Hans Joachim Iwand, Über Pfingsten (1956): „Der Geist Gottes tötet und macht lebendig! Er tötet, was vor Gottes Angesicht und in seinem Reiche wirklich kein Lebensrecht hat, und darum schmerzt es uns oft, wenn die Operation des Geistes Gottes an uns beginnt, aber er tötet nicht, um zu töten, sondern um uns zu Teil­habern und Trägem eines unzerstörbaren Lebens zu machen, das aus Gott selbst ist.“

Über Pfingsten

Von Hans Joachim Iwand

Die Vorstellung von dem, was Pfingsten bedeutet, ist im Bewußtsein der meisten Christen merkwürdig blaß. Welches sind nach Ihrer Ansicht die Gründe dafür?

Es stimmt, Weihnachten und Ostern sind ganz anders im Bewußtsein un­seres kirchlichen, auch unseres öffentlichen Lebens verwurzelt als Pfing­sten. Woran liegt das? Ich erinnere mich aus der Zeit, als ich Gemeinde­pfarrer war, daß mir oftmals die Menschen sagten, sie könnten sich unter dem »Heiligen Geist« nichts vorstellen. Wahrscheinlich haben sie damit insofern das Rechte getroffen, als der Geist Gottes wirklich die Grenze alles Vorstellbaren bedeutet. In dieser Hinsicht könnte das Pfingstfest wirklich ein Prüfstein für unsere volkskirchliche Fröm­migkeit sein, die bei den bei­den anderen Festen allzusehr in »Vorstellungen« lebt. Pfingsten hängt aufs engste damit zusammen, daß Jesus Christus sich der Sichtbarkeit entzieht, daß er nicht anders als eben Gott selbst, geglaubt und nicht gesehen sein will. Da aber beginnt erst eigentlich das Leben mit ihm und das Hoffen auf ihn und auch die wahre Gemeinschaft mit ihm als dem erhöhten Herrn.

Während jene beiden anderen Feste weithin Volksfeste sind, macht das Pfingstfest erst deutlich, was Kirche und Gemeinde der Glaubenden wirk­lich bedeutet – gerade im Unterschied zu denen, die schauen, aber nicht glauben. Insofern besteht schon ein sachlicher Fortgang in der Feier dieser Feste. Je mehr sich bei uns das Bewußtsein herausbildet, daß die Kirche doch etwas anderes ist als eines der üblichen soziologischen Gebilde wie Volk, Genossenschaft oder Zweckverband, desto mehr wird auch das Fest der Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes, der mit dem erhöhten Christus unzertrennlich zusammenhängt, und uns mit ihm und so auch mitein­ander eins macht, an Bedeutung gewinnen.

Die Bibel spricht an vielen Stellen vom Wirken des Heiligen Geistes. Unser Glau­bensbe­kenntnis redet vom Heiligen Geist als der dritten Person der Trinität. Wie ist es zu dieser Weiterbildung der Lehre vom Heiligen Geist gekommen?

Wenn in der Heiligen Schrift vom Geist die Rede ist, so handelt es sich meistens um die Tatsache, daß Gott nicht zu finden und zu begreifen ist wie irgend ein anderer Gegenstand oder eine sonstige geistige Erscheinung innerhalb des Weltganzen. Es ist vielmehr eigens Gottes Tat und Gottes Gabe, wenn er uns dessen gewiß macht, daß Er ist, unser Schöpfer, Ver­söhner und Erlöser. Darum haben eigentlich niemals Bedenken bestanden, daß der Geist Gottes eben wirklich nun Gottes Geist ist, seine Gabe und seine Wirkung, und daß der Mensch über den Geist Gottes nicht verfügen, ihn auch durch nichts anderes ersetzen kann.

Aber es hat in der Tat einige Kämpfe gegeben in der alten Kirche, ob man den Heiligen Geist als dritte »Person« der Trinität bezeichnen soll. Manche meinten, der Geist sei doch selbst ein Geschöpf, eine Schöpfung des Sohnes Gottes, der ihn sendet, wie es bei dem Evangelisten Johannes heißt, und wollten darum nur von der Einheit von Vater und Sohn reden. Aber es zeigte sich bald, daß diese Einheit ja nichts anderes ist als jene Größe, die wir mit Geist Gottes bezeichnen. So ist eigentlich der Geist nichts Gesondertes, Drittes, Neues neben Gott dem Vater und seinem ein­geborenen Sohn, sondern er ist jene Wirklichkeit, in der beide eins sind, die durch nichts, durch kein Leiden und auch nicht durch den Tod, auf­gehoben werden konnte. Es ist wichtig, zu sehen, daß die ersten Christen den Geist wirksam sahen in der Auferstehung Jesu von den Toten – das war für sie kein Schauwunder, sondern Tat des Geistes Gottes -, und sie selbst haben ihren eigenen Geistbesitz als Pfand des ewigen Lebens ange­sehen.

