Da war Dortmunds Innenstadt nach den Bombenangriffen am 12. März 1945 völlig zerstört, so dass Iwand diese Predigt wohl am 25. März 1945 in Cappenberg/Westfalen gehalten hatte. Dort hatte er nämlich mit seiner Familie Zuflucht gefunden hatte. So kann Iwand kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs nicht anders als kreuzestheologisch zu predigen:
König in der Uniform des Elends. Predigt zu Matthäus 21,1-9
Von Hans Joachim Iwand
Da sie nun nahe an Jerusalem kamen, gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei und sprach zu ihnen: Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt, und alsbald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löset sie auf und führet sie zu mir! Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprechet: Der Herr bedarf ihrer; sobald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf daß erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: »Saget der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin.« Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Wir sammeln uns heute hier um das alte Evangelium vom Palmsonntag. Mit diesem Evangelium hat die christliche Kirche zu allen Zeiten, in Zeiten der Not und in Zeiten des Glückes, die Karwoche eingeleitet. Es ist dasselbe Evangelium, das über den Toren des Advent steht. Mit diesem Klang: Siehe, dein König kommt zu dir, wird Weihnachten und wird Ostern eingeläutet. Unter diesem Evangelium sind wir am Tage unserer Konfirmation an den Tisch des Herrn getreten, in jenen Zeiten, in denen alles noch friedlicher, gesegneter und gesammelter war. Heute sind unsere Kirchen zerstört, heute können viele unserer Kinder nicht mehr konfirmiert werden, heute sind Not und Hunger, Leid und Sorge so gewachsen, daß wir kaum noch ein Empfinden dafür haben, in die Karwoche einzutreten.
Und doch, haben wir es heute nicht nötiger denn je, unsere Augen aufzuheben zu diesem Stern, der uns geleitet, und unsere Herzen bereit zu machen für die große Kunde: Siehe, dein König kommt zu dir, »ein König im Namen des Herrn«, wie es bei Lukas heißt? Es ist also doch nicht so, daß wir verlassen und hilflos sind, preisgegeben den Schrecken und Ängsten, die über uns kommen. Sondern wir können sehen, daß einer bei uns ist, der [94] uns königlich über dies alles hinaushebt, weil er der Herr ist über Leben und Tod. Das irdische Jerusalem hat den Sinn seines Einzuges nicht verstanden und Jesus hat selbst geweint über die Stadt, die nicht begriffen hat, was zu ihrem Frieden diente. In ähnlicher Weise haben auch wir erlebt, wie die Menschen sich abwandten von der Königsherrschaft Gottes, die er im Namen Jesu aufgerichtet hat; in ähnlicher Weise erleben wir heute, wie die Verwerfung Jesu das Vorzeichen geworden ist für Gericht und Untergang.
Und doch, in der Gemeinde Gottes, unter denen, denen Jesus Christus mit seinem Kreuz und Leiden das Herz abgewonnen hat, gilt es noch heute, daß er bei uns ist und bleiben wird, als der Herr aller Herren und der König aller Könige. Und es gilt darum auch heute noch, was der Dichter singt: »O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat.«
Die Geschichte vom Einzug Jesu nach Jerusalem wird uns so erzählt, daß dieser Spruch vom Königseinzug Gottes ihre eigentliche Mitte ist, der Schlüssel, um das seltsame Gebaren Jesu zu verstehen. Der Evangelist Johannes berichtet uns, daß selbst seine Jünger die Weisungen Jesu nicht begriffen hatten und daß ihnen erst nach seiner Auferstehung deutlich wurde, warum Jesus einen so seltsamen Königseinzug inszenierte. Erst nach seiner Auferstehung, das heißt doch wohl, erst nachdem die Hüllen seiner Knechtsgestalt hinweggenommen waren und seine königliche Größe durch den Sieg über den Tod offenbar geworden war. Erst da begriffen sie, daß Jesus seinen Einzug nach Jerusalem verstanden wissen wollte als Erfüllung eines Prophetenwortes, das der Prophet Sacharja, getrieben von Gottes Geist, kundgemacht hatte. Und wenn wir dies Prophetenwort aufschlagen, sehen wir, daß dieser Königseinzug Gottes Frieden bedeutet, es heißt da: »Ich will selbst um mein Haus ein Lager sein wider Kriegsvolk … ich will die Wagen abtun und der Streitbogen soll zerbrochen werden … So kehrt euch nun zur Festung, ihr, die ihr auf Hoffnung gefangen liegt.« So wollte Jesus seinen Einzug in die Stadt verstanden wissen, daß mit ihm der Friede einzieht und durch seine Macht die Mauer aufgerichtet werde, an der sich der Ansturm des Krieges und des Blutvergießens bricht. So wollte er und so will er kommen, daß deutlich wird, daß sein Gott, in dessen Namen er kommt, ein Gott des Friedens ist und nicht ein Gott des Krieges, ein Gott der Liebe und nicht des Hasses. Darum reitet er auf einem Esel ein, sanftmütig, wie unser Text sagt, denn er will herrschen über die Herzen und nicht über die Leiber, er will herrschen ohne Gewalt, er will herrschen, so, daß sich ihm die Herzen zuwenden, ohne Furcht und ohne Schrecken.
