Elisabeth Schmitz, Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ von 1935/36 (vollständiger Text): „Einer Judenverfolgung im Namen von Blut und Rasse muss eine Christenverfolgung notwendigerweise folgen.“

Im Sommer 1935 wurde der Bekennende Kirche sowohl vom Völkischen Beobachter wie auch vom Stürmer vorgeworfen, dass sie die nationalsozialistische Rassenlehre unterlaufe. Eine Stürmer-Karikatur vom August 1935 zeigte Pfarrer der Bekennenden Kirche kniend vor einem auf dem Thron sitzenden Juden. Für die Mitte September vorgesehene dritte altpreußische Bekenntnissynode erbat der Präses der Bekenntnissynode Berlin-Brandenburg Stellungnahmen und Material bezüglich „der Auswirkung der durch den ‚Stürmer‘ und andere ähnliche Organe hervorgerufenen Angriffe gegen die Bekennende Kirche inbezug auf ihre Einstellung zum Judentum“. Daraufhin verfasste Elisabeth Schmitz (1893-1977), Lehrerin an der Auguste-Sprengel-Schule in Berlin-Lankwitz, eine eigene Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, die sie wohl am 5. September ihrem Gemeindepfarrer Gerhard Jacobi an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin-Charlottenburg übergab.[1] Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde ihre Denkschrift auf der Synode vom 23. bis 26. September in Berlin-Steglitz nicht berücksichtigt, da die Synode keine Stellungnahme zur „Judenfrage“ im Allgemeinen – also die Diskriminierung von Juden im öffentlichen Leben und deren staatliche Verfolgung – beabsichtigte. Elisabeth Schmitz versuchte im Frühjahr 1936 noch einmal mit ihrer um einen Nachtrag ergänzten Denkschrift die Leitung der Bekennenden Kirche zu einer kirchlichen Stellungnahme zugunsten der verfolgten Juden zu bewegen, was jedoch vergeblich blieb. Rückblickend schrieb sie dazu im März 1947 in ihrem Gesuch an den Regierungspräsidenten in Wiesbaden zwecks Übernahme in den Schuldienst Groß-Hessens Folgendes:

„Ich habe die Denkschrift eigenhändig in 200 Exemplaren abgezogen und … der 2. Vorläufi­gen Leitung“ der Bekennenden Kirche, den Landes- und Provinzialbruderräten, soweit ich Beziehung zu ihnen herstellen konnte (Altpreußen, Kurhessen, Frankfurt/M., Nassau/Hes­sen, Berlin, Brandenburg, die altpreußischen Provinzen, die Württembergische Sozietät), und einigen einflußreichen Einzelpersönlichkeiten der BK zugestellt. Ich wollte mit dieser Schrift aufklären über die Lage der Nichtarier, die damals (1935/36) weitgehend unbekannt war, und dadurch die BK rufen zu ihrem Amt und zum Widerstand gegen die antichristlichen Maßnah­men des Staates.“

Während die Bekennende Kirche nur dem Status getaufter Juden innerhalb der Kirche ihr Augenmerk schenkte, benennt Schmitz in ihrer Denkschrift konsequent und mit einem klaren Urteilsvermögen die Ausgrenzung und Verfolgung von Juden in der Gesellschaft. Sie selbst hatte schon am 1. Oktober 1933 Martha Kassel, eine Ärztin jüdischer Herkunft, bei sich in der eigenen Wohnung aufgenommen, nachdem diese ihre Kassenzulassung und damit ihre Existenzgrundlage verloren hatte. Während des Zweiten Weltkriegs beherbergte sie wiederholt mittellose und jüdischstämmige Menschen in ihren Räumlichkeiten in Berlin.

Die Denkschrift umfasst drei Teile: Im ersten Teil dokumentiert Schmitz anhand von erschütternden Beispielen „die innere Not“: (1) „Aufhetzung der öffentlichen Meinung“ und (2) ihre Folgen, besonders für (3) die Kinder und (4) die Ehe. Im zweiten Teil beschreibt sie „die äußere Not“: (1) „die Existenzfrage“, (2) „das Wehrgesetz“ und (3) „die Schule“. Dabei bringt sie die Mitverantwortung von Christen und das Schweigen der Kirchen zur Sprache. Im dritten Teil wendet sie sich ausführlich der „Stellung der Kirche“ zur NS-Rassenverfolgung zu und findet hierfür eindrückliche Worte:

Zur Lage der deutschen Nichtarier. Eine Denkschrift[1]

Von Elisabeth Schmitz

I

Die folgende Zusammenstellung kann nur ein Versuch sein, an ein paar zufälligen Punkten etwas Licht fallen zu lassen auf die furchtbare Tragödie, die sich seit drei Jahren in unserer Mitte vollzieht, und von der die Allge­meinheit – dank der lückenlosen Abschnürung der Presse – sehr wenig weiß. Die Schrift wurde im September 35 abgeschlossen, kurz vor Erlaß der Nürnberger Gesetze. Es sind deshalb in einem Nachtrag einige Folgen dieser Gesetze kurz angegeben, Folgen, die einen erschütternden Beweis erbringen für die unheimlich schnelle Entwicklung der Dinge. Manches, was sich selbst damals noch verhältnismäßig schüchtern nur an die Öffent­lichkeit wagte – „Rassenschande“ – ist längst gesetzlich verankert und all­gemeiner Sprachgebrauch.

Damals, vor der Steglitzer Synode[2] bestand die leise Hoffnung, die von vielen Gliedern der BK auf das dringendste geteilt wurde, daß die Kirche – spät, viel zu spät, aber immer noch besser zu spät als gar nicht – ein Wort in dieser Sache spreche. Denn für die Kirche handelt es sich nicht um eine Tragödie, die sich vollzieht, sondern um die Sünde unseres Volkes, und da wir Glieder dieses Volkes sind und vor Gott verantwortlich für dieses unser Volk, um unsere Sünde.

Die Kirche hat dies Wort bis heute nicht gefunden.

Heute kommen wir von Karfreitag und Ostern her. Wir getrosten uns dessen, daß der Herr der Kirche die Sünde der Welt getragen hat. Aber dürfen wir das, die wir sehenden Auges jeden Tag aufs neue mit Ketten uns hineinschmieden lassen in diese Sünde unseres Volkes, ohne uns zu weh­ren? Auch die Kirche kann in keinem Augenblick anders leben als aus der Verge­bung der Sünde. Wie aber will sie auf Vergebung hoffen, wenn sie Tag für Tag ihre Glieder in dieser verzweifelten Not im Stich läßt, der Verhöhnung aller Gebote Gottes zusieht, ja die öffentliche Sünde nicht einmal zu bekennen wagt, sondern – schweigt? [192]

II

Inhalt

Zur Lage der deutschen Nichtarier

  1. Die innere Not                                                                            S. 1
  2. Die Aufhetzung der öffentlichen Meinung                            S. 1
  3. Die Folgen der Verhetzung                                                   S. 4
  4. Die Lage der Kinder                                                             S. 6
  5. Die Ehe                                                                                  S. 7
  6. Die äußere Not                                                                           S. 8
  7. Die Existenzfrage                                                                   S. 8
  8. Die Berufsnot                                                                     S. 8
  9. Der Boykott                                                                       S. 10
  10. Bedeutung dieser Maßnahmen                                          S. 11
  11. Das Wehrgesetz                                                                     S. 12
  12. Die Schule                                                                              S. 13
  13. Die Stellung der Kirche                                                             S. 13

Nachtrag                                                                                            S. 16

Folgen der Nürnberger Gesetze                                                        S. 16

Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre S. 16

Ehe                                                                                                     S. 17

Hausangestellten-Paragraph                                                              S. 17

Reichsbürgergesetz                                                                            S. 17

Erziehung                                                                                          S. 18

Schule                                                                                                S. 19

Folgen für die Kinder                                                                        S. 19

Arierparagraph in der Wirtschaft                                                      S. 20

Winterhilfe                                                                                        S. 21

Ausländische Hilfsmaßnahmen                                                         S. 22

Statistisches                                                                                       S. 23 [193]

Zur Lage der deutschen Nichtarier

In dem „Wort an die Obrigkeit“ der Augsburger Bekenntnissynode[3] steht der Satz: „Wir müs­sen aber mit ehrerbietigem Ernst darauf hinweisen, daß Gehorsam im Widerspruch gegen Gottes Gebot nicht geleistet werden darf.“

Aus der Weltanschauung aber, die auf dem Mythos von Blut und Rasse beruht, und die die Grundlage des heutigen Staates, seiner Gesetze und gesamten Lebensäußerungen bildet, steigt in unzähligen Gestalten die Ver­suchung, ja die Forderung zum Ungehorsam gegen Gottes Gebote auf.

Es gibt einzelne Gebiete des staatlichen Lebens, die wir vor andern mit angstvoller Sorge be­trachten, da in ihrer gesetzlichen Regelung die Verlet­zung der Gebote konstitutiv enthalten ist.

Aus diesen Gebieten sei hier die Ariergesetzgebung und der ganze, mit ihr in Zusammenhang stehende Bereich herausgegriffen.

Vor nunmehr bald 2 1/2 Jahren ist eine schwere Verfolgung hereinge­brochen über einen Teil unseres Volkes um seiner Abstammung willen, auch über einen Teil unserer Gemeindeglie­der. Die unsagbare äußere und wohl noch größere innere Not, die diese Verfolgung über die Betroffenen bringt, ist weithin unbekannt und damit auch die Größe der Schuld, die das deut­sche Volk auf sich lädt.

  1. Die innere Not

1. Aufhetzung der öffentlichen Meinung

Im Namen von Blut und Rasse wird seit stark zwei Jahren die Atmosphäre in Deutschland unaufhörlich planmäßig vergiftet durch Haß, Lüge, Ver­leumdung, Schmähungen niedrigster Art in Reden, Aufrufen, Zeitschriften, Tagespresse, um die Menschen zu willigen Werkzeu­gen dieser Verfolgung zu machen.

Einige wenige Beispiele seien zum Beweis angeführt:

Der Gauleiter von Franken und Leiter des Boykotts vom 1. April 33, Julius Streicher, sagte auf einer Massenkundgebung des Gaues Franken der deutschen Arbeitsfront: „Wir werden durch Gesetz dafür sorgen, daß sie, die nach uns kommen, als Deutsche leben und nicht als Menschen, die aussehen wie Tiere.“ [194]

Ärzteblatt der Provinzen Brandenburg, Grenzmark und Pommern vom 1.3.33 (Nr. 13): „Der Provinzialvorstand der Ärzte Brandenburgs hält es daher in unserem völkischen Staat für un­denkbar, daß ein Jude die Mög­lichkeit behält, das Gift jüdischen Denkens auf diesem Wege auszustreuen (d.h. als Arzt) … Wir deutschen Ärzte fordern daher Ausschluß aller Juden von der ärztlichen Behandlung deutscher Volksgenossen, weil der Jude die Inkarnation der Lüge und des Betruges ist … (Unterschrift:) Dr. Ruppin, MdR, Kommissar im Zentralverband der Ärzte der Provinzen Brandenburg und Grenzmark.“

Die Zeitschrift „Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden“ schreibt im Februar 35 in einem Artikel über die „Verschwörung wider das Blut“: „Wer den Juden kennt, der weiß, daß sein ganzes Sinnen und Trachten nicht nur auf Reichtum gerichtet ist, … sondern darüber hin­aus auf Beherrschung, Schädigung und Vernichtung aller Nichtjuden. Die jüdischen Gesetze … gebieten dem Juden nicht nur, den Nichtjuden zu betrügen und zu berauben, sondern ihn zu töten, wo und wie er nur kann. So erfüllt der Jude nur sein Gesetz und erwirbt sich das Wohl­gefal­len seines Gottes, wenn er einen Ritualmord begeht. In gleicher Richtung ist der Jude ununterbrochen tätig, indem er versucht, die nichtjüdischen Völker in Kriege gegen einander zu hetzen, damit sie sich gegenseitig aus­rotten.“

