
Zum Christfest bzw. dem 1. Weihnachtstag 1954 hatte Hans Joachim Iwand eine höchst anspruchsvolle Predigtmeditation über Johannes 1,1-14 verfasst:
Predigtmeditation zu Johannes 1,1-14 (1. Weihnachtstag)
Von Hans Joachim Iwand
At praenotandum est ante omina quod Johannes in hoc loco per verbum intelligit filium Dei. Luther zu Joh. 1, W.A. I 20,8
Dicendum, quod uniri Deo in unitate personae non fuit conveniens carni humanae, secundum conditionem suae naturae; quia hoc erat supra dignitatem ipsius. Conveniens tamen fuit Deo, secundum infinitam excellentiam bonitatis eius, ut sibi eam uniret pro salute humana. Thomas S. Th. III. qu. 1, a. 1[1]
I.
Eins sollten wir wissen, wenn wir uns dazu rüsten, zu verkündigen, was Joh. 1,1-14 geschrieben steht: daß es hier um die Mitte unseres Glaubens geht, daß hier der Punkt getroffen ist, mit dem das Christentum steht und fällt. „Das Bezogensein auf dies Geschehen, dieses Wort-Faktum, dieses fleischgewordene Wort ist der Glaube. Es gibt Formulierungen, die die Wahrheit mehr von der Seite, von einem Seitenaspekt fassen. Diese aber geht von vorn auf die Mitte.[2] Aber freilich, wo immer es uns gelingt, diese Mitte zu treffen, werden wir auch zugeben müssen, daß es die wiedergefundene, die wiederentdeckte Mitte ist. Oder ist das auch schon zuviel gesagt? Bewegen wir uns in der Theologie und in der Verkündigung der Kirche erst auf diesen Punkt zu, ohne recht zu wissen, ob wir ihn fassen können? Wir sind lange gewohnt gewesen, gerade diesen Prolog als „metaphysischen“, „spekulativen“, vielleicht auch gnostischen Überbau über dem rein historischen Faktum des Lebens Jesu anzusehen. Wir haben ihn nicht als Mitte des Glaubens angesehen, sondern als Peripherie, was würde es bedeuten, wenn wir wieder hier unsere Position bezögen, wie das die alte Kirche mit ihrem Bekenntnis zu der Gottmenschheit Jesu Christi einer heidnischen Welt gegenüber getan hat? Eins jedenfalls ist sicher: wir müssen diesen Punkt als die Mitte unseres Glaubens, unseres Lebens wiederfinden — oder das, was wir Christentum nennen, [426] wird zu „Weltanschauung“ umgebildet[3], wird ein Raub idealistischer oder antiidealistischer, unsichtbarer oder sichtbarer Gewalten, die dann mit ihm ihr Spiel treiben. Wenn an diesem einen Satze (1,14) hängt es, daß Gott Gott ist, daß Gott frei ist, daß und was er ist; daß er unser Gott ist. Daß wir darum auf Gott bezogen sind, weil Gott zunächst und zuerst sich mit unserem Fleisch und Blut in Gemeinschaft gesetzt hat. Der Prolog bezeugt, wo wir die Realität der Wirklichkeit Gottes finden. Er zieht die Linie aus, die sich mit dem „Wunder der Weihnacht“ (K. Barth)[4] für das Ganze unseres Lebens, für Zeit und Ewigkeit ergibt. Er bricht mit der Vorstellung eines dunklen, eines stummen, eines ontisch „seienden“ und zwar eben für sich seienden Gottes. Er läßt den Schein, der von dem Menschen Jesus Christus ausgeht, bis in den Bereich unserer Ideen und Gottesvorstellungen hineinleuchten, um diese als Finsternis und Irrtum, als dunkel und wesenlos offenbar zu machen. Der philosophische Gott, der vom Menschen erfundene und erdachte Gott, dieser letzte Beziehungspunkt des weltganzen, die „erste Ursache“, ein Unergründliches, ein X, das hinter den Dingen steht, verliert seinen Glanz. Der Gott, der sich offenbart hat in Jesus Christus, ist nicht das einsame, unzugängliche, absolute Sein, unser Gott ist in Ewigkeit so eins mit seinem Sohne, wie er es in der Zeit und