Albert Schmidts Bochumer Predigt über 1.Timotheus 2,1-4 vom Mai 1933: „Jetzt schweige ich nicht mehr! Wenn die berufenen Diener des staatlichen Rechtes nicht reden dürfen, dann müssen wir Diener Gottes als die berufenen Hüter des göttlichen Rechtes sprechen.“

Neben Hans Ehrenberg war Albert Schmidt bis 1938 Pfarrer an der Christuskirche in Bochum. Hier seine Predigt über 1.Timotheus 2,1-4, in der er sich schon im Mai 1933 kritisch zum NS-Staat geäußert hatte:

Predigt über 1.Timotheus 2,1-4 (Der Christ und Obrigkeit)

Von Pfarrers Lic. Albert Schmidt

1. Tim. 2, Vers 1-4: So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Zu den Aufgaben der Predigt gehört es, die Fragen der Zeit und des geschicht­lichen Augen­blicks zu den ewigen Wahrheiten der göttlichen Offenbarung in Beziehung zu setzen. Dieser Aufgabe darf sich ein Diener Gottes auch dann nicht entziehen, wenn ihre Erfüllung mit per­sönlichen Unannehmlichkeiten oder gar mit persönlichen Gefahren an Leib und Seele verbun­den ist.

Nichts schadet der Kirche mehr, als wenn ihre Prediger und Verkünder des Wortes es am persönlichen Mut des Zeugnisses fehlen lassen. Kanzelwort, evangelisches Wort ist ein freies Wort des an Gottes Willen gebundenen christlichen Gewissens, oder es ist wie dumm gewor­denes Salz ohne Gehalt und Kraft, das man nach des Heilands Wort auf die Straße schüttet, auf daß es die Leute zertreten. Nun singt man heute zwar mit Begeisterung Ernst Moritz Arndts Lied von dem Gott der Eisen wachsen ließ und der keine Knechte wollte, aber zu kaum irgendeiner anderen Zeit galt das so wenig wie heute, was die gleiche Liedstrophe sagt: „Drum gab er ihm den kühnen Mut, den Zorn der freien Rede.“ Die in vieler Hinsicht zu be­grüßende Gleichschal­tung an Millionen deutscher Menschen hat doch auch bei Hunderttau­senden eine Ausschaltung der Gewissen mit sich gebracht, die wir um der Zukunft unseres Volkes willen tief bedauern müssen. Denn es ist nur schwer zu den­ken, daß eine Nation einer besseren Zukunft entgegengeht, die Menschen, welche nicht zu den schlechtesten gehören, erst dann gebrauchen kann, wenn sie ihnen innerlich das Rückgrat gebrochen und sie ihrer Eigenart beraubt hat. Wir bitten zu dem, der die Wahrheit und das Leben ist, daß er uns vor solcher Ausschaltung der Gewissen bewahren möchte, wenn wir in dieser Stunde sprechen und hören, was Gottes Wort uns über unsere Haltung zur Obrigkeit zu sagen hat. Es liegt mir daran, noch einmal ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß unser Textwort die Epistel des heu­tigen Sonntags Rogate ist, daß also Gedanken über Christ und Obrigkeit heute nach der Über­lieferung der Kirche behandelt werden sollen.

Paulus ermahnt den Timotheus zu Bitte, Fürbitte und Danksagung, zuerst und vor allem für die Könige und alle obrigkeitlichen Gewalten. Warum sind wir der Obrigkeit solches Gebet der Fürbitte und der Danksagung schuldig? Paulus gibt uns im dreizehnten Kapitel des Römerbriefes die Antwort. „Jeder­mann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.“ Die Einrichtung des Staates ist also eine Ordnung Gottes, eine Schöpfung und Stiftung des Schöpfers. Der Staat ist kein Gesellschaftsvertrag, den Men­schen geschlossen hätten, wie Menschen Aktiengesellschaften und Konsum­genossenschaften oder sonstige Organisationen bilden. Gott wollte die Ord­nung des Staates wie auch die Ordnung der Familie. Der Staat eine Ordnung göttlichen Ursprungs, nicht menschlichen Willens. Darin beruht des Staates Würde, Hoheit und Adel.

