Hans Joachim Iwands Predigt zu Römer 5,1-11 im März 1945: „Die Hoffnung des Glaubens lebt nicht an der Wirklichkeit vorbei.“

Iwand

Nachdem Hans Joachim Iwand schon 1942 eine Predigtmeditation zu Römer 5,1-11 veröffentlicht hatte (wieder abgedruckt in: Hans Joachim Iwand, Predigtmeditationen. Zweite Folge, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht o. J., 105-110), hielt er am 11. März 1945 zum Sonntag Laetare als Pfarrer an der St.-Marien-Kirche in Dortmund  eine Predigt darüber. Dies geschah einen Tag vor einem der schwersten Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs, bei dem über 1000 Bomber mit 5000 Tonnen Bomben Dortmund in ein Trümmermeer verwandelten. Einmal mehr erweist sich Iwand als Meister des christusgründlichen Predigens:

Predigt über Römer 5,1-11

Von Hans Joachim Iwand

Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott, unserem Vater, durch unsern Herrn – Jesus Christus, durch welchen wir auch den Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade, darin wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, dieweil wir wissen, daß Trübsal Geduld bringt; Geduld aber bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Hoffnung; Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. Denn auch Christus, da wir noch schwach waren nach der Zeit, ist für uns Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen dürfte vielleicht jemand sterben. Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. So werden wir ja vielmehr durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind. Denn so wir Gott versöhnt sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben.

Alles, was wir eben gehört haben, steht unter einer einzigen Voraussetzung und diese Voraussetzung heißt: Glauben. Oder mit anderen Worten, daß wir Gott recht geben und uns auf das verlassen, was er für uns getan hat in Jesus Christus. Christus ist für uns gestorben, das muß gelten. Dem gegenüber gilt nichts, was wir im Guten sind oder was wir im Bösen sind, kein Verdienst, keine gute Tat gibt das Fundament unseres Glaubens ab, aber auch keine Schuld, keine Verfehlung kann dieses Fundament erschüttern: «Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut.» Wenn wir vor Gott treten, wenn wir mit Gott ins reine kommen wollen, müssen wir ganz von uns wegsehen, müssen wir mit ganz leeren Händen vor Gott kommen. Gott läßt nur eins gelten: seinen Sohn, dessen Opfer, dessen Eintreten für die Welt, dessen Einsatz für uns; [157] auf nichts anderes darf sich der Mensch berufen, wenn er mit Gott ins reine kommen will, alles andere, was es auch sei, zerbricht und zersplittert, wenn es vor Gott gelten soll. Das Licht Gottes ist so hell, daß keine gute Tat vor ihm bleibt. Gut bleibt vor ihm nur eins, das, was er selbst getan hat. Darauf müssen wir uns berufen, das heißt Glauben. Als ob wir zu Gott sprächen: Siehe, Gott, du hast selbst für mich einen so hohen Preis gezahlt, du hast selbst diesen großen Einsatz gewagt, darauf vertraue ich, daran glaube ich, dir glaube ich, nicht mir. Was mich betrifft, so weiß ich wohl, wie schnell das gute Gewissen vom bösen Gewissen abgelöst wird, wie sehr in mir Licht und Finsternis, Gutes und Böses, Reines und Unreines miteinander kämpfen und sich miteinander vermischen. Darauf möchte ich nicht mein Sein, mein Leben und meine Zuversicht gründen, das hieße ja, sein Haus auf Sand bauen. Nein, das Fundament, der Felsengrund, von dem ich lebe, ist deine Tat, ich halte mich an etwas, was außer mir ist. Ich halte mich daran, daß du recht hast in Jesus Christus und dieser Glaube, der ist meine einzige Gerechtigkeit.