vor unser aller Bugen ist. Es gibt keinen Rückgang hinter diese Einheit von Gott und seinem Wort, von Gott und seinem Sohn, wo das Wort Gottes ist, da ist Gott, wo Gott ist, da ist sein Wort. Das steht im Anfang aller Dinge, als der Punkt, auf den wir stoßen, wenn wir an den Rand alles Geschaffenen treten. Die Philosophen meinen, dort Gott an sich zu entdecken (als Grenzbegriff) — und der moderne Atheismus und historische Relativismus ziehen nur das Fazit, das sich aus diesem Irrwege ergeben mußte, — aber wir Christen sollten wissen, daß es diesen „Gott an sich“ nicht gibt und nicht geben kann. Sondern es gibt nur den Gott, der eins ist mit seinem Wort, den Vater, der eins ist mit dem Sohn von Anbeginn der Welt.
Wer die Botschaft des Prologs recht versteht, wird also nicht mehr den hoffnungslosen Versuch unternehmen, mit einem „natürlichen“ Gottesbegriff an die Krippe von Bethlehem heranzutreten und das, was er hier schaut und findet, in sein „natürliches“ System unterzubringen, als wäre jenes der Rahmen und der historische Jesus das Bild, jenes die (gleichbleibende) Form und dies der (wechselnde) Inhalt. Der Prolog ist nicht abgestimmt auf den Doppelton „Natur und Gnade“, „Vernunft und Offenbarung“, sondern auf Gnade allein, auf Offenbarung allein (vgl. V. 16). Darum geht der menschlichen Vernunft auch die Luft aus, wenn sie versucht, Joh. 1,1 zu „denken“, das ist ihr zu hoch. Sie stößt hier auf Aussagen, die sie mit der ihr eingeborenen Gottesidee nicht mehr verbinden kann. Sie muß schon ihren „Gott“ fahren lassen, um wirklich Gott zu gewinnen. Der gedachte Menschengott, der Gott der theoretischen wie auch der der praktischen Vernunft, der ontologische wie der ethische, sie können nicht Mensch werden, ohne aufzuhören, Gott zu sein. Der wirkliche, lebendige Gott, den der Prolog bezeugt, wird Mensch und bleibt doch, der er ist, ja, er ist jetzt erst ganz und gar unser Gott, der [427] unser Fleisch und Blut an sich genommen hat. wenn man den Prolog des Johannes recht versteht, so ist man erlöst von dem falschen Wahn, der die Menschen bezaubert und verführt, von den verkehrten, irrtümlichen und irreführenden Gottesvorstellungen, die wir in uns tragen und die eben niemals anheben, wie Joh. 1,1 anhebt: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott![5] Und zwar erlöst uns der Prolog in einer anderen weise aus der Nacht unseres Irrtums als die, die zu uns sagen: Gott ist tot![6] Hier löst die Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes, mit seiner Menschwerdung in Jesus Christus, die Vorstellungen ab und auf, die wir uns von ihm machen. Die Offenbarung löst die Vorstellungen, die wir uns von Gott machen, auf, wie die aufgehende Sonne den Nebel. Der lebendige Gott, in dem Licht und Leben ist, erscheint genau an der Stelle, wo die Spötter sagen: es ist kein Gott. Es wäre falsch, zu sagen, die Weihnachtsbotschaft des Prologs meine, daß die Gottesidee in einer geschichtlichen Person konkrete Gestalt gewinnt, sondern sie besagt, daß an die Stelle des gedachten und darum lediglich geistigen und darum wieder nomistischen Gottes — der wirkliche, lebendige, gnadenreiche Gott in Person getreten ist, Jesus Christus, das im Menschen Jesus offenbarte Wort. „Nein, Geselle, wo du mir Gott hinsetzest, da mußt du mir die Menschheit mit hinsetzen, sie lassen sich nicht sondern und voneinander trennen“[7]. Damit ist der Punkt angegeben, auf den wir in der Verkündigung hinstreben sollten.
