Von Christoph Blumhardt
Freuen sollen wir uns in dem Herrn, – warum? Man muß einen Grund haben, man kann sich nicht phantastisch freuen, man kann sich auch nicht bloß in Theorie freuen, – das geht alles vorüber! Man muß etwas Massives vor sich haben, über das man sich freut. Nun heißt es, in Christus sollen wir uns freuen, nicht sonst irgendwo. Nicht als ob die anderen Freuden uns genommen werden sollten, aber sie sind einstweilen keine dauernden Freuden. Alles was auf Erden sich bildet und was uns augenblicklich einmal eine Freude macht, geht rasch vorüber. Es sind noch nicht die Zeiten da, in welchen die Augenblicke der Freude, die uns das irdische Leben bereitet, Fortsetzung finden könnten. Was da von Freude ist, ist ein verhacktes Wesen; zerstückelt fahren da und dort etliche Freudenstimmungen in unseren Herzen herum, aber daneben liegt viel Kummer, aus allerlei Elend geboren, und viel Unruhe, viel Unsicherheit, viel Unfrieden. Und so mögen wir hinsehen, wo wir wollen – zur Freude können wir uns nicht niederlassen; wir müssen uns immer rüsten: Es geht vorüber. Und doch können wir nicht leben ohne eine zusammenhängende Freude, die nicht aufhört. Und diese Freude müssen wir suchen, und wir suchen sie in Christus, weil in Christus uns eine neue Zukunft eröffnet, ist, ein Ziel vor unsere Augen gestellt ist.
Das ist die Bedeutung des Wortes: »Er ist nahe.« Damit wird auch ausgedrückt, wo das Ziel ist, nämlich auf Erden. Wir dürfen in Christus in der Freude stehen, daß wir mit ihm, dem Herrn des Friedens, auf Erden noch gute Zeiten erleben werden. Wir haben ein Zukunftsreich vor Augen, ein Reich, welches die Menschen glücklich machen soll, und das ist so fest in Christus, daß wir uns daran halten können und immer in dieser Hoffnung freudig bleiben können. Darin besteht auch unser Glaube, und der Glaube macht fest, macht eisenhart, und der Glaube macht trotzig gegen die ganze gegenwärtige Welt; nicht der Glaube an Gott – der Glaube an Gott muß sich in ein Wissen verwandeln, das sich von selber versteht; auch nicht mehr der Glaube an Christus – der verwandelt sich in ein Wissen; wir wissen, daß Christus ist – sondern der Glaube an die Menschheit, daß durch Gott, durch Christus, durch den Geist Christi, den heiligen Geist, die Menschen etwas werden. Das ist unser Glaube. Unser Glaube will etwas schaffen, wonach die ganze menschliche Gesellschaft seit Jahrtausenden strebt. Wer will nicht glücklich werden? Wenn man uns den Glauben an das Glück der Menschen, an das Reich Gottes auf Erden nimmt, so hat unser Glaube keinen Halt, dann muß man freilich sagen: Der Glaube ist falsch, klein, matt, schwach, voller Zweifel, Furcht und Kleinmütigkeit, und wir werden schwankende und wankende Menschen! Aber wenn wir es glauben dürfen: Auf Erden dürfen wir Menschen noch etwas darstellen, was vor Gott und was vor Menschen recht ist, – wenn wir das ins Auge fassen dürfen, dann bekommen wir Festigkeit, denn das liegt nicht nur in Gott, das liegt auch in unserer Brust, und das gibt deswegen so einen festen Halt in uns und macht uns zu starken Menschen, weil es da drin in unserer eigenen Brust lebt: ja, das ist wahr, das ist recht, der Mensch soll nicht ein elendes Tier sein, er soll nicht ewig in Kummer und Jammer zugrundegehen: es soll nicht ewig eine Schmach sein, Mensch zu heißen, sondern es soll einmal eine Ehre sein, Mensch geworden zu sein, aus der Schmach heraus und aus allem Übel und aus aller Verkehrtheit heraus in Gerechtigkeit hinein, in Wahrheit hinein, in Freude hinein. Das liegt in unserer eigenen Brust und ist etwas Urmenschliches, das man nicht ausrotten kann.
