Hans G. Ulrich, emeritierter Professor für Systematische Theologie und Theologische Ethik an der Universität Erlangen-Nürnberg, hat Karl-Heinz Götterts jüngst erschienenes Buch „Luthers Bibel. Geschichte einer feindlichen Übernahme“ gelesen und wird richtig kritisch:
Was Göttert da gemacht hat ist skandalös. Lies mal die Bemerkungen zur Übersetzung von „Gerechtigkeit“/Rechtfertigung“, da ist alles mehr oder weniger falsch, besonders dicht im Kapitel über den „Römerbrief“. Dass der (vermutlich katholische) Germanist Göttert so ziemlich alles mißdeutet, ist schon schlimm, schlimmer aber, dass die ZEIT wie vielleicht überhaupt die literarische Öffentlichkeit so was nicht merkt.
Für das, was Göttert da bietet, gibt es kein theologisches Verständnis mehr. So wird die sog. „christologische Deutung“ des AT in der Theorie von der feindlichen Übernahme des AT (doch wohl am Ende der ganzen Bibel) durch Luther brutal plakatiert. Wird jemand merken, dass die Propheten, die Luther auf Christus hin liest (weil sie ja doch den Messias verkündet haben) als „Weissager“ gekennzeichnet werden? Gibt es im AT keine Messiaserwartung, sodass ein Lesen auf Christus hin als Luthers Übersetzungsstrategie erscheinen muss? Überlieferungsprozesse werden auch mal wieder als „theologische Konstruktionen“ gekennzeichnet (nichts von Traditionsgeschichte gehört?). (Es macht die Strategie von Göttert nicht besser, dass er sich in Bezug auf Luther und das AT ausgerechnet auf Heinrich Bornkamm beruft.)
Hebräisch kann Göttert wohl nicht, oder er benutzt irgendein Wörterbuch, aus dem er dann das eine oder andere auswählt, so wenn er offensichtlich denkt, dass Aemuna nicht mit „Glauben“ übersetzt werden kann – vielleicht auch deswegen, weil für ihn Glauben „faith“ nicht in die Semantik von „Treue“ gehört. Er glaubt z.B. darauf verweisen zu müssen, dass die Übersetzung von hebr. Plural „Wörter“ bei Luther „Wort“ (Gottes) ist. Buber übersetzt „Rede“! „Rede“ Gottes. Überhaupt Buber: hätte Göttert mal Bubers Übersetzung angesehen – wenn er nicht Hebräisch kann – dann hätte ihn das auch manchen Nonsense erspart. Bubers Übersetzung von „Sedaka“ mit Bewahrheitung ist sehr nahe an Luthers Verwendung von „Gerechtigkeit“. Von der ganzen theologischen Semantik zu Sedaka, die bei Luther sehr wohl in vielen Nuancen präsent ist, erfährt man ohnehin nichts.
Unzählige solche sprachlichen Wirrnisse sind in dem Buch – und das Ganze wird nun als „Luthers Bibel“ vermarktet. „Feindliche Übernahme“ – in der Tat. Aber davon abgesehen, wie kann Göttert oder der Verlag (S. Fischer) annehmen, dass irgendjemand eine solche „Aufklärung“ ernst nehmen kann? Wo sind wir im Reformationsjahr 2017, dass wir das nötig haben?“
Hier der Text von Professor Ulrich mit den Belegstellen als pdf.
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