Aus dem Telegramm einer Kundgebung von 500 Ärzten aus Mittel­franken „der deutschstäm­migen Ärzteschaft der ehemals roten Juden­hochburg Fürth“ an Reichsinnenminister Frick vom 1.12.34: „Als natürli­che Folge ihrer weltanschaulichen Schulung durch Gauleiter Strei­cher … gestatten sich die hier Versammelten an Sie die Bitte zu richten, baldigst dem schon in Kraft befindlichen Arier- und Erbgesundheitsgesetz den selbstverständlichen natur- und volksnotwendigen Abschlußparagraphen folgen zu lassen des Inhalts, daß jede versuchte körperliche Gemeinschaft zwischen deutscher Frau und Judenstämmling genau so wie die vollzoge­ne mit schwerster Strafe geahndet wird, bei der deutschen Frau mit der Aberkennung der deutschen Staatszugehörigkeit, Verbringung in ein Arbeitslager und bei vollzogener kör­perlicher Gemeinschaft mit einem Judenstämmling mit Unfruchtbarmachung, beim Juden­stämmling mit ebenfalls sofortiger Aberkennung der deutschen Staatszugehörigkeit, mit Be­schlagnahme seines ganzen Vermögens, mit mindestens 5 Jahren Zucht­haus und nachheriger sofortiger Ausweisung aus Deutschland als uner­wünschter Fremdrassiger. [195]

… Das deutsche Volk bleibt nur am Leben, wenn es ab sofort seelisch (!) und körperlich ras­sisch rein erhalten wird.“ Das wird es nur, „wenn ab sofort … praktisch jede weitere jüdisch-rassische Vergiftung und Verseuchung des deutschen Blutes verhütet wird … Und wer das deutsche Volk vergiftet, begeht Landesverrat …“

Im „Stürmer“ (Organ Julius Streichers) – er hängt seit kurzem ja auch in Berlin an allen Ecken aus – der immer wieder das Ritualmordmärchen bringt, findet sich in Nr. 48/1934 der Satz, daß „dem Juden nach seinen (d.i. des Talmuds) Geheimlehren die Vernichtung des Chri­sten, die Schän­dung christlicher Frauen zur Pflicht gemacht ist“ …

Überschrift einer anderen „Stürmer“-Nummer: „Judenärzte Frauen­schänder und Mörder“, der Osternummer: „Pesach, alljährliches Gedenk­fest des ältesten Massenritualmordes.“

Große Überschrift des „Judenkenners“[4] vom 22.5.35: „Juden ins Feuer = Juden an die Front.“ In dem betr. Artikel heißt es: „Wenn die Hebräer wieder ein Massengojimschlachten (soll sich auf den Krieg beziehen) ver­anstalten wollen, dann mögen sie diese rituelle Handlung an sich selbst vornehmen. Wir werden ihnen, falls die Prager Hebräer ihr Mütchen an Hitlerdeutsch­land kühlen wollen, einige jüdische Armeekorps entgegen­senden … Unsere jüdischen Armee­korps erhalten Befehl, die jüdischen Truppen der Tschechei anzugreifen. Wer dem Befehl nicht gehorcht, wird standrechtlich erschossen! So oder so sind wir dann unsere Hebräer los und machen hierauf ewigen Arierfrieden.

Erwachen alle Völker, so wird es keinen Krieg mehr geben!

Der Verlag kündigt an, daß er 30000 Werbenummern für SS und SA vorgesehen habe.

Aus einem Artikel von Wilhelm Kube, Gauleiter der Kurmark (und Oberpräsident von Berlin, Brandenburg und Grenzmark) im Cottbuser An­zeiger vom 19./20.5.34: (gesperrt) „Was Pest, Schwindsucht und Syphilis für die Menschheit gesundheitlich bedeutet, das bedeutet das Judentum sittlich für die weißen Völker, (fett gedruckt): … Wie der Weltkrieg ein abgefeimtes Werk der Juden und Freimaurer war, so sind die heutigen Kri­sen, die die Ruhe der Welt immer wieder erschüttern, ebenfalls ein Werk des Judentums … Die zwei Millionen deutscher Toter kommen ebenso auf das Schuldkonto Judas wie die 10 Millionen Toter der andern Völ­ker der Welt, die am großen Kriege teilnahmen. Daran sollten die Mütter der Welt immer den­ken, wenn sie einen Juden sehen oder von ihm hören … [196]

… Der Jude ist die personifizierte Verneinung, der Deutsche ist die gottgewollte und gottbe­dingte Schöpfungskraft.

(Fett gedruckt): Wir müssen in der deutschen Gesetzgebung dahin kom­men, daß Mischehen zwischen Deutschen und Juden grundsätzlich verbo­ten werden. (Noch stärker im Druck her­vorgehoben): Jude ist, wer mehr als 10 Prozent jüdischer Blutsteile in sich trägt. Wer sei­ne Rasse und damit unseres Volkes bestes Erbgut trotzdem durch Mischehe schändet, muß un­fruchtbar gemacht werden, weil er Verrat am deutschen Volke verübt.

… An den – fast ausschließlich jüdisch geleiteten – Bühnen Berlins, Frankfurts, Hamburgs usw. herrschte ein Sauherdenton gemeinster Perver­sität und frechester Kunstschändung. Wenn diese krummnasigen Theater­huren männlicher und weiblicher Anatomie heute nicht überwiegend in Prag, Wien usw. säßen, sollte man sie noch nachträglich sterilisieren und einsperren. Die Sau suhlt im Mist, der Jude in dem, was er ‚Kunst‘ nennt! Die Prügelstrafe für diese zuchtlose Bande wäre sanftes Streicheln!

Wenn heute über den Kavaliersauseinandersetzungen mit monarchisti­schen Kreisen das Judentum und sein Anhang sich vergessen glaubt, so können wir es darüber freundlich auf­klären: (gesperrt) Vergessen seid Ihr Brüder von uns bestimmt nicht. Wir beobachten jeden Euerer Schritte. Wir lesen Euere Zeitungen, Zeitschriften und Briefe. Wir kennen Euere Beziehungen im In- und Auslande. Wir passen auf! Mit uns spielt Ihr nicht 9. November 1918. Eher spielen wir mit Euch Babylon oder Zerstörung Jerusalems. Und die Welt wird im­mer hellhöriger. Mehr als Euch frechem Geschmeiß lieb ist! Seid und wart Ihr international verbunden, um die nordischen Völker dieser Männererde zu betrügen und gegenein­anderzu­hetzen, so sind wir bereit, Euch international an die Kette zu legen, wie es der Hyäne und den stinkenden Coyoten gebührt!

Und wenn Ihr meint, daß wir rauh und grob in der Auswahl unserer Bezeichnungen gegen Euch waren: dann lest mal in Eueren ‚Heiligen Stammesschriften‘ nach, wie Ihr Euch nach Eueres Stammesgötzen Gebot schon im Altertum gegen anständige nordische Völker benom­men habt. Spiegelberg Juda, wir kennen Dich!“ –

Das Gewerbe des Ehrabschneiders und Verleumders gilt von jeher mit Recht als das erbärm­lichste und verächtlichste. Und abgesehen von der menschlichen Verurteilung – sollte nicht auch uns das 8. Gebot gelten? Und sollte es nicht der Kirche aufgetragen sein, angesichts der unaufhör­lichen Übertretung des Gebotes zu reden und nicht zu schweigen? [197]

2. Folgen der Verhetzung

Daß diese tägliche Verhetzung nicht ohne Folgen bleiben kann, ist selbstverständlich.

In einer Kleinstadt im Regierungsbezirk Kassel (Gauleiter Sprenger-Darmstadt) können die jüdischen Einwohner kaum noch auf die Straße gehen, werden fortwährend die Fensterschei­ben eingeworfen. Ein Herr er­zählte, wie kürzlich ein schwerer Stein auf das Bett fiel, in dem seine Frau lag.

„In der Stadt Schlüchtern (Hessen-Nassau) sind an den arischen Geschäften Plakate ange­bracht worden, die Juden den Zutritt verbieten (!).Jüdische Geschäfte und Privathäuser sind durch gelbe Zettel mit der Auf­schrift ‚Jude‘ kenntlich gemacht.“ (Frankfurter Zeitung, Reichs­ausgabe vom 16.8.35) Und wenn z. B. kein jüdisches Lebensmittelgeschäft, keine jüdi­sche Apotheke existiert?!

An manchen Orten hängen die Bauern ein Schild an das Hoftor, daß Juden das Gehöft nur auf eigene Gefahr betreten.

Seit den letzten Berliner Ereignissen sind ja auch hier die Vorgänge bekannt, wie plötzlich jüdische Frauen und Kinder in den Strandbädern aus dem Wasser geholt werden, wie die bekannten Aufschriften erschei­nen an Bädern, Restaurants usw., wie Kinderheime plötzlich geschlossen werden (Misdroy, Kolberg u.a.). In der Umgebung von Berlin ist an einer Stelle sogar das Betreten des Waldes (!) Nichtariern verboten. – Unter dies Verbot würde z. B. auch der Komponist von Eichendorffs Lied „Wer hat Dich, Du schöner Wald …“ gefallen sein – Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Der „Lübecker Volksbote“ vom 27.3.35 meldet, daß ein Jude von einer Menschenmenge aus dem Büro geholt und zur Wache gebracht wurde. Es wurden ihm Schilder umgehängt: „Ich bin ein Vampyr und sauge das Blut des deutschen Arbeiters …“ Die Menge zog unter dem Gesang nationalsozialistischer Lieder und Rufen: „Deutschland erwache!“ und „Juda ver­recke!“ durch die Straßen. Der Mann wurde in Schutzhaft genommen. – Das Blatt hat die Stirn, dazu zu bemerken: „Der Jude Lis- sauer aber soll sich für die durch den Nationalsozia­lismus anerzogene Diszipliniertheit der Volksmassen bedanken, die nur das taten, was rich­tig war, nämlich ihn der Polizei – wenn auch auf eine nicht gewöhnliche Art – [zu] überantwor­ten.“ –

In der Umgebung von Trier ist einem dreimal verwundeten kriegsblinden Juden mit Eisernem Kreuz und Verwundetenabzeichen in Silber, [198] der zur Feier der Saarabstimmung die schwarz-weiß-rote Fahne heraus­gehängt hatte, diese Fahne heruntergerissen worden (Trierer Landeszei­tung v. 24.4.35).

Der Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten hatte zum Heldengedenktag am Ehrenmal einen Kranz niederlegen lassen. Dieser Kranz ist wieder ent­fernt worden!

Daß seit vielen Monaten in den fränkischen Dörfern um Nürnberg herum Tafeln angebracht oder Spruchbänder quer über die Straße gezogen sind mit Inschriften: „Juden betreten die Ortschaft auf eigene Gefahr“, ist wohl allgemein bekannt. Diese Methode ist vom Gauleiter Streicher aus­drücklich als Vorbild hingestellt worden, und mit Genugtuung berichtet er, daß sie bereits hier und da nachgeahmt werde. In diesem Zusammen­hang stellt er fest, daß die Reichsregierung, trotzdem sie darum gebeten wurde, seine Arbeit in seinem Organ, dem „Stürmer“, nicht hindere. – Streicher ist anläßlich seines 50. Geburtstages Gegenstand beson­derer Ehrungen seitens höchster Stellen gewesen und hält seit vielen Wochen unentwegt in allen größeren Städten seine bekannten Reden.

Bis zu welcher Rohheit die Dinge gediehen sind, zeigt ein Vorgang in Nürnberg beim Fa­schingszug, über den es in der „Fränkischen Tages­zeitung“ heißt: „Am heitersten wurde die ausziehende Judensippschaft, die in naturgetreuen Nachbildungen zu sehen war, aufgenom­men.“ – Die CV-Zeitung bemerkt dazu: „Eine wirklich heitere Angelegenheit! Bürger eines Staates, die seit Generationen in ihm wurzeln, verlassen bestimmt nicht aus Vergnügen ihr Vaterland.“

Und die, die das so heiter stimmte, sind ja wohl in ihrer großen Mehr­heit Glieder der evan­gelischen Kirche.

