Nun haben wir ja möglicherweise eine Großdebatte in der evangelischen Theologie zu erwarten – hausgemacht an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin. Nachdem der Systematiker Notger Slenczka schon 2013 einen Aufsatz unter dem Titel „Die Kirche und das Alte Testament“ veröffentlicht hatte, ist jetzt im April der innerfakultäre Streit eskaliert. Slenczka bestreitet die kanonische Geltung des Alten Testaments für die Kirche – eine Position, für die er sich ja auf theologische Lehrer wie Schleiermacher und Harnack berufen kann. Christoph Markschies, Kirchenhistoriker und EKD-Cheftheologe, widerspricht energisch. Da fallen dann unschöne Verdächtigungen und Schlagworte. Historische Vergleiche werden getroffen, die in der Tat ehrenrührig sind. Man fühlt sich an den Göttinger Fall Gerd Lüdemann 1998/99 erinnert.
Auf vermeintlich historischer Grundlage will man entscheiden, ob das Alte Testament kanonische Geltung für die Kirche haben kann (oder muss). Wo religionsgeschichtliche Maßstäbe gelten sollen, dreht sich die Argumentation im Kreis und vergreift sich in der Sprache. Man glaubt seiner eigenen Geschichtsschreibung und hält sie für objektive Geschichte.
Für die Kirche Jesu Christi gelten keine religionsgeschichtlichen Werturteile, sondern eine kanonische Lektürepraxis, die gottesdienstlich immer wieder neu vollzogen wird: Wir lesen das Alte Testament im Licht Jesu Christi und das Neue Testament im Licht der alttestamentlichen Verheißungen. Wer sich von dieser Lektürepraxis aus vermeintlich religionsgeschichtlichen Gründen verabschiedet, kann Jesus als Messias und Sohn Gottes nicht länger Glauben schenken.
Eine aufschlussreiche Entgegnung auf Slenczka hat der katholische Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger unter dem Titel „Die Rückkehr Markions“ verfasst.
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