Man hat religiöserseits es wollen anders versuchen und hat die Zukunft der Menschen außerhalb der Welt gesucht und wollte sie fröhlich machen in übersinnlichen Dingen. Es ist zwar ganz gewiss eine Kraft für elende Menschen, die in dieser Welt nicht ein und aus wissen, wenn sie denken können: »Es nimmt einmal ein Ende, und ich sterbe, dann hat meine arme Seele Ruhe.« Und wenn sich damit der Gedanke fest verbindet: »dann bin ich in Gottes Hand«, so hat das schon viel Trost gegeben, aber eine Menschenkraft hat es nicht erzeugt, zu einem eigentlichen starken Menschenleben ist es nicht gekommen. Es ist so ein klein bißchen etwas Ähnliches, wie es die Mohammedaner auch haben oder andere Heiden, die schließlich mit dem Tode das Ende des Elends sehen. Wenn aber vollends dieses Ende des Elends nicht ganz sicher ist, dann wird es vollends zweifelhaft, ob wir uns darin freuen können. Und wenn sich etliche darin freuen können, daß sie im Jenseits einmal Ruhe haben, so ist es doch für die Erde sozusagen verspielt, und für die Masse der Menschen wird man es niemals so predigen können. Wenn ich alle die Menschen überdenke, die mit mir gewesen sind und zu mir gekommen sind, daß ich mit ihnen rede über Gott und über Christus und alles, was Himmelreich heißt, sie sind alle darauf bedacht gewesen: »Kann ich denn nicht eine Hilfe bekommen jetzt, hier in diesem meinem Leben?« Wie oft habe ich sagen hören: »Ist denn kein Gott im Himmel? – nicht in dem Sinne, daß ich einmal selig werde, sondern daß hier auf Erden einmal geholfen wird, daß ich einmal in Freude komme, meine Sünden los werde, wirklich ein wahrhaftiger Mensch werde.« Aus Millionen Herzen tönt einem dieser Ruf entgegen. Und das ist wahr: Wenn ein Mensch will, daß Gott Gott sei auf Erden, daß Christus geboren sei, daß auf Erden etwas Rechtes werde, daß nicht Kummer und Jammer und Elend und sündiges und verkehrtes Leben die größte Rolle spielt, sondern Wahrheit und das Leben und das Glück des Lebens – das spricht aus Millionen Herzen heraus überall, und wir dürfen verkündigen: Du hast recht! du darfst auch glauben, und weil Gott ist, glaubest du, daß auch die Erde ist und die Menschen sind, und daß die Menschen zu etwas kommen dürfen; du hast recht, wenn du diese gegenwärtige Gesellschaft der Menschen nicht für das Letzte ansiehst, wenn du es glaubst: Es wird noch eine Gemeinde auf Erden sein, eine Menschengesellschaft, in welcher Friede und Freude ist, – du hast recht, glaube es! So wahr Gott im Himmel ist, so wahr Christus geboren ist, so wahr in Christus Evangelium gepredigt wird, gibt es auch ein Reich Gottes auf Erden, darum glaube und hoffe, auf dieses Reich, wenn es auch noch in der Zukunft ist!
Aber es ist nicht bloß in der Zukunft bei denen, die dieses Ziel im Auge haben, sondern es macht sich schon zur Gegenwart. Es ist auch gegenwärtig, denn es bildet dieser Glaube heute schon eine menschliche Gemeinschaft, eine Gesellschaft, in welcher man füreinander und miteinander sich stärkt auf dieses Ziel hin. Ohne das geht es nicht. In den Kampfeszeiten, die wir doch noch durchmachen, muß das Reich Gottes sich voraus bilden in einer menschlichen Gesellschaft; den Leib Jesus Christi, an dem er das Haupt ist, oder er nennt sie einen Bau, da ein Stein in den anderen sich fügt, damit es ein geschlossenes Ganzes sei. Der Herr Jesus nennt es seine kleine Herde, die sich untereinander lieben soll, die füreinander eintreten soll, die einer für den anderen und alle für einen einstehen, immer in dem Gedanken: Wir sind die Kämpfer der Zukunft, wir sind die Leute, in denen die Erde sich erhellen muß: wir wissen, was wir glauben, und darum zeugen wir, was wir glauben, und darum leben wir, was wir glauben. In dieser Weise kommt das Reich Gottes in die Gegenwart hinein, oder das Reich Gottes kommt zu der Menschheit, wie es in Zukunft sein soll.
