Karl Steinbauers Brief an das Bezirksamt in Neu-Ulm vom Dezember 1938 in Sachen Verweigerung des Ariernachweises als Religionslehrer: „Nach dem Rassegesetz müßte der Herr Christus und seine Apostel vor den Schultüren ste­hen bleiben, wie auch meine Brüder nichtarischer Abstammung davor stehen bleiben müs­sen.“

Als Karl Steinbauer aufgefordert wurde, für seine Tätigkeit als Religionslehrer einen Ariernachweis zu erbringen, schrieb er im Dezember 1938 folgenden Brief an das Bezirksamt in Neu-Ulm:

Karl Steinbauer                                                                      Senden, den 3. Dezember 1938
evang.-luth. Pfarrer.

An das
Bezirksamt in Neu-Ulm

Betreff: Ariernachweis der Pfarrer als staatliche Religionslehrer.

Wiederholt bin ich vom Leiter der hiesigen evang.-luth. Bekenntnisschule auf Grund bezirks­amtlicher Weisung an die Erbringung meines Ariernachweises erinnert worden. Ich bin als Christ und Pfarrer nicht in der Lage, ihn in vorliegender Sache vorzulegen, weil ich durch die Bindung meines Gewissens an Gottes Wort daran gehindert bin. Ich darf gleich hinzufügen, daß ich ihn etwa bei Einberufung zur Wehrmacht oder irgendwelchen anderen, rein weltlichen Anlässen ohne weiteres erbringen würde, nicht aber dazu, meinen Dienst als ordinierter Predi­ger Jesu Christi an der Jugend auszurichten.

Zur Begründung kurz folgendes:

1. Innerhalb der Gemeinde und Kirche Jesu Christi ist die Einführung des Arierparagraphen unmöglich, weil wider Gott und Gottes Wort („Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; dem ihr seid allzumal einer in Christo Jesu“ Gal.3,28 oder 1.Kor. 12,13: „Wir sind durch einen Geist alle zu einem Leibe getauft, wir seien Juden oder Griechen, Knechte (Sklaven) oder Freie, und sind alle zu einem Geist getränkt.“ Dazu noch Eph. 4,3-6: „… seid fleißig zu halten die Einigkeit in Geist durch das Band des Friedens. Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung euerer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen“). Die Gemeinde und Kirche Jesu Chri­sti, die das wirklich ist und bleiben will, ist die Gemeinschaft, durch die auch im prak­tischen Handeln diese Einigkeit im Geist, wie darum im Geist und in der Wahrheit bezeugt werden muß, etwa auch in der Frage der Einführung und Praktizierung des Arierparagraphen inner­halb der Gemeinde und Kirche Jesu Christi.

2. Es gab eine Zeit, in der unser deutsches Volk sich als Volk und Staat so überwunden wußte von Jesus Christus dem einigen Gottes­sohn, daß sie ihn und seiner Botschaft und seiner Ge­meinde innerhalb seiner Grenzen freie Lebensentfaltung gewährte und rechtlich zuer­kannte. Von anher ist der Sinn des Rechtes der „Körperschaft öffentlichen Rechtes“ für die Kirche Jesu Christi eindeutig bestimmt.

3. Die Verleihung des „Körperschaftsrechtes“ an die Kirche ist der formalrechtliche Nieder­schlag und Ausdruck für die Tatsache, daß auch die Obrigkeit und der Staat den Predigtbefehl des auferstandenen und erhöhten Herren als das auch für sie geltend, oberste Gesetz anerken­nen und sich in Gehorsam darunter beugen. Es hat also mit anderen Worten den Sinn, daß die Obrigkeit sich selber verstan­den hat als solche, die sich überwunden weiß von Jesus Christus und deshalb seine Gemeinde und Kirche, zu deren Gläubigen auch sie ge­hören, in ihren Gren­zen leben lassen will im alleinigen Gehorsam gegen die letzten und obersten Gesetze, sie es für die Kirche gibt: Das Wort Gottes.

