Dietrich Bonhoeffers Entwurf einer Epiphanias-Predigt über Jesaja 60,1-6: „Es wird ein Kommen, Sich-drängen, ein Hin- und Hertragen sein zum Lichte Jesu Christi.“

Fresko Roggenburg komp
Die Anbetung der Könige (Fresko von Waldemar Kolmsperger, Klosterkirche Roggenburg, 1901)

In seiner Finkenwalder Zeit stammt der folgenden Predigtentwurf Dietrich Bonhoeffers über Jesaja 60,1-6:

Jesaja 60,1-6: Mache dich auf, werde licht! denn dein Licht kommt, und die Herrlich­keit des Herrn geht auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dun­kel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden wer­den in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und siehe umher: diese alle versammelt kom­men zu dir. Deine Söhne werden von ferne komme und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bede­cken, die jungen Kamele aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des Herrn Lob ver­kündigen. (Luther 1912)

1. Vom Sieg des Lichtes über die Finsternis sprechen alle Völker, Religionen und Menschen gerne. Das ist heidnische Weisheit und Hoffnung. Es ist ja auch ein naturnotwendiges Ge­schehen, wie die Sonne über die Nacht siegt. Die Schrift redet aber nicht von einem „Natur­licht“, sondern von dem „Gnadenlicht“ — und das ist etwas ganz anderes. „Mache dich auf, werde licht.“ — Hat es einen Sinn, einem Menschen das zu befehlen? Wie kann einer licht werden auf Befehl? Nein, es hat nur Sinn, wenn der so spricht, der Wunder tun kann. „Dein Licht kommt“ — was denn für ein Licht? Nicht ein Licht, das wie die Sonne der Nacht folgt, nicht ein natür­liches Licht, sondern ein ganz anderes Licht; es heißt „Herr-[188]lichkeit des Herrn“, es heißt Erlösung, Gnade, Vergebung, es heißt Jesus Christus, es heißt Stall in Beth­lehem, Sünder-und Armenheiland, Leiden, Kreuz, Sterben Jesu Christi. Darum „dein“ Licht. — Was heißt das sonst? Licht, das dir gilt, gehört, hilft — Licht Gottes ist in Jesus Christus. — Es kommt, du hast es nicht in dir, du weißt und ahnst von dir aus nichts davon, es kommt und geht auf über dir — von Gott her als des Herrn Herrlichkeit. Seltsame Herrlichkeit, seltsa­mes Licht — das Krippe und Kreuz heißt, Licht, das für die natürlichen Augen gerade aus­sieht wie tiefste Nacht. Aber gerade dieses Licht allein ist Licht, dem gegenüber die aufgehen­de Sonne und der Sieg des Guten in der Welt tiefste Finsternis ist. „Werde licht“ — das be­fiehlt der, der es allein licht und hell in uns werden läßt. Aber was heißt: Licht und hell in uns? Es heißt nicht, daß das Gute in uns über das Böse in uns siegt, daß wir endlich die Be­friedigung über diesen Sieg gewinnen, sondern es heißt, Christus geht dir auf, Christus lebt in dir, Christus zieht ein „vom Stall und von der Krippe“ — d. h. ganz in der Verborgenheit, in gro­ßer Schwachheit wird es hell in dir durch Vergebung und Heiligung; wird es hell in uns allen, die wir ihm gehören, in der ganzen Gemeinde. Werde licht = leuchte, nicht in deiner sieghaften Kraft, sondern verkündige Christus in Worten und Taten; denn er ist zu dir gekom­men.

2. Vers 2: „Siehe“ — in diesem Licht erkennst du, daß alle Welt finster ist, nicht nur in Krieg und Not, sondern auch in ihren glänzendsten Leistungen — von Jesus Christus, dem Licht, her ist das alles Finsternis. Ein großer Anstoß, alle Völker, die ganze Erde ist Nacht trotz Son­ne und Idealen und Werten; aber über dir, Zion, der Gemeinde, dir, dem Gläubigen, geht auf die Herrlichkeit des Herrn, das Licht Gottes, Jesus Christus.

3. Aber sei getrost, betrübe dich nicht über die Finsternis der Erde, es wird hell werden, durch dich hell. Zu deinem Licht [189] werden sie kommen. Völker und Könige, Mächte und Rei­che der Finsternis, sie werden das Licht der Krippe sehen. Hei­den sind gekommen, Könige haben sich gebeugt.

4. Was nun folgt, ist für die Propheten ein einziges großes Geschehen, in dem wir mitten darin stehen. Es erstreckt sich vom Kommen Jesu bis zum Ende der Welt. „Hebe deine Augen auf und siehe umher.“ — Nur du siehst, was sonst kei­ner sehen kann; du siehst es, weil du das Licht siehst, weil du Jesus Christus siehst; darum ist es auch wahr, was du im Glauben siehst von der Vollendung der Kirche Gottes auf Erden. — Ein Festzug deiner gläubigen Kinder, aus Juden und Heiden zur Mutter Kirche. Von weither, wo sie sich verloren hatten in der Einsam­keit und Zerstreuung, werden sie kommen, die Töchter werden getragen werden, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen kehren jubelnd zu ihrer Mutter heim. Wer sind diese Söhne, wer sind diese Töchter? Das Auge der Natur sieht davon wenig, aber der Glaube sieht das Licht Christi, und in diesem Licht sieht er sie alle.

Freuen und wundern wird sich die Kirche Gottes, wenn zu ihrem Licht nun auch alle Heiden kommen werden. „Bekeh­ren“ werden sie sich und die Finsternis daheim lassen und zum Licht kommen. Auf dieser Erde noch wird dieser Freu­dentag anbrechen; „Kamele werden dich bedecken“. Es wird ein Kommen, Sich-drängen, ein Hin- und Hertragen sein zum Lichte Jesu Christi, zum Worte Gottes. Die Güter der Erde, Gold und Weihrauch, werden ihm mit Freu­den dar­gebracht werden. — Was ist dies Gedränge zu Gottes Wort? Es sind die Heiden der Erde. „Hebe deine Augen auf und siehe.“ Was — wen? Das Licht, Jesus Christus, in dem das alles wahr ist und seiner Erfüllung entgegengeht.

Quelle: Dietrich Bonhoeffer, Gesammelte Schriften, Band 4: Auslegungen – Predigten 1933 bis 1944, hrsg. v. Eberhard Bethge, München: Chr. Kaiser 1961, Seiten 187-189.

Hier Bonhoeffers Predigtentwurf als pdf.

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