Über die Anfänge Evangelischer Akademien im Nationalsozialismus
So wird die Ursprungsgeschichte der Evangelischen Akademien in Deutschland gemeinhin erzählt:
„Die Evangelischen Akademien entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg u. a. als Antwort auf die Zerstörung des Geistes und den Vertrauensbruch staatlicher Macht während der Zeit des Nationalsozialismus. Sie gingen aus einer Laienbewegung hervor. Als erste Evangelische Akademie wurde am 29. September 1945 die Evangelische Akademie Bad Boll durch Eberhard Müller und Landesbischof Theophil Wurm gegründet.“ (wikipedia)
Was dabei ausgelassen wird ist die Vorgeschichte. Schon 1933/34 existierten im Rheinland und in Westfalen Evangelische Akademien, unter anderem in Aachen, Bonn, Düsseldorf und Essen, die mit staatlicher Unterstützung von den nationalsozialistisch gesinnten „Deutschen Christen“ gegründet wurden.
So schrieb der Bevollmächtigte des preußischen Staatskommissars für die evangelische Kirche der Rheinprovinz und Westfalens, der Gummersbacher Landrat Dr. Gottfried Krummacher, am 10. Juli. 1933 an den Rektor der Kölner Universität, Prof. Dr. Ernst Leupold, Köln:
„Eurer Magnifizenz teile ich ergebenst mit, dass ich im Einverständnis mit dem Herrn preuss. Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung [Bernhard Rust], beabsichtige an allen Universitäten Rheinlands und Westfalens evangelische Akademien einzurichten. Die Kölner evgl. Akademie soll als Vorbild für die weiter noch einzurichtenden Akademien dienen und am 23. Juli ds. Jhrs. durch den Vertrauensmann des Reichskanzlers, Herrn Wehrkreispfarrer Müller feierlich eröffnet werden. Die Leitung der rheinischen Akademien habe ich Herrn Dr. D. Forsthoff, Mühlheim Ruhr und die der Kölner Akademie Herrn Pfarrer Köhler Köln übertragen ….“[1]
Im Kirchlichen Amtsblatt der Rheinprovinz wurde dazu verlautet:
„Die Evang. Akademien haben sich zur Aufgabe gesetzt, nicht in erster Linie dem intellektuellen Anliegen der wahllosen Wissensbereicherung zu dienen […], sondern vor allem eine bestimmt wesenhafte Haltung im Leben und dem Leben gegenüber zu festigen und zu vertiefen. Die hier gemeinte Haltung ist die des Evangelischen Glaubens im Sinne der deutschen Reformation und des politischen Willens der nationalsozialistischen Bewegung, d. h. des neuen deutschen Volksstaates.“[2]
In der Ankündigung der Gründung einer Evangelischen Akademie in Bochum vom September 1933 hieß es:
„Es kommt darauf an, weiteste Kreise unseres evangelischen Volkes mit evangelischem Glaubensgut zu durchdringen und zu festigen. Jeder evangelische Volksgenosse soll wieder bewußt zum Träger des Evangeliums werden, um so nach dem Willen des Führers die letzten und tiefsten Werte für das Leben unseres Volkes in sich zu tragen. Deshalb hat die Glaubensbewegung Deutsche Christen nunmehr die Errichtung von evangelischen Akademien beschlossen, die in den größeren Städten unserer Provinz, in Bielefeld, Münster, Bochum, Hagen, Dortmund und Siegen ihren Sitz haben werden. Auf diesen Akademien sollen durch Einzelvorträge und Arbeitsgemeinschaften die Grundlagen für diese volksmissionarischen Aufgaben gelegt werden. Jeder evangelische Volksgenosse kann Hörer einer Akademie werden. Das Beleggeld für die Vorträge bzw. Arbeitsgemeinschaften ist so gering gehalten, daß sich jeder daran beteiligen kann. Die Errichtung der Akademien geht zurück auf einen Wunsch des Kultusministers Rust, der will, daß jeder Volksgenosse nicht nur auf seinem Fachgebiet Bescheid weiß, sondern auch etwas weiß von den großen Fragen evangelischen Glaubens und Lebens, ohne die auf die Dauer kein gesundes Volksleben möglich ist. Die Leitung der gesamten Arbeit liegt in den Händen von Pfarrer Dr. Klein (Plettenberg). Zum Direktor der hiesigen Akademie wurde Pfarrer Lic. Dr. Siebold (Bochum) bestimmt.“[3]
Bei der Eröffnung der Bochumer Evangelischen Akademie am 14. November 1933 in den Räumlichkeiten der örtlichen Verwaltungsakademie sagte der westfälische Leiter der Evangelischen Akademien, Pfarrer Dr. Otto Klein aus Plettenberg in seiner Rede laut Zeitungsbericht:
„Atheismus, Liberalismus, Individualismus, Materialismus seien vergangen. Das Alte sei vergangen, das Neue komme herauf. Es habe ganz andere Begriffe sogar vom Leben und Sterben und greife tief ein in das Volksleben. Ein Zeitalter der Tat breche an, in dem der einzelne für das Volksganze zu stehen habe. Der Nationalsozialismus bedeute eine neue, große, deutsche Reformation. Eine Umwälzung, wie sie vor fast 2000 Jahren geistig durch Christus für die Welt eingeleitet wurde, wie sie Luther in Deutschland heraufführte, als er das Evangelium neu errang für seine Deutschen. Das deutsche Volk stehe jetzt unter Hitler vor einer großen evangelischen Aktion, die aber nichts zu tun habe mit konfessionellem Streit oder irgendwelchem Ämterschacher, sondern ihre Kraft und Bedeutung nehme allein aus dem Evangelium. Die Evangelischen Akademien sollen nichts zu tun haben mit dialektischer Theologie, auch nichts mit Wissenschaft, sondern nur mit dem tätigen Glauben, nur mit dem praktischen Leben. Ein Christ sein und zur irdischen Glückseligkeit kommen könne man auch ohne Wissenschaft und sogar auch ohne Theologie, nur durch den Glauben. (Lautes Bravo.) Zu solcher Arbeit gebe Gott sein Vollbringen.“[4]
Folgerichtig hieß das Thema des ersten Vortrags am 28. November 1933 in der Evangelischen Akademie in Bochum: „Der evangelische Mensch im nationalsozialistischen Staat“. Er wurde vom Studentenpfarrer aus Münster Lic. Wilhelm Lotz gehalten.
