Hans Joachim Iwands Predigtmeditation zu Johannes 16,23b-33 (Rogate): „Wo man jetzt schon mitherrschen und mittriumphieren und die Knechtsgestalt der Kirche hinter sich lassen möchte, da wird man ebenso lasch und glaubenslos, phrasen- und formelhaft werden im Gebet wie dort, wo man sich einem pseudochristlichen Fatalismus überläßt.“

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Hans Holbein d.J. – Christus auf dem Ölberg (Bildausschnitt Passionsaltar, 1524 – Kunstmuseum Basel)

Predigtmeditation zu Johannes 16,23b-33 (Rogate, 1950)

Von Hans Joachim Iwand

I.

Man muß diesen Text von Anfang bis zum Ende aufmerksam durchlesen, so daß man das Ganze im Sinn hat, und ihn dann nehmen und zusammenbiegen wie einen Ring, daß Anfang und Ende ineinandergreifen und das Ganze wie in einem endlosen Kreis zusammengehalten ist und sich durchdringt. Wenn das, was am Anfang steht, die Verheißung, die dem Gebet im Namen Jesu mitgegeben ist, hängt sachlich, theologisch oder besser noch „geistlich“ aufs eng­ste zusammen mit dem, was am Schluß gesagt ist, mit dem Hinweis auf die nicht endenwol­lenden Drangsale der Gemeinde in der Welt, mit der Mahnung zum Mut und vor allem mit dem Wort von der Überwundenheit der Welt in Jesus. Gerade das, was V.33 gesagt ist, enthält zwei wichtige Limitationen, einmal die Limitation, die das Toben und Wüten des „Kosmos“ einschränkt. In Wahrheit ist dieses Um-sich-Schlagen der Welt, d.h. der sich in ihrer Welthaf­tigkeit absolut setzenden Menschen und Mächte doch nur ein Zeichen dessen, daß sie die To­deswunde empfangen hat und weiß, daß ihr Ende im Namen Jesu und mit dem Tage Jesu ge­kommen ist. Insofern haftet allen Drangsalen denen die Gemeinde ausgesetzt ist, etwas Vor­läufiges an, nichts Letztes, Endgültiges. Die andere Limitation betrifft nun aber die Reali­tät dieses Sieges. Jesus sagt nicht: Ihr habt die Welt nun unter euch, sondern das soll der Trost der Gemeinde in ihren Anfechtungen sein, daß Er die Welt besiegt hat — und zwar er allein.

Wo man es anders hält, wo die Gemeinde sich selbst schon als Sieger fühlt und nicht mehr teilnimmt an der Enge und Drangsal dieses todgeweihten, angefochtenen Daseins in der Welt, wo man jetzt schon mitherrschen und mittriumphieren und die Knechtsgestalt der Kirche hin­ter sich lassen möchte (vgl. das immer noch lehrreiche, heute besonders wieder zu beherzigen­de Beispiel 1. Kor. 4,8ff.), da wird man ebenso lasch und glaubenslos, phrasen- und formel­haft werden im Gebet wie dort, wo man sich einem pseudochristlichen Fatalismus überläßt und mit dem Unglauben an den Sieg Jesu über den Kosmos auch den Sinn des Bittgebetes“ über­haupt in Frage stellt und die entscheidenden Schlachten und Aufgaben eben nicht mehr so, in der eigenen Ohnmacht vor Gott und allein durch sein Eingreifen und sein Handeln zu bestehen wagt. Im Gegenteil, wo man nicht mehr glaubt, daß Christus den Kosmos besiegt hat, wo es dann zu jener bösen Zwei-Reiche-Theorie kommt (im Unterschied zu der rechten lutherischen Lehre von den beiden Reichen), wonach Himmel und Erde eben nicht mehr dem einen Willen Gottes unterstehen, sondern der Himmel einem ohnmächtigen Gott und die Erde einem allmächtigen Teufel, da erlahmt und erlischt das Gebet im Namen Jesu und die Erinne­rung an ihn verblaßt zu jenem nichtssagenden Trost, der nur noch subjektive, d.h. aber im Grunde illusionäre, Bedeutung hat und die Christen zu den „elendesten unter allen Menschen“ macht. Das Bittgebet im Namen Jesu ist Teilnahme an dem Fortgang des mit seinem Sieg ein­geleiteten Geschehens, ist Herbeiziehen des Reiches Gottes und Anwartschaft auf eben jene Machttaten und Wunder Gottes, wie sie mit dem Erdenwandel des Jesus von Nazareth in der Jüngergemeinde ihren Anfang genommen haben (vgl. Joh. 14,12; unmittelbar auf diesen Vers folgt übrigens zum ersten Mal in den Abschiedsreden die Mahnung zum Gebet im Namen Jesu mit ausdrücklichem Hinweis, daß er, Jesus selbst, es tun werde, d.h. doch wohl die Erfül­lung wirken wolle).