II.
Wir dürfen dabei auch wissen, daß die Bewegung, die heute die protestantische Theologie, zum mindesten in Deutschland, kennzeichnet, dadurch charakterisiert ist, daß sie diesem Punkt zustrebt. Es geht um den einen Satz: „Das Wort ward Fleisch.“ Ich nenne nur den schon eingangs zitierten E. Brunner in seinem „Mittler“. Hier ist gesehen, daß der Logos nicht eine Idee bedeuten kann, sondern Tat Gottes, zu uns kommendes Wort als Ereignis. Brunners Anliegen geht darauf aus, uns von der „Religion Jesu“ weg und zur Begegnung mit Jesus aus der Offenbarung Gottes zu führen (S. 205). „Wort Gottes, Offenbarung ist das Hervorkommen dieses verborgenen aus seiner Verborgenheit durch Gottes unbegreifliche Selbstmitteilung“ (S. 209). „Die Inkarnation ist das wahrhaft Objektive, keiner subjektivistischen Umdeutung Fähige, für uns das große Wunder. Gerade das, was der moderne Subjektivismus als sakramental-magisch ablehnt, [428] das, was aller menschlichen Beziehung zu Christus vorausgeht als die Beziehung Gottes zu uns, die Annahme der menschlichen Natur, die Überbrückung der Kluft zwischen der menschlich-geschichtlichen Existenz als solcher und Gott, ist die große Heilstatsache, das Weihnachtswunder“ (287). Man spürt noch, wie Brunner sich erst in Annäherung an die neue Erkenntnis befindet, wie noch ein Nest von „Logosidee“ mitschwingt, wie er noch nicht die Grenze zum Dramatischen vermeidet — aber immerhin: 1927 war das ein aufgerichtetes Zeichen. Sehr viel weiter reicht bereits H. Vogels: Christologie, hier findet sich eine ausführliche Auslegung von Joh. 1,1-18 (S. 100-164). „Es geht hier nicht um ein Wort wie andere Worte auch“ (S.109). „Et incarnatus est. hier ist das Zentrum, aus das alles, was vorher gesagt wurde, hinweist, wie es nur von hier aus gesagt werden konnte …, hier gilt jenes: ich glaube, damit ich erkenne, in einer Erkenntnis, die nur Anerkenntnis und Anbetung sein kann“ (S. 125). Vogel legt den Ton auf die Tatsache, daß das Wort unsere „sarx“ annahm. „Es wurde sarx, es wurde Fleisch, Sündenfleisch, Todesfleisch, wie es der Existenz des Sünders eignet, in dem der Sünder existiert … damit ist gesagt, daß der ewige Logos in die Zeit einging, in die Zeit, die als vergehende Zeit Todeszeit ist“ (140). Je näher Vogel der Mitte des Prologs kommt, desto größer stellt sich ihm das paradox des dort Bezeugten dar. „Als Widerspruch stand vor der Vernunft der Satz, daß der Schöpfer ein Geschöpf wurde, daß der Ewige in die Zeit einging und Gott geschichtlich wurde“ (164). Und dann befaßt sich Vogel sehr eingehend mit der Art dieses Widerspruchs und seiner Auflösung. Er sieht im unaufhörlichen Widerspruch hier und jetzt die Demütigung der Glaubenserkenntnis und das notwendige