
Warum Wohlfahrtsstaatsgläubigkeit keine wirkliche Hoffnung birgt
„Mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit.“ So erklärt Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus Gottes Fürsorge bzw. Vorsehung gegenüber den Menschen und insbesondere den Gläubigen. Menschen verschaffen sich nicht selbst ihre Lebensgrundlage, sondern empfangen das Lebensnotwendige aus Gottes Hand.
Wohlfahrtsgläubigkeit ersetzt Gottvertrauen
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in den Ländern mit den höchsten sozialstaatlichen Standards wie in Skandinavien, in den Niederlanden, aber auch in Deutschland die gesellschaftliche Säkularisierung besonders ausgeprägt ist. Es ist nicht einfach nur eine intellektuelle „Aufklärung“, sondern die wohlfahrtsstaatliche Versorgung, die den Glauben an die göttliche Fürsorge in Frage stellt: Was wir zu unserem Leben unbedingt benötigen, steht uns von Rechts wegen als staatliche Leistung zu. Allenfalls für Lebenskrisen scheint es ein Gottvertrauen zu brauchen. Der Wohlfahrtsstaat ermöglicht Menschen über ihr eigenes Vermögen hinaus individuelle Lebensentscheidungen zu treffen, deren Kosten sich sozialisieren lassen. Da die staatlichen Leistungen für den einzelnen auf gesetzlichen Rechtsansprüchen basieren, erübrigen sich – im Unterschied zur göttlichen Fürsorge – Dankbarkeit und eigenes Engagement (commitment). Der säkularisierte Vorsehungsglaube kennt gegenüber seinem „Wohltäter“ keinen verpflichtenden Zusatz „für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin“ (Kleine Katechismus). Viel freier glaubt man also ohne göttliche Fürsorge zu sein.
Die Frage der Zukunft: Warum lässt der Staat das Übel zu?
Aber wird sich dieser säkulare Vorsehungsglaube dauerhaft halten können? Den Nachkriegsgenerationen (zumindest in Westdeutschland) scheint der Sozial- bzw. Wohlfahrtsstaat eine garantierte Selbstverständlichkeit zu sein. Man übersieht mitunter, dass sich dessen Existenz bestimmten kulturellen Bedingungen verdankt, genauer gesagt einer bürgerlichen Industriegesellschaft (das lateinische industria bedeutet „Fleiß“ und nicht etwa „Fabrikanlagen“). Diese „Fleißgesellschaft“ ist arbeitsteilig organisiert und dabei auf allgemeine außerhäusliche Erwerbstätigkeit ausgerichtet. Verliert sich die erwerbstätige Integration von Bevölkerungsteilen, schwindet die gesellschaftliche Solidarität. An ihre Stelle tritt die Segregation, d.h. die Trennung von Bevölkerungsgruppen aus religiösen, ethnischen oder sozialen Gründen, die ein staatlich garantiertes Gemeinwohl hinfällig werden lässt. An Stelle der Theodizee-Frage – „Warum lässt Gott das Übel zu?“ – heißt es dann politisch zu fragen: „Warum lässt der Staat das Übel in unserer Gesellschaft zu?“ bzw. „Warum lässt der ‚Westen‘ das Übel in der Welt zu?“ Vermessene Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Was bleibt sind Resignation und Pessimismus.
Eine Hoffnung, die bleibt
Im Unterschied zum Evangelium birgt der säkularisierte Vorsehungsglaube für Menschen keine bleibende Verheißung. Für uns Christen heißt es immer noch: „Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“ (2. Petrus 3,13) Als „Weltfremdlinge“ sind wir vom Evangelium herausgefordert: „Jesus hat, um durch sein eigenes Blut das Volk zu heiligen, außerhalb des Tors gelitten. Lasst uns also vor das Lager hinausziehen zu ihm und seine Schmach tragen, denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Durch ihn wollen wir Gott allezeit als Opfer ein Lob darbringen, das heißt die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Vergesst nicht, einander Gutes zu tun und an der Gemeinschaft festzuhalten, denn an solchen Opfern findet Gott Gefallen.“ (Hebräer 13,12-16 Zürcher)