Ja, es ist bereits die öffentliche Aufforderung zum Pogrom in Deutsch­land vorgekommen, wie aus einem Erlaß des Gauleiters Streicher hervor­geht (Fränkischer Kurier, Nürnberg, 21.3.35): „Verantwortungslose Ele­mente haben die Nachricht verbreitet, daß die Juden gegen den Füh­rer ein Attentat angezettelt hätten und daß infolgedessen die Juden totgeschlagen werden müßten. Man ist sogar so weit gegangen, daß man Plakate auf­klebte, auf denen zum Pogrom aufgefordert wurde. Im Gau Franken be­fehle ich und sonst niemand …“ (Basler Nachrichten v. 22.3.35).

Es ist die Disziplinlosigkeit, nichts anderes, was hier gerügt wird!

In einer mitteldeutschen Kleinstadt (auch protestantisch, wie die Ge­gend um Nürnberg!) ist vor einigen Monaten ein Jude buchstäblich totge­treten worden! [199]

Er hinterläßt seine Frau und einen Sohn. –

Diese Beispiele sind Schlaglichter, die grell die Lage beleuchten. Diese Lage ist verzweifelt. Sie ist angesichts dieses Meeres von Haß, Ver­leumdung, Gemeinheit verzweifelt nicht nur für die, die es trifft, sondern noch viel mehr für das Volk, das dies alles tut und geschehen läßt. Die Bek. Kirche[5] hat sich feierlich zu ihrem Wächteramt nach Hes. 3[6] bekannt. Will sie sich nicht erbarmen über ihre Glieder und ihren Wächterruf erschallen lassen, um Augen zu öffnen und Gewissen wachzurütteln? Der Feind – die Vergötzung von Blut und Rasse – steht dro­hend unmittelbar vor der Mauer und wohl schon nicht mehr vor der Mauer.

Der Rundbrief Nr. 1 der Bekenntnisgemeinschaft der Evang.-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg, 8.5.35, bringt mit innerer Genugtuung einen Bericht über das schnelle Anwachsen der Bekenntnisgemeinschaften in Franken – ausgerechnet in Franken! – auf das er sich nicht wenig zu gute tut. In diesem Bericht heißt es: „Binnen kurzem entstanden nicht nur in der Großstadt Nürnberg, sondern auch in den kleinen Städten und Dör­fern des Frankenlandes starke Bekenntnisgemeinschaften. In Nürnberg und Fürth wurden nach wenigen Wochen über 50 000 Mitglieder gezählt.“ In Nürnberg besprechen Männerkreise der Gemeindegruppen das Thema „Praktisches Christentum“. – Vielleicht sorgt die Bayr. Kirche einmal dafür, daß man in ihren großen Bekenntnisgemeinschaften der Nürnber­ger Gegend in der Praxis etwas mehr vom praktischen Christentum merkt! Es ist tief beschämend, daß gerade diese Gegend des kath. Bayerns pro­testantisch ist.

Wer ruft die Gemeinden und unser ganzes Volk zurück zu dem, nach dem alles Christentum sich nennt? Zu dem, der seiner Kirche gerade den Samariter, den „artfremden“, verachteten „Mischling“ als das große Bei­spiel der Barmherzigkeit, des praktischen Christentums hin­stellt? Zu dem, der gesagt hat: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst – und gegen dessen Gebote es sich empört? Und wer von uns wagt, sich zu sondern von sei­nem Volk, das diese Schuld auf sich lädt? Dieses Volkes Schuld ist auch unsere Schuld.

3. Lage der Kinder

Aber wenigstens die Kinder haben doch i.a. im ganz elementaren Emp­finden der Menschen einen Anspruch auf Schutz. Und hier? In großen Städten gehen die jüdischen Kinder vielfach jetzt in jüdische Schulen. [200] Oder die Eltern schicken sie in katholische Schulen, in denen nach allge­meiner Ansicht sie sehr viel besser geschützt sind als in evangelischen. Und die nicht­arischen evangelischen Kinder? Und die jüdischen Kinder in klei­nen Städten, wo es keine jüdischen Schulen gibt, und auf dem Lande? In einer kleinen Stadt werden den jüdi­schen Kindern von den anderen immer wieder die Hefte zerrissen, wird ihnen das Frühstücks­brot weggenommen und in den Schmutz getreten! Es sind christliche Kinder, die das tun, und christliche Eltern, Lehrer und Pfarrer, die es geschehen lassen!

Ein junges Mädchen aus einem sehr bekannten christlichen Hause trat in der Schule energisch für bekenntnismäßigen Religionsunterricht ein. Zur gleichen Zeit aber brach sie ausdrücklich ihren Verkehr mit einem andern evangelischen jungen Mädchen ab mit der Erklärung, daß ihr Jugendbund ihr den Verkehr mit Nichtariern verbiete!

Ein kleines Mädchen wagt auf der Straße nicht, an einem Pferd vor­beizugehen, das mit den Vorderhufen auf dem Bürgersteig steht. Da sagt seine Schwester beruhigend: „Geh doch, das Pferd weiß ja nicht, daß wir jüdisch sind.“

Ein Kind, das eine jüdische Mutter hat, bittet seine Freundinnen immer wieder angstvoll: „Kommt bald wieder, meine Mutti ist sehr nett.“ – Ein anderes bittet die Mutter fortzugehen, damit die Freundinnen sie nicht sehen.

Andere Kinder verbergen angstvoll mit allen Mitteln, daß sie nicht arisch sind, lügen, immer in der Angst, daß „es herauskommt“, machen Vater oder Mutter Vorwürfe.

In einer Stadt in Mitteldeutschland war als einziges nichtarisches Kind ein Kind aus einer Mischehe in der Klasse, aus der angesehensten – evan­gelischen – Familie der Stadt, einer bekannten Industriellenfamilie. Ein Lehrer fragte bei jeder Gelegenheit: „Wer ist nichtarisch?“ und zwang das Kind immer wieder, als einziges aufzustehen. Es mußte schließlich aus der Schule genommen werden.

Eine Berliner Mädchenschule mußte in ihrem Landheim die Haken­kreuzfahne einziehen auf die drohende Haltung der Bevölkerung hin, die daran Anstoß nahm, daß die jüdischen Kinder mit den anderen spielten.

In einem Dorf in Hessen-Nassau lebte noch eine jüdische Familie, zwei waren schon wegge­zogen. Auch diese Familie hatte ihr älteres Kind schon weggegeben, das kleinere Mädchen aber wollten die Eltern noch bei sich behalten, und es ging also noch in die Dorfschule. Da setzte auf Veranlas­sung des Bürgermeisters, der zugleich Ortsgruppenleiter ist, ein Schulstreik [201] der anderen Kinder ein, die erklärten, nicht mehr zu kommen, so lange das jüdische Kind noch da sei.

Was soll aus den Seelen dieser Kinder werden, und was aus einem Volk, das solche Kinder­martyrien duldet? Und was aus der Jugend dieses Volkes, die in solcher Luft aufwächst und so mißbraucht wird?

4. Ehe

Es mehren sich immer häufiger die Fälle, in denen zu schließende Ehen zwischen Ariern und Nichtariern als „rassenschänderische“ Ehen bezeich­net werden. Demnach fallen unter diese Kategorie auch alle schon beste­henden, von der Kirche eingesegneten Ehen dieser Art.

Es mehren sich auch die Fälle, in denen Standesbeamte auf eigene Faust – da zugegebener­maßen keine gesetzlichen Handhaben existieren – solche Ehen verhindern, indem sie sie ein­fach nicht vollziehen.

Sogar die Gerichte entscheiden verschieden.

Das Amtsgericht Wetzlar entschied eine Klage dahin, daß zwar eine Eheschließung nicht verboten sei, aber der „nationalsozialistischen Rechts­anschauung“ widerspreche. Diese Rechtsanschauung sei bindendes und geltendes Recht des dritten Reiches.

Ein Amtsgericht in der Pfalz (Landau?) entschied anders, nämlich daß eine Ablehnung der Ehe nicht möglich sei. Eine Zeitung (Hanauer An­zeiger v. 25.7.35) berichtet darüber unter der Überschrift „Gegen rassenschänderische Ehen. – Ein Jude und eine artvergessene Frau in Schutzhaft genommen“ folgendes: … „Das Standesamt war daher gezwungen, das Aufgebot erscheinen zu lassen. Dieser Vorgang hatte in der Bevölkerung starke Erregung hervorge­rufen. Am Dienstag abend zogen nun SA und SS zu einer Demonstration vor die Wohnungen des Juden und der artver­gessenen Frau. Die Kundgebungen vollzogen sich in voller Disziplin. Ernst Salomon Fried und die Hedwig Kappelhoefer wurden von der Poli­zei in Schutzhaft genommen“! Der Gauleiter der Pfalz, Bürckel, hat darauf angeordnet, daß kein Standesbeam­ter in der Pfalz eine rassische Mischehe mehr vollziehen darf. –

Ein ähnlicher Fall in Stralsund endete damit, daß das „liebliche Braut­paar“, wie das „Schwar­ze Korps“[7] vom 17.7.35 meldet, in Berlin heiratete.

In der von Hans Frank herausgegebenen „Zeitschrift für Deutsches Recht“ vom 10.11.34 wird die Notwendigkeit dargelegt, Ehegatten einer [202] Mischehe, die vor dem 31.1.33 geschlos­sen ist, die Möglichkeit einer Auflösung der Ehe zu geben, denn „dem in einer Rassenmisch­ehe le­benden arischen Ehegatten bleibt heute – wenn er nunmehr rassisch verantwortungs­bewußt handeln will – kaum etwas anderes übrig, als kinderlos zu bleiben. Tut er das nicht, dann hilft er, an der rassischen Zersetzung sei­nes Volkes mitarbeiten … Seine Kinder werden artfremde Mischlinge minderen Rechts“ (Art. von Hans Schultze, Rechtsanwalt in Jena).

Gauleiter Streicher hat kürzlich einem Mitarbeiter des „Angriff“[8]gegenüber es für erfreulich erklärt, daß die Bezeichnung „Rassenschänder“ bereits in die Juristensprache eingegangen sei.

In derselben Unterhaltung rühmte sich Streicher: „Wir in Nürnberg haben die Juden von den Deutschen scharf getrennt.“ Nürnberg habe ein eigenes Judenbad, mit dem „Deutschen“ kom­me der „Jude“ beim Baden nicht mehr zusammen! Auch ein eigenes Cafe hätten die Juden, in Zukunft auch eine eigene Schule. –

Hedwig Förster berichtete in der „Deutschen Lehrerinnenzeitung“ Nr. 26 vom 10.9.33 vom Parteitag: „Meine Wirtin, eine ganz prächtige Frau, mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, erzählte, wie man es jungen Mädchen in Nürnberg austreibt, sich mit Juden einzulassen. Unwillkürlich dachte ich an mittelalterliche Bräuche, auch daran, daß man starke Nerven im neuen Deutschland hat und haben muß! ,Hätte man sie einfach einge­sperrt, niemand hätte etwas davon gemerkt, so erfahren es die Mädel und hüten sich!‘“ –

Diese Worte spielen wohl auf dieselbe Methode an, die Streicher im Berliner Sportpalast am 15.8.35 sehr offen zugegeben hat: „… Man hat sich darüber entrüstet, daß deutsche Frauen, die sich einem Juden hinge­geben hatten, mit der Tafel ,Rassenschande‘ durch die Straßen geführt wur­den. Es ist viel zu selten vorgekommen, daß man solche Schänder durch die Straßen führte und anschauen ließ, um sie dann übrigens laufen zu lassen.“ (DAZ vom 16.8.35)[9]

Es gibt Fälle, in denen sich der Mann von seiner nichtarischen Frau der Form nach hat schei­den lassen, um sie und die Kinder ernähren zu kön­nen, da er ihretwegen keine Stelle mehr bekam, dann aber weiter mit sei­ner geschiedenen Frau zusammen wohnte. Jetzt können sie gewärtig sein, als „Rassenschänder“ durch die Straßen geführt zu werden.