Ärgernis der Vernunft, er erwartet die endgültige Deckung von Glauben und Erkennen als eschatologisches Ereignis in der kommenden Welt Gottes. So setzt sich bei H. Vogel die Kierkegaardsche Fragestellung fort. Und es ist wichtig für den Prediger, daß er diese Frage nach dem Wie der Erkenntnis Gottes in Jesus Christus nicht beantwortet, denn sie ist von dem was nicht zu trennen. Wie sollen wir das Paradoxe verkündigen? Ist die Menschwerdung Gottes wirklich ein „Widerspruch“, ein in ihm selbst, in Gott selbst liegendes paradox? Oder liegt er nur in der Subjektivität? Ich erinnere hier an das vorangestellte Thomaszitat. Man erkennt, in welche tiefen Probleme und Schwierigkeiten wir geraten, sobald wir uns wieder der Mitte, dem ,,ho lógos sàrx egéneto“ nähern. Ist es nicht bedeutsam, daß der Prolog die Präexistenz des Wortes voranstellt Joh. 1,1? Kann und soll man denn Joh. 1,14 aus diesem Nahmen lösen? Auch N. Bultmann sieht in Joh. 1,14 ein Paradox: „Das Ereignis der Offenbarung ist Frage, ist Ärgernis. Nichts anderes sagt das „ho lógos sàrx egéneto“. „Es ist daher der Sache völlig entsprechend, wenn der Titel Logos im weiteren Evangelium keine Rolle mehr spielt. Als der Fleischgewordene und nur als dieser ist jetzt der Logos da“ (40). Es ist eindeutig, daß R. Bultmanns großer und bedeutsamer Kommentar zentral hineingehört in das theologische Bemühen um die Erfassung der Offenbarung Gottes in der Menschwerdung, um das Ineinander von (Offenbarung und Geschichte. „Aber das ist die Paradoxie, daß die dóxa nicht neben der sárx oder durch sie, als durch ein Transparent hindurch zu sehen ist, sondern nirgends anders als in der sárx, und daß der Blick es aushalten muß, aus die sárx gerichtet zu sein, ohne sich beirren zu lassen — wenn er die dóxa sehen will. Die Offenbarung ist also in einer eigentümlichen Verhülltheit da. In dieser Verhülltheit aber ist wirklich Gottes Offenbarung unter den Menschen“ (41). Man wird insbesondere die Abgrenzungen zu beachten haben, die Bultmann zu den gnostischen Erlösungslehren gegenüber dem [429] kosmischen Erlösungsprozeß“ herausstellt und gegenüber dem „der Gefahr eines sozusagen pietistischen Mißverständnisses“ im Blick auf die Person des Offenbarers, „wenn dessen Menschheit nicht als Anstoß und paradox, sondern als ein Akt der Herablassung verstanden wird, der den Offenbarer anschaulich macht“ (S. 43). „Das glaubende Schauen erfolgt in der Umkehrung der natürlichen Lebensrichtung“ (S. 45). So tritt deutlich ein Problem heraus, welches für die Verkündigung von höchster Bedeutung sein dürfte, eben die Frage, wie denn nun von dieser Offenbarung Gottes von uns zu reden ist? Wie wir das Zeugnis der Augenzeugen (1,14) weiterzugeben haben.
