„In der Kirche der Reformation sind Einheit ohne Wahrheit und Füh­rung ohne eigenen Gehorsam Sünde“ – Die Erklärung „Bekenntnis und Verfassung in den evangelischen Kirchen“ vom Mai 1934

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Hans von Soden (1881-1945)

Gegen die Einführung eines diktatorischen Führerprinzips bzw. die ideologische Gleich­schaltung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) haben sich kurz vor der Barmer Synode 35 Theologieprofessoren mit einer gemeinsamen Stellungnahme gewandt. Federführend war hierzu der Marburger Professor für Kirchengeschichte und Neues Testament Hans von Soden (mit einigen Ergänzungen von Heinrich Schlier), der auch den Druck und die Versendung organisierte:

Bekenntnis und Verfassung in den evangelischen Kirchen.

Wir unterzeichneten Lehrer der Theologie halten es für die unabweisbare Pflicht unseres Am­tes, gegen den von der derzeitigen Kirchenregierung eingeschlagenen Weg der Neuord­nung der Deutschen Evangelischen Kirche Einspruch zu erheben. Wir weisen darauf hin, daß die Hl. Schrift und die reformatorischen Bekennt­nisse auch in den Fragen der Ordnung der Kirche Beachtung fordern. Wir er­klären, daß sowohl nach lutherischem wie nach reformier­tem Glauben folgende Grundsätze bei der Neuordnung der Kirche festgehalten werden müs­sen:

I.

Die Verfassung der Kirche hat wie die Ordnung des Gottesdienstes und des geistlichen Le­bens der Kirche insofern eine unablösbare Beziehung zu Schrift und Bekenntnis, als ihr die Aufgabe zukommt, das kirchliche Handeln, in des­sen Mitte die Verkündigung des Wortes Gottes steht, zu schützen und zu för­dern, wobei sie in ihrer positiv-rechtlichen Gestaltung nicht einfürallemal durch Schrift und Bekenntnis festgelegt ist. Es geht somit nicht an, eine »be­kenntnismäßige Bindung der Kirchenordnung« nur für »gewisse reformierte Gruppen« zuzugestehen, und es ist in der gegenwärtigen Lage ohne praktische Bedeutung, wenn luthe­rische und reformierte Lehre über die Maßgeblichkeit der urchristlichen Verfassungsbildung im apostolischen Zeitalter verschieden urteilen. Deshalb muß nach allgemein reformatori­schen Grundsätzen die Kirche zu jeder Zeit allein nach den Gesichtspunkten geordnet und verfaßt werden, die sich aus dem Gedanken des Schutzes und der Förderung des kirchlichen Handelns ergeben (CA VII; FC ep. X 4, Sol. Decl. X 9). Die Rede, daß die »äußere Ordnung der Kirche« mit Glauben und Bekenntnis nichts zu tun habe, führt nicht weniger irre als das Urteil, daß »der Kampf um die äußere Ordnung« nicht »mit geistlichen Argumenten ausge­fochten« werden dürfe. Der Versuch, der Kirche eine rein formal-politische »Einheit« aufzu­zwingen, führt nicht zur »einheitlichen Zusammenstellung aller vorhandenen Energien«, son­dern zerstört die Kirche nicht weniger als das Bestreben, sie von einer bürokra­tisch-juristi­schen Zentrale leiten und bewahren zu lassen.

Wie wenig im übrigen selbst diese selbstgewählte Grenze zwischen »äuße­rer« Ordnung und innerem Glaubens- und Bekenntnisstand der Gemeinde auf die Dauer beachtet werden dürfte, verraten die verschiedenen Ankündigungen reichsbischöflicher Eingriffe in die durch die Ver­fassung der Deutschen Evan­gelischen Kirche den Landeskirchen gewährleistete Selbständig­keit im Kultus (reichsbischöfliche Einführung eines Einheitsgesangbuches und einer Einheits­liturgie).

II.

Die Kirche hat nach reformatorischem Bekenntnis nur eine Aufgabe: das Evangelium zu ver­kündigen. Der Staat hat nach reformatorischem Bekenntnis nur eine Aufgabe: die irdische Ordnung zu bewahren und zu pflegen. Des­halb ist zwischen Kirche und Staat – um des Wohles der Kirche und des Staates willen – eine klare Unterscheidung der Aufgaben und des Zieles, aber auch der Mittel, sie durchzusetzen, nach reformatorischem Glauben festzuhalten (CA XVIII). Das schließt nicht aus, sondern ein, daß die Kirche dem Staat den ganzen schul­digen Gehorsam als der weltlichen Obrigkeit in Sachen der Obrigkeit leistet, und daß der Staat der in diesem Sinne gehorsamen Kirche ihre Verfassung rechtlich garantiert. Das schließt aber aus, daß die »starke in­nere Verbundenheit zwischen Staat und Kirche« dahin verstanden wird, daß die Kirche die Weltanschauung des Staates und der Partei zu verkünden habe, und daß die Verfassung der Kirche den Formen des Staates anzugleichen sei. Die Kir­che ist nicht die Stätte politischer Propaganda, sowenig wie die Stätte politischer Opposition, sondern die Stätte der reinen und Gott verantwort­lichen Verkündigung des Wortes Gottes an das Volk, das sich zum Evangelium bekennt.

III.