Wer es wagt, so zu leben, alles Eigene fahren zu lassen und sich nur an dieses Seil zu halten, das uns Gott selber zugeworfen hat, der hat Frieden. Denn Gnade, Friede, Gerechtigkeit, das sind ja alles Dinge, die wir nie in uns selber haben, sondern die wir nur in Christus haben. Es ist ganz unmöglich, wenn wir es auch tausendmal versuchen, dies alles in uns hinüber zu ziehen, Christus zu entleeren und uns damit zu erfüllen. Denn dieser Herr Jesus Christus, unter dem wir stehen, ist ja ein lebendiger Herr. Er ist nicht ein Etwas, das man sich aneignen kann, sondern er ist der gute Hirte, unter dessen Hut wir bleiben müssen. Wir sind immer wieder in Gefahr, dieser Herrschaft Jesu Christi zu entfliehen und aus allem, was er uns bringt und ist, Eigenschaften, menschliche Eigenschaften zu machen, Jesus Christus wie einen Boten zu behandeln, der uns Gaben von Gott bringt, die wir von ihm entgegennehmen, um sie uns selbst anzueignen, wir sind wie jene Schildbürger, die ein Haus ohne Fenster bauten und dann versuchten, das Licht einzufangen, um es in ihr dunkles Haus zu tragen. So möchten wir das Licht, das in Jesus Christus der Welt aufgegangen ist, einfangen, um es [158] in die dunklen Gemächer des Ich-Menschen hineinzutragen. Das eben heißt gerade nicht unter Christus leben, und es wird uns ebensowenig gelingen, wie den Schildbürgern ihr törichtes Unternehmen gelang; sondern wir müssen uns dem Lichte öffnen, wir können das Licht nicht haben ohne die Sonne, so können wir auch den Frieden mit Gott und die Gnade und die Gerechtigkeit nur haben, wenn wir in das Licht Jesu Christi treten, das uns von da umfängt, umstrahlt, erleuchtet; er bleibt immer die Lichtquelle, wir sind immer die von ihm Erleuchteten, Begnadeten. In uns ist immer Finsternis, wenn wir ohne ihn sind; es wird uns nie gelingen, die Quelle des Lichtes aus Jesus Christus in den Menschen zu verlegen; er bleibt immer die Mitte, wir bleiben immer am anderen Ende, an der Peripherie. Unser Dasein ist die Welt, und so haben wir nur durch ihn den Zugang zu der Gnade, in der wir stehen. Gewiß, wir sind Menschen des Tages geworden, wir sind Kinder des Lichtes, aber nur darum, weil die Nacht vorgerückt ist, weil der Tag Gottes aufgegangen ist, weil diese Sonne uns leuchtet – darum allein. Wehe, wenn wir das vergessen!

Also nicht, was wir getan haben, sondern was Gott getan hat, das steht in der Mitte all unseres Glaubens und darum auch all unseres Hoffens. Gewiß, wir wollen es nicht leugnen, weil wir es nicht leugnen können. Weil wir Glaubende sind, sind wir auch Hoffende. Es kann nun einmal nicht anders sein, der Glaube und die Hoffnung gehören zusammen. Die Geschichte Gottes mit uns ist noch nicht zu Ende, so wie die Geschichte Gottes mit der Welt noch nicht zu Ende ist. Der Tod, die Nacht, die Finsternis, die Gewalt des Bösen, dieser furchtbare Aufruhr der Menschen gegen Gott, alles das kann und wird nicht bleiben. Es ist unmöglich, von mir zu verlangen, daß ich ernsthaft mit diesen Größen rechnen soll, ernsthaft kann ich eigentlich nur damit rechnen, daß Gott endgültig Sieger ist, d. h. aber, daß das Leben, das Gute, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, mit einem Wort: alles, was zur Ehre Gottes dient, den Sieg behält. Das ist die große Perspektive, der Durchblick des Glaubens, darin leben wir nun einmal und daß wir darin leben, vielmehr daß unser Glaube trotz aller Belastungen immer wieder darin leben muß, das läßt sich auch nur von Jesus Christus her verstehen; [159] denn er ist ja nicht nur der Leidende, der Gekreuzigte, der Gefolterte und Mißhandelte, sondern er ist gleichzeitig der Auferstandene, der Triumphierende, der, der die Schlüssel der Hölle und des Todes in seiner Hand hält. So, ausgerichtet auf diese Hoffnung, steht unser Glaube in der Welt, steht und fällt eben nicht.