4. Obgleich dieses aufgezeigte ursprüngliche Selbstverständnis des Staates in seinem Verhält­nis zu Jesus Christus und seiner Gemeinde und Kirche auch in der früheren deutschen Ge­schichte nicht immer in dieser Weise vorhanden war, so übte die Obrigkeit doch Duldung (wenn etwa von den Zeiten der Gegenreformation abgesehen wird) ge­genüber der Kirche, daß sie leben durfte nach dem Worte Gottes. Heute wird es mehr und mehr deutlich, daß der Staat weder zur Duldung der Eigengesetzlichkeit der Kirche in ihrer alleinigen Bin­dung an Gottes Wort bereit sein wird, noch kann einer ernsthaft behaupten wollen, daß der heutige Staat in der oben aufgezeigten, ur­sprünglichen Selbstverständnis gegenüber Jesus Christus als dem Heiland der Welt stehe. Der Grund dafür, das muß offen gesagt wer­den, liegt in erster Linie darin, daß der Kirche selber in erschreckenden Umfang ihr eigenes Selbstverständnis verloren gegangen ist. Die Kirche hat als „Körperschaft öffentlichen Rechtes“ lange geruh­same Zeiten hinter sich und hat dabei weithin vergessen, daß das staatliche Körperschaftsrecht aber auch in gar keiner Hinsicht ihr Leben begründet, sichert oder sonstwie regelt und bestimmt, sondern eben nur der staatsrechtliche Niederschlag für die Tatsache ist, daß die Obrigkeit in deutschen Landen einstmals sich überwunden wußte von dem, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, und der aus dieser Vollmacht seine Boten zur Verkündigung seiner Frohbot­schaft und Verwaltung seiner Sakramente in alle Welt und allen Völker ausgesandt hat. Daher, daß die Kirche selber sich nicht in die­sem Sinne ganz allein wirklich als Kirche Jesu Christi verstanden hat, die das Recht und die Gewährleistung und Garantie ihres Lebens, ihrer Existenz allein beim Herrn der Kirche hat, der sitzt zur Rech­ten Gottes in Kraft, sondern in ihrem praktischen Handeln bis hinein in die jüngste Gegenwart immer wieder beschämend zum Ausdruck kommt, daß sie sich so verhält als lebe sie in Ernstfälle eben doch mehr von Wohlwollen und der Gnade von Menschen als vielmehr allein von ihren lebendigen erhöhten Herrn: Daher sage ich, mußte wohl beim Staat immer sehr der Eindruck entstehen, das Lebensrecht und Lebensgesetz der Kirche sei mehr oder weniger praktisch und tatsächlich im staatlichen Körperschaftsrecht begründet und werde von dorther geregelt und geord­net. (vergl. zum Ganzen den jüngsten Entwurf des Kirchenmisters zur Neugestaltung der DEK).

5. Der in Punkt 4 aufgezeigte Notstand wiederholt sich in kleinem Rahmen in der Frage der christlichen Unterweisung in den Schulen. Auch hier ist es so: Weil die Obrigkeit in deut­schen Landen sich vom Herrn Christus überwunden wußte und an ihn als ihren Herrn und Meister glaubte, wurde selbstverständlich auch die Schule, die ja rein ge­schichtlich aus der Kirche hervorgewachsen ist, auch als sie staat­liche Schule wurde, den Herrn Christus und seiner Gemeinde offen­gehalten, daß sie als solche auch in den Schulen das Evangelium ver­kündigen konnte. Wenn also ein Pfarrer in den staatlichen Schulen christlichen Unterricht erteilte, so tat er das in seiner Eigenschaft als ordinierter Prediger Jesu Christi. Und in dieser-Eigenschaft und nur in dieser war er, wenn man unbedingt so sagen will, staatlicher Lehrer.

