
In seinem lesenswerten RGG-Artikel über die guten Werke bezieht Hans G. Ulrich diese auf Gottes Werk und entzieht sie damit der hoffnungslosen Selbstreflexion eines moralischen Subjekts:
Von Hans G. Ulrich
Christlich-theologische und philosophische Ethik ist nicht nur als Ethik der Pflichten, der Tugenden oder der Güter, sondern auch als Ethik der guten Werke verstanden worden. Diese ist auch von einer Ethik des guten Lebens oder einer Ethik der gerechten Prozeduren zu unterscheiden. Eine Ethik der guten Werke fragt, inwiefern es bestimmte Werke oder Handlungen gibt, die im Sinne der moralischen oder sittlichen Existenz des Menschen und des ihm Gebotenen »gut« genannt werden können. Handlungen sind »gut« nicht allein deshalb zu nennen, weil sie aus einer guten Absicht oder einem guten Willen hervorgehen, aber ohne eine gute Absicht gibt es auch keine gute Handlung.
In der christlichen Tradition lautet die Regel: Ein guter Mensch bringt gute Werke hervor, gute Werke machen jedoch keinen guten Menschen. Als guten Menschen versteht die christliche Tradition den neuen Menschen, der von Gott dazu geschaffen wird, gute Werke zu tun (Eph 2,10). Die guten Werke sind Frucht des Handelns Gottes am Menschen (Gal 5,22). Sie können deshalb nicht dazu dienen, bei Gott ein Verdienst zu erwerben. Diese Abgrenzung läßt eine Ethik der guten Werke nicht hinter sich, sondern eröffnet erst eine solche. Die Voraussetzung dafür, daß ein Werk »gut« genannt werden kann, ist nach Luthers Auslegung des ersten Gebotes allein der Glaube, das Vertrauen in Gottes heilschaffendes Handeln, in dem ein Werk geschieht, denn dieses Vertrauen begründet, daß ein Werk nicht um des eigenen Nutzens willen getan wird. So ist der Glaube das erste und einzige gute Werk. Alle anderen Werke können »gut« nur genannt werden, sofern sie befreit von der Sorge um das eigene Heil allein auf das gerichtet sind, was dem Nächsten not tut. Davon bestimmt kann alles, was Menschen – etwa in ihrem Beruf – tun, ein gutes Werk sein.
Was gut ist, kann nicht an einem Zustand der Welt oder des Menschen ermessen werden, weil damit das Gute, das von Gott im Glauben zu erfahren, weiterzugeben und zu bezeugen ist, außer acht gelassen wird. Dem Menschen ist zu tun geboten, was ihm im Vertrauen auf Gottes Werk zu tun bleibt. Dies sind durchaus bestimmte gute Werke. Statt einem allgemeinen Guten dienen zu wollen, ist es geboten, das zu tun und sich davon prägen zu lassen, was im Gebot Gottes (etwa im Dekalog), zusammengefaßt im Gebot der Nächstenliebe, enthalten ist. Dazu gehört, das Gerechte zu tun, Barmherzigkeit zu üben und Frieden zu stiften. Solche guten Werke kennzeichnen die christliche Lebensform, die mit dem Glauben gegeben ist. Diese Lebensform hat die christliche Ethik als sittliche Lebensform zu entfalten und kann sich nicht auf das beschränken, was aufgrund allgemein begründeter Regeln verboten oder zu schützen ist. In diesem Sinne ist die christliche Ethik der guten Werke als Sozialethik zu verstehen. Sie zeigt, wie in allem Tun, im Beruf und in den Institutionen durch die guten Werke die Lebensform zu bezeugen ist, die aus dem Vertrauen in Gottes Werk hervorgeht und von ihm geprägt ist.
RGG4, Bd. 3 (2000), Sp. 1345f.