Dortmund nach 12. März 1945
Dortmund nach dem 12. März 1945

Aber indem wir das sagen, schrecken wir doch fast zurück; denn wo bleibt nun all das Leid, wo bleibt das, was in uns und um uns an Leid und Anfechtung, an Gottwidrigem und Teuflischem stürmt und tobt. Gibt es das gar nicht? Heißt das etwa Glauben, daß ihr Christen euch ein Jenseits zurecht macht, in das ihr euch flüchtet, wenn es euch in der Welt zu hart und zu bitter, zu kalt und zu furchtbar wird, ein Jenseits des Friedens und der Ruhe, in das ihr euch flüchtet, wenn ihr es hier nicht mehr aushaltet? Ist das eure christliche Vogel-Strauß-Politik, daß ihr euren Kopf in den Sand steckt, wenn alles rings umher vor Not und Anfechtung verschmachtet, als ginge euch das gar nichts an? O, nur nicht diesen Jenseits-glauben! Das könnt ihr getrost den Heiden überlassen, die ihren Himmel mit all den Freuden füllen, die ihnen auf Erden fehlen. Die Hoffnung des Glaubens ist etwas anderes als dieses Herein- und Herauswachsen eurer unbefriedigten menschlichen Wünsche in eine Jenseitswelt, der man immer wieder ansieht, woher die Farben zu diesem Gemälde genommen sind. Sie ist doch noch eure Welt, diese Jenseitswelt, die Welt des Menschen und nicht die Welt Gottes, nicht die Welt, in die euch zu versetzen Jesus Christus gekommen ist.

Nein, sagt der Apostel, die Hoffnung des Glaubens lebt nicht an der Wirklichkeit vorbei, sondern sie führt euch mitten da hindurch, mitten durch die Trübsale, mitten durch die Leiden. Hier erst zeigt sich, ob euer Glaube wirklich Glaube ist, ob er die Kraft hat, durchzuhalten, ob er unverwüstlich ist, unverwüstlicher als alle die Verwüstungen, die Krieg und Not, Schuld und Irrtum um euch und in euch hervorrufen. «Trübsal bringt Geduld.» Die Welt ist der Kampfplatz, auf dem euer Glaube sich bewähren muß. Im Grunde genommen ist euer ganzes Leben, ist alles, was ihr erlebt, diese eine Frage an euern Glauben: ist er wirklich von Gott? Oder ist er auch nur eine Spielart eures menschlichen Optimismus, die den Anfech-[160]tungen nicht gewachsen ist. Ohne das Kreuz, ohne die Anfechtungen, ohne die Tiefe der Not könnte euer Glaube nie und nimmermehr seine Echtheit erweisen; es muß so sein, ihr müßt in einer widrigen Welt leben, ihr müßt erfahren, daß ihr eben doch noch nicht die Erlösten seid, daß alles, was ihr glaubt, wovon ihr lebt, noch nicht Wirklichkeit ist. So werdet ihr euch bewähren, indem ihr über alles hinauslangt, was ist, und euch nach dem streckt, was nicht ist, nach der reinen Verheißung Gottes. Vielleicht wird euch Gott sehr viel nehmen, vielleicht wird es so gehen, daß euch Leib und Seele verschmachten. Aber das alles wird euch nur zeigen, aus welcher Quelle euer Glaube lebt. Je tiefer die Anfechtung, desto freier wird euer Glaube sein. Ihr werdet lernen, ohne die Krücken zu gehen, die ihr noch gewöhnt seid, ihr werdet lernen, daß der Glaube erst dann ganz echt ist, ganz wahr, ganz frei, wenn er sich auf nichts anderes mehr stützt als auf die Verheißung Gottes. Erfahrung bringt Hoffnung, d. h. ihr werdet lernen, allein davon zu leben, daß Gott recht behält, daß sein Wort in Erfüllung gehen muß. Nichts, aber auch gar nichts wird euch gelassen werden, worauf ihr euch stützen könnt, als allein sein Wort, seine Verheißung, daß Gott nicht lügen kann, daß seine Verheißung des Lebens, seine Verheißung der Vergebung, seine Verheißung der Gemeinschaft mit ihm endlich wahr werden muß, weil Gott Gott ist. Das wird euer Glaube sein. Seht, das ist die Hoffnung, die in diesen Trübsalen geboren wird, hier wird die Hoffnung, die aus dem menschlichen Herzen stammt, von der echten Hoffnung geschieden. Und diese Hoffnung, die Hoffnung, die aus Gott ist, auf die ihr geworfen seid, gerade dank aller dieser Anfechtungen, gerade dank dem Zerbrechen all eurer Wünsche, wird euch nicht zuschanden werden lassen, eben darum, weil Gott sich selber treu bleibt. Versteht ihr nun, warum ihr durch die Schule der Trübsale hindurch müßt, könnt ihr nun auch mit dem Apostel Ja sagen, ein menschlich unbegreifliches, aber doch erlösendes Ja zu den Trübsalen eures Lebens? Begreift ihr, daß die Stunden der Trübsal die Geburtsstunde der Hoffnung sind? Das ist die Liebe Gottes, daß wir Ja sagen lernen zu ihm, wo wir ihn nicht verstehen. Nicht eine Liebe, die von den Gaben Gottes lebt, sondern die Liebe, die Gott selber meint. Darum muß uns Gott soviel [161] nehmen, damit wir ihn nicht lieben um seiner Gaben willen, sondern um seiner selbst willen.

