Gutachten der Kirchlich-Theologischen Sozietät wider die Ablegung eines kirchlichen Treueeids auf Adolf Hitler vom 2. Mai 1938: „Hier gibt es wirklich nur ein Entweder-Oder, da es in der Kirche neben der potestas Jesu Christi die er durch sein Evan­gelium ausübt, keine andere potestas geben kann, die dann immer sofort von selbst zu einer potestas über derjenigen Christi werden muss, da die geistliche Gewalt gegen die rechtliche Gewalt ohnmächtig ist.“

Es war die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg, die bereits am 2. Mai 1938 ein theologisches Gutachten wider die Ablegung eines kirchlichen Treueeids auf Adolf Hitler vorgelegt hatte:

Gutachten der Kirchlich-Theologischen Sozietät zur Frage des Beamten­eides in der Kirche vom 2. Mai 1938

Das deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 „ermächtigt“ in Art. 174 die öffentlich-rechtli­chen Religionsgesellschaften, „zur Regelung des Rechts ihrer Beamten und Seelsorger diesem Gesetz entsprechende Vorschriften zu erlassen“, also von ihnen auch den in § 4 vorge­sehenen Treueid zu verlangen. Von dieser „Ermächtigung“ haben zunächst die DC-Kirchen­regierun­gen von Thüringen und Mecklenburg Gebrauch gemacht. Daß sie das in der Absicht taten, da­durch – „der großen geschichtlichen Stunde“ und „einem inneren Befehl gehorchend“ – die freiwillige Einordnung der Kirche in die totale staatliche Gesetzgebungsge­walt zu doku­men­tieren, geht z.B. aus den Telegrammen hervor, mit denen Sasse-Thüringen den Vollzug der Vereidigung dem Führer und dem Kirchenminister „meldet“ (vgl. Junge Kirche 1938, S. 386). Werner folgte für Preußen nach, zweifellos in derselben Absicht. Durch diese Präze­denzfalle, also keineswegs durch einen direkten staatlichen Befehl veranlasst, hat nun der lutherische Rat die­selbe Maßnahme für die ihm angeschlossenen Kirchen beschlossen, und die betreffen­den Kir­chenre­gierungen haben die Absicht, in kürzester Frist entsprechende Gesetze zu erlassen. Was den Nichtschwörenden gegenüber geschehen soll, ist aus einer die­ser Kirchen bekannt: man will sie „seelsorgerlich“ zu beeinflussen suchen, bedauert aber, sie im Fall der Weigerung entlas­sen zu müssen.

Wir müßten es aufs Tiefste beklagen, wenn eine Maßnahme von so weittragender Bedeutung, welche geeignet ist, viele Gewissen zu vergewaltigen, und das umso mehr, als die Nichtbefol­gung den Verlust des Amtes nach sich zieht, ergriffen würde ohne die davon Betroffenen zu­vor zu befragen. Wir müßten für die Zerstörung der Kirche, die daraus folgen würde, die be­teiligten Kirchenregierungen voll und ganz verantwortlich machen.

Zur Sache selbst haben wir zu sagen:

1) Ausgangspunkt und Norm aller unserer Erwägungen über das rechte Handeln in der Kirche ist Gottes Wort. Das Neue Testament verbietet uns Christen, daß wir einander schwören: „Ich aber sage euch, daß ihr allerdings nicht schwören sollt … eure Rede aber sei Ja, ja, Nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“ (Matth. 5,34 ff). Ebenso Jak. 5,12: „Vor allen Dingen aber, meine Brüder, schwöret nicht … auf daß ihr nicht unter ein Gericht fallet“. Etwas Ande­res, diese Gebote Einschränkendes oder Ergänzendes steht nirgends! Wir, die wir nicht einmal über die Haare auf unserem Haupte Herr sind (Matth.5,36), können auch nicht für unsere Wahrhaftigkeit einstehen. Im Raum der Kirche steht nur Christus selbst für unsere Wahrhaf­tigkeit ein, der das ganze Gesetz uns zugut erfüllt hat. Legen wir uns selbst eine Menschensat­zung auf, so begeben wir uns unter das unerfüllte Gesetz, sind schon gerichtet und werden notwendig mit unsrem Schwören zu Heuchlern. Im Raum der Kirche herrscht nur jenes Ge­setz, das, wie FC V sagt, Christus in seine Hände nimmt und geistlich auslegt, mit dem also der Übertreter nicht gerichtet, sondern auf Christus allein als den Erfüller des Gesetzes und auf seine Vergebung gewiesen ist. Wo Christus der allein Wahrhaftige selbst herrscht, kann also nicht mehr jenes Gesetz herrschen, an dem wir sterben müssen.

