Im Juni 1944 hatte Hans Joachim Iwand in einem Wochenschlussgottesdienst über Hiob 1 und 2 gepredigt:
Predigt zu Hiob, Kapitel 1 und 2
Von Hans Joachim Iwand
[114/115] Das Buch Hiob behandelt die Geschichte eines Mannes, von dem es heißt, daß er fromm und gerecht, gottesfürchtig und dem Bösen feind war. Er war aber nicht nur ein frommer Mann, sondern Gott segnete ihn in seiner Hantierung und seinem Familienleben, in seinem Besitz und seinem Ansehen vor allem Volk. Alles [116] was er tat, gelang ihm wohl. Aber sein Reichtum machte ihn doch nicht übermütig, im Gegenteil, er fürchtete Gott und waltete als Priester seines ganzen Hauses, auch für seine Söhne und Töchter vor Gott eintretend mit Fürbitte und Opfer. Das ist der kurze Auftakt des Buches, mehr eine Belehrung für den Leser, als schon zur Handlung gehörig. Die Handlung beginnt eigentlich erst damit, daß etwas im Himmel geschieht. Daß sich ein Streit anhebt um Hiob zwischen Gott und dem Satan, Hiob wird der Gegenstand eines Gespräches, das Gott mit dem Satan führt. Und zwar geht es in dem Gespräch darum, daß der Satan die Frömmigkeit Hiobs anzweifelt. Das Wesen Satans ist überhaupt der Zweifel. Er vertritt die Rolle des Staatsanwaltes vor Gott, er ist der Ankläger, der gerade die Frommen verdächtigt in ihrem Frommsein. Erst in Jesus Christus wird seine Macht gebrochen werden, wenn es heißen wird: «Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus, weil der Verkläger unserer Brüder verworfen ist, der sie verklagt Tag und Nacht vor Gott»! (Apk 12,10). Der Verkläger unserer Brüder, das ist die Rolle, die der Satan vor Gott hat. Der Teufel stellt eine wichtige Frage: er fragt «Ist Hiob denn umsonst so fromm?» Es ist nicht schwer fromm zu sein, meint der Teufel, wenn Gott so sichtbar das Leben und die Arbeit eines Menschen segnet. «Führ aber einen Schlag und triff sein Hab und Gut, was gilt es, ins Gesicht hinein dankt er dir ab.» Damit ist das Thema des Buches Hiob angegeben. Es ist die Frage nach einer Frömmigkeit, die ohne Eigennutz ist. Gibt es einen Menschen, so wird hier gefragt, der an Gott festhält, ohne daß er davon einen Nutzen hat. Es ist vielleicht die Frage nach dem Dasein Gottes überhaupt. Es ist die Frage nach dem Unterschied zwischen Gott und dem Götzen, denn jener Glaube an Gott, der seine Wurzel im Gedanken des Lohnes hat, macht aus Gott einen Götzen. Indem so der Satan Hiob verdächtigt, verdächtigt er zugleich Gott. Er tastet Gottes Ehre an, als wollte er ihm sagen: die Menschen glauben doch nur alle solange an dich, als du sie segnest. Auch du bist für sie nur ein Götze. «Sie haben Gottes Wahrheit verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient dem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer» (Röm 1,25). [117] Nur solange Gott gibt, wird er verehrt. Das, so meint der Satan, ist der geheimste Kern aller Frömmigkeit. Gott kann die Probe selbst darauf machen, er soll einmal den reichen Mann verwandeln in einen armen Lazarus, er soll ihm nehmen, was er ihm gegeben hat, ihn herunterstürzen von der Höhe, auf der er wandelt, damit wird auch seine so gepriesene Frömmigkeit dahin sein.