Allerdings ist der Staat um der Sünde willen den Menschen gegeben. Wäre die Menschheit eine Menschheit ohne Sünde und Schuld, ohne Verbrechen und Laster, dann brauchte sie kei­ne staatliche Ordnung, dann könnte sie in der paradiesischen Ordnung des Reiches Gottes in Frieden und Freude leben. Im Himmel, im Reiche Gottes, gibt es keine staatliche Gewalt, weil dort dem Bö­sen nicht gewehrt zu werden braucht, weil dort Güte und Reinheit, Liebe und Edelmut, Selbstlosigkeit und Gerechtigkeit die Seelen bestimmen und leiten, bestimmen und leiten durch das Anschauen des ewigen Gottes, durch das Erfülltsein von der Kraft des Heili­gen Geistes. Aber auf dieser Erde sind Haß und Gemeinheit, Eigensucht und Ungerechtigkeit herrschende Mächte. Würden die­se Mächte der Hölle nicht durch die Gewalt des Staates abgewehrt, es würde gar bald einer über den anderen herfallen. Es würde einer den anderen fressen. Die Menschheit wäre in kürzester Zeit in einem Meer von Blut untergegangen.

So muß der Staat mit Schwert und Gewalt seines Amtes walten. Er ist ohne Schutzmann und Henker, ohne Gefängnis und Zuchthaus nicht zu denken. Es ist Schwarmgeisterei, sich eine Form des Zusammenlebens der Menschen zu erträumen, in der es ohne Gewalt und Macht zugehen könnte. Doch da der Staat dem Bösen und den Bösen zu wehren hat, so hat er das Gute und die Guten zu schützen. Vor allem aber hat er dem Rechte zu dienen. Und wenn der Rechtszustand durch einen revolutionären Übergang erschüttert ist, dann haben die staatlichen Machthaber alles daran zu setzen, möglichst bald wieder neue Rechtsgrundlagen zu schaffen, gegebenenfalls auch durch scharfes Durchgreifen gegenüber denen, die ihnen ihre Macht ver­schafft haben und ihnen die Macht garantieren. Es ist unserer heutigen Regierung si­cher ernst damit, aus Deutschland wieder einen Rechtsstaat zu machen. Kein Mensch wird behaupten können, daß wir es schon sind.