Aber um eine solche Gesellschaft hier auf Erden in Christus zu bilden und im Blick auf das Ziel, das wir erreichen wollen, müssen es allerdings jetzt feste Leute sein, zunächst freie Leute, Leute, die nicht sorgen müssen. Es ist von Anfang an, als die Apostel im Namen Jesu Christi aufgetreten sind, dieses Nichtsorgen gesucht worden. Wenn ihr es verstehen könnt, so will ich sagen: Es ist eine Torheit, wenn man zum nächsten Menschen sagt: »Sorge nichts!« Wenn ein Mensch verzettelt allein für sich in der Welt herum lebt und kein Mensch sich um ihn bekümmert, andere Menschen ihm auch einen Fußtritt geben und nichts von ihm wollen, wenn ein Mensch von allem ausgeschlossen ist, was das Dasein menschenwürdig macht, wenn er gar nichts hat, als daß er mit Sorgen sein Brot verdient und mit viel Mühe und Last, so ist es eine Sünde, wenn man zu ihm sagt: »Sorge nichts!« Wir hören es gegenwärtig gegenüber Millionen von Lohnarbeitern ganz kaltblütig sagen: »Die sollen nicht sorgen, die haben ja ihren Lohn«, – dabei können solche Leute an so einem vorüberlaufen und nicht nagelsgroß nach ihm fragen. Und eine menschenwürdige Stellung bekommen sie deswegen doch nicht. Sie sind verzettelt und vereinzelt in Stadt und Land; Millionen haben kaum einen Freund, zu dem sie einmal kommen können und mit gutem Mut und ehrlichem Gesicht sagen: »Laß mich mit dir leben, allein kann ich nicht leben.« Was ist das für ein Kummer, wenn jemand betteln muß, und wie viele Leute müssen betteln! Was ist es doch für ein menschenunwürdiges Dasein, wenn man seinen Verpflichtungen nachkommen soll, wenn man ein ehrenhafter Mensch sein möchte, und kann nicht seine Steuern zahlen und kann nicht der menschlichen Gesellschaft dienen in irgendwelcher Weise! Wie kann ich zu solchen Leuten sagen: »Sorge nicht!« Nein, die ganze Welt liegt einstweilen in Sorgen: aber innerhalb der Gesellschaft, innerhalb der Organisation, die von Christus ausgeht, sollen die Sorgen aufhören, da sollen wir füreinander sorgen. Wenn der Apostel Paulus sagt: »Sorget nicht«, so setzt er voraus, daß die Leute unter andern Leuten sind, die solidarisch miteinander verbunden sind, da keiner mehr sagt: »Das ist mein!« sondern da alle sagen: »Was wir miteinander sind, das muß auch unsere Sorgen wegnehmen, und was wir miteinander haben, das muß helfen dem einen wie dem andern, damit wir der Sorgen los werden.«
So kommt das Himmelreich zunächst in einer kleinen sorgenlosen Herde, und von Anfang an, seitdem Christus geboren ist, hat man diese Gesellschaft gesucht, eine sorgenlose Himmelsreichgesellschaft, und es hat eine ungeheure Kraft, wenn Menschen zusammenstehen, namentlich wenn sie kommunistisch zusammenstehen, daß in ihnen der Eigentumsbegriff herunterfällt, daß sie so geschlossen im Geist zusammen sind, daß jeder sagt: »was ich habe, gehört auch den anderen, und unter Umständen, wenn ich etwas nötig habe, so ist der andere mir gefällig.« Dieses absolute feste Zusammenstehen und das gemeinsame Leben miteinander, da einer für den anderen einsteht, das ist die Gesellschaft, in welcher man den einzelnen sagen kann: »Sorge nichts!