Innerhalb der orthodoxen Kirche wächst der Widerspruch zur Haltung des Moskauer Patriarchen Kyrill I. Hier der offene Brief des in Paris ansässige Metropolit Jean de Doubna, der etwa sechzig Gemeinden nach russischer Tradition in ganz Westeuropa leitet, in deutscher Übersetzung:
Offener Brief des Metropoliten Jean de Doubna an Patriarch Kyrill I.
Der Erzbischof
Protokollnummer: 2022.010
Paris, 09. März 2022
Eure Heiligkeit, Erlauben Sie mir, Ihnen in diesen dunklen Tagen, in denen nach der Militärintervention der Russischen Föderation in der Ukraine mitten in Europa Krieg tobt, die Bestürzung der gesamten Erzdiözese und unsere uneingeschränkte Solidarität mit den Opfern dieses Konflikts zum Ausdruck zu bringen.
Die weltweit durch diesen gewalttätigen Angriff verursachten Unruhen und Verwirrungen haben die orthodoxe Gemeinschaft Westeuropas und insbesondere die Erzdiözese der orthodoxen Pfarreien russischer Tradition in Westeuropa, die Gläubige aller Herkunft vereint, nicht verschont. Unsere Einheit ist durch die so geschaffene Situation bedroht. Unsere Gläubigen erwarten von ihren Hirten, dass sie die Stimme der Kirche und die Friedensbotschaft des Evangeliums weitergeben.
Mit Betroffenheit haben wir von dem an Sie gerichteten Appell der Mitglieder des Heiligen Synods der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche erfahren, in dem Sie gebeten werden, bei den politischen Behörden der Russischen Föderation zu intervenieren, damit dieses Blutbad aufhört.
Im Namen aller Gläubigen unserer Erzdiözese wende ich mich an Sie, damit Sie Ihre Stimme als Primas der russisch-orthodoxen Kirche gegen diesen ungeheuerlichen und sinnlosen Krieg erheben und bei den Behörden der Russischen Föderation Fürsprache einlegen, damit dieser mörderische Konflikt, der noch vor so kurzer Zeit undenkbar schien, zwischen zwei Völkern und zwei Nationen, die durch Jahrhunderte der Geschichte und ihren gemeinsamen Glauben an Christus vereint sind, so schnell wie möglich beendet wird.
Ihre Heiligkeit, in Ihrer „Predigt“ zum Versöhnungssonntag in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale am 6. März deuten Sie an, dass Sie diesen grausamen und mörderischen Angriffskrieg als „einen metaphysischen Kampf“ rechtfertigen, im Namen „des Rechts, auf der Seite des Lichts zu stehen, auf der Seite der Wahrheit Gottes, dessen, was uns das Licht Christi, sein Wort, sein Evangelium offenbart …“
Mit allem Respekt, den ich Ihnen schulde und den ich nicht ablehne, aber auch mit unendlichem Schmerz muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich einer solchen Lesart des Evangeliums nicht zustimmen kann. Nichts kann jemals rechtfertigen, dass die „guten Hirten“, die wir sein sollen, aufhören, „Friedensstifter“ zu sein, und das unter allen Umständen.
Eure Heiligkeit, demütig und schweren Herzens bitte ich Sie, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um diesen entsetzlichen Krieg zu beenden, der die Welt spaltet und Tod und Zerstörung sät.
† Metropolit Jean de Doubna,
Erzbischof der orthodoxen Kirchen der russischen Tradition in Westeuropa
Ich fühle mich befreit bei solch ehrlichen, mutigen Worten.