Und es muß wohl auch so sein, daß Krieg und Frieden nicht nur äußere Vorgänge sind, sondern daß in alldem die Saat aufgeht, die in die Herzen [95] der Menschen gesät ist. Der Mensch steht hinter beidem. Auf der einen Seite der Mensch, der keinen Frieden findet, der ruhelose, begehrliche, von Lust und Begierde hin- und hergerissene Mensch, der Mensch, der herrenlos geworden ist und der nun selbst darum den Herrn spielt, der sich frei nennt und doch preisgegeben ist allen Mächten und Gewalten, die nicht aus Gott sind. So wie es einmal in der Bibel heißt: »Die Gottlosen haben keinen Frieden«. Und auf der anderen Seite der Mensch, der in Jesus seinen Herrn findet, der durch den Glauben an ihn mit Gott versöhnte, in Gott zum Frieden gekommene Mensch. In seinem Herzen lebt ein neuer Geist, der auch ihn ergreift und durchwaltet. Und so sammelt sich um Jesus und das Evangelium von ihm eine neue Menschheit. Es kann gar nicht anders sein, wo er in der Mitte steht, da ist die Burg des Friedens und der Brüderlichkeit, da bricht sich das Kriegsgeschehen und der Haß, da wirkt Gott von innen her. Die Königsherrschaft Jesu bedeutet also, daß das Gesicht der Welt sich verändert, daß der Mensch frei wird, frei von den satanischen Gewalten, die ihn zum Werkzeug der Finsternis machen, frei zum Dienste Gottes, so, wie Gott den Menschen gemeint hat, da er ihn schuf.
Aber es gehört zum Glauben dazu, in Jesus den König zu erkennen und anzuerkennen. Wir Menschen neigen alle dazu, uns dem zu beugen, der seine Macht und Autorität durch äußere Kennzeichen erweist. Wir neigen alle dazu, uns eher den Tyrannen zu beugen, als dem, der um unseren freien Gehorsam wirbt, wir neigen alle dazu, mehr auf Drohungen zu hören oder auf Versprechungen, und wir verstehen unter Herrschaft nur allzu leicht Gewalt und Macht. So ist es ja auch in der Welt und darum geht die Welt zugrunde. Jesus tut alle diese Kennzeichen von sich ab, bis heutigen Tages ist er der Niedrige, der Arme, der Sanftmütige, bis heutigen Tages weigert er sich, sich und seine Sendung einbeziehen zu lassen in das Treiben der Mächtigen und Gewaltigen auf Erden. Er gleicht dem Königssohn, der in der Uniform des Elends unter die Seinen tritt, damit sie ihn nicht lieben wegen des Glanzes und des Flitters, der nach außen hin scheint, sondern damit sie ihn lieben um der Liebe willen, die ihn selbst in Not und Tod führt. Und darum müssen wir, wenn wir in ihm den König erkennen wollen, unsere Augen schließen, müssen den Widerspruch ertragen, den seine irdische Erscheinung bietet. Das Kreuz ist in diese irdische Erscheinung tief eingesenkt, und wohl dem, der sich an diesem Kreuz nicht ärgert, wohl dem, der sich nicht schämt, den seinen König zu nennen, der so arm und gering über die Welt gegangen ist.
