Tugendfreie Ethik. Was der gymnasiale Lehrplan für den evangelischen Religionsunterricht in der Oberstufe in Bayern vorsieht.

Domenico Beccafumi -  Justitia aus dem allegorischer Freskenzyklus der politische Tugenden aus dem Plazzo Pubblico in Siena
Domenico Beccafumi: Allegorischer Freskenzyklus (Politische Tugenden) aus dem Plazzo Pubblico in Siena, Szene: Justizia

Lehrpläne sprechen Bände, zumindest der gymnasiale Lehrplan für den evangelischen Religionsunterricht in der Oberstufe in Bayern. Wenn es dort um Ethik geht, ist in der 12. Jahrgangsstufe zunächst das Gewissen angesagt, bevor es dann um die Frage geht: „Was soll ich tun?“ Im Einzelnen sieht der Lehrplan Folgendes vor:

„Ev 12.2 Was soll ich tun? – Die Frage nach der richtigen Lebensführung (ca. 18 Stunden)

Die Schüler erkennen die Notwendigkeit ethischer Entscheidungen, werden sich über unterschiedliche ethische Konzeptionen klar und wenden die Grundlagen evangelischer ethischer Theoriebildung auf einen konkreten Problembereich an.

  • Ethik als notwendigen Versuch begreifen, menschliches Zusammenleben zu regeln
    • Bestimmungsgrößen der ethischen Entscheidung wie Tradition und Situation (dazu Regeln, Vorschriften, Gesetze in unserer Lebenswelt)
    • ethische Bildung, Aspekte zur Entwicklung moralischen Bewusstseins
    • Ebenen sittlichen Verhaltens (Alltags-, Situations-, Konfliktethik)
    • Verantwortlichkeit des Menschen als Grundlage ethischer Entscheidungen
  • mit Grundbegriffen der Ethik umgehen und ausgewählte Ansätze philosophischer Ethik kennen
    • Terminologie und Einordnungskriterien (deontologisch, teleologisch; situativ, normativ; Gesinnung, Verantwortung) anhand von Grundmodellen ethischen Argumentierens: Pflichtethik I. Kants und Utilitarismus
  • Grundlagen christlicher Ethik kennen und die Frage nach dem Handeln des Christen in der Welt reflektieren
    • Quellen christlicher Ethik nach evangelischem Verständnis; angemessener Umgang mit der Bibel
    • Dekalog und Bergpredigt: Entstehung, Deutung, Wirkung
    • Verhältnis von „Indikativ und Imperativ“
    • M. Luthers Unterscheidung der zwei Reiche und Regimente; dazu im Vergleich K. Barths Modell der „Königsherrschaft Christi“; evtl. Grundlagen der katholischen Soziallehre
  • eine ethische Fragestellung sachgerecht erschließen und aus evangelischer Perspektive beurteilen
  • Sachklärung eines ausgewählten Problems: Vertiefung einer bereits behandelten oder Erschließung einer neuen Fragestellung, z. B. aus der Wirtschaftsethik
  • zum gewählten Beispiel passende Kriterien der evangelischen Ethik wie Gerechtigkeit, Freiheit, Verantwortung, ggf. dazu ausgewählte Bibeltexte
  • Bedeutung eines evangelischen Gewissensverständnisses für das gewählte Beispiel
  • Lösungsansätze zum gewählten Beispiel aus evangelischer Perspektive unter Einbeziehung kirchlicher Verlautbarungen“

Auffällig ist, was da für ein Begriffsapparat aufgebaut wird, ohne dass dabei Tugenden zur Sprache kommen (wie auch schon für die 10. Klasse zum Thema „Tun und Lassen“). Ein liberaler Protestantismus zelebriert evangeliumsfreie Kasuistik samt autonomer Richtermoral – Hauptsache distanziert-reflektiert, was dann die Schülerinnen und Schüler auch in Klausuren zu Papier bringen sollen. Mit einer evangelischer Ethik in der Nachfolge Jesu hat solche tugendfreie Ethik wenig gemein.

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