Wo der Staat, der die Welt mit dem Gesetz regiert, uns durch sein Eidesverlangen auf dem Gebiet der politia, das dem weltlichen Regiment untersteht, unter sein Gesetz zwingen will, (vgl.CA XVI), da werden wir uns unter Umständen diese Anzweifelung unsrer Wahrhaftig­keit gefallen lassen und in der Solidarität der Schuld mitschwören. [2]

2) Im Blick auf dieses neutestamentliche Verbot des Eides in der Kirche war sich die Kirche der Reformation immer bewusst, daß die in ihr üblichen Gelübde, insbesondere das Ordina­tionsgelübde nichts mit „aufgelegten Eiden“ zu tun haben. Das Ordinationsgelübde wird nicht verlangt in Anzweifelung der Wahrhaftigkeit des Verpflichteten, um diesen damit zur Erfül­lung seiner Amtspflichten zu zwingen. In diesem bezeugt vielmehr der Verpflichtete vor der Gemeinde, daß er um seine Amtspflichten weiß, gewillt ist, diese in alleiniger Bindung an Gottes Wort auszuüben, wobei Gott nicht angerufen wird als Zeuge für die Wahrhaftigkeit meines Versprechens – „so wahr mir Gott helfe“ – sondern als Zeuge dafür, daß er allein mein Versprechen erfüllen kann, – „ja, mit Gottes Hilfe“. Die kirchenrechtliche Praxis hat freilich das Ordinationsgelübde dennoch oft genug in die Nähe des Eides gerückt, indem sie aus dem Gelübde, das dem Pfarrer selber in der Anfechtung helfen und der Kirchenleitung zur Ausü­bung der christlichen Parakiese dienen sollte, im kirchenrechtlichen Verfahren einen Fallstrick gemacht hat.

3) Man wird einwenden, daß das Schwören in unsrem Fall nur die sozusagen beamtenrechtli­che Seite unsres Daseins als Glieder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts betreffe; da­mit stünden wir – mindestens mit dieser Seite unsres Daseins – unter dem Recht des Staates. Hier ist festzuhalten, daß es diese Trennung, die der Trennung von Verwaltungsordnung und Verkündigung der Kirche entsprechen würde, nicht geben kann: entweder sind wir auch als öffentlich-rechtliche Körperschaft Kirche: dann hat alle in diesem Bereich notwendige Rechtsordnung nur insoweit Gültigkeit, als sie dem Evangelium dient und nicht ein geistliches Handeln nach dem Evangelium unmöglich macht. Oder aber wird die Kirche der öffentlich-rechtlichen Körperschaft geopfert und hört damit auf, Kirche zu sein. Hier gibt es wirklich nur ein Entweder-Oder, da es in der Kirche neben der potestas Jesu Christi die er durch sein Evan­gelium ausübt, keine andere potestas geben kann, die dann immer sofort von selbst zu einer potestas über derjenigen Christi werden muss, da die geistliche Gewalt gegen die rechtliche Gewalt ohnmächtig ist.

4) Wie in unserem Fall mit der Übernahme des Beamteneides in den Raum der Kirche Chri­stus durch das Gesetz und die Macht des Staates aus seiner Kirche vertrieben wird, ist augen­scheinlich: das Recht zur Ausübung des Predigtamtes ist nicht mehr gebunden allein an den Gehorsam gegen Gottes Wort, sondern an den Gehorsam gegen eine außerkirchliche Gewalt.

a) Das wäre schon unerträglich, wenn es sich dabei auch nur um den allgemeinen Gehorsam handeln würde, den der Pfarrer wie jeder andere Christ als Staatsbürger zu leisten hat. Damit, daß die Kirche diesen Gehorsam unter dem staatlichen Eid und als Exekutive der Staatsgewalt fordert, kann sie Übertretungen dieser Gehorsamspflicht nicht mehr geistlich nach dem Gesetz Christi richten, sondern sie hat das Richteramt dem Staat abgetreten, der die Übertretungen nach seinem eigenen Maßstab der „politischen Zuverlässigkeit“ beurteilt und der Kirche auch die Vergebung unmöglich macht. Die Kirche liefert damit ihr Schlüsselamt in dieser Sache an den Staat aus – und das in einem Augenblick, in welchem in Bezug auf den recht verstande­nen Gehorsam gegen die Obrigkeit zwischen ihr und dem Staat alle Fragen offen sind.