Es ist auffällig, wie stark das „paradox“ bei derjenigen Interpretation von Joh. 1 zurücktritt, auf die wir als letzte Hinweisen: bei Karl Barths Auslegung in K. D. I,2: „Wahrer Gott und wahrer Mensch“ (S. 145ff.). Gleichwohl ist zu sagen: Wenn irgendwo das „Werden“, das egéneto von Joh. 1,14 durchdacht und ernst genommen wurde, dann hier. „In dem Satz: das Wort ward Fleisch, ist das Wort Subjekt. Ihm widerfährt nicht etwas, sondern es handelt in dem von ihm ausgesagten Werden“ (147). „Nein, daß das Wort Fleisch ward, das ist keine Eigenbewegung der Kreatur, das ist wie die Schöpfung selbst ein souveräner, und das ist ein von der Schöpfung verschiedener göttlicher Herrschaftsakt“ (147). „Das Wort ward Fleisch, und nur kraft dieses seines Werdens, das ganz frei und allein sein Werden war, wurde das Fleisch Wort. Das Wort redet, das Wort handelt, das Wort siegt, das Wort offenbart, das Wort versöhnt. Gewiß, das fleischgewordene Wort, also das Wort nicht ohne das Fleisch, sondern das Wort im Fleische und durch das Fleisch — aber das Wort, und nicht das Fleisch.“ Und „das Wort hört, indem es Fleisch wird, nicht auf, das Wort zu sein“. „Es hat auch als Fleischgewordenes sein Sein in alle Ewigkeit vom Vater und aus sich selbst und nicht vom Fleische“ (150). Barth könnte also wohl nicht sagen wie Bultmann: „Als der Fleischgewordene und nur als dieser ist jetzt der Logos da.“ Hier liegt freilich nur eine der Fragen, die unter uns aufgebrochen sind, indem wir uns dem Wunder der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ernsthaft theologisch nahen. Dieser kurze Aufriß der bedeutendsten Schritte, die auf die Erfassung der Inkarnation hin getan worden sind, sollte nur deutlich machen, wie hier alles in Aufbruch ist, um das Zentrum der Offenbarung nun wirklich auch Zentrum des Glaubens und Bekennens sein zu lassen. Noch ist alles in Bewegung auf diesen einen Punkt hin, noch scheint der Rubikon nicht endgültig überschritten, noch die Entscheidung nicht klar und deutlich ins Bewußtsein der Gemeinde übergegangen zu sein, trotz des bedeutenden Ansatzes von „Barmen“ These 1! Es ist vor hundert Jahren in Verfolg des Hegelschen Ansatzes schon einmal der Versuch unternommen worden, die im Prolog gezeichnete Mitte neu zu erfassen (Dorner, Chr. Ferd. Baur, Thomasius), er ist gescheitert. Das Ende des 19. Jahrhunderts, der Abfall zum „historischen Jesus“ war die unausbleibliche Konsequenz davon. Wir haben neu zum Gipfelanstieg eingesetzt. Ist die Verkündigung der Kirche sich dessen bewußt, daß es hier um das Ganze der christlichen Botschaft geht, daß auch die Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung leer ist, wenn das Wort nicht Fleisch wurde und das Wort, das Fleisch wurde, nicht das Wort ist, da; im Anfang war und das eben der Sohn Gottes selbst ist?!
III.
Luther in seiner großartigen, bis heute nicht erreichten Auslegung unseres Textes in der Kirchenpostille 1522 beginnt mit der Behauptung, daß der Text [430] nicht, wie etliche meinen, „finster und schwer“ sei, daß vielmehr hier „der hohe artickel von der gottheyt Christi auffs aller klerist gegrundt ist“[8]. Das ist ein wesentlicher Punkt für jeden Prediger, er sollte diesen Glauben an die „claritas scripturae“ auch über sein Unvermögen walten lassen und sich nicht vor den „Problemen“ scheuen, womöglich meinen, der Text sei für die Gemeinde oder für die Menschen von heute zu hoch. Wie kann ein Text zu hoch sein, dem es darum zu tun ist, die Gottheit Jesu Christi für den Glauben herauszustellen! Der Text gliedert sich offensichtlich in drei Stücke, einmal in das, was vom Wort, das bei Gott war gesagt ist, dann in das, was vom Zeugnis des Johannes gesagt ist, das den Zeugen in seiner rechten Stellung aufzeigt (er war nicht das Licht!) und schließlich V. 9-14 der Inhalt dieses Zeugnisses, der im Bekenntnis V. 14 seinen Höhepunkt erreicht.
