„Luther kommt für die Vaterschaft des neuzeitlichen Frei­heitsgedankens kaum ernstlich in Frage“ – Albrecht Beutel über Luthers Freiheitsverständnis

Kurz und knapp beschreibt Albrecht Beutel in seinem Lexikonartikel über Martin Luther (Metzler Philosophen Lexikon), wie Luther Freiheit verstanden wissen will:

Auf dem Höhepunkt seines theologischen Aufbruchs, 1520, hat Martin Luther eine Reihe von – vielfach allgemeinverständlichen – reformatorischen Hauptschriften verfasst, deren bekann­teste und am meisten rezipierte Von der Freiheit eines Christenmenschen handelt. Trotz des Gleichklangs der Vokabeln kommt Luther jedoch für die Vaterschaft des neuzeitlichen Frei­heitsgedankens kaum ernstlich in Frage. Er selbst wollte nur den paulinischen Ruf der Freiheit erneuern. Darin wird zweierlei deutlich: Die Freiheit, um die es Luther geht, ist nicht als menschliches Vermögen bzw. als ontologische Verfassung gedacht, sondern als eine Freiheit, in die sich der Glaube an Christus versetzt sieht. Und: Nicht eine allgemein menschliche, sondern die christliche Freiheit hat Luther im Blick. Sein Anliegen fasst er in die Doppelthese zusammen: »Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr über alle ding und niemandt unterthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yder­mann unterthan«. Die beiden Sätze beziehen sich asymmetrisch aufeinander. Denn die Reihenfolge von der Freiheit zur Dienstbarkeit ist unumkehrbar. Und während sich das Knecht-Sein auf das Verhältnis zu den anderen Menschen bezieht, gilt das Herr-Sein nur in Bezug auf die Dinge, nicht auf die Men­schen. Die Dialektik von Herr und Knecht ist darum nicht gemeint, ebenso wenig die von Seele und Leib. Vielmehr ist in beiden Sätzen vom gan­zen Menschen die Rede: Zuerst in seinem Verhältnis zu Gott, dann in dem zu den Menschen. Der Glaube, will Luther sagen, befreit den Menschen aus dem Zwang zur Selbstermächtigung, und er macht ihn frei zum Dienst an den Nächsten. Kurz: Er ist frei aus Glauben zur Liebe. Die damit gesetzte Freiheit hat ihren Ort zwischen Gott und Mensch; sie lässt sich nicht zu einem menschlichen Hand­lungsbegriff säkularisieren. Die Freiheit, die Luther meint, ist die Freiheit des Gewissens, nun aber wieder in exklusiv theologischem und darum gerade nicht neuzeitlichem Sinn. Für ihn ist die Gewissensfreiheit nicht Ausdruck der Autonomie des Menschen. Das Gewissen ist darin frei, daß es sich in Gott gebunden und darum den Zumutungen anderer Mächte enthoben weiß.

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