Sowohl nach reformierter als auch nach lutherischer Lehre wird die Kirchen­gewalt auf Erden durch die Gemeinde der Kirche Jesu Christi ausgeübt, in dessen Dienst sie einzelne zu Äm­tern beruft (Ap. Conf. XIII, 12; Art. Smalc. Tract. 67. 72; vgl. 24). Sie hat daher auf Grund des allgemeinen Priester­tums der Gläubigen die Pflicht, beim Versagen der Amtsträger selbst einzu­greifen (CA XVIII, 23; Art. Smalc. Tract. 66. 67; M. Luther, Daß eine christliche Ver­sammlung oder Gemeine Recht oder Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu beru­fen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursach aus der Schrift 1523; Von den Konziliis und Kir­chen 1539). Die Gemeinde aber und das geistliche Amt, innerhalb dessen es keinen grundsätz­lichen Unterschied zwischen Bischöfen, Pfarrern und anderen Amtsträgern gibt (Art. Smalc. II, art. 4; Tract. 61-66), sind in allem Urteilen und Handeln an die Hl. Schrift gebunden (Ap. Conf. XXVIII, 20), die die entscheidende Instanz in der Kirche darstellt (FC. Ep. u. Sol. Decl.: Von dem summarischen Begriff, Regel und Richtschnur …).

In der evangelischen Kirche ist deshalb das Führerprinzip ein Schrift- und bekenntniswidriges Prinzip, das bisher noch nie in ihr anerkannt worden ist; es ist untragbar, daß kraft dieses Prin­zips die Kirche nach dem absoluten, nur sich selbst verantwortlichen, jeden Einspruch, selbst wenn er auf Grund der klaren Worte der Hl. Schrift und des Bekenntnisses erhoben wird, nie­der­schlagenden Willen des Reichsbischofs regiert werden soll. Luther und Calvin waren ge­wiß die geistlichen Führer in der Kirche ihrer Zeit, aber gerade sie haben niemals aus der Ga­be und aus der tatsächlichen Stellung ein Prinzip ge­macht, das sich in der »äußeren« Ordnung »auswirken« und ein Amt begrün­den soll.

Die verhängnisvollen Folgen eines solchen ungeistlichen Führerprinzips wer­den bereits sicht­bar:

  1. Unter ihm werden vielen Gemeinden Prediger, die in Verantwortung ge­gen Amt und Ge­meinde für die Geltung von Bekenntnis und Ordnung der Kirche eingetreten sind, ohne geord­netes Verfahren durch das Gutdünken des Reichsbischofs genommen.
  2. Die freie öffentliche Aussprache in Presse und Versammlung über den christlichen Glauben und seine Auswirkung auf die Ordnung der Kirche wird Gemeinden und Pfarrern als Unbot­mäßigkeit verboten und z. T. mit Hilfe weltlicher Gewalt zu unterbinden versucht. Auch Got­tesdienste, die der Stärkung der Gemeinde im Bekenntnis dienen sollten, hat man ver­hindert und dem Kirchenvolk die Kirche gesperrt. Es geht nicht an, von unangetasteter Freiheit des Glaubens und Bekennens zu reden, wenn Ge­meinden und Pfarrer unter die ungeistliche Dik­tatur einer säkularisierten Hierarchie gestellt und wenn notgedrungene Beschwerden über Irr­lehre und Gewalt als »Auflehnung gegen die notwendige äußere Ordnung« der Kirche geahn­det werden.
  3. Sogar das in der Kirchenordnung gesetzte Recht als solches wird von den Trägern des Kir­chenregimentes, die zu seinen Hütern bestellt sind, nicht gehalten, sondern gebrochen. Es tut der Ehre der evangelischen Kirche, in der alles ehrbar und ordentlich zugehen soll, Abbruch, wenn staatliche Gerichte und juristische Gutachten den Anordnungen des Reichsbischofs die Rechtsgrundlage absprechen müssen. Die Wiederherstellung des von der Reichsregierung bestätigten und verbürgten Rechtes der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 14. Juli 1933 erscheint daher als erste Bedingung für eine Befriedigung der evangelischen Kirche.

Umfassender Zusammenschluß und verantwortliche Führung der Deutschen Evangelischen Kirche sind durch den Evangelischen Grundsatz des an die Schrift gebundenen allgemeinen Priestertums und der darauf gegründeten Ver­antwortung der Gemeinde und der Amtsträger keineswegs ausgeschlossen. Sie haben aber dadurch ihre echte Vollmacht zu erweisen, daß sie bei den Ver­bundenen und Geführten den Gehorsam des Vertrauens und der gewissens­mäßi­gen Überzeugung finden. In der Kirche der Reformation sind Einheit ohne Wahrheit und Füh­rung ohne eigenen Gehorsam Sünde. Wo es zum Be­kenntnis und Ärgernis geht, gilt nicht Freiheit, sondern Entscheidung: Nihil est adiaphoron in casu confessionis vel scandali.

Den 23. Mai 1934

Barth, Bonn, Begrich, Leipzig, Bornhäuser, Marburg, Bultmann, Marburg, Deissmann, Ber­lin, Deissner, Greifswald, Fitzer, Breslau, von der Goltz, Greifswald, Günther, Mar­burg, Her­mann, Greifswald, Hölscher, Bonn, Horst, Bonn, Jeremias, Greifswald, Jüli­cher, Marburg, Lietzmann, Berlin, Lütgert, Berlin, Lohmeyer, Breslau, Maurer, Mar­burg, Mulert, Kiel, Noth, Königsberg, Schaeder, Breslau, Schlier, Marburg, Schmidt, Kiel, Schmitz, Münster, Schnie­wind, Königsberg, Schultze, Greifswald, Schulz, Kiel, Schu­ster, Hannover, Sellin, Berlin, Sippell, Marburg, von Soden, Marburg, Strath­mann, Erlangen, Weber, Bonn, Wolf, Bonn, Zscharnack, Königsberg.

Quelle: K. D. Schmidt (Hrsg.), Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchenfrage, Bd. 2: Das Jahr 1934, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1935, S. 81-83.

Hier der Text als pdf.

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