V 1-5. Am Anfang steht der in sich selbst redende, offenbare, der Leben und Licht in sich selbst tragende Gott. R. Bultmann sagt mit höchstem Recht: „Hinter das ho lógos ēn pròs tòn theón wird nicht zurückgegangen; dem lógos ging keine sigḗ voraus.“ Das bedeutet aber weiter, daß „gott und seyn wort tzweyerleq seyn müssen“ (Luther). Genau so interpretiert K. Barth das „Deus dixit“. Das bedeutet aber, um noch einmal mit Luther zu reden, daß „das Wortt kome von dem sprecher und habe seyne weszen nit von yhm selbs, szondern von dem sprecher, der sprecher aber kompt nit, hat auch syn weszen nit von dem wortt, szondern von yhm selbs“. Die Offenbarung, die in Jesus Christus Ereignis wurde, hat ihren Grund und ihren „Anfang“ jenseits der Weltzeit. „In der Ewigkeit und Einheit des göttlichen Willens ist Welt- und Heilsgeschehen begründet“ (Bultmann). Ähnlich wie Hebr. 1,2; 1. Kor. 8,6; Kol. 1,16 wird deutlich gemacht, daß alles, was ist, von diesem Wort her seinen Bestand hat. Es wäre nicht, wenn es nicht von ihm her wäre. Darum gibt es eine „Beziehung“ alles dessen, was ist, auf das Wort und seine Offenbarung. Es kommt, wo es kommt, wirklich „in sein Eigentum“. Es kommt nicht als Usurpation, als Vergewaltigung, sondern als der Herr, der mit Recht Glauben und Anerkennung verlangen kann. Es folgt die These, daß Leben und Licht in dieser bedachten Zuordnung![9] — soweit sie uns zuteil werden, nicht aus uns, sondern aus dem Wort kommen. Leben heißt Dasein, Leben als Licht aber bewußtes, erhelltes, vernünftiges Dasein, das um sich selbst wissend ist. Finsternis aber heißt, daß die Erkenntnis und das Leben, das aus dem ewigen, schaffenden Wort stammt, gegen dasselbe ausgespielt und geltend gemacht wird. Selbst-[431]mächtigkeit der Ratio! Verlust des Lebens an sie. Die Perversion der Schöpfung vollzieht sich im Geistigen, auf der höchsten Ebene im Religiösen durch Geltendmachen des Nomos gegen die Gnade.
V. 6-8. Weil das Paradoxe eintritt, daß das Licht in der Finsternis scheint, aber diese es nicht „ergriffen, begriffen, sich zu eigen gemacht hat“ (W. Bauer), weil sie bleibt, was sie ist, weil sie nicht von sich selbst, von Natur aus schwindet, darum Johannes, als der dem Kommen des Wortes beigesellte Zeuge. Es wären Kirche, Predigt, Lehre und die Berufung bestimmter Menschen zu Zeugen nicht not, wenn das bloße Vorhandensein Jesu Christi in der Welt, das Kommen und Gekommensein des Wortes an sich genügten. Dies als Warnung an alle, die das persönliche Zeuge-Sein untergehen lassen möchten vor der kultisch und sakramental gefaßten Objektivität des Christusgeschehens. Der Hinweis auf den Zeugen, der die Welt ihrer Sünde überführt, ihren Unglauben bricht, der der Botschaft Worte verleiht, die die Zeit und die Zeitgenossen treffen, dürfte heute eine unserer schwächsten Stellen treffen. Sind wir doch allzusehr auf dem Rückzuge auf das „Christusgeschehen als solches“ begriffen. Darum muß vor Joh. 1,14 von dem Zeugendienst die Rede sein. Über Zeugendienst ist ein von sich weg-, ein über sich hinausweisender Dienst. Erst im Zeugendienst kommt die echte, die dem Wort und der Sache gemäße Objektivität zur Darstellung: „Daß er zeugte von dem Licht.“ Noch deutlicher v. 15 ff. Prototyp der Christusbotschaft im Neuen Bunde!