Anders hat uns Gott auch nicht geliebt. Gott hat uns nicht geliebt, weil wir gut sind, er hat nicht etwas an uns geliebt, etwas Schönes, Wahres oder Göttliches, sondern er hat uns geliebt, obschon wir seine Feinde waren. Vergeßt das nie, daß der Anfang der Liebe Gottes zu euch nicht von euch, sondern von ihm ausgegangen ist! Ihr seid sein, als durch die Liebe besiegte Gegner. Vergeßt die erste Liebe nicht, vergeßt nicht den Anfang seiner Geschichte mit euch: die Liebe Gottes setzt nichts voraus; was sie gewirkt hat, das hat sie geschaffen. Der Sieg seiner Liebe über euch ist das Wunder aller Wunder, nicht daß er euch überwunden hat, sondern daß Gott euch in Liebe begegnet, das ist und bleibt das Wunder. Alles, was nun kommt, steht unter diesem Wunder: der Tod, der Schrecken, die Anfechtung – meint ihr, Gott könnte euch daraus nicht erlösen, meint ihr, Gott ließe ein Werk liegen, was er so groß begonnen hat? Begreift ihr nicht, daß ihr Recht habt, auf Gott zu hoffen, nachdem ihr den Beweis seiner Liebe so handgreiflich in den Händen habt? Denn das Evangelium von der Liebe Gottes, die Botschaft von dem Tod seines Sohnes gilt nicht den Guten, den Frommen, den religiös Veranlagten, sondern sie gilt allen, den Atheisten und den Neinsagern, den Bösen, sie ergeht an die Menschen von Fleisch und Blut, sie ergeht an den Menschen, der auf der Flucht ist vor Gott, sie ist zusammengefaßt in dem einen Satz, daß Christus für die Sünder gestorben ist. Gott hat dich gesucht und dich geliebt, für dich sein Leben gelassen, nicht für etwas an dir, das ist die Liebe. Und weil dem so ist, darum dürft ihr guten Mutes sein. Was jetzt noch aussteht, ist nur die Durchführung dieses seines Werkes zum endgültigen Ziel. Ihr seid versöhnt und darum werdet ihr auch leben. Ihr seid aufgenommen in die Gnade Gottes, darum wird auch euer Todesleib verwandelt werden in Leben, Gott ist selbst der Bürge seiner Verheißung. Wollt ihr euch nicht daran halten, wollt ihr nicht vom Glauben weiterschreiten, durchdringen, siegreich durchdringen zu dieser letzten, großen, unwandelbaren Hoffnung?

Gehalten in der St.-Marien-Kirche in Dortmund am 11. März 1945 (Sonntag Laetare).

Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke, Bd. 3: Ausgewählte Predigten, München: Chr. Kaiser Verlag 1963, Seiten 156-161.

Hier die Predigt als pdf.

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