« Man hat es versucht schon in der apostolischen Zeit, später hat man es in allerlei Weise versucht, es ist aber immer mißraten; gerade diese Gesellschaftsbildung, die von Christus ausgehen soll, diese Gemeinschaft von Menschen in der Liebe und Aufopferung zueinander ist nie geworden, und deswegen wohl ist das Christentum bei den Völkern, in welche es eingedrungen ist, so schwach geworden. Man hat zwar noch eine Erinnerung gehabt immer zu allen Zeiten, daß dieses Sorgen um das Nichtsorgen, daß diese Gesellschaftsbildung, in welcher man nicht mehr sorgen muß, ursprünglich der Wille Christi war, daß er nur deswegen sagen konnte, man soll nicht auf Reichtum sehen, nicht auf Ehre in der Welt, weil er voraussetzen mußte: »Die Menschen, die vereinigt sind in meinem Namen, die werden immer das haben, was ihnen nottut zum Leben, und wenn ihr Kleider habt und zu essen, so lasset euch genügen, aber das werdet ihr haben, weil ihr miteinander eins geworden seid in der Liebe«. Man hat immer wieder den Gedanken gehabt: So sollte es werden! Aber weil es nicht so geworden ist, hat man es schließlich aufgegeben und hat dafür die Wohltätigkeit eingesetzt, so daß jetzt die Vermöglichen aus Wohltätigkeitstrieb an die Unvermögenden etwas darreichen. Das ist durch alle Jahrhunderte gegangen, und es haben viele Reiche, viele Besitzende vielen Armen da und dort einmal geholfen. Aber ihr sehet wohl, daß das nicht der Sinn Jesu Christi war, im Gegenteil! Was machen gegenwärtig die Wohltätigkeitsanstalten für Sorgen! Tausende von Armen, die müssen sich besinnen: wie kriegen sie da und dort etwas, und wenn sie oft gerade von der Wohltätigkeitsseite abgewiesen sind, wie schmerzlich tut das erst weh! wenn man dann zu Wohltätig- keitschristen kommt und die sagen: »Ich kann dir nicht helfen« oder wenn man sonst meint, da könne man gewiß seiner Sorgen loswerden, und es ist nichts! Aber nehmet es den Wohltätern der Welt nicht übel, daß sie euch nicht helfen können; auf dem Wege geht es nicht, auf dem Wege kann es unmöglich dahin kommen, daß die Leute nicht sorgen müssen. Wenn sie aber sorgen müssen, dann können sie für das Reich Gottes nicht arbeiten. Darum müssen wir uns verbinden, und es muß zu einer geschlossenen Jesusgesellschaft kommen.
Wie soll das werden? Wir haben den Sinn dafür verloren, und namentlich wird wohl das ein Grund sein, weswegen die Gesellschaft Jesu Christi nicht organisch miteinander verbunden blieb, weil man zu viele Elemente hineinziehen wollte. Man wollte die ganze Welt bekehren, ehe man sich so gekräftigt war. Man kann nicht auf einmal Hunderttausende hineinziehen und alle miteinander schon in die Gemeinschaft dieser Jesusgesellschaft ziehen, ehe sie selber reif sind; namentlich wenn man Geizige hineinzieht, Neidische hineinzieht, Leute, die noch nicht los sind, nicht frei sind, nicht unter der Bedingung Christen sein wollen, daß sie wirklich freie Leute sind, dann mußt du eben draußen in der Welt sorgen. Denn wenn irgendwie einmal – und ich hoffe, es kommt bald – eine Jesusgesellschaft aufkommt, und es wird auch gesorgt bei denen, die mittun wollen, und sie sind nicht frei von allem und können sich nicht in alles schicken, dann sind sie nicht tauglich, Mitkämpfer zu sein. Es muß die Freiheit des Herzens von allem, was so in der Welt herum spielt und was uns anlockt – die muß zuerst da sein. Aber dann kann man es dahin bringen, daß man die Sorgen los wird, und das gibt eine große Kraft. Was sind die Menschen nicht fähig alles zu tun, wenn sie der Sorgen los sind, der Sorgen um das tägliche Brot. Es braucht ja nicht viel, nur der Sorgen um das tägliche Brot müssen sie los sein, und sie müssen zusammen sein, daß sie wissen: »Wenn ich in Not komme, ist der andere auch da.