Das Bittgebet im Namen Jesu ist also nicht ein besonderes, durch einen — vielleicht noch magisch wirkenden — Zusatz des „Namens“ ausgezeichnetes Gebet, gerade dagegen, daß Jesus für die Seinen als „Fürsprecher“ wirkend gedacht sei, protestiert V.26, sondern es wird und soll nunmehr das Gebet der Gemeinde schlechthin sein. Der Name Jesu ist der Grund all unserer Zuversicht und erst in diesem Namen ist der Himmel aufgeschlossen und das Wohlge­fallen Gottes über uns wie ein Helles Licht ausgebreitet. Gott will ja nicht, daß wir, — unsere Gerechtigkeit, Güte und womöglich unser Gebetsernst mit seiner Erhörung verherrlicht wer­de, sondern seine Erhörung gilt dem Namen Jesus und denen, die an ihn glauben! Im Namen Jesu beten heißt dann also, daß wir in unserem Gebet je schon herkommen von dem Wissen um den Sieg, den Jesus in Kreuz und Auferstehung über die Welt — und das heißt auch und in erster Linie über unser eigen Fleisch und Blut — errungen hat und daß wir eben in demsel­ben Gebet ausgerichtet sind auf den Tag seiner Zukunft und unserer „Erlösung“ (Eph. 4,30), so gewiß der Tag Jesu Christi der Tag unserer endlichen Befreiung von aller Not sein wird. Daß mit diesem Vorzeichen vor allem unserem Bitten auch unsere natürlichen Wünsche und Hoffnungen gerichtet sind, dürfte sich am Rande verstehen, denn „welche Christo angehören, kreuzigen ihr Fleisch samt ihren Lüsten und Begierden“. Nichts ist widerlicher, als wenn sich dann doch wieder, ungetauft und also am Namen und der Sache Jesu vorbei, ebendiese „Lüste und Begierden“ in der Form des Gebetes munter und ohne Scham hervorwagen. Einem sol­chen in eigener Sache redenden Gebet (man beachte nur, wie stark schon wieder nationale und kulturell-abendländische Anliegen als Kulisse dafür herhalten müssen, damit der Mensch, ungebrochen trotz allen Elends, wieder Gott zum Mittel seiner Wünsche und Hoffnungen ma­chen kann) ist weder Erhörung bei Gott noch jene vollkommene Freude zugesagt, die der Vorgeschmack künftiger Herrlichkeit ist. „Solange man das nicht einsieht, solange immer noch die erreichbaren oder abwendbaren Dinge eigentlich unser Herz in Bewegung bringen, solange werden auch immer die Einwendungen, die man aus der Beobachtung des Ganges der Dinge und aus unserer eigenen Ungeschicklichkeit hernimmt, ihre zersetzende Macht wider einen künstlich gesteigerten … robusten Erhörungsglauben behalten“ (M. Käh­ler). Man wird sich also fragen müssen, wie weit die vielfältig zusammengebrochene Zuver­sicht zum Bittgebet und seiner Erhörung nur die Kehrseite eines Bittens ist das nicht im Na­men Jesu erfolgte und in dem der Mensch — in heidnischer Ungebrochenheit — sich einen Gott als mythischen Helfer seiner eigenen Wünsche und Begierden dienstbar zu machen suchte, wenn das Gebet im Namen Jesu hier als ein Neues hingestellt wird, als eine erst mit dem kommen und dem Hingang Jesu zum Vater der Gemeinde erschlossene, unausdenkbar große Möglichkeit, dann zeigt sich daran nur, daß in Christus alles — auch das Gebet — ganz neu geworden ist. Daß es also nicht auf das Beten als solches ankommt — man tue nur einmal einen Blick in das seltsame heilersche Buch über das Gebet und man wird erschrecken, wer alles betet und was dort alles als Gebet registriert wird — sondern dem Gebet in seinem Na­men verheißt der Herr den Aufstieg zum Thron des Vaters, ihm allein.