Es gab offenbar damals Leute, die sich dessen nicht schämten. Der Evangelist Lukas sagt, daß es seine Jünger waren. Dabei haben wir weniger an die zwölf Jünger zu denken, als an das große Gefolge, das mit Jesus nach [96] Jerusalem einzog. Und die erheben ihre Stimme und feiern ihn als ihren einzigen König. Sie huldigen ihm, sie schmücken die Straßen und breiten ihre Kleider auf den Weg. Das ist das Tun der Gemeinde im Angesicht der Welt. Das will Gott haben. Gott will, daß wir ihn nicht schweigend empfangen, er kommt zu uns, um die Burg des Friedens aufzurichten, er kommt zu uns, um uns frei zu machen. Aber wir sollen nicht schweigen. Wir können auch gar nicht schweigen. Wes das Herz so voll ist, des geht der Mund über. Und so erklingt der Ruf, der Freudenruf, mitten aus der Tiefe des Elends und der Not. Hosianna, ruft die Menge, Hosianna dem Sohne Davids, Hosianna in der Höh’. Bis heute singt die christliche Gemeinde diesen Lobgesang in ihrer Liturgie, er ist so gedacht, daß er unmittelbar vor dem Empfang des Abendmahls gesungen wird, denn im Sakrament ist der Herr gegenwärtig. Und es ist eine bleibende Erinnerung an jenen Tag und jene Zeit, daß das fremde Wort Hosianna in allen Zungen erklingt, es ist die Erinnerung daran, daß dieser Mann, dem wir huldigen, zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Lande über unsere Erde gegangen ist. Unser Glaube ist nicht bezogen auf einen Mythos, das heißt auf etwas, was sich menschliches Denken und menschliche Phantasie geschaffen hat, sondern es ist ein Mann von Fleisch und Blut, ein Prophet, wie es hier heißt, in dem die Königsherrschaft Gottes über uns kommt, Jesus, der Nazarener; an diesen Mann, an sein Leben hat Gott seine Herrschaft gebunden, hier scheiden sich die Geister. Denn dies will Gott, daß wir sein Kommen in diesem Jesus von Nazareth erkennen, in ihm und in keinem anderen, daß wir den Namen Jesu verherrlichen und ihn anerkennen als den, in dem die Königsherrschaft Gottes über alle Welt aufgerichtet ist.
So wird die Geschichte vom Einzug Jesu nach Jerusalem zum Gleichnis für die Art und Weise, wie Gott seine Herrschaft und sein Reich in aller Welt aufbaut. Bis heute sind die Boten Gottes mit nichts anderem ausgerüstet als mit dem Evangelium von Jesus von Nazareth. Wir können ihn nicht anders verkündigen als wie er wirklich gewesen ist. Wir können keine Christusbilder von Macht und Herrlichkeit an die Stelle des Gottesknechtes setzen, der arm und sanftmütig in der Welt seinen Weg nimmt; wir können ihn nicht im Wettstreit sehen mit den Mächtigen dieser Welt, er bewegt sich auf einer anderen Ebene und darum ist sein Reich von ewiger Dauer. Er muß darauf warten, daß Gott ihn verherrlicht und ihn erweist als den König aller Könige. Seine Herrlichkeit ist Gottes Tat. Freilich, die ganze Heilige Schrift weiß davon, daß einmal der Tag kommen wird, da er wiederkommen wird, im Strahlenglanze seiner Macht. Bis dahin aber verherrlicht Gott ihn so, daß er in unseren eigenen Herzen das Hosianna er-[97]weckt, daß dieser arme Jesus von Nazareth, der leidende Gottesknecht, aller Zeiten und aller Orten eine Gemeinde um sich hat, deren Mund sich auftut und die sehr zur Verwunderung der übrigen Welt den Nazarener anbetet und vor ihm in die Knie sinkt. Mit dieser ihrer Huldigung nimmt sie vorweg, was einmal alle Welt erfüllen wird, wenn sich alle Knie beugen werden und alle Zungen bekennen werden, daß Jesus der Herr sei. So steht die Gemeinde Gottes in der Welt, jetzt schon über diese Welt hinauslangend, jetzt schon geborgen und bewahrt durch den Lobgesang, an dem alle Welt erkennen kann, daß der Herr der Welt, der König aller Könige, hier seinen Thron aufgeschlagen hat.
Predigt zum Palmsonntag am 25. März 1945 in Cappenberg/Westfalen.
Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke. Neue Folge, Bd. 5: Predigten und Predigtlehre, Gütersloh: Chr. Kaiser. Gütersloher Verlagshaus 2004, Seiten 93-97.