Es gibt eigentlich keine schlimmere teuflischere Verdächtigung des Glaubens an Gott als diese Behauptung, daß der Fromme Gott nicht umsonst dient, daß er dabei seinen eigenen Nutzen sucht, daß er sogar in Gott sich selber sucht. Und Gott ist dann nur noch ein Mittel zum Zweck und aller Glaube und alle Gottesfurcht, alles Gebet und aller Gottesdienst ist dann im Grunde genommen nichts anderes als der Versuch des Menschen, Gott zum Götzen zu machen, Gott in den Dienst seiner Zwecke zu stellen. Das sagt der Satan Gott ins Gesicht: du lebst nur solange in Achtung bei den Menschen, als du sie dementsprechend führst und segnest. Er hebt mit dieser Verdächtigung die Gottheit Gottes auf. Hätte der Teufel recht, dann sollten wir alle Altäre stürzen, alle Kirchen schließen, dann sollten wir aufhören Menschen für Gott zu werben; denn es wäre ja alles nur Trug. Alle Frömmigkeit hätte diesen Wurmfraß an sich, auf den der Teufel anspielt. Und weil Gottes Ehre angetastet ist, darum gibt Gott seinen Knecht Hiob dem Satan in die Hand. Er darf ihm alles nehmen, was er hat, es soll offenbar werden, ob er recht hat mit seiner Frage: «Ist Hiob denn umsonst so fromm?» So kommt das Unglück über Hiob. Es kommt so gewaltig, daß man meint, er müßte unter diesen Schicksalsschlägen zerbrechen. Von allen Seiten erreichen ihn Hiobsbotschaften. Nomaden aus Saba fallen ein und rauben Rinder und Eselinnen, die großen Schafherden mitsamt den Schäfern kommen im Steppenbrand um, die räuberischen Chaldäer führen seine Kamelherden weg und schließlich begräbt ein Sturmwind die im Hause ihres ältesten Bruders versammelten Kinder allesamt unter den Trümmern. Hiob, als diese Schicksalsschläge ihn treffen, wird zwar gebeugt von Trauer, zerrissen von Schmerz, aber er betet Gott an und bekennt seine Geschöpflichkeit: «Denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbrin-[118]gen» (1 Tim 6,7). So sagt auch Hiob hier: «ich bin nackt von meiner Mutterleibe gekommen, nackt werde ich auch wieder dahinfahren. Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt.» Wunderbar, wenn ein Mensch in den Fluten der Anfechtung seinen Fuß auf den rettenden Felsengrund solcher Erkenntnis setzt. Der Teufel hat verspielt. Er nahm ihm alles, womit ihn Gott reich gemacht hat, und siehe da, dieser alte, vom Leid und Schmerz gebeugte Hiob lobt dennoch Gott. Das hat ihm der Teufel nicht nehmen können. Gott ist gerechtfertigt im Lob des Hiob. Dieser sein Gott ist kein Götze. Sein Gott ist der Schöpfer. Wie sollte das Geschöpf mit seinem Schöpfer rechten: «Wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe wie andere irdene Scherben. Spricht auch der Ton zu seinem Schöpfer: was machst du?» (Jes 45,9). An Gott den Schöpfer glauben hieße also darauf verzichten, daß wir einen Anspruch vor Gott haben. Hieße darauf verzichten, daß wir einen Anspruch haben auf alles, was wir besitzen, Haus und Hof, Weib und Kind, Ansehen und Ehre, alles ist Geschenk. Alles ist Gnade. Niemand hat ein Recht darauf, niemand kann Gott anklagen, wenn er ihm nimmt, was er ihm gab. Aber wer kann das? Daß es auch Hiob nicht so leicht konnte, wie es zunächst den Anschein hat, werden wir im Folgenden sehen. Es wird uns trösten. Es wäre ja unmenschlich, Hiob würde uns nicht so nahe stehen, er würde nicht ein leidendes, menschliches, aufbegehrend fühlendes Herz haben, wenn er in scheinbarer Gleichgültigkeit diese Worte so spräche, wie wohl ein Mensch sagt: Hin ist hin, verloren ist verloren. So ist es nicht gemeint, wenn wir die Worte lesen: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt. Sondern das ist das Ziel, der Halt seines Glaubens. Das ist die Rechtfertigung Gottes im Munde Hiobs, der verzichtet mit seinem Schöpfer zu rechten. Aber der Weg dahin ist weit. Und wenn nun die anderen Menschen kommen und Hiob überfallen mit Reden und Verführungen, dann wird auch aus seinem Herzen die Klage brechen und wir werden erkennen, daß der Weg zu dieser Anbetung Gottes nicht so leicht ist, wie es zunächst scheint. Daß damit nur das Thema gegeben ist, aber die Durchführung dieses Themas in alle Tiefen und Abgründe des Leidens schauen [119] läßt. So steht das Lob Gottes über dem Kreuz, das er Hiob auferlegt. Aber das Kreuz ist auch ein wirkliches Kreuz: «Voller Schmerz und Krankheit».
