Predigt über Jesaja 57,15-19: Ich wohne bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind.
Von Christoph Blumhardt
So ist es mit dem Heiland. Die Menschen finden ihn dort nicht, wo sie ihn verherrlichen können; aber die Elenden, die Geringen, die Schwachen, sie finden ihn alle. Wir finden ihn auch. Ich habe immer gefunden: Je schwächer und ärmer wir sind, desto mehr finden wir ihn. – Manchmal mußten wir durch Zeiten, da wir glaubten, wir seien von Gott verlassen. Das kann gar nicht anders sein. Warum sollten wir uns nicht auch einmal durchschlagen können in dem Bewußtsein: »Jetzt müssen wir allein stehen?« Wir haben schon viel empfangen; wir können ganz gut auch etwas durchmachen. Es ist nicht notwendig, daß wir immer von Strömen himmlicher Kraft umweht sind; wir müssen etwas durchmachen, auch in Gebieten, wo es aussieht, als ob lauter Zorn Gottes wäre.
Vielleicht ist es ein Fehler, daß gerade starke Leute das Christentum geführt haben. Ich sage es offen: Mich dauert unser Luther, der so stark sein wollte und dann in unendliche Streitigkeiten verflochten wurde. Und so ist es noch vielen anderen gegangen, die an und für sich Kinder Gottes sind und waren. Weil sie so große Menschen sind, hängt sich an sie neben dem Guten etwas von dem, was Unfrieden macht.
Darum klagen wir nicht, daß wir in der Stille Gott dienen dürfen, als die Unbeachteten dastehen, die nicht die Ehre der Menschen haben. Ehre schafft nichts Gutes. Ohne Ehre stehen wir in Verbindung mit allen heute noch still vertrauenden Menschen, die den Mund kaum auftun dürfen von ihrem Glauben.
Gehalten am 20. Februar 1909 in Bad Boll.
Quelle: Christoph Blumhardt, Ansprachen, Predigten, Reden, Briefe: 1865-1917, hrsg. v. Johannes Harder, Bd. 3: Geliebte Welt 1907-1917, Neukirchen-Vluyn 21982, S. 37f.