« Aber wenn sie sagen: »Ich will für mich soviel erraffen, daß ich einen andern nie brauche, daß ich der Reiche bin und der andere der Arme«, so ist das der Ruin jeder Gesellschaft in Christus. Ich halte nichts auf so geistliche Gemeinschaften, das hebt nicht lange, da ist man Freund eine Zeitlang, aber das hört wieder auf. Alles, was Wert haben soll, muß einen ganz massiven Boden haben. Wenn wir nicht im Leibe, in materiellen Dingen, Gemeinschaft haben, so werden wir es niemals in geistlichen Dingen haben Wir sind keine Geister, sondern Menschen von Fleisch und Blut, wir müssen alle Tage gegessen haben und in jeder Jahreszeit unsere Kleider haben und überall miteinander unsere Werkzeuge haben, wir müssen miteinander arbeiten, wir müssen gesellschaftlich arbeiten und nicht für uns allein, sonst können wir niemals eins werden in der Liebe Christi, die Herde werden, die als Jesusgemeinschaft auftritt in der Welt und sagt: »Jetzt muß es aber anders werden, jetzt darf nicht immerfort der einzelne für sich leben, jetzt muß es ein Volk von Brüdern werden.«
So will Jesus die Sorgen abgeschafft haben, aber das hat man sozusagen aus der Welt herausbugsiert, ja man mutet heute den Leuten Glauben zu im allerunmöglichsten Leben, in Verhältnissen, da die Leute fast vergehen vor Jammer und Not, da sie in elenden Hütten herumwohnen und kaum wissen, wie sie ihr Leben fristen sollen; da rufen wir ihnen zu: »Glaube eben!« Wie viel habe ich es jetzt in diesen Tagen erlebt von manchen, die in diese Feiertage hineingehen und nicht wissen, wie sie im mindesten an der Weihnachtsfreude teilnehmen sollen. In einem derartigen Kummer hineinzurufen: »Glaube, so wird es schon gehen!« – das mag bei einzelnen Menschen helfen, die können schließlich im ärgsten Elend sterben und sagen: »Gott Lob und Dank, jetzt geht es aus! meinen Glauben lasse ich nicht!« aber im großen ganzen muß man doch sagen: Dieses Glauben ist eine Marter und ist eine Zumutung für viele Menschen, die gar nicht ausgeführt werden kann. Darum möchte ich sagen: Das Reich Gottes darf nicht bloß ein zukünftiges sein. Ja, für die große Gesamtheit ist es noch zukünftig, aber im einzelnen für die Gemeinde Jesu Christi müßten wir eigentlich suchen in der Weise einig zu werden und anfangen frei zu werden, daß wenigstens in den Kreisen, in denen wir uns verstehen, die Sorgen aufhören, damit wir auch danken können und damit wir im Dank Gottes bitten und flehen können. Es muß einen festen Grund haben, wenn wir bitten. Wir wissen, wo wir stehen, und unser Grund ist fest, darauf wir gegründet sind, und unsere Gemeinschaft soll stärker sein als die Pforten des Todes und der Hölle, damit wir kämpfen und arbeiten auf Erden und unser Zukunftsreich, unser Gottesreich mithelfend erstreben können.
