Karl Barths Brief an eine Vertreterin des Vereins Kirche und Frieden in Holland, 1938: „Die Diktatur ist das ausgesprochene Regiment der bewußten und planvollen Ungerechtigkeit und Unfreiheit. Die Diktatur ist als solche die Bedrohung des rechten Friedens. Im Zeitalter der Diktaturen muß die Kirche in allen noch nicht von ihnen beherrschten Ländern mit dem Willen zum rechten Frieden auch die Bereitschaft zu dessen Verteidigung gutheißen und fordern.“

Brief an eine Vertreterin des Vereins Kirche und Frieden in Holland, 1938

Basel, den 24. Oktober 1938.

Sehr geehrte Frau Pfarrer!

Ihr Brief hat mich sehr bewegt und ich will Ihnen gerne sagen, was ich über die Sache denke. Im Entscheidenden, nämlich darin, daß der Augenblick gekommen sein dürfte, die Voraussetzungen Ihres Vereins einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen, habe ich dem, was Sie selbst geschrieben haben, nichts hinzuzufügen.

Wenn das Programm von „Kirche und Frieden” im Sinn einer kirchlichen Bejahung eines unbedingten Pazifismus zu verstehen war, dann war es theologisch von Anfang an unmöglich. Die Kirche kann das Gebot Gottes mit keinem Prinzip, mit keinem „ismus” identifizieren, mit dem Pazifismus so wenig wie mit dem Militarismus. Die Kirche kann und muß wohl den Frieden verkündigen; sie muß aber in jeder neuen Situation neu offen sein dafür, aus Gottes Wort zu hören, was jeweilen unter Frieden zu verstehen ist. Sie kann sich also nicht darauf festlegen, daß dieser Friede durchaus und unter allen Umständen darin bestehen müsse, daß nicht geschossen wird.

Die Kirche muß darum beten und darum muß sie auch dafür arbeiten, daß der Staat nach innen und außen ein rechter Staat sei. Zum rechten Staat gehört auch das, daß er den Frieden schützt: aber eben schützt und zwar den Frieden, der der Gerechtigkeit und der Freiheit dient und in Gerechtigkeit und Freiheit zustande kommt. Nur in diesem Frieden kann ja auch das Evangelium verkündigt werden. In jedem anderen Frieden wird das Evangelium der Unterdrückung oder dem Gespött verfallen. Die Kirche kann das dulden, wenn es so kommt; sie kann es aber nicht wollen, daß es so kommt. Sie muß um des Evangeliums willen den rechten Staat und also den rechten Frieden wollen. [64]

Um des rechten Friedens willen darf die Kirche dem Staat nicht wehren, das Schwert zu führen. Und wieder um des rechten Friedens willen darf sie nicht von ihm verlangen, daß er das Schwert „umsonst führe” (Röm. 13, 4). Wenn der Staat den Frieden nicht mehr anders schützen kann, dann muß er ihn mit dem Schwert schützen. Die Kirche wird darum beten und dafür arbeiten, daß das nicht nötig werde. Sie wird sich aber die Augen nicht verschließen vor der eintretenden Notwendigkeit — es kann sogar sein, daß sie diese früher sehen muß als der Staat selber!! — und sie wird dann ihren Gliedern sagen, daß sie „dem Kaiser geben sollen, was des Kaisers ist.”

Die Diktatur ist das ausgesprochene Regiment der bewußten und planvollen Ungerechtigkeit und Unfreiheit. Die Diktatur ist als solche die Bedrohung des rechten Friedens. Im Zeitalter der Diktaturen muß die Kirche in allen noch nicht von ihnen beherrschten Ländern mit dem Willen zum rechten Frieden auch die Bereitschaft zu dessen Verteidigung gutheißen und fordern. Sie hat um des Evangeliums willen und durch die Verkündigung des Evangeliums den demokratischen Staat aufzurufen, um jeden Preis, auch um den von Not und Untergang, starker Staat zu sein, das heißt: den Diktaturen an seinen Grenzen mit allen Mitteln Halt zu gebieten. Und sie hat ihren Gliedern um des Evangeliums willen und durch die Verkündigung des Evangeliums zu sagen, daß es etwas gibt, das schlimmer ist als Sterben und als Töten: das freiwillige Jasagen zu der Schande der Herrschaft des Antichrist.

Was Ihren Verein betrifft, so scheint es mir zwei Möglichkeiten zu geben:

entweder Sie verwandeln ihn ausdrücklich in einen Verein „Kirche und Staat”, der sich die Besinnung auf die politische Aufgabe der Kirche und ihre Verkündigung zum Ziele machen würde.

oder Sie lassen ihm seinen Namen „Kirche und Friede”, interpretieren diesen aber nach seinem grundsätzlich und praktisch allein möglichen Sinn: „Kirche und rechter Friede”, was dann ebenfalls auf die angegebene neue Zielbestimmung hinweisen würde.

Ich nehme an, daß meine letzten Schriften: „Rechtfertigung [65] und Recht” und „Gotteserkenntnis und Gottesdienst” dort auch bekannt sind, darf mich aber jedenfalls auf das dort weiter Ausgeführte vorläufig beziehen.

Mit freundlichem Gruß an Sie, Ihren Mann und an alle Ihre und meine Freunde

Ihr sehr ergebener

Karl Barth.

Quelle: Karl Barth, Eine Schweizer Stimme: 1938-1945, Zollikon-Zürich: EVZ 1945, S. 63-65.

Hier der Brief als pdf.

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