes. Gerade dieses Moment der Unverfügbarkeit ist es, das im Gespräch Jesu mit Nikodemus Joh 3,8 hervorgehoben wird:
Der Wind bläst, wo er will,
und du hörst sein Sausen wohl,
aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.
So ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren wird.
Der Geist ist eine wunderbar wirkende Kraft, deren Woher und Wohin im Dunkel bleibt. Ein Zeichen dafür ist, daß sie dort etwas bewirkt, wo es keine nachweisbare Verfügungsgewalt gibt. Das gleiche Verständnis steht auch hinter dem Wort des Paulus (2Kor 12,9):
Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Die Taufe Jesu ist aus der Gesamtgeschichte des Begriffes rûaḥ im AT zu verstehen. Der Verbindungspunkt ist das erste Gottesknechtlied Jes 42,1-4. Die Geistbegabung des Knechtes ist hier im Gegensatz zur Geistbegabung der politischen Könige gemeint. Mit dem Knecht beginnt eine Epoche des Geistwirkens, in der dieses von der politischen Macht abgelöst ist. Es ist der Knecht im Gegensatz zum König, durch den in seinem stillen und machtlosen Wirken der Geist Gottes am Werk ist. Dem entspricht, daß die Bezeichnung Jesu als Christos sich auf den Friedenskönig der Endzeit bezieht, durch den der Geist Gottes ohne Gewalt und ohne die Institutionen der Macht wirkt.
Wenn nach dem Tode Jesu vom Weiterwirken des Geistes geredet wurde, konnte das nur in der Linie des dem Gottesvolk verliehenen Geistes geschehen; und so ist es in dem Zitat von Joel 3,1 in der Pfingstgeschichte gemeint. In Apg 2 kommen mehrere Merkmale des Gebrauchs von rûaḥ in der Frühzeit des AT zusammen. Die Gabe des Geistes ergeht wie in der Richterzeit in eine Situation, in der das Besondere des Geisteswirkens notwendig und als notwendig von allen erkennbar ist. Es führt wie dort eine Wende herbei, etwas mit Rettung oder dem Beleben der Totengebeine in Ez 37 Vergleichbares.
In diesem Ereignis wird eine Kraft wirksam, die in ihrem Woher und Wohin rätselhaft bleibt, die wie ein Wunder wirkt. Durch die Jünger, die Schwachen, in denen Gottes Kraft mächtig wird, gelingt der wunderbare Durchbruch der Botschaft von Christus zu den Völkern, wie es dem Gottesknecht verheißen war. Wenn dies als ein Sprachenwunder erzählt wird, so ist damit die Einmaligkeit des Ereignisses unterstrichen. Dies ereignet sich nicht etwa immer wieder in jeder Missionspredigt, Pfingsten ist ein einmaliges Ereignis: an einer Stelle ist der Durchbruch geschehen. Aber die Jünger werden durch dieses Ereignis nicht zu Geistträgem, sie bleiben ganz gewöhnliche Menschen. Das Pfingstereignis hat ihnen gezeigt, daß in der Gemeinde des Auferstandenen der Geist Gottes am Werk ist.
In der Geschichte der Kirche hat der Geist Gottes immer neue, unberechenbare, für unmöglich gehaltene Wunder gewirkt; neue Wunder sind von ihm in der Zukunft der Kirche zu erwarten.
Quelle: Evangelische Theologie 41 (1981), S. 223-230.