V. 9-14. Es folgt nun die in dieser echten Objektivität, das heißt im Zeugnis der Gemeinde, vernehmbare Botschaft[10]. Was V. 1-5 vom Worte her Umrissen ist, wird nun in concreto gesagt: das Kommen des Lichtes in die Welt und die Reaktion der Welt darauf. Wieder tritt das Paradoxon, und zwar nicht als rhetorisches, sondern als faktisches, schuldhaftes Paradoxon hart heraus. Sowohl, was die Welt angeht, wie auch die „Seinen“, also Israel, die Kirche. Jetzt ist „nicht erkennen“ Schuld. Der Ursprung alles Seins und Lebens ist mitten unter uns, aber wir wollen nicht von ihm her und auf ihn hin sein. Das isolierte Dasein behauptet sich ihm gegenüber in Finsternis und verfall. Das gegenwärtige Wort aber will „angenommen“ sein. Wo das geschieht, also das eigentlich Normale, aber um der Finsternis willen nun eben doch Exzeptionelle, persönliche, in der Entscheidung des Glaubens Rituelle sich ereignet, da verleiht der Herr den Seinen die Vollmacht der Gotteskindschaft, d. h. das sieghafte vermögen den Mächten der Welt gegenüber. Glaube hängt an seinem Namen (Mt. 1,21; Acta 4,12). Darin, daß in keinem anderen Namen „Heil“ ist, sind alle entthront aus dem Herzen und Gewissen der Gotteskinder, die sich als Heilbringer und Herren der Welt aufspielen. Evangelium heißt: Frohe Botschaft, Gott ist König geworden in Jesus Christus. Daß solche Einsetzung in die Gotteskindschaft die neue Geburt „aus Gott“ ist, wird von Johannes immer wieder aufs nachdrücklichste betont (3,3; 6,8f.; 1. Joh. 2,29; 3,9; 5,1 usw.).
Abschließend folgt V. 14 das Bekenntnis, welches die Offenbarung Gottes in Jesus Christus klassisch formuliert. Die predigt wird kaum dazu gelangen, dieses Wort noch im einzelnen auszulegen, denn das würde eine predigt für sich bedeuten. Wohl aber könnte es sein, daß bei rechter Auslegung die Gemeinde das Wort von V. 14 als ihr Bekenntnis aufnimmt und versteht, daß darin, wie es später im Apostolikum und besonders im Nicaenum ausgelegt und bekannt worden ist, die Mitte ihres Glaubens gewahrt ist.
Quelle: Hans Joachim Iwand, Predigtmeditationen, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1963, S. 425-432.
[1] „Man muß vor allem anderen das vermerken, daß Johannes unter Wort an dieser Stelle den Sohn Gottes versteht.“ Aus einer früheren Predigt Luthers (1514). Er hat aber bis ans Ende daran festgehalten, daß „Wort“ in der Theologie etwas anderes bedeutet als in der Philosophie, vgl. die Thesen zu Joh.1,14 (1539) „in ibeoloxia vorum ssi, vorbuin esse oarnoin kaetuin, in pbilosopbios heißt vorbum sonne and vox, sock tLsologios loguoncko verduin «ixnitioat tlliuin voi. Vas hätte Aristoteles nicht zugelasjen, verbuin signiüoaro plsnnin Oourn“ (Drews S. 595).
Das Thomaszitat stammt aus der quaestio 1 der S.Th. III: de convenientia incarnationis. „Man wird sagen müssen, sich mit Gott in der Einheit der Person zu vereinigen, ist nicht in Übereinstimmung mit dem Wesen des menschlichen Fleisches, gemäß den Bedingungen seiner Natur. Denn das ging über seine Würde hinaus. Wohl aber war es in Übereinstimmung mit Gott gemäß der alle Grenzen sprengenden Unfaßbarkeit seiner Güte, daß er sie (die menschliche Natur) mit sich einigte zum Heil der Menschen.“ Der Johannesprolog will, indem er Gott als das Subjekt der Geschichte des Menschen Jesus, seines Daseins auf Erden, heraushebt, einer solchen alle Grenzen menschlicher Möglichkeit sprengenden, aber von Gott her wesensgemäßen Konvenienz Ausdruck geben.