In dieser Angst und dieser Gefahr leben auch alle verlobten christ­lichen Paare, wenn ein Teil nichtarisch ist. Die Kirche pflegt verlobte Paare aufzubieten mit den Worten, daß sie in den heiligen Stand der Ehe [203] treten wollen. Kann sie diesen Ehestand in dieser Weise verun­glimpfen lassen?

Was soll überhaupt aus unseren evangelischen nichtarischen Gemein­degliedern werden? Die Kirche hat es ja zunächst – aber auch wirklich nur zunächst – mit ihren Gliedern zu tun. Sol­len unsere Kinder in die jüdi­schen Schulen gehen? Sollen die Kinder aus evangelischen Ehen in eine andere Badeanstalt gehen als Vater oder Mutter? Mann und Frau in ver­schiedene Re­staurants und Cafes? Sollen die jungen Menschen zum Zöli­bat verurteilt sein? Oder konfes­sionelle Juden heiraten? Oder soll eine judenchristliche Kirche nach dem Verlangen der DC gebildet werden?!

II. Die äußere Not

  1. Die Existenzfrage
  2. Die Berufsnot
    „Nun kam das Verhängnis einer auf mythischen Grundlagen beruhenden Gesetzgebung“ (Dr. Richard Wolff, Vorsitzender des Reichsverbandes der nichtarischen Christen, in der Broschü­re „Wir nichtarische Christen“ S. 26). Die gesamte Ariergesetzgebung ruht auf dem Mythos von Blut und Rasse.

Die derzeit i.a. geltende Begriffsbestimmung[10] des „Nichtariers“ ist be­kannt aus dem Beam­tengesetz[11]. Doch ist seit Monaten eine starke Ten­denz zur Erweiterung des Begriffs sichtbar. Das Beamtengesetz fragt bei bereits fest angestellten verheirateten Beamten nicht nach der Abstam­mung des Ehegatten, kennt die Ausnahme des Frontkämpfers und des vor 1914 im Dienst gewesenen Beamten.

Die freien Berufe sind von Anfang an über diese amtliche Gesetzge­bung weit hinausgegan­gen, indem Mediziner und Juristen den arischen Nachweis auch des Ehegatten verlangten. Die Konkurrenz war selbstver­ständlich aus historischen Gründen auf diesen Gebieten sehr viel größer, da ja die Beamtenlaufbahnjuden noch nicht lange offengestanden hatte. Der Begriff „Frontkämpfer“ ist durch die Ausführungsbestimmungen so eingeengt worden, nämlich: zur kämpfenden Truppe gehörig – daß z. B. eine große Zahl der Ärzte, die 4 Jahre im Felde waren, an Feldlazaretten unmittelbar hinter der Front, nicht darunter fiel. Diesen allen wurde die Zulassung zu allen öffentlichen und privaten Krankenkassen entzogen, d. h. in sehr vielen Fällen, es wurde ihnen die Existenzmöglichkeit [204] genommen. Es ist wohl kein wesentli­cher Unterschied zwischen Entzie­hung des Vermögens und Entziehung der Arbeitsmöglich­keit. Das traf auch alle jüngeren Ärzte, die noch nicht im Felde gewesen sein konnten. – Die Behandlung der Sache war nicht überall ganz einheitlich. – Dazu kommt der ständige Druck des Boykotts. Der NS-Lehrerbund verbietet seinen Mitgliedern, sich von nichtarischen Rechtsanwälten vertreten zu lassen. – Berliner städtische Beamte dürfen keine Atteste nicht­arischer Ärzte einreichen.[12]

Für den Nachwuchs galten zunächst Ausnahmen, wenn der Vater im Felde gefallen war. Es hat manch Frontkämpfer seinem Kinde gesagt: „Es tut mir leid, daß ich nicht für Dich gefal­len bin“! – In den letzten Monaten folgt eine Bestimmung nach der anderen, die überhaupt keine Frontkämp­fer-Ausnahmen mehr enthält, sondern einfach den Nachweis arischer Ab­stammung verlangt, z. B. für Zulassung zur Prüfung für Ärzte, Zahn­ärzte, Dentisten, Tier­ärzte. Diese Bestimmung für Ärzte bedeutet in abseh­barer Zeit das Ende des ärztlichen Beru­fes in Deutschland für Nichtarier überhaupt und damit binnen kurzem das Ende der jüdischen Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten in ihrer viele Jahrhunderte alten Form aus Man­gel an jeglichem ärztlichen Nachwuchs unter den Juden. – Weiter für die Konzession für Apotheken, für Lehrlinge im gesamten Buchhandel- und Verlagswesen, für Prozeßagenten, für Sachver­ständigentätigkeit vor Gericht, für jegliche Mitarbeit in der Presse, für alle Berufe überhaupt, die die Mit­gliedschaft zur Reichsschrifttumskammer verlangen. Im März sind etwa 1000 deutsche Schriftsteller aus dem Reichsverband der deutschen Presse ausgeschlossen worden, hauptsächlich nichtarische, darunter eine große Anzahl solcher, die am Kriege teilgenommen haben. Aus dem Schreiben, das diesen Ausschluß verfügt: „… Bei der hohen Bedeutung gei­stiger und kulturschöpferischer Arbeit für Lebens- und Zukunftsentwicklung des deut­schen Volkes sind zweifellos nur die Persönlichkeiten geeignet, eine solche Tätigkeit in Deutschland auszuüben, die dem deutschen Volke nicht nur als Staatsbürger, sondern auch durch die tiefe Verbundenheit der Art und des Blutes angehören. Nur wer sich aus der rassischen Gemein­schaft heraus sei­nem Volke verbunden und verpflichtet fühlt, darf es unternehmen, mit einer so tiefgreifenden und folgenschweren Arbeit, wie sie das geistige und kulturelle Schaffen darstellt, einen Einfluß auf das innere Leben der Nation auszuüben. Durch Ihre Eigenschaft als Nichtarier sind Sie außerstande, eine solche Verpflichtung zu empfinden und anzuerken­nen. Ich muß Ihnen daher die Zulässigkeit und Eignung, die die Voraussetzung für eine Mit­[205]gliedschaft bei der Reichsschrifttumskammer geben, absprechen und … Ihren Ausschluß aus dem RdS (Reichsverband deutscher Schriftsteller) … verfügen. Die Veröffentlichung schriftstellerischer Arbeiten innerhalb des Zuständigkeitsbereiches der RSK. ist Ihnen dadurch mit sofortiger Wirkung untersagt … I. A. gez. Suchenwirth.“ – Das ist dieselbe Begründung, mit der das Neuheidentum Sturm läuft gegen das Christentum. –

Weiter sind den deutschen Nichtariern alle Berufe verschlossen, die eine Zugehörigkeit zur Reichskulturkammer überhaupt erfordern. Das Mitteilungsblatt des Reichsverbandes der nichtarischen Christen schreibt in Nr. 3 (vom März 35) darüber: „Vom Musiker bis zum Gebrauchsgra­phiker, vom Theaterregisseur bis zum Zeitschriftenwerber, vom Schriftstel­ler bis zum Filmstatisten (!) ist die Aufnahme in die Reichskulturkammer Voraussetzung und für viele andere Gebiete.“

Gelegentlich wird nicht der Ariernachweis verlangt, aber ein Jahr Arbeitsdienst. Da nun Nichtarier in den Arbeitsdienst nicht aufgenommen werden, fallen auch diese Berufe fort.

Die Stadt Berlin hat eine Ausschreibung erlassen, betreffend das Recht zur Aufstellung und Vermietung von Stühlen auf städtischem Straßen­land. Die Bewerber haben den amtlichen Nachweis ihrer arischen Abstam­mung zu führen![13]

Es bleibt in beschränktem Maße das Gebiet der Wirtschaft.

  • Der Boykott
    Auf wirtschaftlichem Gebiet aber wird mit allen Mitteln der Boykott erpreßt: durch Listen jüdischer Geschäfte, durch Verbot von Inseraten nichtarischer Geschäfte, durch Spruchbänder und Umzüge mit Sprech­chören: „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter“, durch Anpran­gerung der Namen derer, die in jüdischen Geschäften kaufen, ja durch Photographien mit der Unterschrift: „Wer kennt ihn? Er kaufte beim Juden.“ – Wer hat besonders in kleinen Orten und auf dem Lande einem solchen Terror gegenüber den Mut, diese Blockade, die den Blo­ckierten aushungern soll, zu durchbrechen? Und dies tut ein Volk, das wissen soll­te, was Blockade heißt, an Menschen, die als Deutsche das Schicksal der Kriegsblockade mit ihm getragen haben.

Der „Schild“ (Zeitschrift des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten) schrieb am 13.4.33 zum Boykottage: „Das tiefe innere Leid, das den Juden Deutschlands, die sich mit ihrer Heimat verwachsen fühlen, ange­tan wurde, hat allen deutschen Juden eine tiefe seelische Wunde geschla-[206]­gen. Mag der materielle Schaden in absehbarer Zeit in gewissen seiner Teile geheilt sein – die Erniedrigung und Entehrung kann nicht repariert werden … Als Deutsche, die ihr Leben für Deutschland in die Schanze schlugen, und dann diesen Lohn ernteten, empfinden wir unsagbare Scham.“

  • Bedeutung dieser Maßnahmen
    Die Stadt Euskirchen hat den Beschluß gefaßt, „Juden und Jüdisch-Ver­sippten“ den Zuzug dorthin nicht mehr zu gewähren, weil durch den Kampf gegen das Judentum mit einer baldi­gen oder späteren Erwerbs­losigkeit bei ihnen zu rechnen sei: Die neue Verordnung werde vermeiden, daß die neu hinzugezogenen Juden der Wohlfahrt zur Last fielen.

Man nimmt also durch grausame Gesetze den Menschen die Erwerbs­möglichkeit, man zieht die Schlinge langsam immer enger zu, um sie all­mählich zu ersticken, man weiß, sie werden verelenden, und schützt sich beizeiten davor, die Opfer dieser Grausamkeit dann vielleicht unterstützen zu müssen. – Im Reichsverband nichtarischer Christen ist der dritte Teil der Mit­glieder arbeitslos (Mitt.-Bl. des Reichsverbandes März 1935, S. 11).

Es ist wohl deutlich, daß es sich um einen wütenden Konkurrenzkampf handelt, in dem der Schwächere brutal zu Boden getreten wird. Daß das Ausland nur für einen relativ sehr kleinen Teil überhaupt in Betracht kom­men kann, ist bei der Weltkrise und Weltarbeitslosigkeit selbstverständlich, noch dazu bei den Devisenbestimmungen, die wir haben. Zur Zeit ist das Ausland so gut wie ausgeschlossen. Und wenn Eltern hier Millionen besit­zen sollten – ihre Kinder im Ausland, die hier keine Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeit haben und draußen auf Unterstützung angewiesen sind, können verhungern. Es besteht keine Möglichkeit, von Italien und der Schweiz abgesehen, ihnen Geld zukommen zu lassen.

Und die, die hinausgegangen sind und nun sehen, daß sie draußen auch nicht leben können und zurückkommen? Seit dem 28. Januar dieses Jahres werden alle Rückwanderer in „Schu­lungslagern“ interniert, „schon deshalb, um den heimischen Stellenmarkt nicht weiter zu belasten.“ (V. B. 9.3.35)[14] Ein klarer Beweis, wie sehr es sich tatsächlich um einen wirt­schaftlichen Konkurrenzkampf handelt.

