Über den Ursprung des Übels in der Welt
Von Basilius von Cäsarea
Woher kommen die Krankheiten? heißt es. Woher die frühzeitigen Todesfälle? Woher die völlige Zerstörung von Städten, die Schiffbrüche, Kriege, Seuchen? Diese Dinge sind schlimm, sagt man, und doch lauter Werke Gottes. Wem denn sonst als Gott können wir die Schuld daran beimessen? Wohlan, weil wir nun einmal auf dieses vielerörterte Problem gekommen sind, so wollen wir genau darauf eingehen und eine klare, verständliche Antwort zu geben suchen.
Das eine muß bei uns feststehen, daß wir als Schöpfung des guten Gottes von ihm erhalten werden, unter seiner Leitung stehen, wir ohne den Willen Gottes nichts Schlimmes erfahren können und daß nichts von dem, was uns begegnet, schädlich, ja Besseres nicht einmal denkbar ist. Freilich kommt von Gott der Tod. Aber der Tod ist durchaus nichts Schlimmes, wenn man nicht vom Tode des Sünders reden will, weil für diesen das Scheiden von hinnen der Anfang der höllischen Strafe ist. Die Übel in der Hölle haben aber nicht Gott zum Urheber, sondern uns selbst; denn der Anfang und die Wurzel der Sünde liegt bei uns und in unserem freien Willen. Es stand ja in unserer Macht, uns vom Bösen zu enthalten und so nichts Schlimmes zu erdulden; wir ließen uns aber von der Lust zur Sünde leiten. Welchen annehmbaren Grund können wir dafür angeben, daß wir nicht selbst an unserem Elend schuld sind?
Es ist ein Unterschied zwischen dem Übel, das wir als solches empfinden, und dem Übel, das ein solches seiner Natur nach ist. Das naturhaft Böse hängt von uns ab, wie Ungerechtigkeit, Unzucht, Torheit, Furcht, Neid, Mord, Vergiftung, Trägheit und alle damit verwandten Leidenschaften, welche die nach dem Bilde des Schöpfers geschaffene Seele verunstalten und deren Schönheit verdunkeln. Ferner nennen wir schlimm, was uns ein lästiges und schmerzliches Gefühl verursacht, wie körperliche Krankheit, Schläge, Mangel an Lebensmitteln, Schande, Einbuße des Vermögens und der Verlust der Angehörigen, lauter Dinge, die uns vom weisen und guten Herrn zu unserem Nutzen beschieden werden. Er nimmt den Reichtum denen, die ihn schlecht gebrauchen, und zerstört so ihr Werkzeug zur Ungerechtigkeit. Krankheit schickt er denen, für die es heilsamer ist, an den Gliedern gebunden zu sein, als den ungehemmten Lauf zur Sünde zu haben. Auch der Tod tritt ein, wenn das Lebensziel erreicht ist, welches das gerechte Urteil Gottes, der für jeden das Zuträgliche voraussieht, jedem von Anfang an bestimmt hat.
Hungersnot, Dürre, Wolkenbruch sind gemeinschaftliche Plagen für Städte und Völker, um das Übermaß der Bosheit zu strafen. Wie also der Arzt auch dann wohltut, wenn er dem Körper Leiden und Schmerzen verursacht – denn er kämpft mit der Krankheit, nicht mit dem Kranken –, so ist Gott gut, wenn er durch teilweise Züchtigung für das Heil aller sorgt. Dem Arzt machst du doch keinen Vorhalt, wenn er an den Gliedern des Leibes schneidet oder brennt, einige auch ganz amputiert; vielmehr gibst du ihm sogar Geld dafür und nennst ihn deinen Retter, weil er die Krankheit auf einen kleinen Teil einschränkt, ehe sie den ganzen Körper infiziert. Siehst du aber eine Stadt durch ein Erdbeben über deren Bewohner Zusammenstürzen oder ein Schiff mit seiner Bemannung im Meer versinken, dann scheuest du dich nicht, den wahren Arzt und Retter mit frevler Zunge zu schmähen. Und doch hättest du einsehen sollen, daß bei einer Krankheit des Menschen, die nicht zu schwer und heilbar ist, es nur einer sorgfältigen Pflege bedarf, daß aber, falls das Leiden nicht leicht zu beheben ist, die Entfernung des unbrauchbar gewordenen Teiles notwendig wird, damit die Krankheit nicht noch weiter um sich greife und die lebenswichtigen Teile ansteche. Wie also nicht der Arzt, sondern die Krankheit das Brennen und Schneiden veranlaßt, so hat auch die Zerstörung der Städte ihren Grund im Übermaß der Sünden und läßt Gott außer jeder Schuld.
Deshalb also die Krankheiten in Stadt und Volk, die Trockenheit der Luft und die Unfruchtbarkeit des Bodens und die anderen noch härteren Unfälle im Leben eines jeden einzelnen, die alle das Umsichgreifen der Bosheit verhindern. Solche Übel werden von Gott verhängt, um die eigentlichen Übel nicht aufkommen zu lassen. Die körperlichen Krankheiten und die äußerlichen Drangsale sind zur Hintanhaltung der Sünde erdacht worden. Gott beseitigt also das Böse, nicht aber kommt das Böse von Gott, wie auch der Arzt die Krankheit behebt, nicht aber die Krankheit am Körper verschuldet. Zerstörung von Städten, Erdbeben, Überschwemmungen, Niederlagen von Heeren, Schiffbrüche sowie alle Unfälle, die viel Menschenleben kosten, mögen diese Unfälle von der Erde, vom Meer, von der Luft oder vom Feuer oder sonstwie verursacht sein, ereignen sich, um die Überlebenden zur Besinnung zu bringen, indem Gott die allgemeine Verdorbenheit mit öffentlichen Geißeln züchtigt.
Das eigentliche Übel also, die Sünde, die vorab die Bezeichnung »Übel« verdient, hängt von unserem freien Willen ab; bei uns steht es, uns von der Bosheit frei zu halten oder das Böse zu tun. Von den übrigen Übeln kommen einige gleichsam als Versuchungen zur Erprobung unseres Starkmuts über uns, wie z. B. über Ijob der Verlust seiner Kinder, die urplötzliche Einbuße seines ganzen Reichtums, die Plage des Geschwüres [Ijob 1,14f; 2,7]. Andere Übel werden als Heilmittel der Sünde verhängt, wie z. B. über David die Schande seines Hauses, mit der er seine schändliche Lust büßte [2 Sam 13,11-14]. Auch kennen wir noch eine andere Art schrecklicher Übel, die vom gerechten Gericht Gottes verhängt wird, um Gewohnheitssünder zur Vernunft zu bringen: so sind Datan und Abiram von der Erde verschlungen worden, indem die Tiefen und Klüfte vor ihnen sich auftaten [Num 16,31]. Denn hier sind durch eine solche Art von Bestrafung die Betreffenden nicht selbst gebessert worden, da sie doch zur Hölle hinabfuhren; wohl aber sind die übrigen durch ihr Beispiel klüger geworden.
Quelle: Basilius der Große, Predigt »Gott ist nicht der Urheber des Bösen«, Kap. 2-3 u. 5, in: Des heiligen Kirchenlehrers Basilius des Großen ausgewählte Schriften, Bd. 2, BKV 47, Kempten-München: Kösel & Pustet, 1925, S. 374-376.379f.