b) Das ist aber vollends unerträglich, wenn es sich um den speziellen Gehorsam des Beamten in Bezug auf „Gesetze“ und „Amtspflichten“ handelt. Die Kirche hat damit sowohl das geist­liche Gericht über die Einhaltung ihrer Gesetze im Einzelnen, als auch die geistliche Souverä­nität ihres Gesetzgebungsrechtes überhaupt preisgegeben und sich dem Geltungsbereich der staatlichen Gesetzgebungsgewalt unterstellt, indem sie die „Ermächtigung“ zur Vereidigung dem staatlichen [3] Beamtenrecht entnimmt. – Und das tut sie in einem Augenblick, in wel­chem sie um die Freiheit ihrer Ordnungen gegenüber der staatlichen Gesetzgebungsgewalt und um die untrennbare Verbundenheit ihrer Ordnung mit ihrer Verkündigung dem Staat gegenüber einen Existenzkampf führen muss.

c) Sobald das Beamtenrecht in die Kirche an einem Punkt eingedrungen ist, sind auch die Punkte mitbetroffen, in welchen das Beamtenrecht in seinen Einzelheiten dem Bekenntnis der Kirche offenkundig widerspricht (z.B. Arierparagraph in der Kirche, Führerprinzip usw.). Es hängt dann nur noch vom Staat ab, wieweit er jeweils in die „Selbstverwaltung“ der Kirche eingreifen will. Das ist aber alles nicht mehr entscheidend, nachdem schon die Anerkennung des staatlichen Beamtenrechtes in seinem Rechtsgrund durch die Übernahme des Beamten­eides praktisch über die Möglichkeit ein Pfarramt zu bekleiden, entscheidet.

5) Aus all dem folgt, daß es uns in der Kirche verwehrt ist, und zwar durch Schrift und Be­kenntnis verwehrt ist, den Körperschaftsbeamteneid zu fordern oder zu leisten. Es spielt dabei keine Rolle, ob die den Eid fordernde Kirchenleitung die Forderung erhebt, aufgrund ihrer vom Staat nicht bestrittenen oder der ihr verliehenen Legalität ihrer allgemeinen Leitungsbe­fugnis in der Kirche, oder ob sie für diese Aufgabe der Vereidigung besonders vom Staat beauftragt wird. Wir haben auch nicht danach zu fragen, ob die vereidigende Stelle ihre kir­chenleitende Tätigkeit schon bisher ausüben konnte, oder ob sie sich die Befugnis dazu erst durch die Vereidigung erwerben will. Es ist gleichgültig, ob es sich um eine kirchlich legitimierte oder kirchlich nicht legitimierte Kirchenleitung handelt.

6) Alle Verweise auf frühere Vorgänge haben nichts zu besagen, da die Frage offen ist, ob die Kirche in diesen Dingen früher richtig gehandelt hat – zumal angesichts der Folgen, die dieses frühere Vorhalten der Kirche heute über uns bringt.

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Eine ganz andere Frage ist, wie sich der Pfarrer in den Fällen zu verhalten hat, in denen er in irgendeiner staatbürgerlichen Eigenschaft, z.B. als Soldat, vereidigt werden soll «Hier ist er in derselben Lage wie die anderen Gemeindeglieder.

Eine Möglichkeit, die freilich zunächst nicht zur Debatte steht, wäre die, dass der Staat etwa in Anzweifelung unseres politischen Gehorsams eine Art „Unterteileneid“ von uns fordern würde. Wie das freilich geschehen sollte, ist unerfindlich, da der Staat die Beschwörung des bloßen Untertanengehorsams als solchen nicht kennt, sondern nur Vereidigung in Bezug auf konkrete von ihm übertragene Aufgaben, Für die Erfüllung unserer Amtsaufgaben dagegen können wir uns nicht wohl vom Staat vereidigen lassen, da er ein Aufsichtsrecht über unsre Amtsführung nicht ausüben und uns darum auch nicht darauf vereidigen kann.

Quelle: Landeskirchliches Archiv Stuttgart D1, 112. Abgedruckt in Gerhard Schäfer, Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus, Bd. 5: Babylo­nische Gefangenschaft 1937-1938, Stuttgart 1982, S. 984-989.

Hier das Gutachten als pdf.

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