Die Beispiele genügen um zu zeigen, daß es keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen wird. Es ist von Anfang an gesagt worden, man brauche keine Bartholomäusnacht, man habe „andere Methoden“. Gewiß, es ist keine [207] blutige Verfolgung im Sinne des Mittelalters, wo z. B. in Nürnberg zwei­mal die gesamte jüdische Gemeinde ermordet worden ist mit Frauen und Kindern, sodaß nicht ein einziger entkommen ist. Aber auch unblutige Verfolgungen haben oft tödliche Wirkungen. Wir haben keine Verlust­listen dieser Verfolgung. Aber wir müssen uns klar machen, daß bereits Hunderte, vielleicht noch sehr viel mehr Menschenleben dieser Verfol­gung zum Opfer gefallen sind. Wer will ermessen, wie viele Todesopfer die Verelendung, die namenlosen unaufhörlichen Aufregungen schon verlangt haben? Wie viele von denen, die schon fern der Heimat sterben mußten, Opfer dieser Verfolgung sind? Und die vielen, die die Hoffnungslo­sigkeit und Verzweiflung und die unaufhörlichen Ehrenschändungen nicht er­tragen konnten? Der Vorsitzende des Reichsverbandes der nichtarischen Christen sagte in einem Vortrag: „Je­der von uns weiß aus seinem Bekann­tenkreise, daß manchem und sicher nicht dem Schlech­testen die Kraft gefehlt hat, dieses Leben der seelischen Entrechtung mit ihren furchtbaren Folgen der Wirtschaftskatastrophe für Frau und Kinder noch weiter zu ertragen.“ („Wir nicht­arische Christen“ S. 23).

Aus Schweden ist zu Anfang einmal das vernichtende Wort berichtet worden: „Die Deutschen haben einen neuen Gott, das ist die Rasse, und diesem Gott bringen sie Menschenopfer.“ – Wer wagt, dies Wort Lügen zu strafen?

Was sollen wir antworten einst auf die Frage: Wo ist Dein Bruder Abel? Es wird auch uns, auch der Bekennenden Kirche keine andere Antwort übrig bleiben als die Kainsantwort.[15]

  • Das Wehrgesetz

Es haben von 550000 konfessionellen Juden in Deutschland 96000 am Weltkriege teilge­nommen, 12000 sind gefallen. Zu Offizieren wurden 2000 befördert, von denen 16,1% gefal­len sind. Von den Offizieren der gleichen Kategorien im deutschen Heere fielen 14,74 %.

Nachdem Deutschland diese Opfer gefordert und angenommen hat, enthält das neue Wehr­gesetz[16] heute die Bestimmung: Reinrassige Juden werden zum aktiven Heeresdienst nicht herangezogen.

Den Söhnen derer, die für ihr deutsches Vaterland kämpften und fie­len, wird heute in Deutschland die Wehrfähigkeit abgesprochen im Namen von „Blut und Rasse“. In dem Kriegsbriefe eines gefallenen jüdi-[208]schen Offiziers heißt es: „… Ich bin glücklich, nun im blutigen Ernst für die heilige Wahrheit unserer Idee zeugen zu dürfen und stärker als je lodert in uns die Liebe zum deutschen Vaterland. Daß leider Gottes in der Hei­mat die ehrlosen Stimmen der Verleumdung noch nicht verstummt sind, vermag uns nicht zu entmutigen. Nur traurig, furchtbar traurig macht uns dies. Was wollen sie denn mehr als unser Blut? – Mögen sie doch an dem vergossenen unserer Glaubensbrüder weitere Rassenstudien treiben. – Die feindlichen Kugeln machen sich mit solcher Unterscheidung keine Mühe. Gott sei Dank!“[17]

Als das Wehrgesetz erschien, sagte jemand aus der tödlichen Bitterkeit heraus, in die diese Zeit und dies Gesetz die Menschen stößt: „Wollen sie nicht auch in den Massengräbern den Arierparagraphen einführen?“

Im Zusammenhang mit dem Heldengedenktag (!) ist den jüdischen Gemeinden, u.a. Berlin, mitgeteilt worden, das Flaggen der Juden in den Reichsfarben sei unerwünscht. – Nach dem 1. Mai schrieb die C.V.-Zei­tung: „Wir haben die Blumen und Aufzüge des 1. Mai gesehen und seine Farben, die wir nicht zeigen dürfen. Wir standen abseits; an der Freude konnten wir nicht teilnehmen, die wir das Leid dieses Volkes als eigenes Leid getragen haben.“ (CV-Zei­tung 2.5.35). Die letzte Arbeit Max Lieber­manns ist das Titelbild zu den Kriegsbriefen gefal­lener deutscher Juden. Als er an den Entwurf ging, sagte er: „Die Fahne, unter der sie fielen, muß mitten hinein, das ist mir die Hauptsache.“ – Diese Fahne aber dürfen ihre Angehörigen heute nicht mehr zeigen.

Trotz alledem veröffentlicht der „Vortrupp“ folgende Erklärung: „In diesem weltgeschichtli­chen Augenblick, in dem das Deutsche Reich seine Wehrhoheit wieder hergestellt hat, fühlen auch wir jungen deutschen Juden uns gedrungen, unserer Genugtuung über diesen Schritt Ausdruck zu geben. Ebenso wie unsere Väter 1914-1918 ihre selbstverständliche Pflicht für das Vaterland erfüllt haben, erklären auch wir uns heute zum Wehrdienst bereit, in Treue zu unserer Losung: ,Bereit für Deutschland!‘“„ Berlin, den 22. März 1935. „Der Deutsche Vor­trupp, Gefolgschaft deut­scher Juden.“

Und die Broschüre „Wir deutschen Juden“ von Schoeps schließt mit einem Aufruf, in dem es heißt: „Wir deutschen Juden, seit vielen hundert Jahren lebend in deutschen Landen, wissen und bekennen, daß keine Macht der Welt uns Deutschland aus dem Herzen reißen kann, daß kein Gesetz und keine Verordnung uns von der Treupflicht gegen Volk und Vaterland ent­bindet. Die Wahrheit unseres Lebens kann man wohl bestrei-[209]ten; man kann sie aber nicht unwahr machen. Auch wenn uns unser Vater­land verstößt, bleiben wir: Bereit für Deutschland.“ (Hans Joachim Schoeps: Wir deutschen Juden, Vortrupp-Verlag Berlin 1934 S. 51).

  • Schule

Der Reichserziehungsminister Rust hat an sämtliche Schulen einen Erlaß gerichtet (R U II C 5209/1 vom 15.1.35), in dem er als Aufgabe der Schu­le hinstellt, daß „kein Knabe und kein Mädchen die Schule verläßt, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blut­reinheit geführt zu sein.“ „Jede Vermischung mit wesensfremden Rassen (leiblich oder geistig-seelisch) bedeutet für jedes Volk Verrat an der eigenen Aufgabe und am Ende Untergang.“ Die logische Folge aus diesem Erlaß zieht der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP Dr. Gross, indem er fordert die „rassische Harmonie zwischen Lehrer, Schüler und Lehrstoff.“ Damit wäre der Ausschluß aller nichtarischen Kinder aus öffentlichen Schulen unvermeidlich, allerdings auch der Ausschluß der Bibel und des Christentums aus dem Unterricht.

III. Die Stellung der Kirche

Hier schließt sich der Kreis. Einer Judenverfolgung im Namen von Blut und Rasse muß eine Christenverfolgung notwendigerweise folgen. Einen Anfang davon hat die Bek. Kirche, haben vor allem ihre Pfarrhäuser zu spüren bekommen. Aber trotz alles Leides wird es niemand ein­fallen, es in einen Vergleich setzen zu wollen zu dem Leid der deutschen Juden und Nicht­arier. Und ganz abgesehen von der Größe des Leides bleibt der große Unterschied: Der Christ leidet persönlich, der Jude und Nichtarier mit Kindern und Enkeln. Und selbst wenn die Glie­der der Bek. Kirche unter die Ariergesetzgebung gestellt würden, wären noch immer die Ver­wandten, die weitere Familie nicht mitbetroffen. Und die Hauptsache: Die Bek. Kir­che leidet – und darf das wissen – um ihres Glaubens willen, der Nichtarier wird verfolgt, weil Gott ihn in eine bestimmte Familie hat hineingeboren werden lassen.

Alle diese Menschen mit ihrem unermeßlichen Leid Leibes und der Seele sind die Opfer des Glaubens an Blut und Rasse. Aber welcher Arzt, [210] welcher Rechtsanwalt, welcher Beam­te, Angestellte, Geschäftsinhaber weiß, ob er nicht der Nutznießer dieser Götter ist? Ob nicht seine Existenz aufgebaut ist auf der vernichteten Existenz eines andern? Auch, wenn er es nicht will, auch wenn er mit allen Fasern seines Wesens sich wehrt gegen diese Möglichkeit. Unvermeidlich hat er Vorteile aus seiner Abstammung, aus seinem „Blut“ und seiner „Rasse“. In diese Schuldgemeinschaft ist unentrinnbar jeder verstrickt.

Es ist deutlich angesichts der Lage, daß die jüdischen Familien auf dem flachen Lande und in den kleinen Städten vielfach nicht bleiben konnten. Sie konnten ein solches Leben des Ge­hetztwerdens nicht ertragen, vielfach auch einfach den Lebensunterhalt nicht mehr erwerben und sind nicht sicher vor Mißhandlungen. Es sind ganze Familien ausgewandert. Stark ist der Zuzug nach Berlin gewesen. Jetzt ist der Zuzug nach Berlin verboten. Was nun? Sollen die Flüchtlinge verhungern? Wer weiß aber um die Ver­pflichtung zu helfen? Wer speist die Hungrigen, kleidet die Nackenden, besucht die Gefangenen? Wer tut Gutes an jedermann, ja auch nur an des Glaubens Genossen?[18]

Warum muß man sich immer sagen lassen aus den Reihen der nicht­arischen Christen, daß sie sich von Kirche und Ökumene verlassen fühlen? Daß ihnen jüdische Menschen und jüdische Hilfsorganisationen helfen, aber nicht ihre Kirche? Daß sie sich um ihre katholischen Mitglie­der keine Sorgen zu machen brauchten, denn diese gingen nicht zu Grun­de, weil die Kirche für sie sorge, daß man aber über die Haltung der evan­gelischen Kirche nur sagen könne: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun? Warum stellt die katholische Kirche nichtari­sche Ärzte und Schwestern ein, wo sie kann – die evangelische Innere Mission aber hat Arier­paragraphen?

Warum sucht Bodelschwingh[19] in den Ärzteblättern einen „arischen“ Medizinalpraktikanten? Warum muß eine Stenotypistin in der IM[20] Arier­nachweis erbringen? Wenn die Kirche wüßte, welche Erbitterung das schafft und welchen Schaden es stiftet, würde sie wohl doch mehr um diese Dinge sich kümmern. Aber wer weiß überhaupt davon? Ist es ein Wunder, daß längst getaufte Menschen angesichts dessen, was sie von Christen und Kir­che sehen, ins Judentum zurückgehen? Und wenn andere sich taufen las­sen, daß sie in ganz überwiegender Zahl zur katholischen Kirche gehen?

Was soll man antworten auf all die verzweifelten, bitteren Fragen und Anklagen: Warum tut die Kirche nichts? Warum läßt sie das namenlose Unrecht geschehen? Wie kann sie immer wieder freudige Bekenntnisse [211] zum nationalsozialistischen Staat ablegen, die doch politi­sche Bekenntnis­se sind und sich gegen das Leben eines Teiles ihrer eigenen Glieder rich­ten? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder? Sollte denn alles das, was mit der heute so verachteten Humanität schlechterdings unvereinbar ist, mit dem Christentum vereinbar sein?

Und wenn die Kirche um ihrer völligen Zerstörung willen in vielen Fäl­len nichts tun kann, warum weiß sie dann nicht wenigstens um ihre Schuld? Warum betet sie nicht für die, die dies unverschuldete Leid und die Verfolgung trifft? Warum gibt es nicht Fürbittegottesdienste, wie es sie gab für die gefangenen Pfarrer? Die Kirche macht es einem bitter schwer, sie zu vertei­digen.

Menschlich geredet bleibt die Schuld, daß alles dies geschehen konnte vor den Augen der Christen, für alle Zeiten und vor allen Völkern und nicht zuletzt vor den eigenen künftigen Generationen auf den Christen Deutschlands liegen. Denn noch sind fast alle Glieder des Volkes getauft, und noch trägt die Kirche Verantwortung für Volk und Staat, anders als zu Zeiten des alten römischen Reiches, denn es sind ihre getauften Glieder, die all den Jammer und all das Elend auf dem Gewissen haben.