Aber noch ein Drittes muß uns Freude machen. In dieser Gesellschaft muß es solid hergehen auch sonst, nicht nur kommunistisch, sondern auch darin wahrhaftig, daß da kein Schwindel mehr gelten darf. Da soll nicht einer, der zufällig diese oder jene Vorzüge hat, meinen, jetzt müsse er besonders geehrt sein; wenn einer in dieser Welt in vornehmerer Familie geboren ist, soll es nicht zu einer besonderen Wertschätzung kommen um solchen Schwindels willen. Es handelt sich in der Gesellschaft Jesu Christi um die Tugenden, um die Tugenden Gottes, nicht der Menschen. Nicht die Sitten, nicht die Anschauungen der Menschen, nicht das, was gerade zufällig ein Volk für recht hält, soll gelten, sondern das, was vor Gott recht ist. Darüber muß nachgedacht werden – und scharf! – und sehet, deswegen wird die Gesellschaft Gottes so gehaßt. Die Gesellschaft Gottes sagt der ganzen Welt ins Gesicht hinein: Eure Sitten sind falsch! Meinet ihr, eure Kriegssitten, die werden bei uns Anerkennung finden? Meinet ihr, euer Haß und Neid und eure Eigenliebe, euer Reichtumsschwindel, der macht uns noch irgendwie Eindruck? Nein! wir wollen lieber zu den Bettlern gehören, als diesem Schwindel weiter huldigen! Aber da bäumt sich die ganze Welt auf. Auch wird es nötig sein und ist immer nötig gewesen, daß man die wahre Religion hat, daß man lernt anbeten im Geist und in der Wahrheit, nicht in diesem oder jenem Aberglauben und nicht in diesen oder jenen eitlen Dingen, sondern wirklich in der Wahrheit. Daß die Gesellschaft Jesu Christi in dieser Weise sich geltend macht, das zieht ihr den Haß zu. Sie will nicht mehr die Sitten der Welt, das was die Menschen denken, – unser Wille ist Gott, der Herr!
Das gibt einen heftigen Kampf, und deswegen sagt der Heiland: »Die Pforte ist eng und der Weg ist schmal, welcher zu diesem Reich führt, und die vielen tun das nicht.« Die meisten Menschen bewundern diese Welt, sie huldigen ihr, und wenn der Satan dieser Welt kommt und ihnen seine Güter anbietet, so machen sie es nicht wie der Heiland, der sagt: »Bleibe mir vom Leibe, ich will nicht herrschen mit deinen Mitteln!«- die meisten, wenn der Satan kommt, machen ein Kompliment und sagen: »Ich glaube schon, daß ich mit meinem Verhältnis zu Gott in Einklang bringen kann, daß ich von dir die weltlichen Ehren, Ruhm und Reichtum annehmen kann, – es ist wahr, es geht dann doch viel besser.« So machen es die meisten, und deswegen sehen wir auch viele Christen, die ganz in der Welt drinstehen, – gar nicht bloß die Ungläubigen, täuschet euch nicht! Ich kenne Ungläubige, die sind viel gläubiger als die Gläubigen. Gerade die Gläubigen sind in Gefahr, Ehre zu suchen und mit ihrer Frömmigkeit vor den Menschen zu glänzen und zu allem »ja! ja!« zu sagen. Und da beruft man sich noch auf die Bibel! Aber man muß es recht verstehen, – mit Bibelsprüchen in die Welt hineinschleudern ist nicht gut. Es gibt manche, die nehmen keinen Bibelspruch mehr in den Mund, aber sie kämpfen für Gott, für Wahrheit, Liebe, Gemeinschaft; sie streiten für den Fortschritt der Menschheit, daß sie endlich aus ihrem Elend herauskomme; sie nehmen Gott gar nicht in den Mund, aber sie werden hören: »Gehet ein zu eures Herrn Freude!« – »Ich weiß ja gar nicht, daß ich dir gedient habe!« – »Ja, du hast mir gedient; was du getan hast, daß sich das menschliche Elend hebe, was du irgendwie gesorgt hast, daß es besser werde auf Erden, das hast du mir getan.« Und wer weiß, ob nicht die vielen Gläubigen auf die Seite kommen und ob nicht gerade diese Ungläubigen die Mehrzahl werden, die ins Himmelreich eingehen, denn es kommt auch hier auf Solidarität an.