II.

Das Gebet im Namen Jesu bedeutet aber auch darin ein Neues, daß erst damit Jesus wahrhaft im Geiste erkannt ist und so die große, durch keine Anfechtung und keinen Tod zu zerstören­de Freude die Herzen erfüllt. „Da meynet der Herr die fremde, davon das gewissen widderum getröstet und frölich gemacht wird, nemlich, wenn Christus erkant wird als ein Heiland, denn da wird trübsal, sunde, tod, helle und alles unglück hingenommen, Und das ist nicht eine weltliche frewde … sondern es ist eine hymelische und ewig werende frewde für Gott“ (Lu­ther). Das Gebet wird den Jüngern Jesu jene letzte Gewißheit geben, daß Gottes Wohlge­fallen um Jesu willen über ihnen steht und daß ihnen darum keine Anfechtung und Fährlichkeit schaden kann (im Sinne von Röm. 8,31ff.). Denn die Welt bekommt für sie eine neue Mitte, eben damit, daß dieser Jesu von Nazareth, durch Gottes Geist verklärt, aller geschichtlichen und endlichen Begrenztheit entnommen, der von Gott zu uns kommende und von uns zu Gott gehende ist, also der, welcher uns die Botschaft vom Vater bringt und umgekehrt den weg aus diesem Aon, aus der Welt, die unter der Macht des Todes und der Gottesferne steht, zum Va­ter bahnt. Jesus ist darum die neue Mitte der Welt für alle Glaubenden, weil er die Nähe des Vaters zu den Menschen und umgekehrt den Zugang der Menschen zum Vater durch seine Person verbürgt. Wie aber sollte sich uns dieser „Weg“ (14,6) anders öffnen als eben im Ge­bet, in der Anbetung des lebendigen Gottes, der uns in Jesus nahe ist, und in der kindlichen Bitte zum Vater, der uns um Jesu willen lieb hat. So fallen jetzt und erst jetzt die letzten hül­len, die den Jesus Christus, den Jedermann kennt und der zu aller Welt „in Gleichnissen“ re­det, von dem Jesus Christus unterscheiden, der im Glauben erkannt und so als Bote und Sohn des Vaters ergriffen und begriffen sein will. Darum heißt es hier in so betonter weise („es kommt die Stunde“! Vgl. 13,1), daß die Gleichnisrede aufhören und eine „offene“, aber eben nur für die Jünger bestimmte Offenbarungsrede vom Vater her einsetzen wird. Damit ist jedenfalls angezeigt, daß der zum Vater gehende Jesus noch in einer besonderen Weise sich seinen Jüngern offenbaren wird — man wird hier an jene Erscheinungen und wohl auch Of­fenbarungen denken dürfen, die den Jüngern in der vorpfingstlichen Zeit zuteil wurden und die man gemeinhin das quinquaginta dierum nennt. Eben in diese vorpfingstliche Zeit gehört darum diese Perikope als Erinnerung und Mahnung daran, daß wir nicht zurückgleiten in jenes Verständnis Jesu, das nur von der analogia entis her, also nur gleichnishaft und für die „Öffentlichkeit“ zugänglich ist. Offenbarung ist etwas anderes als Öffentlichkeit. Öffent­lichkeit ist nicht das, was dieser Name besagt, im Gegenteil, Öffentlichkeit ist biblisch be­trachtet die Welt derer von „draußen, denen alles in Gleichnissen widerfährt“, aber die Welt der Offenbarung ist nur denen aufgetan, denen es gegeben ist, die „Geheimnisse des Himmel­reichs zu wissen“. Das aber ist das Geheimnis des Himmelreichs, daß dieser Jesus von Naza­reth, ein Mensch wie wir, der Sohn der Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt und auferstanden, der lebendige Sohn Gottes ist, in dem wir nun den Zugang zum Vater haben und darum eine nie mehr erlöschende Freude und Gewißheit.

Quelle: Hans Joachim Iwand, Predigtmeditationen, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1963, S. 218-221.

Hier der vollständige Text als pdf.

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