Nachdem der württembergische Landesbischof Wurm im Mai 1938 per Gesetz den Pfarrern seiner Landeskirche die Leistung eines Treueeids auf Adolf Hitler auferlegt hatte, wurde Paul Schempp vom Dekan des Kirchenbezirks Vaihingen an der Enz, Arthur Eifert (1879-1947), zur Eidesleistung aufgefordert. In seinem Antwortschreiben vom 28. Mai 1938 begründet Schempp seine Eidesverweigerung und wird dabei in seiner Wortwahl ausfällig:
Begründung der Verweigerung des kirchlichen Treueeids auf Adolf Hitler
Von Paul Schempp
Obgleich es fast überflüssig ist, weil man meine kirchliche Haltung ja kennt und sie nicht gerade unbeständig sein dürfte, will ich doch noch mitteilen, daß ich das Gesetz, durch das die Kirche den Beamteneid übernimmt, für ein unmißverständliches Zeichen dafür halte, daß die Landeskirche nun offen die ihr von Christus übergebene Schlüsselgewalt dem Staat und damit der Welt ausgeliefert hat, daß nun ohne Scham der Weg der DC eingeschlagen ist, daß nun die Liquidation des Evangeliums in der Kirche unwiderruflich ihren Lauf nimmt, daß nun der ganze Streit um Schrift und Bekenntnis als ein großer Betrug entlarvt ist, daß mit diesem Meineid entweder der Staat und die Öffentlichkeit schamlos betrogen wird, weil man nicht daran denkt, diesen Eid im Sinne dessen, dem er gilt, also im Sinne des staatlichen Totalitätsanspruchs auszulegen und zu halten, oder aber die Kirche schamlos betrogen wird, weil man darin noch von der Alleinherrschaft Christi zu reden wagt, während man zugleich neben ihn die Herrschaft des Staates, der Öffentlichkeit und der Straße gesetzt hat. Nun ist der Weg klar: Der Friede mit den DC wird diktiert, die Unantastbarkeit der staatlich sanktionierten Weltanschauung auch durch die Predigt der Kirche ist akzeptiert im Tausch gegen vorläufige tolerante Behandlung und nur langsame Erdrosselung und gegen Weitergewährung der Staatsleistungen. Es ist, als habe es nie ungerechte Absetzungen, Verhaftungen, Beschlagnahmungen, Versammlungsverbote, Auflösung theologischer Seminare, Forderung von Arierparagraphen, Führerprinzip, germanische Rassenethik, Gleichschaltung nach Geist und Buchstaben gegeben. Wenn ein Eid den Zweck der öffentlichen Rehabilitierung der Kirche vor der Welt hat und das Mittel jesuitischer Mentalreservation braucht und obendrein den Schein der Spontaneität erwecken will, so kann nur Gewissenlosigkeit, Zweideutigkeit und Heuchelei zwischen ihm und dem Wesen und Auftrag einer christlichen Kirche eine Verbindung herstellen. Diesem Schritt kann nur die Verstockung oder bittere Reue folgen. Ich hoffe, daß es niemand gibt, der mit meiner Teilnahme an diesem Verkauf des Erstgeburtsrechts um das Linsengericht einer vergeblichen captatio benevolentiae rechnet. Wer will, daß die Kirche vollends ihre letzte Glaubwürdigkeit verscherzt, oder wer durch diesen Eid im Sinne von Hebr. 6,16 den Frieden mit der Welt besiegeln will, der mag ihn leisten. Ich erwarte aber von ihm, daß er dann auch das übliche Meckern und die heimliche Resistenz gegen die staatliche Kirchenpolitik des Herrn Reichsministers Kerrl aufgibt und bald wahlfrei wird für die staatlich erstrebte Nationalkirche. Wie er sich dann um die klaren Texte seiner Predigten und um die reformatorischen Entscheidungen herumbetrügt, ist seine Sache. Auf dem Papier läßt sich das Amtsgelöbnis und dieser staatlich-kirchliche Treueid, für den nicht einmal ein Befehl des Staats vorliegt, schön verkoppeln, in Wirklichkeit hat man sich damit für die öffentliche Neutralität des Wortes Gottes entschieden oder aber die staatliche Beschneidung zur Bedingung für das christliche Hirtenamt gemacht, auch wenn man noch so schöne Geheimprotokolle zu den Akten gibt. Schon die einfache Erwägung, ob es denn auch akzeptiert würde, beim Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu schwören, könnte einen belehren, daß hier Blindekuh gespielt wird aus Rücksicht des öffentlichen Amts und der Volkskirche – wieviel Hekatomben von Seelen hat man nicht diesem Moloch schon geopfert! – und [daß] man es verheimlicht, welchem Gott die Kirche ganz verpflichtet ist, weil man ja weiß, daß man nur unter Verzicht auf Offenheit der Gnade teilhaftig wird, schwören zu dürfen. „Sie schwören bei dem Herrn und zugleich bei Milkom“ Zeph. 1,5. Was für eine Lakaienkirche, die von Freiheit redet, was für eine Hurenkirche, die von Hingabe an Christus predigt, was für eine Diplomatenkirche, die von Einfalt predigt, was für eine Pantheonskirche, die vom Bekenntnis predigt! Ich habe keine Hoffnung, daß irgend ein Protest noch etwas nützen könnte, wo so offenkundig nicht einmal die einfachsten Regeln von Ehrlichkeit beachtet werden, wenn es um die Selbstbehauptung der Kirche geht. Wenn ich die saftigen und schwülstigen Wahlaufrufe der Kirche vom Frühjahr letzten Jahres nachlese und damit die Taten und Unterlassungen der Kirche vergleiche, dann bleibt nur das fassungslose Staunen über ein solches Maß von Heuchelei und Selbstbetrug.
Ich habe mich losgesagt von der Gottlosen-Zentrale des Alten Postplatzes [Sitz des Oberkirchenrats in Stuttgart] und nehme hiermit auch fröhlichen Abschied von Dekanatamt und Diözesanverein. Gott hat immer noch eine Kirche, die nicht bloß sagt und bekennt, man dürfe die beiden Gewalten nicht vermengen, sondern die auch danach tut. Vor genau vier Jahren hat auch Herr Wurm öffentlich dem Satz zugestimmt: ‚Wir verwerfen die falsche Lehre, als sollte und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.‘ Nun hat sie doch den Weg gewählt, und sogar ungezwungen gewählt, Organ des Staates zu sein und zu werden, und geht nicht ungewarnt ihrer göttlichen Verwerfung entgegen. Aus ihrem eigenen Munde wird Christus sie richten, denn auch ihr wird es nicht gelingen, was Christus nun einmal allen scheinbar so siegreichen Versuchen zum Trotz – wie siegreich ein solcher Versuch sein kann, zeigt ja die Existenz der römisch-katholischen Kirche! – für unmöglich erklärt hat, nämlich zwei Herren zugleich zu dienen.“
Quelle: Ernst Bizer, Ein Kampf um die Kirche. Der „Fall Schempp“ nach den Akten erzählt, Tübingen: J.C.B. Mohr, 1965, S. 59-61.