Es ist bezeichnend, daß die Standhaftigkeit Hiobs den Teufel nur von neuem reizt. Der Satan kann nicht anders, er bleibt ungläubig bis ans Ende. Er wäre ja nicht der, der er ist, der Verkläger der Frommen, wenn er je zugeben wollte, daß es einen Gerechten auf Erden gibt. Der Satan lebt davon, daß die Menschen von Gott abfallen, er lebt davon, Gott Abbruch zu tun unter denen, die sich zu ihm halten. So tritt er noch einmal vor den Herrn hin und verdächtigt auch dieses mitten im Leid emporsteigende Lob Gottes aus dem Munde Hiobs. «Haut für Haut und alles, was ein Mann hat, läßt er für sein Leben.» Wir werden sagen müssen, daß der Satan damit nicht so unrecht hat, er kennt die Menschen, er weiß, wie abgründig der nackte Lebenswille des Menschen ist. Er weiß, wie viel ein Mensch überleben kann, wenn es ihn selbst noch nicht trifft. Solange steht er gleichsam immer noch außerhalb der Gefahrenzone. Er hat sich selbst gerettet. «Alle leben», das steht auf unseren Hauswänden geschrieben. Solange das Leben nicht angetastet wird, ist die Hauptsache gerettet. Man kann noch arbeiten, man kann noch schaffen. So, meint der Satan, täuscht sich Gott über Hiob. Gottes Lob im Munde des Hiob ist nichts anderes als dieser unverwüstliche Lebenswille des Menschen. Wenn der angetastet wird, dann wird es anders aussehen. «Taste sein Gebein und Fleisch an, was gilts, er wird dir ins Angesicht absagen.» Und nun überläßt Gott Hiob zum zweiten Male dem Satan, der ihn mit seinen Fäusten schlägt. Nun sehen wir ihn vor uns als die Gestalt, wie die Maler ihn malten, voll böser Schwären, vom Fuß bis zum Kopf mit Aussatz bedeckt, «er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche». In solchem Elend und Leid zerbricht auch das Band der Liebe und Treue, sein eigenes Weib wird von Verzweiflung ergriffen. Wie Eva im Paradies, so steht Hiobs Frau neben dem von Gott Geschlagenen. «Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit, sage Gott ab und stirb.» Das Leben ist zu Ende. Frömmigkeit hat nur Sinn, solange der Mensch lebt. Hiob ist ein Todgeweihter. In seinem Elend zeichnet sich scheinbar ab, daß Gott ihn verlassen hat [120] und Hiob noch an ihm festhält? Gott ist gegangen und Hiob wartet. Worauf wartet er eigentlich noch? Der Tod ist das einzige; was ihm gewiß ist. Die Schleier, die über der Gestalt Hiobs stehen, zerteilen sich. Wir schauen hindurch ans Kreuz. Wir schauen den, der der «Allerverachtetste und Unwerteste» war: «wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte». «Wir hielten ihn für den, der von Gott geschlagen und gemartert wäre». Jesus Christus hat die Hiobfrage durchgelebt, in Jesus Christus hat der Teufel sein Spiel verloren. Jesus Christus ist der Mensch, in dem Gott Recht bekommen hat. Jesus Christus ist der einzige, der bei uns steht, wenn wir selbst in solche Anfechtung geführt werden. Jesus Christus ist der Zeuge Gottes, daß das Unglück, welches den Menschen trifft, uns nicht von Gott scheiden, sondern zu ihm führen soll. Um Jesu Christi willen klingt es immer wieder auf im Neuen Testament: «Welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er, und er stäupt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt» (Hebr 12,8). Das Kreuz ist einbezogen in die Wege Gottes, die er mit denen geht, die er lieb hat. Darum hat Hiob recht, wenn er seiner Frau entgegnet, daß wir alles aus Gottes Hand nehmen sollen, nicht nur das Gute, sondern auch das Böse. Denn erst dann, wenn wir alles von Gott nehmen, Gutes und Böses, Hohes und Tiefes, Leben und Tod, Gegenwärtiges und Zukünftiges, ist Gott alles in allem, ist er der Ring, in dem wir laufen, ist er die Mitte, um die alles schwingt, erst dann kann uns nichts mehr trennen von Gott, erst dann hat der Satan sein Spiel verloren, muß er schweigen mit seiner bösen Frage: «Ist Hiob denn umsonst so fromm?» Denn diese Frage, die Teufelsfrage, muß da verstummen, wo der Lobgesang des Glaubens sich erhebt zu der Gewißheit:«Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Fährlichkeit oder Schwert? Aber in allem überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes auch keine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn» (Röm 8,35-39).
Predigt beim Wochenschlussgottesdienst am 3. Juni 1944 in der St.-Marien-Kirche in Dortmund.
Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke, Bd. 3: Ausgewählte Predigten, München: Chr. Kaiser Verlag 1963, Seiten 114-120.
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