Aber die Kirche hat ihren Auftrag nicht von Menschen und ist nicht Menschen und Zeiten verantwortlich, sondern dem ewigen Gott. Sie hat dem Volk, in das sie gestellt ist, das Wort und den Willen Gottes zu ver­künden, und sie hat ihm auch dadurch zu dienen, daß sie zu­gleich für sich und stellvertretend für das Volk Buße tut für das, was geschehen ist und fort­dauernd geschieht. Sie muß ihre Glieder und vor allem ihre besonders gefährdete Jugend zu bewahren suchen vor schwerer Sünde und Schuld. Sie hat den Gehorsam gegen alle Gebote Gottes zu verkünden, wenn sie nicht dem Wort verfallen will: „Sein Blut will ich von Deiner Hand fordern.“

Das Judentum glaubt, daß Gott es in dieser Zeit zurückruft. Es lebt von diesem Glauben und nimmt die Kraft zum Märtyrertum daraus. Und wir wissen, daß Gott uns zurückruft in dem Gericht, das über Kirche und Volk ergeht. Daß es aber in der Bek. Kirche Menschen geben kann, die zu glau­ben wagen, sie seien berechtigt oder gar aufgerufen, dem Judentum in dem heutigen historischen Geschehen und dem von uns verschuldeten Leiden Gericht und Gnade Gottes zu verkündigen, ist eine Tatsache, angesichts deren uns eine kalte Angst ergreift. Seit wann hat der Übeltäter das Recht, seine Übeltat als den Willen Gottes auszugeben? Seit wann ist es etwas anderes als Gotteslästerung zu behaupten, es sei der Wille Gottes, daß wir Unrecht tun? Hüten wir uns, daß wir den Greuel unserer Sünde nicht ver­stecken im Heiligtum des Willens Gottes. Es könnte sonst wohl sein, daß auch uns die Strafe der Tempelschänder träfe, daß auch wir den Fluch des­sen hören müßten, der die Geißel flocht und trieb sie hinaus.

(abgeschlossen Mitte Sept. 35)

Nachtrag[21]

Folgen der Nürnberger Gesetze

Die Nürnberger Gesetze sind bekannt. Eine Wertung ist sinnlos. Es bleibt nur übrig, auf einige Folgen hinzuweisen.

Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre

a. Ehe
Schon der Titel konnte nicht verletzender gewählt werden. Das Gesetz ruht auf dem Mythos von Blut und Rasse. Was noch gestern selbstver­ständlich war, was in allen Ländern der Erde selbstverständlich ist, ist heute als „Rassenschande“ unter Zuchthausstrafe gestellt. Sinnge­mäß wür­den also auch alle christlichen rassischen „Mischehen“ unter diesen Be­griff fallen, wenn auch das Gesetz die bestehenden Ehen nicht angreift.

Das Gesetz bringt Verlobte nicht nur deshalb in größte seelische Not, weil die Eheschließung in Deutschland unmöglich gemacht ist, sondern auch, weil die Verlobten sich in vielen Fällen nicht sehen können, ohne sich Denunziationen mit schlimmsten Folgen auszusetzen, und da­her nur in größter Heimlichkeit zusammenkommen können.

Welche Folgen aus dem Gesetz entstehen, zeigen die „Fragen und Ant­worten“, die im Blatt des RNC seitdem eine ständige Rubrik bilden.

Frage: Ein Mann hat zwei jüdische Großeltern, eine arische Großmut­ter und einen halbari­schen Großvater; der letztere ist als Jude geboren und erst später Christ geworden. Gilt dieser 62 1/2% jüdische Mensch als Mischling oder als Jude? – Antwort: Der Mann gilt als Jude im Sinne der Nürnberger Gesetze, da ein Großelternteil, der jüdischer Religion gewesen ist, ohne weiteres als Volljude betrachtet wird und diese Vermutung unwi­derlegbar ist. So hat dieser 62 1/2 Prozentige 3 volljüdische Großeltern­teile. Wäre der halbarische Großvater dagegen von Geburt an Christ gewe-[213]sen, so würde er als Nicht-Volljude für die Berechnung über­haupt nicht mitzählen, und sein Enkel wäre noch Mischling ersten Grades. (Mitt.-Bl. des RNC, März 1936).

Antwort auf eine Frage: Der Junge hat zwei jüdische Großelternteile (einen nach der Rasse, den zweiten nach der Religion), würde also – trotz­dem er 75 % arisch ist – doch nach den bisherigen Auskünften als Misch­ling 1. Grades gelten. Da er nun aber am Stichtag, d.h. am 15. September 1935 – nach den eigenen Angaben des Vaters – als mosaisch gemeldet war, gilt er nach dem Wortlaut der Bestimmungen zweifellos als Jude … (Mitt.-Bl. des RNC, April 1936).

Der Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen von Ministerialrat Dr. Lösener und Regierungs­rat Dr. Knost enthält den Satz: „Es ist die unwider­legbare Rechtsvermutung eingeführt, daß ein Großelternteil stets dann als Jude gilt, wenn er jüdischer Religion gewesen ist.“ Dagegen „ist natürlich ein der Rasse nach jüdischer Großelternteil immer Jude, selbst wenn er nicht jüdischer Religion ist oder gewesen ist.“ Der Kommentar spricht von „Dreiachteljuden“ und „Fünfachteljuden“. Er bezeichnet als Sinn der Bestimmungen, „die künftige Entstehung von Halbjuden (im rassebiologi­schen Sinn) zu verhüten“ und das „Zwischenfeld“ in spätestens zwei Gene­rationen auszuräumen! (Zitiert nach Mitt.-Bl. des RNC, Febr. 36, S. 11 ff.). Im Kommentar von Staatssekretär Stuckart und Oberregierungsrat Dr. Globke (beide im Reichs- und Preuß. Ministerium des Innern) heißt es: „Das Ziel einer gesetzlichen Lösung der Misch­lingsfrage mußte das baldige Verschwinden der Mischrasse sein“. (Mitt.-Bl. des RNC, April 36, S. 28).

Es ist wohl die Frage berechtigt, ob es dem Christen erlaubt ist, in die­ser Weise von Men­schen zu sprechen und in dieser Weise mit Menschen zu verfahren.

b. Hausangestelltenparagraph
Die Bestimmungen über Hausangestellte – in jüdische Haushalte dürfen Hausangestellte deutschen oder artverwandten Blutes nur aufgenommen werden, wenn sie mindestens 45 Jah­re alt sind, und: – ein Haushalt ist jüdisch, wenn ein jüdischer Mann Haushaltungsvorstand oder Mitglied der Hausgemeinschaft ist – und die Tatsache, daß diese Bestimmungen in das „Blutschutzgesetz“ aufgenommen sind, stellen eine derart eindeutige Ver­leumdung und eine so flagrante Verletzung des 8. Gebots dar, daß man sie nur mit tiefster Beschämung lesen kann. – Sie beweisen auch, wie recht die Leitung der jüdischen Gemeinden hatte, seinerzeit in allen Synagogen ein [214] Gebet anzuordnen um Schutz der Juden vor Verleumdung, eine An­ord­nung, um derentwillen der Oberrabbiner Dr. Baeck[22] und einige andere ver­haftet wurden.

Unter das Gesetz fallen, sobald eine Hausgemeinschaft besteht, auch Stenotypistinnen, Pri­vatsekretärinnen, Sprechstundenhilfen, Haustöchter, Aufwartefrauen, und daß die „große Wäsche“ als „alltägliche Arbeit“ im Sinne des Gesetzes gilt, also verboten ist, wird aus­drücklich erwähnt im Kommentar Lösener-Knost (Mitt.-Bl. RNC, Febr. 36, S. 21).

Frage: Ist ein Haushalt jüdisch, wenn der Haushaltungsvorstand Halb­arier und seine voll­nichtarische Frau am 26. September 1935 gestorben ist? – Antwort: Da der halbarische Mann am Tage der Verkündung der Nürn­berger Gesetze – d. h. am 15. September 1935 – mit einer Frau verheiratet war, die im Sinne dieser Gesetze Jüdin ist, gilt er selbst als Jude. Der Haus­halt ist also als jüdischer Haushalt zu betrachten. (Mitt. Bl. des RNC, März 36, S. 21)

Auf das Gesetz hin mußten zum 1.1.36 in vielen Familien langjährige Hausangestellte entlas­sen werden, Kinderpflegerinnen, die seit der Geburt des inzwischen herangewachsenen Kin­des im Hause waren, auch wenn sie in engem Freundschaftsverhältnis zu der Dame des Hau­ses standen.

Ein über 80jähriger Herr mußte seine langjährige Pflegerin entlassen.

Eine nahezu 70jährige Dame, die nur eine Hand hat, konnte wochen­lang kein Mädchen bekommen für ihren Haushalt, der nur aus ihr und ihrem über 70jährigen Mann besteht. Und als sie in einem katholischen Blatt annoncieren wollte, teilte ihr das Blatt mit Bedauern mit, daß ihm von der Reichspressekammer die Annahme solcher Annoncen verboten sei!

Reichsbürgergesetz

Zum 31.12.35 sind für „Juden“ (nach der neuen Begriffsbestimmung) alle Ausnahmen des Beamtengesetzes gefallen, also auch für solche, die vier Jahre lang im Feld gestanden, schwer verwundet waren, Kriegsauszeich­nungen aller Art besitzen und womöglich noch in den Spartakistenkämpfen ihr Leben eingesetzt haben.

Es bedeutete das z. B. das Ausscheiden von 763 Notaren (FZ[23] 1.3.36, Reichsausgabe).

Gegen die zur Kassenpraxis zugelassenen jüdischen Ärzte macht die NSBO[24] Front. – Aus dem Siemens-Betrieb: „Allen Gefolgschaftsmitglie-[215]dern zur Kenntnis! Es ist schon des öfteren darauf hingewiesen: Geht nicht zu jüdischen Ärzten. Liefert Euern Körper keinem Juden aus! Deutscher Volksgenosse, handele danach. – Wie aus der Tagespresse bereits er­sicht­lich ge­wesen, weise ich nochmals darauf hin, daß in Zukunft, wer sich von jüdischen Ärzten behan­deln läßt, keine Unterstützung in Krankheitsfällen erhält …“ gez. Unterschrift, Betriebs­zellen­obmann. Dieselbe Bestimmung besteht bei der akademischen Krankenkasse.

Eine weitere Erschwerung für die jüdischen Ärzte bedeutet eine Anord­nung des Reichsärzte­führers Wagner, die sich ausdrücklich auf die Nürn­berger Gesetze stützt, betr. Vertretung, Konsilien, Überweisung an Fach­ärzte, Krankenhäuser und Sanatorien (CV-Ztg. 27.2.36).

Ausnahmen beim Reichsbürgergesetz scheint man für Sportgrößen machen zu wollen, wenn sie für die Olympiade gewählt werden. (Hel. Meyer, Gertr. Bergemann.[25] Times 19.2.36). So hat bei den Winterspielen ein Nichtarier – R. Ball – an entscheidender Stelle mitgespielt.[26]

Während der Winter-Olympiade waren in Oberbayern alle sichtbaren Zeichen der Judenver­folgung und des Antisemitismus verschwunden (Inschriften, Spruchbänder, Stürmerkästen), wie ja auch in Berlin die Stür­merkästen mit ihren Aufschriften „der Jude siegt mit der Lüge und stirbt mit der Wahrheit“ (NW Flensburgerstr. 2) usw. überstrichen werden und der Stür­mer allmählich verschwindet. – Vor dem Ausland also schämen wir uns. Vor uns selbst schei­nen wir es nicht nötig zu haben.

Erziehung

Es liegen bereits mehrere Gerichtsentscheidungen vor, die die Personen­fürsorge des Kindes bei geschiedenen Ehen rein nach rassischen Gesichts­punkten regeln.