In der Evangelischen Akademie an der Uni Köln wurden zwischen November 1933 und Februar 1934 13 Veranstaltungen durchgeführt, unter anderem mit folgenden Vorträgen[5]:
3. November: Pfr. D. Dr. Heinrich Forsthoff, Wissenschaft und Leben
24. November: Prof. Pfr. Tiesler, Der evangelische Glaube und der Nationalsozialismus
1. Dezember: Bürgermeister Dr. med. Coerper, Der christliche Glaube und die Rassehygiene
15. Dezember: Oberinspektor Glarner, Der evangelische Mensch im nationalsozialistischen Staat
26. Januar: Bischof Dr. Oberheid, Wirtschaft und Technik im Lichte evangelischen Glaubens
16. Februar: Pfr. Grünagel, Werdegang Luthers und seine Bedeutung für das deutsche Volk.
Der letzte Vortrag von Pfarrer Friedrich Grünagel im Februar in Köln trug den Titel „Das Ärgernis des Alten Testaments“.
Die deutsch-christlich betriebenen Evangelischen Akademien hatten nur eine kurze Wirkungszeit. Nach der berüchtigten Rede des „Gau-Obmann“ der Deutschen Christen für Groß-Berlin, Studienassessor Reinhold Krause am 13. November 1933 im Berliner Sportpalast verloren die Deutschen Christen in kirchlichen Kreise an Einfluss. Zugleich wurden öffentliche Veranstaltungen immer stärker auf nationalsozialistische Organisationen beschränkt. So endeten die Vortragsreihen der Evangelischen Akademien bereits in der ersten Jahreshälfte 1934.
Da wird dann deutlich, dass die Neugründungen der Evangelischen Akademien nach dem 2. Weltkrieg eines anderen Geistes Kind sind. So schrieb Eberhard Müller in seinem Lexikonartikel „Akademien, Evangelische“ im Evangelischen Soziallexikon von 1954:
Ihre Zielsetzung knüpft an bei der ursprünglichen Bedeutung, die die Akademie Platos hatte, also bei jener Stätte des kultivierten geistigen Gesprächs, das einst in einem dem Gott Academos gewidmeten Hain gepflegt wurde. Die Wahrheit über das Wesen der Dinge, der Menschen und Gottes im gemeinsamen Gespräch zu ergründen,war das Ziel jener Gespräche und ist letztlich auch das Ziel der Evangelische Akademien. Die Evangelische Akademien wollen also nicht die zu ihnen kommenden Menschen einseitig von einer vorgefaßten Meinung aus belehren. Sie wollen vielmehr ein Gespräch zwischen Kirche und Welt vermitteln, das gegenseitig zu neuer Erkenntnis befruchtet. Der Leiterkreis der Evangelische Akademien in Deutschland, in dem die Studienleiter der 15 bisher bestehenden Evangelische Akademien zusammengeschlossen sind, hat die Zielsetzung seiner Arbeit in seinen Satzungen wie folgt definiert: „Die Evangelische Akademien sind Stätten des Gesprächs, der Besinnung und der Forschung. Sie dienen dem Ziele, dem modernen Menschen in den Fragen seines Alltags zu begegnen, diese im Licht des Evangeliums einer Klärung näherzuführen und so die Einheit des Lebens in der Freiheit des Evangeliums zu bezeugen. Mit diesem Ziel halten sie Tagungen und sonstige Veranstaltungen ab, die ein freies Gespräch und ein Bezeugen des Evangeliums gleichermaßen ermöglichen. Diese Arbeit wird fortgesetzt und vertieft in verschiedenartigen Arbeitsgemeinschaften und örtlichen Gruppen sowie in literarischen Veröffentlichungen. Die Evangelische Akademien müssen offen sein für Menschen aller Gesellschaftsgruppen sowie aller politischen und kirchlichen Richtungen. Darum muß die Akademiearbeit innerlich und äußerlich von allen einseitigen politischen, wissenschaftlichen oder kirchenpol. Bindungen unabhängig bleiben.“
[1] Zitiert nach: Marten Marquart, Ein dunkles Kapitel aus der Vorgeschichte der ev. Stadtakademie Köln, S. 1.
[2] KABl der Rheinprovinz Nr. 34, 1933, S. 111.
[3] Zitiert nach: Günter Brakelmann, Hans Ehrenberg. Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland, Bd. 2, Waltrop 1999, S. 55.
[4] Zitiert nach: Günter Brakelmann, Hans Ehrenberg. Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland, Bd. 2, Waltrop 1999, S. 56.
[5] Marten Marquardt, Ein dunkles Kapitel aus der Vorgeschichte der ev. Stadtakademie Köln, S. 3.