6. Unter 1 ist erwiesen, daß die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche Jesu Christi unmöglich ist, weil wider Gottes Wort. Nun sagt man, auch innerhalb der Kirche: Gewiß, für die Kirche d.h. innerhalb der Kirche kann und darf der Arierparagraph (etwa auf die Pfarrer oder auch auf die Gemeindeglieder) nicht angewandt werden, so daß etwa die nicht- und halbarischen Pfarrer vor der Wortverkündi­gung bzw. von ihrem ganzen Amte ausgeschlossen würden; das ginge, wie gesagt, gegen das klare Wort Gottes. Aber, so sagt man, das ge­schehe hier ja gar nicht. Denn nicht die Kirche verlangt ja von dir als Pfarrer diesen Nachweis, son­dern der Staat verlangt ihn von dir in deiner „Eigenschaft als staatlicher Religionslehrer.“ – Wer glaubt, solche Gedankengänge in Lauterkeit denken zu können und zu dürfen, wer solche Existenzwandlungen zwischen ordinierten Prediger Jesu Chri­sti und „staatlichem Religions­lehrer“ oder besser Existenzaufteilung glaubt vollziehen zu können ohne Verletzung, seines ans Wort Gottes gebundenen Gewissens, der möge es tun. Ich habe den Mut nicht dazu. Ich war bisher nicht „staatlicher Religionslehrer“, sondern habe in Einverständnis des Staates an staatlichen, noch dazu evang.-luth. bzw. kath. Bekenntnisschulen als ordinierter Prediger Jesu Christi die biblische Botschaft alten und neuen Testamentes verkündigt und werde dies auch weiter tun, wenn ich es tun kann und darf, eben als ordinierter Pre­diger Jesu Christi, oder ich werde es eben in den staatlichen Schulen nicht mehr tun können.

7. Hat denn der Staat nicht das Recht dazu, von den „staatlichen Religionslehrern“ den Arier­nachweis zu verlangen. Selbstverständlich hat er das Recht dazu (wobei die Kirche ihm sagen muß, daß er sein Recht von Gott! hat und ihm über Gebrauch und Mißbrauch wird Rechen­schaft gehen müssen). Aber ein Staat, der solches von einen Prediger Jesu Christi fordert, zeigt, daß er sich nicht mehr überwunden weiß von dem Herrn Christus und auch nicht mehr seinem Wort als oberstem Gesetz sich zu beugen gewillt ist, sondern vielmehr die Kirche Jesu Christi unter seine absolute Rassenlehre als oberste Norm zwingen will. Ein ordinierter Pred­iger Jesu Christi, der unter solcher Rassendoktrin sich beugen läßt, wird zusehen müssen, ob er nicht seine Existenz als ordinierter Prediger Jesu Christi aufgegeben und verloren hat und dafür die Existenz eines „staatlichen Religionslehrers“ eingetauscht hat. Und eine Kirche, die einen Staate gegenüber, der nach einer absolut gesetzten Weltanschauung lebt, nicht im prak­tischen Handeln das Wort Gottes als oberstes Gesetz bezeugt, wird zusehen müssen, daß sie nicht eines Tages ihre Existenz als Kirche Jesu Christi verloren hat und die Existenz einer „Staatskirche“ dagegen eingetauscht hat. Solches Handeln der Kirche wäre nicht nur Versün­digung gegen Gott, den Vater unseres Herrn Jesu Christi, sondern auch gegen die Welt, der sie die Bezeugung des Rechtes Gottes an die Welt in Wort und Tat schuldig ge­blieben wäre.

8. Nach dem Rassegesetz müßte der Herr Christus und seine Apostel vor den Schultüren ste­hen bleiben, wie auch meine Brüder nichtarischer Abstammung davor stehen bleiben müs­sen; ich will lieber mit meinem Herrn und seinen Aposteln und meinen Brüdern in Christo vor den Schultüren stehen, als ohne sie drinnen. Daß dies seine tiefe Begründung hat, kann einer, der aufs Wort Gottes hören will und kann, schon aus dem unter 1 Gesagten lesen.

gez. K. Steinbauer
evang.-luth. Pfarrer

Quelle: Karl Steinbauer, Einander das Zeugnis gönnen, Bd. 3, Erlangen 1985, S. 201-204.

Hier Steinbauers Brief als pdf.

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