1. Oberlandesgericht Dresden. Es handelt sich um ein Kind aus einer geschiedenen Ehe, das von väterlicher Seite her einen jüdischen Groß­elternteil hat. Der arischen Mutter wird, trotz­dem sie als schuldiger Teil geschieden ist, die Personenfürsorge des Kindes zugesprochen. Das OL Gericht entscheidet, daß die Übertragung auf den Vater auch dann nicht zulässig ist, wenn der Vater im christlichen Glauben aufgewachsen ist und sich bereit erklärt hat, das Kind in einer christlichen Anstalt erziehen zu lassen. – Begründung: Das Blutschutzgesetz sei be­strebt, „vierteljüdische Mischlin-[216]ge“ mit dem deutschen Volk zu verschmelzen. Dies werde in Frage gestellt, wenn die Erziehung nicht in Händen des deutschblütigen Elternteils liege. Die christliche Erziehung des „jüdischen“ (d.h. aus einer rassischen Mischehe stammen­den) Elternteils könne schon deshalb nicht ausschlag­gebend in Betracht kommen, weil an der Rasse und an der durch diese Rasse bedingten Art des Denkens und Empfindens nichts geän­dert werde. Erziehung in der christlichen Anstalt genüge nicht, da der Vater diese Erziehungs­wei­se jederzeit durch eine andere ersetzen könne, in der er seinen Einfluß wie­der zur Geltung bringe, (nach CT[27] 3.5.35).

2. Kammergericht. Eine staatenlose Jüdin hatte ihr uneheliches Kind, das sie von einem ari­schen städtischen Beamten hatte, bei einer arischen Familie in Pflege gegeben. Vormund­schaft über das jetzt 11jährige Kind hatte zunächst das Jugendamt, wurde auf dessen Antrag jetzt der Mutter des Kindes übertragen. Als die Mutter das Kind von den Pflegeeltern wegneh­men wollte, stellten diese den Antrag, der Mutter das Sorgerecht zu entziehen. Sie wurden in 3 Instanzen abgewiesen, vom Kammergericht mit einer Begründung, die zugibt, es sei zwar anerkanntes Recht, daß es einen die Entziehung des Sorgerechts rechtfertigenden Mißbrauch der Elternrechte darstelle, wenn der Erziehungsberechtigte einen bewußt schroffen Wechsel in der Erziehung des Kindes beabsichtige und dieses aus einem ihm liebgewordenen Kreise her­ausreißen und in eine fremde Umgebung versetzen wolle. Hier habe die Mutter aber triftige Gründe, denn es werde sonst das Familienband zu der natürlichen Mutter zer­schnitten. Und dies würde, so fahrt die Entscheidung wörtlich fort, „für das Kind sich umso nachhaltiger auswirken, als es nichtarisch ist und infolgedessen, was auch vom nationalsozialistischen Standpunkt uner­wünscht wäre, bei den arischen Pflegeeltern in einer Umgebung auf­wächst, in die es rassenmäßig nicht gehört. Deshalb kann der Mutter nicht zum Vorwurf gemacht wer­den, wenn sie bestrebt ist, das Kind recht­zeitig in den Kreis seiner Artgenossen zurückzufüh­ren und in der jüdischen Religion zu erziehen, die seiner Rasse entspricht“.

Schule

Die Neuordnung der Schule nach dem bekannten Rasseerlaß des Ministers Rust, die zu Ostern vorgenommen werden sollte, ist sicherem Vernehmen nach auf einen Zeitpunkt nach der Olympiade verschoben. Der Erlaß sah bekanntlich vor, daß von Ostern 36 an alle vollnichtari­schen Kinder, gleichgültig ob christlicher oder jüdischer Konfession, und auch diejenigen christlich-nichtarischen Schüler, bei denen nur ein Elternteil der Rasse nach jüdisch ist, in besonderen „Judenschulen“, d. h. also in öffentlichen jüdischen Volksschulen, ihren Unter­richt erhalten werden. Daß eine sol­che Regelung für die Kirche unmöglich ist, bedarf keines Beweises. (Mitt.-Bl. des RNC, Nr. 10, Okt. 35).

Jetzt hat auf einer Tagung der Nürnberger Ratsherren der dortige Schulreferent mitgeteilt, daß die Nürnberger Volksschulen mit Beginn des neuen Schuljahres „frei von Judenkindern“ sein würden. (FZ 12/4). Es ist anzunehmen, daß unter diesen „Judenkindern“ auch christliche Kin­der sind.

Folgen für die Kinder

Eine Folge der Nürnberger Gesetze war die akute Verschärfung der Lage in der Schule, teils durch Lehrer, teils durch Schüler. Klassen, in denen bis­her die Klassengemeinschaft völlig ungestört war, brachen plötzlich aus­einander. Die nichtarischen Mitschüler sahen sich aus­geschlossen vom Spiel, ja vom Verkehr. Sie wurden auf besondere Bänke gesetzt. Der „Stür­mer“ tauchte in den Schulen auf. Es gab sogar Stürmerkästen in den Schu­len. Es gab auch Lehrer, die den Stürmer für den Unterricht benutzten, sowohl für den nationalpolitischen als für den Religionsunterricht.

Am 16.6.35 sah der kommissarische Direktor einer Berliner höheren Mädchenschule zwei Mädchen mit einer jüdischen Mitschülerin auf dem Hof Arm in Arm gehen. Er ruft die ganze Klasse zusammen und erklärt, es sei unerhört, daß so etwas vorkomme nach dem, was der Führer in Nürnberg gesagt habe. Er droht den beiden Mädchen mit Entziehung der Schulgeld­ermäßigung, falls sie den Verkehr mit ihrer jüdischen Mit­schülerin nicht abbrächen, alles in Gegenwart des jüdischen Kindes! Es mußte selbstverständlich aus der Schule genommen werden.

In Frankfurt a. M. erklärte ein ebenfalls kommissarischer Direktor einer Oberprimanerin, sie werde in das Reifezeugnis den Vermerk „politisch unzuverlässig“ bekommen, falls sie den Verkehr mit einer ihr befreunde­ten jüdischen Mitschülerin nicht aufgebe. (Die Mitschülerin ging darauf­hin aus der Oberprima ab). Ja, er ließ die jüngere Schwester kommen, eine Ober­sekundanerin, die mit einer nichtarischen christlichen Schülerin ihrer [218] Klasse befreundet war, verlangte auch von ihr die Aufgabe der Freund­schaft und drohte auch ihr, daß ihre Schwester sonst den Vermerk der poli­tischen Unzuverlässigkeit bekommen werde.

In welche Gewissensnot werden so die jungen Menschen und die Kin­der schon gebracht.

Ein nichtarisches Kind weigerte sich, zum Schulausflug zu gehen. Auf die Frage der Mutter erklärte es unter Tränen, beim letzten Ausflug hätten Lehrer und Klasse es stundenlang allein hinterhergehen lassen. Auch dies Kind mußte aus der Schule genommen werden.

Ein Junge aus einer vornehmen jüdischen Familie wird vom Lehrer in der Grundschule öfter mit einem jüdischen Spottnamen aufgerufen. Auf die Vorhalte der Mutter erklärt der Lehrer, er habe sich nichts dabei gedacht, und es werde doch verlangt.

Dies sind Beispiele aus Hunderten und Tausenden, die zeigen, wie furchtbar die seelische Not der nichtarischen Kinder und ihrer Eltern ist.

Es ist erschütternd zu sehen, welcher seelischen Rohheit Lehrer fähig sind, denen diese Kin­der anvertraut sind, und mit welcher Selbstver­ständlichkeit man immer wieder die Entschul­digung hört: „Es ist doch Vorschrift“ oder: „Es wird doch gewünscht“. Das Bewußtsein der Verant­wortung des Einzelnen für sein Handeln vor Gott und Menschen droht völlig unterzu­gehen.

Arierparagraph in der Wirtschaft

Das Reichsgesetzblatt Nr. 32 bringt die Verordnung vom 26.3.36, daß öffentliche Apotheken, deren Inhaber Jude ist, dem Verpachtungszwang unterliegen. Juden sind als Pächter nicht zugelassen. Auch bei diesem neuen Schlag geht es ohne Beschimpfung und Verleumdung nicht ab. Der Reichsapothekerführer Schmierer schreibt an leitender Stelle in der „Deut­schen Apothekerzeitung“ dazu (Nr. 27 vom 1.4.): „… Die Reinigung des öffentlichen Lebens und damit die Läuterung und Besserung unseres Volkes ist namentlich durch die Ausschaltung der jüdischen Macht und des jüdischen Einflusses so weitgehend gelungen … Nun ist die befreien­de Tat geschehen … Damit ist eindeutig anerkannt, daß nur restlos zuver­lässige Menschen, die als Apotheker sich in erster Linie als Diener der Gesundheit und des deutschen Volkes be­trachten, Leiter der deutschen Apotheken sein können und dürfen.“ (Zitiert nach CV-Zeitung 2.4.36). – Es hätte den „arischen“ Apothekern eigentlich sehr peinlich sein müssen, [219] daß die Erfüllung ihrer so idealen Forderung mit einem so großen mate­riellen Vorteil für sie ver­bunden ist!

Bekanntlich soll der Arierparagraph nicht für die Wirtschaft gelten. Tatsächlich geht der Kampf gegen die jüdischen Geschäfte unaufhörlich mit allen Mitteln weiter, ja, er wird immer stärker, teils durch Boykott, teils durch gesetzliche Bestimmungen, wie beim Buch- und Kunsthandel und Verlagswesen[28] durch die Reichskulturkammer, teils durch Nichtbeliefe­rung seitens der zuständigen Wirtschaftsstellen (z. B. Eier) usw. Die Jüdi­sche Rundschau ver­öffentlicht laufend die Namen von Firmen, die in „ari­schen“ Besitz übergegangen sind.

Daß Kauf- oder Pachtsummen in keinem Verhältnis stehen zum wirk­lichen Wert, wenn Tau­sende, die noch obendrein zu Menschen zweiter Klasse degradiert sind, vor der Notwendig­keit stehen, ihren Besitz sofort zu verkaufen, ist klar. Aber ebenso klar ist, daß das deutsche Volk als Ganzes sich dadurch gegen das 7. Gebot versündigt.

Winterhilfe

„Die Juden sind in diesem Jahre am Winterhilfswerk des deutschen Volkes nicht beteiligt. Sie werden durch das Winterhilfswerk des deutschen Volkes nicht betreut und sollen auch zu Spenden nicht herangezogen werden.“

So beginnt der Aufruf der Reichsvertretung der Juden in Deutschland (CV-Zeitung 17.10.35), der dem jüdischen Teil des Volkes die Tatsache mitteilte, daß er vom Winterhilfswerk ausge­schlossen worden war.

In dem in den Berliner Synagogen verlesenen Aufruf des Gemeinde­vorstandes heißt es: „In dieser heiligsten Stunde des Versöhnungstages und unseres ganzen Jahres wenden wir uns … an jeden einzelnen Juden mit einer inständigen Bitte:

Wir Juden haben keinen Anteil mehr am allgemeinen Winterhilfswerk. Es ist für uns die wichtigste und höchste Ehrenpflicht, ein jüdisches Winter­hilfswerk ins Leben zu rufen, das nur in Berlin etwa 30 000 Menschen vor den schlimmsten Unbilden des Winters bewahren soll und muß.“ (Der Schild, Organ des RJF, 11.10.35).

Das heißt: nachdem man den Juden Stellen, Berufe, Einkommen, einem großen Teil die Exi­stenzmöglichkeit überhaupt, ja nachdem man ihnen die Ehre genommen und sie in absolute Hoffnungslosigkeit gestoßen hat, nachdem ihre gewaltsam herbeigeführte Verarmung un­heim-[220]lich schnelle Fortschritte macht, teilt man ihnen unmittelbar vor Einsetzen des Winters mit, daß man auch ihren Armen und Ärmsten die Hilfe ent­zogen hat, und stellt sie vor die Notwendigkeit, eine große Organisation aus der Erde zu stampfen.

Die jüdische Winterhilfe wurde am 22.10. vom Oberrabbiner Dr. Baeck und dem Vorsitzen­den der Berliner Jüdischen Gemeinde, Dir. Hein­rich Stahl, mit einer feierlichen Kundgebung eröffnet. Der Letztere teilte u.a. mit, daß auch die aus der Gemeinde oder dem Judentum Aus­getrete­nen, die rein jüdischen Stammes sind, also alle, die gesetzlich als Volljuden bezeichnet werden, als Empfänger und Spender zur jüdischen Winterhilfe gehören sollen.