[2] So E. Brunner in „Der Mittler“, S. 178f.
[3] W. Heitmüller in NTD (1908) spricht noch ganz unbefangen von der „Herkunft der johanneischen Weltanschauung“ (697). Aber auch ein orthodoxer Dogmatismus kann in „Weltanschauung“ Umschlägen, gerade unter Zugrundelegung der Idee vom Gottmenschen.
[4] Vgl. Kirchl. Dogmatik I, 2, S. 187ff. „Gottes Offenbarung in ihrer objektiven Wirklichkeit — Person Jesus Christus“.
[5] In der Ritschl-Harnackschen Schule verstand man unter dem Logos ein philosophische; Prinzip, ein „allgemein kosmisches Prinzip“ (Wellhausen), und interpretierte den Prolog in Anlehnung an Philo. Das ist heute als irrig erkannt (vgl. R. Bultmann, Ev. des Joh., „Der Logos“, S. 5ff.). Die Parallele zu Gen. 1,1 tritt stärker heraus, besonders bei Schlatter. Logos heißt Wort, das ist heute allgemeine Erkenntnis (H. H. Schäder, Bultmann, Schlatter). Aber es ist das Wort Gottes als Hypostase und darin doch anders als Gen. 1.
[6] Vorrede Zarathustras: „Sollte es denn möglich sein, dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch nichts davon gehört, daß Gott tot ist!“ vgl. neben diesem Werk auch die „Fröhliche Wissenschaft“, Nr. 125: Der tolle Mensch, weiter: „Das größte neuere Ereignis — daß Gott tot ist, daß der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig ist — beginnt bereits seine ersten Schatten über Europa zu werfen“ (Buch V, Nr. 343). Dazu M. Heidegger: „Nietzsches Wort: Gott ist tot“, in „Holzwege“, S. 193ff.
[7] Bekannte Stelle aus Luthers: „Vom Abendmahl Bekenntnis“; vgl. die ganze Stelle Cl. III., 397.
[8] W.A. X,1,1, 280ff.
[9] Glaube ist primär Leben! Luther interpretiert die Umkehrung treffend und zeigt deren verheerende Auswirkungen: W.A. 10, S. 208, 4-21: „Die vernunfft weyss wol, das man frum seyn soll und gott dienen, da kan sie viel von schwetzen und meynet alle weit tzu meysternn. Wolan, das ist war unnd wol geredt, aber wenss nu tzum treffen, geht, unnd sie soll antzpgen, wie unnd warynn man soll frum werden odder gott dienen, da kan sie gar nichts, da ist sie stockblind und hebt an und spricht: man soll fasten, beten, singen und die werck der gesetz thun, unnd narret alsso fortan mit den wercken, biss das sie sso tieff kompt, das sie meynett, man diene gott mit kirchen bawen, glocken leutten, reuchernn, plerren, singen, kappen tragen, platten haben, kertzle brennen und des untzehligen narrnwercks, des itzt alle wellt voll unnd über voll ist; ynn solchem großen, blinden yrthum feret sie eynher und bleicht doch ymer das Helle liecht: Ulan soll svum sepn unnd gott dienen. Wenn nu das gnadenliecht kompt Christus, der leret auch: man soll frum sepn unnd gott dienen, letscht dasselb natürlich liecht nit auss, ssondernn sichtet widder die wepsse unnd Masse, die die vornunfft geleret hatt frum tzu werden und gott dienen, und spricht: frum werden seg nit die werck thun, ssondernn ynn gott tzuuor on alle wercke glewben, unnd alssdenn werck thun, und on glawben sey keyn werck gutt.“
[10] Vgl. zu V. 9-14 Pred.-Med., 1. Jg., Heft 2, S. 16.