Wir müssen etwas Wirkliches leisten. Glaubet nicht, daß ihr nichts leisten müsset! Man hat uns gepredigt, wir werden nur aus Gnade selig. Das glaube ich auch, aber wenn ich aus Gnade selig gemacht bin, so muß ich etwas leisten. Du kommst auch nur aus Gnade in ein Geschäft, aber wenn du drin bist, dann heißt es: »Schaffe! jetzt sei ein rechter Mensch!« Bloß aus Gnade in irgendeine Sache hineinsitzen und nach niemand nichts fragen und nichts tun, das gibt es weder im Himmel noch auf Erden. Bin ich aus Gnade selig, so bin ich aus Gnade ein Arbeiter; bin ich aus Gnade gerecht, so bin ich aus Gnade ein Arbeiter für die Gerechtigkeit; bin ich aus Gnade in Wahrheit gestellt, so bin ich aus Gnade ein Knecht der Wahrheit; bin ich aus Gnade in Frieden gestellt, so bin ich aus Gnade ein Knecht für den Frieden bei allen Menschen. Aus Gnade für mich etwas wegnehmen und dann nach den andern Leuten nichts fragen, das ist nicht die rechte Art. Was ich aus Gnade bin, das macht mich zum Arbeiter, und nur der Arbeiter kann etwas gelten, der Faulenzer nie. Die Welt ist freilich so gestellt, daß selbst diejenigen, die nichts geleistet haben, in Ehren sein können, – das ist es ja eben gerade, wogegen wir kämpfen dürfen. Es kommt aber die Zeit, da nur der Arbeiter etwas ist auf Erden; es muß der Arbeiter etwas gelten, und zu diesen Arbeitern wollen wir gehören in lauter Tugend von Gott. Wir müssen uns deswegen immer besinnen: Was will Gott? – O weh, das kann man nicht! »Ja, wie soll man das machen?« Aber da fängt die Verleugnung an: Gott will es, also will ich es auch, und es wird meines Herzens eigenstes Eigentum; ich will es, weil Gott es will, und es muß werden, weil Gott es will, und dafür stehe ich ein, und dafür lasse ich Leib und und Leben! So können wir in Wahrheit unser Leben darbieten, können ein Opfer werden für Gott und können durch unsere Darbietung, durch die Darbietung unseres ganzen Lebens arbeiten.
Und das ist eine große Kraft, meine Lieben. Opfre dich einmal für einen Willen Gottes! – das ist nicht umsonst. Opfre dich für eine Wahrheit, für eine Gerechtigkeit, Opfre dich einmal gegen den Sinn der Menschen für etwas, was gut ist. opfre dich für Christus in allen Dingen, für die Gemeinde Jesu Christi, die in Tugenden das Reich Gottes sucht. Das ist eine große, große Kraft. Das hat seinerzeit Tausende in den Tod getrieben; sie sind mit Freuden gestorben, und wenn man sie aufs ärgste gequält hat, sie sind stark geblieben, weil sie in den Tugenden Gottes standen. Heute scheut man jedes Kreuz. Heute wagt man gar nichts. Wenn irgend etwas gegen die Art der Menschen läuft, dann sieht man den Menschen, der einen vorher freundlich angeschaut hat, weglaufen; man wagt nichts. Man hat oft innerlich das Bewußtsein, auch mitzutun, auch mitzuhelfen, daß die Tugenden Gottes zur Wahrheit werden auf Erden, aber man fürchtet die Menschen. Deswegen, wenn wir Freude haben wollen in Christus, eine unausgesetzte Freude, dann müssen wir diese Aufopferung lernen; anders geht es nicht. Es wird nie anders in der Welt, wenn nicht solche aufopferungsfähige Menschen sich als Arbeiter darbieten. Mit dem gemütlichen Christentum da wird die Welt nicht anders. Nein, freuet euch in dem Herrn, in der Hoffnung seines Reiches. Freuet euch in dem Herrn als entschlossene Glieder seiner Gemeinde, die in wirklicher Selbstverleugnung und Freiheit auf Erden mit anderen zu leben imstande ist, die nicht mehr verdammt, nicht mehr richtet, die klare Augen hat, wo Wahrheit ist, – da seid verbunden! Freuet Euch in dem Herrn, in den Tugenden Gottes. Stehet für etwas ein, dann wird eure Freude eine dauernde sein. Wer also den Christus versteht, dem wird es gelingen, der wird auch den Tag immer vor sich haben, welcher kommen wird über den ganzen Erdkreis durch die Menschen Gottes, daß es Licht werde und alle Menschen sich freuen dürfen, wenn es herausgekämpft ist zur Ehre Gottes.
Gehalten am 24. Dezember 1899.
Quelle: Christoph Blumhardt, Ihr Menschen seid Gottes! Predigten und Andachten Band 3, Zürich und Leipzig 1928, S. 415-426.