Also haben auch Glieder der christlichen Kirche die Hilfe der Synago­ge erfahren.

Die jüdische Winterhilfe mußte in kürzester Zeit für das ganze Reich organisiert werden, da ja der Ausschluß der Juden aus dem Winterhilfs­werk des deutschen Volkes für das ganze Reichsgebiet galt.

Ausländische Hilfsmaßnahmen

Die bis dahin äußerst zurückhaltend berichtende Times brachte am 8.11.35 einen längeren Bericht mit der Überschrift „A cold pogrom“ über die Judenverfolgung in Deutschland, in dem es heißt, daß die Lage der Juden eine „unleugbare Schande (scandal)“ sei. „Die gegen­wärtige Verfol­gung ist mit wildem Fanatismus … auf die totale Vernichtung der ganzen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gerichtet. Wie so manche Nazi- Schlagworte ist „Juda, verrecke“ (im englischen Text deutsch zitiert, mit der Übersetzung: may Jewry perish!) buchstäblich gemeint und wird buch­stäblich verwirklicht werden, wenn die Fanatiker freie Bahn haben …“ Der Artikel bringt dann eine „kleine Auswahl von Fällen ungesetzlicher Juden­verfolgung“ –:

  • Vorenthaltung von Geldern bei einem nichtarisch-christlichen Arzt, Verweigerung von Vollmilch (first-grade-milk) für die jüdischen Kinder in Magdeburg,
  • Verbot des Zutritts zu Kinos in Coburg,
  • Verbot für langjährige arische Angestellte, an der Beerdigung ihres jüdi­schen Chefs teilzunehmen unter Drohung mit Arbeitsentziehung durch die Arbeitsfront, [221]
  • Selbstmord eines jüdischen Notars (Inhaber des EK, der im Kriege einen Arm verloren hatte) bei Empfang des Befehls vom 1.10.35, bin­nen 24 Stunden seine Amtssiegel abzuliefern.

Da Auswanderung nur einem kleinen Teil möglich ist – Juden sind glücklich, wenn sie 20% ihres Vermögens mitnehmen können – so han­delt es sich um eine hoffnungslose Lage. Sie sind verurteilt, „blindlings im Kreise herumzulaufen, bis sie sterben“. Dies ist der Prozeß, für den der Ausdruck „kaltes Pogrom“ gebraucht wird. (Die Nummer der Times, die diesen Arti­kel enthielt, wurde in Deutschland beschlagnahmt).

Der Flüchtlingskommissar des Völkerbundes legte am 31.12.35 sein Amt nieder und begrün­dete den Schritt mit einem Bericht an den Völker­bund über die Rassengesetzgebung in Deutschland. Der Bericht ist in Deutschland nicht veröffentlicht worden.

Am 20.11.35 brachte in der Herbsttagung der Church Assembly in Westminster der Bischof von Chichester eine Protestresolution gegen die Judenverfolgung in Deutschland ein, die eine lebhafte Debatte hervorrief und mit großer Majorität gegen wenige Stimmen angenommen wurde (Times 21.11.35).

Aber ein großzügiger, energischer Versuch zu helfen ist bisher doch nur von jüdischer Seite gemacht worden. Der englisch-amerikanische Council for German Jewry will zunächst 3 Mil­lionen Pfund aufbringen, um jährlich 20-25 000 hauptsächlich jungen Menschen zur Auswan­derung zu verhel­fen. In einer Konferenz teilte einer der Redner mit, daß er die beiden ersten Summen, die er bekam, noch bevor der Aufruf veröffentlicht war, von zwei nichtjüdischen Engländern erhalten habe. (Times 16.3.35).

Daß die Aussichten für die Auswanderung nicht günstiger geworden sind, zeigen die letzten Unruhen in Palästina.

Und die christlichen Nichtarier? Ihre Lage, besonders die der evange­lischen Nichtarier ist noch schwieriger als die der Juden – ein schwerer Vorwurf für die Christenheit, in erster Linie für die deutsche, aber auch für die Ökumene. Einzig die Quäker haben auch hier wieder von Anfang an in ihrer stillen, selbstverständlichen Art zu helfen gesucht. Jetzt soll aus Kreisen der christlichen Ökumene in England eine Schule für nichtarisch-christliche Kinder gegründet werden (Mitt.-Bl. des RNC Nr. 5, Mai 36, Berliner Beilage), so wie seit längerer Zeit die Quäkerschule in Holland besteht. [222]

Statistisches

Über das Verhältnis der Geburten zu den Sterbefallen in den jüdischen Gemeinden von 1933-36 liegen z. B. folgende Zahlen vor:

 Sterbe­fälleGeburten
München (CV-Zeitung 27.2.36)[29]
1933:
17639
34:14825
35:16720
Regensburg (CV-Zeitung 19.3.)
1933-35:
128
Dresden (19.3.)
1935:
6220
Berlin (2.4.)
1934:
2401473
Bamberg (2.4.)
1933-36:
362
Mannheim (2.4.)
1935:
9822
Limburg (9.4.):112
Würzburg (9.4.):14123

Aus diesen Zahlen ergibt sich ein ungefährer Durchschnitt des Verhältnis­ses von Sterbefällen zu Geburten wie 6:1. Diese Zahlen zeigen mit unbarmherziger Sachlichkeit den Erfolg des „kalten Pogroms“. Und sie zei­gen ebenso unbarmherzig, wie schwer das deutsche Volk auch gegen das 5. Gebot verstößt.

Die „vieltausendstimmigen Zurufe“: „Die Juden“ bei der Lustgartenre­de Hitlers am 1. Mai (Berl. D. A.[30] 2.5.) sind ein schrilles Warnungssignal. Wohin soll es noch kommen?

In der Osterbotschaft der VL[31] heißt es: „Weil uns Christus vor dem Vater vertritt, können wir es nicht leiden, wenn die Ehre des Wehrlosen in den Staub getreten wird.“

Hier aber geht es längst schon nicht mehr um die Ehre. Es geht um die Existenz von Hundert­tausenden, es geht um das nackte Leben. Und es geht um die Haltung der Christen, der Ge­meinde, der Kirche. Es geht um die Schuld des Volkes und um die Sünde der Kirche. Und sollte es nicht [223] auch gehen um Zittern und Furcht und Schrecken vor dem, der ein eifri­ger Gott ist, und von dem die Losung des heutigen Tages sagt:

„Der Herr ist Richter über die Völker“?

(abgeschlossen 8.5.36).

Quelle: Manfred Gailus (Hrsg.), Elisabeth Schmitz und ihre Denkschrift gegen die Judenver­folgung. Konturen einer vergessenen Biografie (1893-1977), Berlin: Wichern 2008, S. 191-223.


[1] Die Denkschrift (abgeschlossen ca. Mitte September 1935, mit einem Nachtrag vom 8. Mai 1936) wird hier dokumentiert nach der von Dietgard Meyer edier­ten Textfassung in: Hannelore Erhart/Ilse Meseberg-Hau­bold/Dietgard Meyer, Katharina Staritz 1903-1953. Dokumentation Band 1: 1903-1942. Mit einem Exkurs Elisabeth Schmitz, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 218-261. Die hier ange­fügten Anmerkungen stammen, sofern nicht anders vermerkt, von Manfred Gailus.
[2] Gemeint ist die dritte Synode der Bekennenden Kirche Preußens vom 23.-26.9.1935 in Berlin-Steglitz.
[3] Es handelt sich um die dritte Reichsbekenntnissynode in Augsburg vom 6.6.1935.
[4] „Der Judenkenner“ war eine antisemitische Wochenzeitschrift, die 1935/36 in Berlin erschien.
[5] Die „Bekennende Kirche“ (BK) versammelte die um den Pfarrernotbund zusammengeschlossene innerkirch­liche Opposition gegen die kirchenpolitische Bewe¬gung der „Deutschen Christen“ (DC), die einen völkischen Protestantismus in einer zentralisierten Reichskirche anstrebten.
[6] Hes 3,17.
[7] „Das Schwarze Korps“ (1935-1945) war das wöchentlich erscheinende Organ der Reichsführung SS.
[8] „Der Angriff“ (1927-1945) war das von Joseph Goebbels begründete und durch dessen aggressive Leitartikel geprägte NS-Kampfblatt in Berlin.
[9] DAZ ist „Deutsche Allgemeine Zeitung“.
[10] Anmerkung im Original: Schärfere Begriffsbestimmungen des Nichtariers ent¬hielten von Anfang an das Erbhofgesetz, die Vorschriften für SS, Parteibeamte und deren Frauen und so und so viele private Vereinigun­gen, die absolut päpst¬licher sein mußten als der Papst: die deutsche Adelsgenossenschaft und – die stu¬den­tischen Korporationen, die gleich zwei Glieder weiter zurückgehen usw. usw.
[11] „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933.
[12] Anmerkung im Original: Auch der zugelassenen nicht. SA und SS und alle Parteistellen dürfen keine nicht­arischen Ärzte haben. Die Arbeitsfront gibt keine Beihilfen bei Entbindungen, falls ein nichtarischer Arzt zugezogen war.
[13] Anmerkung im Original: Der Reichsverband nichtarischer Christen hat soeben für seine Mitglieder zusammengestellt: „Die Berufsbeschränkungen der deut¬schen Nichtarier.“ 1.25 M.
[14] Der „Völkische Beobachter“ (1920-1945) war das zentrale Kampfblatt der NS- Bewegung.
[15] Vgl. Genesis 4, 9: Kain antwortet auf die Frage, wo sein Bruder sei: „Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?“.
[16] Das Wehrgesetz vom 21.5.1935 verlangte arische Abstammung als Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst.
[17] Anmerkung im Original: Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden. Herausgegeben vom Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten E. V. 1935 Vortrupp-Verlag, Berlin, S. 54.
[18] Vgl. Matthäus 25, 35 f.; und: Brief des Paulus an die Galater 6, 10.
[19] Friedrich von Bodelschwingh (1877-1946), Leiter der Bodelschwinghschen An¬stalten Bethel bei Bielefeld.
[20] IM = „Innere Mission“, Vorgängerin des Diakonischen Werks der EKD.
[21] Anmerkung im Original: An Abkürzungen sind gebraucht außer den bekannten: RNC: Reichsverband nichtarischer Christen; RJF: Reichsbund jüdischer Frontsoldaten.
[22] Leo Baeck (1873-1956), jüdischer Theologe; 1912-1943 Rabbiner in Berlin, seit 1933 Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden; 1943 deportiert nach Theresienstadt; lebte nach 1945 in London.
[23] Frankfurter Zeitung.
[24] „Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation“.
[25] Gemeint sind: Helene Mayer und Gretl Bergmann.
[26] Gemeint ist der Eishockeyspieler Rudolf (Rudi) Ball (1910-1975).
[27] Handschriftlich verbessert in: BT = Berliner Tageblatt.
[28] Anmerkung im Original: Der § 6 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz be¬stimmt zwar, daß sonstige Anforderungen an die „Reinheit des Blutes“ mit dem 1.1.36 wegfallen sollen – soweit sie nicht vom Minister des Innern zugelassen werden. Dies ist der Fall z. B. beim Zeitungsverlagswesen, sodaß die gesamte Anordnung in Kraft bleibt, d. h. daß für den Berechtigten und dessen Ehegatten der Nachweis bis zum Jahre 1800 zu führen ist. Ja, das Landgericht Rostock hat bereits festgestellt, daß nur ein Deutscher im Sinne der Blutzugehörigkeit Eigentümer deutschen Grund und Bodens sein könne! (BT 26.11.35).
[29] Sämtliche Datumsangaben in den Klammern verweisen auf die CV-Zeitung vom selben Tag (1936).
[30] Deutsche Allgemeine Zeitung (Ausgabe Groß-Berlin).
[31] Gemeint ist: Die 2. Vorläufige Leitung (VL) der Bekennenden Kirche, die am 12.3.1936 berufen wurde.

Hier der Text der Denkschrift als pdf.

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