Die Lehrbildung der abendländischen Kirche über den »Heiligen Geist« innerhalb der Trinität ist freilich erst um das Jahr 1000 zum Abschluß ge­kommen, sie hängt zusammen mit der Trennung der morgenländischen (griechischen) und abendländischen (römischen) Kirche und geht im wesentlichen auf das berühmte »filioque« zurück, also darauf, ob beide, Vater und Sohn, wie die Abendländer lehren, den Geist »senden«, oder nur der Vater, wie es die Morgenländer fassen.

Was bedeutet das Wirken des Heiligen Geistes für unser menschliches Leben?

Das ist eine Frage, über die man ein ganzes Buch schreiben könnte, und auch längst welche, gute und schlechte, geschrieben hat. Es ist so enttäu­schend, wenn man eine Abhandlung über den Heiligen Geist zur Hand nimmt und sie dann bald beiseite legt, weil sie so langweilig ist. Unter dem Wirken des Heiligen Geistes stellen wir uns doch aber – und mit Recht! – das Gegenteil von allem Toten, Langweiligen, Herkömmlichen und Gewohnten vor. Und wer darüber anders denkt, der lese etwa das 36. Kapitel des Hesekiel oder das dritte des Johannesevangeliums oder die Pfingstgeschichte Apostelgeschichte 2 und nehme dazu die herrliche Predigt in die Hand, die der junge Karl Barth darüber in dem Predigtbänd­chen »Komm, Schöpfer Geist!« veröffentlicht hat. Nebenbei bemerkt: aus diesem Predigtbändchen haben wir damals, es war nach dem ersten Welt­krieg, als junge Theologen, durch den Krieg tief erschütterte, sehr unsicher gewordene Christen mehr über den Geist Gottes gelernt als aus unseren dicken Dogmatiken.

Und wenn ich nun sagen sollte, was der Geist Gottes wirkt, wenn ich es mit einem Wort sagen sollte, so wüßte ich wirklich nichts anderes zu sagen als eben das eine Wort Leben. Er tötet und macht lebendig! Er tötet, was vor Gottes Angesicht und in seinem Reiche wirklich kein Lebensrecht hat, und darum schmerzt es uns oft, wenn die Operation des Geistes Gottes an uns beginnt, aber er tötet nicht, um zu töten, sondern um uns zu Teil­habern und Trägem eines unzerstörbaren Lebens zu machen, das aus Gott selbst ist und dessen vielfältige Früchte mit stets wechselnden Bezeich­nungen in der Bibel benannt werden, am klarsten wohl von Paulus im Ga­laterbrief 5,22 ff.

Schon der Ausdruck »Frucht« zeigt, daß es sich hier um einen Lebens­vorgang handelt, denn der gute Baum bringt gute Früchte. Was aus der Pflanzung und dem Wirken des Heiligen Gei­stes hervorgeht, ist ein guter Baum!

Die Reformatoren haben die Schwärmer, die sich mehr oder weniger ausschließ­lich auf die Führung durch den Geist verlassen wollten, hart bekämpft. Sind die Reformatoren hier im Recht oder vielleicht zu ängstlich gewesen?

Man wird die »Schwärmer« nicht alle in einen Topf werfen können, denn George Fox, um nur einmal an jenen großen englischen Quäker zu erin­nern, oder gar William Penn – die waren doch noch etwas anderes als Karl­stadt oder Münzer, obschon man auch dem letzten neuerdings mehr Ge­rechtigkeit widerfahren läßt als ehedem. Die sogenannten »englischen Revolutionskirchen«, auf deren geistigen Fundamenten die Neue Welt in den Staaten Nordamerikas aufgebaut wurde, sind Erscheinungen von höchster gesellschaftlicher und politischer Bedeutung, und das, was sie einmal in Auflehnung gegen das bestehende System der Staatskirchen und der imperialen Mächte bezeugt haben, ist der Mutterboden der heute bei uns so gepriesenen, aber offenbar nicht immer sehr tief verstandenen Demokratie.