Ich weiß, was wir Christenmenschen der Obrigkeit schuldig sind. Acht Jahre lang habe ich im großen Schlußgebet des Gottesdienstes unseres Reichsprä­sidenten fürbittend und dankend vor Gott gedacht. Wohl als erster habe ich von jenem Altar aus Gott um Schutz und Leitung und Hilfe gebeten für den jetzigen Kanzler unseres deutschen Volkes. Aber die Obrigkeit als eine gott­gesetzte Ordnung achten, für die Obrigkeit und ihren Dienst in Kirche und häuslicher Andacht von Herzen beten, das bedeutet nicht, vor elementaren Rechtsverletzungen die Au­gen schließen. Gott verpflichtet seine Gläubigen zu Gehorsam und Achtung vor der obrigkeit­lichen Regierung, aber er ver­pflichtet sie nicht dazu, auch die zu achten, die neben der geord­neten Obrigkeit her sich Gewalt anmaßen, das Recht mit Füßen treten und statt die Bürger und ihr Eigentum und Leben zu schützen, Eigentum und Gesundheit deutscher Menschen bedro­hen. Im Gegenteil, hier gilt es für einen Diener der Kirche in entschlossenem Ernst den Staat an seine göttliche Verpflichtung zu mahnen, die dahin geht, die Guten zu schützen. Ich weiß, in welche Gefahr ich mich begebe, wenn ich spreche, wie ich spreche, aber weder die Rück­sicht auf meine fünf Kinder, noch die Rücksicht auf die Gefährtin meines Lebens, noch die Rücksicht auf meine greisen Eltern können mich davon ab­halten, von dieser Stelle aus feier­lich dagegen Verwahrung einzulegen, daß es noch in dieser letzten Woche möglich war, daß in der Nachbarschaft unserer Stadt ein mir nahestehender evangelischer Familienvater, ein ver­dienter Frontsoldat, vor den Augen seiner Frau und Kinder und mitsamt seiner Frau in der Nacht von angeblichen Hütern der neuen Ordnung ohne Grund in seiner Wohnung überfallen und mißhandelt worden ist. Über andere Mißhandlungen, die mir als Pfarrer anvertraut wur­den, habe ich geschwiegen, weil ich bei jenen Fällen noch nicht glaubte, daß Reden meines Amtes sei. Jetzt schweige ich nicht mehr! Wenn die berufenen Diener des staatlichen Rechtes nicht reden dürfen, dann müssen wir Diener Gottes als die berufenen Hüter des göttlichen Rechtes sprechen. Den Millionen und Abermillionen, die heute in Freude schwimmen, sind ja Hunderte und Tausende meiner Amtsbrüder zu Dolmetschern ihrer hohen und begeisterten Gefühle geworden. Es wäre für die Zukunft der Kirche verhängnisvoll, wenn ihre Diener heu­te nur von dem Licht und nicht auch von den Schattenseiten unserer Zeit sprä­chen. So will ich heute ein Dolmetsch der Gefühle der Verfemten und Ge­ächteten, der Verfolgten und Be­drückten, der Elenden und Geplagten sein. Und ich glaube, daß bei der Erfüllung solcher Auf­gabe der nicht ferne ist, der da spricht: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“

Gebe Gott, daß unsere Regierung über die Geister des Unrechts und der Ge­walttat bald Macht gewinnt. Dann ist sie wahrhaft und wirklich eine Obrigkeit, die Gott wohlgefällt und den Menschen wert ist. Dann wird sie auch der Ge­meinde Jesu Christi ihren gottgewollten Dienst tun, der darin besteht, daß jeder Staatsbürger seines Gewissens und seines Glaubens leben kann, oder wie unsere Text sagt: Daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen in aller Gottse­ligkeit und Ehrbarkeit. Denn das ist allerdings die hohe Aufgabe des Staates gegenüber der Gemeinde Jesu Christi, daß er als Hüter der Rechts­ordnung auch das religiöse Leben der Kirche schützt. Diese hohe und dan­kenswerte Aufgabe des Staates wurde mir so recht klar, als ich vor einigen Jahren am ersten Ostertag zur Predigt diese Christuskirche betrat. Es war zu einer Zeit, als Störungen der Gottesdienste durch die Bataillone der Gottlosen zu erwarten waren. Da war die Kirche von verstärkten Polizeipatrouillen be­wacht. So erkannte auch der alte Staat seine Verpflichtung an, dafür zu sorgen, daß gottesdienstliches Leben unter seinem Schutz sich entfalten konnte. Eine so im Schutz des Staates lebende Gemeinde wird, wenn sie alle ihre Glieder durch ein starkes und bewährtes Recht geschützt und beschirmt sieht, nicht nur um des Befehles Gottes willen, sondern aus freudigem Herzen die Mah­nung unseres Textes erfüllen: „Tut Bitte, Gebet, Fürbitte, Danksagung für alle, für den Präsidenten und Kanzler, für ihre Statthalter und Minister, kurzum für die gottgesetzte Obrigkeit.“

Amen.

Gehalten am Sonntag Rogate, den 21. Mai 1933 in der Christuskirche Bochum.

Hier der Text als pdf.

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