Wenn wir auf die biblischen Wurzeln des Schwärmertums eingehen würden, dann müßte uns das alsbald auf die Bergpredigt führen. Diese ist in den Staatskirchen hinter der paulinischen Theologie und wohl auch hinter einem in sich selbst zufriedenen Dogmatismus zu sehr zurückgetre­ten und in ihrem Realismus nicht ernst genommen worden. Dabei ist sie doch die Auslegung der Gebote Gottes. Wer darüber mehr wissen will, der sollte einmal zu dem immer noch besten Werk greifen, der großen Unter­suchung von Ernst Troeltsch über die »Soziallehren der christlichen Kir­chen und Gruppen«. Dort ist dann auch Wesentliches – Anfechtbares zwar, aber nicht ganz Falsches! – über die Reformatoren in ihrem Verhältnis zu den Schwärmern gesagt.

Im Liedgut unserer Kirche spielt der Heilige Geist eine große Rolle. Müßte nicht auch die Predigt stärker die Bedeutung des Geistes bezeugen?

Es wird wenig Zweck haben, »über« den Geist zu predigen, wenn die Pre­digt nicht selbst unter der Not und der Bitte steht: Komm, Schöpfer Geist! Sie haben recht, wenn Sie darauf verweisen, wie breit das Liedgut in unse­rem Gesangbuch an Pfingst- und Geistliedern ist. Das gilt übrigens auch von der mittelalterlichen Kirche, von der wir ja einiges übernommen ha­ben. Ich erinnere nur an das: »Komm, Heiliger Geist, Herre Gott!« Eine spezielle Predigt über den »Heiligen Geist« stelle ich mir sehr schwierig vor, vielleicht kann sie auch gar nicht gelingen. Denn der Heilige Geist hat immer nur eine Funktion, Jesus zu verherrlichen und zu verklären, das heißt den Menschen Jesus von Nazareth so »klar« zu machen, daß uns aus seinem Angesicht Gottes Gnade und Vergebung entgegenleuchtet und aus seinem Wort unser Heil und Leben gewiß wird. Die beste »Predigt« die­ser Art, die ich im Neuen Testament kenne, sind die Abschiedsreden Jesu, die im Johannesevangelium stehen, von der Fußwaschung bis hin zum hohepriesterlichen Gebet. Ich fände es gut, wenn insbesondere in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, wie das ja auch in der Auswahl der Perikopen geschieht, die Gemeinde sich noch mehr als bisher mit diesen Reden – und das im Zusammenhang! – beschäftigte.

Ist die christliche Lehre vom Heiligen Geist in allen christlichen Kirchen gleich, oder gibt es da wesentliche Unterschiede?

Ich nehme an, daß insbesondere innerhalb der verschiedenen protestan­tischen Denominationen in England und Amerika eine reiche Skala inter­essanter Unterschiede zu vermerken sein wird. Der bedeutendste bei den »alten« Kirchen ist das schon genannte »filioque«. Manche bauen auf dieser Unterscheidung eine ganze Philosophie des Gegensatzes von Ost und West auf. Weiter sind die Kämpfe um die Taufe und um die Bedeutung des Gei­stes für den Sakramentsempfang überhaupt bekannt. Aber das kann ich hier nicht auseinandersetzen. Nur so viel soll gesagt sein, daß auch in un­seren Tagen und in unseren Reihen – Gott sei Dank – hier wie­der neue und auch alte Fragen aufgebrochen sind, und wo immer die Frage und der Ruf nach dem Geist laut wird, wo jene heilige Unzufriedenheit mit dem Gege­benen und Bestehenden empfunden wird, wo immer wir eines nur offiziel­len, institutionellen, amtlichen, unpersönlichen Christentums müde und überdrüssig sind, wo Gebet und Glaube, Bekenntnis und Verkündigung statt dessen in den Vordergrund treten und das Wort zu wirken und zu laufen beginnt, da ist, mögen auch Unklarheiten und Streitigkeiten über Recht und Vollmacht des Geistbesitzes aufbrechen, doch immer Seine Zeit, die Zeit, da den blinden und tauben Menschen Gottes Geist Augen und Ohren auftut, um auf Gott zu hören, auf ihn allein – und auf den, den Gott zu uns gesandt hat!

Der Geist wirkt! Ein Christentum, das seine Wirkung nicht mehr kennt, ist schlecht dran, auch wenn es weniger Probleme und Streit hat als jenes, in dem der uns oftmals gar nicht bequeme, auf jeden Fall niemals »gleich­schaltende« Geist Gottes weht.

Die Fragen wurden Iwand in dem Sonntagsblatt der Evangelischen Kirche im Rheinland »Der Weg«, 20. Mai 1956, gestellt.

Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke. Neue Folge, Bd. 5: Predigten und Predigtlehre, Gütersloh: Chr. Kaiser. Gütersloher Verlagshaus 2004, Seiten 347-351.

Hier der Text als pdf.

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